VwGH 96/11/0267

VwGH96/11/026721.1.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Neumeister, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 7. August 1996, Zl. MA 65 - 8/276/96, betreffend Versagung einer unbefristeten Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52;
AVG §56;
AVG §59 Abs1;
KDV 1967 §30 Abs1 Z1;
KDV 1967 §30 Abs1 Z2 litc;
KDV 1967 §30 Abs1 Z3;
KDV 1967 §31a;
KDV 1967 §34;
KDV 1967 §35;
KFG 1967 §65 Abs2;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §69 Abs1 litb;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §75 Abs2;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwRallg;
AVG §52;
AVG §56;
AVG §59 Abs1;
KDV 1967 §30 Abs1 Z1;
KDV 1967 §30 Abs1 Z2 litc;
KDV 1967 §30 Abs1 Z3;
KDV 1967 §31a;
KDV 1967 §34;
KDV 1967 §35;
KFG 1967 §65 Abs2;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §69 Abs1 litb;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §75 Abs2;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird, soweit mit ihm die Erteilung einer Lenkerberechtigung für die Zeit ab 22. März 1997 versagt wird, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 8. März 1991 wurde die Lenkerberechtigung des (im Jahr 1929 geborenen) Beschwerdeführers für Kraftfahrzeuge der Gruppe B gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 auf zwei Jahre befristet. In der Folge wurde dem Beschwerdeführer wiederholt eine befristete Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B erteilt, zuletzt mit (mündlich verkündetem) Bescheid der Erstbehörde vom 8. Mai 1995 (befristet bis 8. Mai 1996). Als Grund für die bedingte Eignung und die empfohlene Befristung auf ein Jahr hatte der ärztliche Amtssachverständige in seinem Gutachten vom 8. Mai 1995 "wegen org. Psychosyndrom" genannt.

Am 13. Juni 1995 unterzog sich der Beschwerdeführer freiwillig einer verkehrspsychologischen Untersuchung bei der verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit. Die Zusammenfassung des darüber ausgestellten Befundes vom 29. Juni 1995 hat folgenden Inhalt:

"Die kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeiten zeigen teilweise zur Voruntersuchung Verbesserungen, so z.B. in der Beobachtungsfähigkeit, in der Konzentrationsfähigkeit und auch in der kraftfahrtypischen Sensomotorik. Die reaktive Dauerbelastbarkeit zeigt allerdings nach wie vor Schwächen, vor allem angesichts einer deutlichen Neigung zu vermehrten verspäteten Reaktionen unter mittleren und höheren Anforderungen. Zur Intelligenz und der Persönlichkeit liegen keine unmittelbar eignungsausschließenden Befunde vor. Allerdings zeigen sich im Persönlichkeitsbereich nach wie vor einige Auffälligkeiten, wie zum Beispiel rechthaberische Wesenszüge, eine Neigung zu externaler Schuldattribution und teilweise gegebener Perserverationstendenzen. In Verbindung mit der angegebenen zwischenzeitlichen, nunmehr insgesamt 5 jährigen Vorfallsfreiheit innerhalb- und außerhalb des Straßenverkehrs (die befristete Lenkerberechtigung wurde behördlicherseits zwischenzeitlich mindestens zweimal verlängert) ist daher Herr A vom Standpunkt verkehrspsychologischer Begutachtung auch weiterhin zum Lenken von Kfz der Gruppe B

BEDINGT GEEIGNET

BEMERKUNG: Allerdings wird weiterhin eine Befristung der LB angesichts der Schwankungen im Leistungsverlauf, aber auch im Hinblick auf die Dauermedikation des Untersuchten empfohlen, um zumindest eine amtsärztliche Verlaufsbeobachtung zu ermöglichen."

Mit Schreiben vom 25. Februar 1996 beantragte der Beschwerdeführer unter Hinweis auf den Befund über die zuvor genannte verkehrspsychologische Untersuchung die Erteilung einer unbefristeten Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppe B.

Im amtsärztlichen Gutachten vom 21. März 1996 wird der Beschwerdeführer als bedingt geeignet zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B bezeichnet und als Grund für die empfohlene Befristung auf ein Jahr "verlangsamte Reaktion" angegeben.

Mit Bescheid vom 1. April 1996 "befristete" die Erstbehörde gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung auf ein Jahr (bis 21. März 1997). Sie stützte sich in der Begründung dieses Bescheides auf das amtsärztliche Gutachten vom 21. März 1996.

Der Beschwerdeführer erhob "gegen die Befristung" Berufung und legte im Zuge des Berufungsverfahrens das Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 9. Mai 1996 vor, in dem auf den Inhalt der am 13. Juni 1995 durchgeführten verkehrspsychologischen Untersuchung Bezug genommen und abschließend die Auffassung vertreten wird, daß der Beschwerdeführer aus nervenfachärztlicher Sicht zum Lenken eines Kraftfahrzeuges der Gruppe B geeignet sei und daß sowohl bei der am 9. Mai 1996 durchgeführten Untersuchung als auch in der Längsschnittbeobachtung keine Kriterien für eine Befristung der Lenkerberechtigung sprächen.

