VwGH 96/11/0291

VwGH96/11/029122.4.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des Dr. F in W, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 30. Mai 1996, Zl. MA 65-8/235/96, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38;
KFG 1967 §66 Abs2 liti;
KFG 1967 §76 Abs3;
StVO 1960 §20 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
AVG §38;
KFG 1967 §66 Abs2 liti;
KFG 1967 §76 Abs3;
StVO 1960 §20 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 in Verbindung mit § 73 Abs. 3 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B für die Dauer von zwei Wochen, gerechnet ab Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides der Bundespolizeidirektion Wien vom 14. Juli 1995, vorübergehend entzogen.

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluß vom 24. September 1996, B 2434/96, die Behandlung der an ihn gerichteten Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG abgelehnt und diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Grund für die bekämpfte Entziehungsmaßnahme war, daß der Beschwerdeführer am 15. April 1995 auf einer näher bezeichneten Straßenstelle im Ortsgebiet von Wien ein Kraftfahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 70 bis 80 km/h und in der Folge auf einer Strecke mit einer verordneten Geschwindigkeitsbeschränkung auf 40 km/h mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h gelenkt habe. Darin liege eine bestimmte, die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers nach sich ziehende bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967. Wegen der Geschwindigkeitsüberschreitungen ist der Beschwerdeführer rechtskräftig schuldig erkannt worden, Übertretungen nach § 20 Abs. 2 und nach § 52 Z. 10a StVO 1960 begangen zu haben. Zum Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitungen folgte die belangte Behörde den Feststellungen des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien in seinem Berufungsbescheid vom 11. Jänner 1996, wonach die Fahrgeschwindigkeit des Beschwerdeführers von Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wien durch Nachfahren mit einem Dienstfahrzeug in einem gleichbleibenden Abstand über eine Strecke von 200 bis 300 m und Ablesen vom nicht geeichten Tachometer festgestellt worden sei.

Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen einer bestimmten Tatsache, weil die von ihm begangenen Geschwindigkeitsüberschreitungen nicht das in § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 normierte Ausmaß überschritten hätten.

Gemäß § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 hat als bestimmte, die Verkehrsunzuverlässigkeit einer bestimmten Person indizierende bestimmte Tatsache zu gelten, wenn sie u.a. im Ortsgebiet die jeweils zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 km/h überschritten hat und die Überschreitung mit einem technischen Hilfsmittel festgestellt wurde.

Soweit sich die belangte Behörde auf die aus der rechtskräftigen Bestrafung erfließende Bindungswirkung beruft, ist ihr vorausschickend entgegenzuhalten, daß sich diese Wirkung lediglich auf den Umstand bezieht, daß der Beschwerdeführer Geschwindigkeitsüberschreitungen begangen hat, also schneller als 50 bzw. 40 km/h gefahren ist. In Ansehung des Ausmaßes dieser Geschwindigkeitsüberschreitungen besteht hingegen eine solche Bindungswirkung nicht, weil dieses nicht Tatbestandselement der in Rede stehenden Verwaltungsübertretungen ist (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Mai 1996, Zl. 96/11/0111). Umgekehrt ist vorauszuschicken, daß die Feststellung der Geschwindigkeit unter Zuhilfenahme eines - wenn auch nicht geeichten - Tachometers "mit einem technischen Hilfsmittel" im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 erfolgt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Jänner 1997, Zl. 96/11/0279).

Da die belangte Behörde keine eigenen Feststellungen zum Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung getroffen hat, hat sie ihr Ermittlungsverfahren mangelhaft geführt. Dieser Verfahrensmangel wäre freilich dann nicht wesentlich, und zöge nicht die Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach sich, wären die von den Behörden des Verwaltungsstrafverfahrens getroffenen Feststellungen dergestalt, daß daraus schlüssig eine Fahrgeschwindigkeit des Beschwerdeführers von mehr als 80 km/h statt der verordneten 40 km/h ableitbar wäre. Das ist nicht der Fall. Dem Beschwerdeführer wurden im Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien zwei Geschwindigkeitsüberschreitungen zur Last gelegt; er sei zunächst mit 70 bis 80 km/h statt mit den höchstzulässigen 50 km/h gefahren und sodann mit 100 km/h statt der höchstzulässigen 40 km/h. Der Beschwerdeführer soll damit sein Fahrzeug während der beobachteten und der Schätzung zugrundegelegten Fahrt beschleunigt haben. Dies sei auf einer Strecke von 200 bis 300 m erfolgt. Das Ablesen der Fahrgeschwindigkeit - noch dazu von einem nicht geeichten Tachometer - erfolgte damit unter Verhältnissen, die eine unbedenkliche Feststellung, der Beschwerdeführer sei im Bereich der verordneten Geschwindigkeitsbegrenzung mit mehr als 80 km/h gefahren, nicht zulassen. Mögen diese Feststellungen auch geeignet sein, die Schuldsprüche zu tragen, ist dies in Ansehung der Annahme einer bestimmten Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. i KFG 1967 nicht der Fall. Im übrigen hat die in erster Instanz eingeschrittene Bundespolizeidirektion Wien in ihrem Straferkenntnis vom 26. Juni 1995 eine Fahrgeschwindigkeit von 85 km/h statt der erlaubten 40 km/h (freilich ohne nähere Begründung) als erwiesen angenommen.

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben, weil der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Ersatz des Schriftsatzaufwandes nach der zitierten Verordnung mit S 12.500,-- pauschaliert ist und die Umsatzsteuer in diesem Pauschalbetrag bereits enthalten ist.

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