Der ärztliche Amtssachverständige hielt in einem Vermerk vom 30. Mai 1996 fest, "die Befristung des FS der Gruppe B bleibt im Hinblick auf die Gesamtbefundlage", wobei in Klammer auf ein organisches Psychosyndrom hingewiesen wird, "sowie die von ihm selbst festgestellte Verlangsamung der Reaktion des Untersuchten".

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. In der Begründung bezeichnete die belangte Behörde das amtsärztliche Gutachten als schlüssig, nachvollziehbar und "nach den neuesten medizinischen Erkenntnissen erstellt" und führte aus, das Gutachten entspreche dem Ergebnis des Befundes des Kuratoriums für Verkehrssicherheit. Mit den vom Beschwerdeführer beigebrachten Befunden und seiner Behauptung, er verfüge über ein enormes Konzentrationsvermögen, habe er die Feststellung des Amtsarztes nicht entkräften können, zumal die Lenkerberechtigung nicht wegen mangelnder Konzentrationsfähigkeit, sondern wegen der beim Beschwerdeführer festgestellten Schwächen in der reaktiven Dauerbelastbarkeit zu befristen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid - und zwar soweit es um die Versagung einer Lenkerberechtigung ab 22. März 1997 geht - richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der sich der Beschwerdeführer in seinem subjektiven Recht auf Erteilung einer unbefristeten Lenkerberechtigung als verletzt erachtet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zunächst ist festzuhalten, daß es sich bei dem bekämpften Bescheid entgegen dem Wortlaut des Spruches nicht um die Befristung einer aufrechten Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers, sondern um die Erteilung einer bis 21. März 1997 befristeten Lenkerberechtigung und die Abweisung des darüber hinausgehenden Begehrens auf Erteilung einer unbefristeten Lenkerberechtigung handelt. Rechtsgrundlage der bekämpften Entscheidung ist somit § 65 Abs. 2 KFG 1967, nicht jedoch § 73 Abs. 1 leg. cit. Durch die verfehlte Nennung dieser Gesetzesstelle wurden allerdings Rechte des Beschwerdeführers nicht verletzt, zumal die Voraussetzungen für Befristungen gemäß § 65 Abs. 2 und gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 dieselben sind (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. November 1993, Zl. 93/11/0056, mwN). Die in der Gegenschrift geäußerte Auffassung der belangten Behörde, § 73 Abs. 1 KFG 1967 sei heranzuziehen gewesen, weil im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides der Beschwerdeführer noch im Besitz einer bis 8. Mai 1996 befristeten Lenkerberechtigung gewesen sei, ist verfehlt, weil mit dem erstinstanzlichen Bescheid nicht eine Lenkerberechtigung durch eine Befristung "eingeschränkt" wurde, sondern eine Lenkerberechtigung, die ohne diesen Bescheid am 8. Mai 1996 erloschen wäre, über diesen Zeitpunkt hinaus befristet erteilt ("verlängert") wurde.

Gemäß § 65 Abs. 2 KFG 1967 ist, soweit dies u.a. aufgrund des ärztlichen Gutachtens (§ 69 Abs. 1 lit. b) nach den Erfordernissen der Verkehrssicherheit nötig ist, die Lenkerberechtigung unter entsprechenden Befristungen, Auflagen oder zeitlichen, örtlichen oder sachlichen Beschränkungen der Gültigkeit zu erteilen. Nach § 69 Abs. 1 lit. b KFG 1967 hat u. a. bei Personen, deren Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und bei denen Nachuntersuchungen erforderlich sind, das ärztliche Gutachten "bedingt geeignet" zu lauten und Befristungen, Auflagen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit anzuführen, unter denen eine Lenkerberechtigung ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit erteilt werden kann. Die Notwendigkeit von Nachuntersuchungen im Sinne dieser Gesetzesstelle ist dann gegeben, wenn eine "Krankheit" festgestellt wurde, bei der ihrer Natur nach mit einer zum Verlust der Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen führenden Verschlechterung gerechnet werden muß. Unter einer "Krankheit" in diesem Sinne ist nicht nur eine psychische Krankheit oder geistige Behinderung (§§ 30 Abs. 1 Z. 1, 31 KDV 1967), die fehlende nötige Gesundheit (§§ 30 Abs. 1 Z. 2 lit. c, 34 KDV 1967) oder die mangelnde Freiheit von Gebrechen (§§ 30 Abs. 1 Z. 3, 35 KDV 1967), sondern insbesondere auch das Fehlen der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit oder der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung (§§ 30 Abs. 1 zweiter Satz, 31a KDV 1967) zu verstehen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1992, Slg.Nr. 13.565/A). Grundlage für die Annahme einer bloß bedingten Eignung im dargestellten Sinn ist ein ärztliches Gutachten, das schlüssige Ausführungen über die Auswirkungen des bei dem Betreffenden festgestellten regelwidrigen Zustandes auf seine Fähigkeit zum sicheren Beherrschen der in Frage kommenden Kraftfahrzeuge und zum Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften enthält, sofern dies nicht ohnehin schon auf Grund der Art der "Krankheit" im oben beschriebenen Sinn auf der Hand liegt, sowie darüber, welche Entwicklung der jeweils festgestellte regelwidrige Zustand in Hinsicht auf die relevanten Auswirkungen auf das Verhalten der betreffenden Person im Straßenverkehr nehmen kann (siehe dazu die hg. Erkenntnisse vom 12. Juni 1990, Zl. 89/11/0279, und vom 9. Oktober 1990, Zl. 89/11/0124, 0299).

Diesen Anforderungen entspricht das dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Gutachten nicht. Der im ärztlichen Sachverständigengutachten vom 21. März 1996 genannte Grund für die bedingte Eignung, nämlich "verlangsamte Reaktion", die allein im angefochtenen Bescheid zur Begründung für die bloß befristete Erteilung herangezogen wurde, findet im Befund über die verkehrspsychologische Untersuchung keine Deckung. In diesem ist in der Zusammenfassung zwar von Schwächen in der reaktiven Dauerbelastbarkeit die Rede, doch zeigt ein Blick auf die Beschreibung der einzelnen Komponenten des Reaktionsverhaltens, daß die Belastbarkeit "zur Allgemeinnorm unterdurchschnittlich, vor allem angesichts einer erhöhten Anzahl von Reaktionsverzögerungen, im Vergleich zur Altersnorm" aber "ohne gravierende Auffälligkeiten" war, sodaß darin kein die Eignung des Beschwerdeführers ausschließender oder einschränkender Umstand gelegen ist. Die verkehrspsychologische Untersuchungsstelle hat ihre Empfehlung zur Befristung der Lenkerberechtigung auch nicht auf verlangsamte Reaktion oder Schwächen in der reaktiven Dauerbelastbarkeit gestützt. Die von ihr genannten "Schwankungen im Leistungsverlauf" wurden vom ärztlichen Sachverständigen und von der belangten Behörde nicht übernommen. Sie sind auch mangels Begründung nicht nachvollziehbar. Sofern damit die gegenüber der verkehrspsychologischen Untersuchung vom 15. März 1990 verbesserten Testwerte des Beschwerdeführers gemeint sein sollten, ist darauf hinzuweisen, daß der Beschwerdeführer die Richtigkeit der damals ermittelten Testwerte stets bestritten hat und darin insofern bestätigt wurde, als die im seinerzeitigen Berufungsverfahren am 5. September 1990 durchgeführte testpsychologische Untersuchung in der Psychiatrischen Universitätsklinik das Ergebnis "Für alle Führerscheingruppen gut geeignet (Note 2)" erbracht hat.

Das ärztliche Sachverständigengutachten, auf das die belangte Behörde ihre Entscheidung gestützt hat, erweist sich somit als unschlüssig. Es ist zudem unvollständig, weil es keine Ausführungen über die voraussichtliche Entwicklung des vom Sachverständigen angenommenen regelwidrigen Zustandes enthält.

Das Verfahren erweist sich zudem aus folgenden Erwägungen als mangelhaft. Gemäß § 67 Abs. 2 KFG 1967 hat die Behörde vor der Erteilung der Lenkerberechtigung ein ärztliches Gutachten darüber einzuholen, ob der Antragsteller zum Lenken von Kraftfahrzeugen geistig und körperlich geeignet ist. Das ärztliche Gutachten darf im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als ein Jahr sein. Stützt sich ein Gutachten in entscheidenden Punkten auf Unterlagen, die bereits vor mehr als einem Jahr vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides zustandegekommen sind, so wird damit der genannten Vorschrift nicht Genüge getan (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 1996, Zl. 95/11/0308, m.w.N.).

Der angefochtene Bescheid wurde mit seiner Zustellung an den Beschwerdeführer am 21. August 1996 erlassen. Im Zeitpunkt der Bescheiderlassung war somit der verkehrspsychologische Befund vom 29. Juni 1995 (betreffend die Untersuchung vom 13. Juni 1995), auf den sich der ärztliche Amtssachverständige und die belangte Behörde stützten, älter als ein Jahr, weshalb die belangte Behörde das auf diesem Befund basierende Gutachten des ärztlichen Amtssachverständigen ihrem Bescheid nicht mehr hätte zugrundelegen dürfen.

Aus den dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. An Stempelgebührenersatz konnten dem Beschwerdeführer nur S 390,-- (S 360,-- Eingabengebühr für die Beschwerde und S 30,-- Beilagengebühr für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig zuerkannt werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte