VwGH 96/10/0253

VwGH96/10/025327.1.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Suda, über 1. den Antrag der I KG in H, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in D, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung der Beschwerde gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 7. Oktober 1996, Zl. IVe-223/313-95, betreffend naturschutzbehördliche Bewilligung, und 2. die Beschwerde gegen den zu 1. genannten Bescheid, den Beschluß gefaßt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

1. Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 7. Oktober 1976 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung der landschaftsschutzrechtlichen Bewilligung für die Errichtung einer Vierersesselbahn in H. ab. Der Bescheid wurde dem Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin am 15. Oktober 1996 zugestellt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 10. Dezember 1996 zur Post gegebene Beschwerde. Diese ist mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist verbunden, der wie folgt begründet wird:

Der Bescheid sei am 15. Oktober 1996 zugestellt und von der Kanzleileiterin des Beschwerdevertreters entgegengenommen worden. Rechtsanwalt Dr. P. sei zufällig im Sekretariat anwesend gewesen, habe den Bescheid kurz durchgesehen, das Entscheidungsergebnis zur Kenntnis genommen und die Kanzleileiterin ausdrücklich angewiesen, die sechswöchige Beschwerdefrist verläßlich und unverzüglich im Fristenkalender einzutragen. Die Kanzleileiterin habe prompte Erledigung zugesagt. Wenig später sei Dr. P. in das Sekretariat zurückgekehrt und habe sich bestätigen lassen, daß der Fristvormerk soeben im Fristenkalender und auf dem Originalbescheid eingetragen und der ausdrückliche Auftrag zum gewissenhaften Fristvormerk von der Kanzleileiterin offenbar erfüllt worden sei. Aus Sicht des Beschwerdevertreters habe zu einer "meritorischen Nachrechnung" der offensichtlich eingetragenen Fristvormerkung keine Veranlassung bestanden, zumal die Kanzlei des Beschwerdevertreters eine Vielzahl von Beschwerdeverfahren bei den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts eingebracht habe. Die Kanzleileiterin sei aufgrund dieses Tätigkeitsschwerpunktes der Kanzlei mit der Administration von Beschwerdefristen an den Verwaltungsgerichtshof bestens vertraut und habe sämtliche Fristvormerkungen bislang stets anstandslos vorgenommen. Im Zuge des Diktates der Beschwerde am 27. November 1996 habe Rechtsanwalt Dr. S. festgestellt, daß der von der Kanzleileiterin vorgenommene Fristvormerk 28. November 1996 nicht richtig sei und letzter Tag der Beschwerdefrist tatsächlich der Vortag, nämlich der 26. November 1996, gewesen wäre. Rechtsanwalt Dr. S. habe der Kanzleileiterin unverzüglich den Fehleintrag vorgehalten, worauf diese erklärt habe, entgegen ihrer sonstigen Übung wegen der besonderen Dringlichkeit des damaligen Fristvormerks diesen anhand des Juristenkalenders 1996, herausgegeben von RA Michael Hiller, vorgenommen zu haben. Darin seien die jeweiligen zweiwöchigen, vierwöchigen und sechswöchigen Fristen neben den jeweiligen Eingangstagen dargestellt. Die Kanzleileiterin habe Seite 277 dieses Kalenders entnommen, daß bei Eingangsdatum 15. Oktober 1996 die sechswöchige Beschwerdefrist am 28. November 1996 ende. Auf Grundlage dieser Information habe die Kanzleileiterin sowohl beim Eingangsstempel auf dem Bescheid als auch im Fristkalender der Kanzlei den 28. November 1996 als letzten Tag der sechswöchigen Beschwerdefrist an den Verwaltungsgerichtshof eingetragen.

Erstmals am 27. November 1996 habe der Beschwerdevertreter daher die Unrichtigkeit des vorgenommenen Fristvormerkes sowie die Tatsache, daß die Kanzleileiterin für die Fristberechnung den Juristenkalender 1996 verwendet habe, festgestellt. Hätte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin gewußt, daß die Kanzleileiterin die Beschwerdefrist anhand des Juristenkalenders 1996 vorgemerkt habe, hätte er wegen möglicher Fehlerquellen den Fristvormerk jedenfalls auf seine Richtigkeit hin persönlich überprüft. Dazu habe aber wegen der bereits seit mehreren Jahren anstandslosen und verläßlichen Arbeitsweise der Kanzleileiterin keine Veranlassung bestanden. Die Kanzleileiterin Ricarda M. sei bereits seit vielen Jahren Chefsekretärin und habe sich auch in ihrer mehrjährigen Tätigkeit als Kanzleileiterin in der Kanzlei des Beschwerdevertreters als absolut verläßlich und anstandslos arbeitende Kanzleileiterin erwiesen. In ihrer gesamten beruflichen Laufbahn sei ihr ein solches Versehen noch nie widerfahren. Ihr sei der inhaltlich unrichtige Kalenderabdruck auch insbesondere deshalb nicht aufgefallen, weil der Eingangstag 15. Oktober 1996 ein Dienstag war (vgl. "D" neben dem Eingangsdatum 15.10.1996 im Juristenkalender) und auch neben der im Juristenkalender eingetragenen Sechswochenfrist (28.11.1996) ein "D" abgedruckt sei. Trotz der absoluten Verläßlichkeit der Kanzleileiterin im Zusammenhang mit der Administration sämtlicher Fristvormerke legten die Beschwerdevertreter größtes Augenmerk auf eine sorgfältige Terminverwaltung und kontrollierten auch stichprobenartig die Fristvormerke der Kanzleileiterin, die im Sekretariat wegen ihrer besonderen Erfahrung und Verläßlichkeit als einzige zu Termineintragungen und Postadministration befugt sei. Der Beschwerdevertreter habe die ihm seit Jahren als stets verläßliche Kanzleileiterin bekannte Angestellte im Zusammenhang mit Fristvormerken und Termineintragungen eingehend geschult, sodaß es in ihrer Tätigkeit als Chefsekretärin und Kanzleileiterin noch nie zu einem falschen Fristvormerk gekommen sei. Darüberhinaus habe der Beschwerdevertreter gerade im gegenständlichen Fall die Kanzleileiterin zur sorgfältigen und verläßlichen Eintragung der Beschwerdefrist an den Verwaltungsgerichtshof angeleitet und damit zusätzlich für einen verläßlichen Fristvormerk Sorge getragen. Der Rechtsanwalt sei daher seiner Sorgfalts- und Überwachungspflicht nachgekommen. Nach Maßgabe der Sachlage handle es sich daher bei der fehlerhaften Fristeintragung durch die Kanzleileiterin um einen bloß minderen Grad des Versehens und um keine grobe Fahrlässigkeit. Von einem auffallenden Sorgfaltsverstoß könne im vorliegenden Fall nicht die Rede sein, weil Grundlage für den Fristenvormerk die Eintragung in der Kalenderübersicht des Juristenkalenders 1996 gewesen und diese objektiv falsch - aber für den Benutzer nicht von vorherein erkennbar - abgedruckt sei. Der fehlerhafte Fristvormerk der Kanzleileiterin sei ihr trotz der Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfalt des Rechtsanwaltes bei der Kontrolle der Termin- und Fristenevidenz und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung der Kanzleiangestellten unterlaufen und sei eine durch die konkreten Umstände des Einzelfalles bedingte entschuldbare Fehlleistung gewesen.

Nach § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschuldes des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes demjenigen der Partei oder des Rechtsanwaltes nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden darf. Das Versehen eines solchen Kanzleibediensteten stellt dann ein Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG dar, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht jenem Bediensteten gegenüber nachgekommen ist. Hiebei ist zu beachten, daß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Aufgaben, die aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit erfüllen muß, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Er muß gegenüber diesem Apparat alle Vorsorgen treffen, die die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben gewährleisten, die ihm nach dem Bevollmächtigungsvertrag obliegen. Insoweit der Rechtsanwalt diese Vorsorgen nicht in der Art und dem Maß getroffen hat, wie es von ihm je nach der gegebenen Situation zu erwarten war, kommt ein Verschulden an einer späteren Fristversäumung in Betracht. Insbesondere muß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen unter anderem dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Ein Rechtsanwalt verstößt danach auch dann gegen eine anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er weder im allgemeinen noch im besonderen (wirksame) Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Fall des Versagens eines Mitarbeiters Fristversäumungen auszuschließen geeignet sind. Ein Verschulden trifft den Rechtsanwalt jedenfalls dann nicht, wenn sich zeigt, daß die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des betreffenden Kanzleiangestellten beruht hat, ohne daß ein eigenes Verschulden des Rechtsanwaltes hinzugetreten wäre (vgl. z.B. den Beschluß vom 26. Juni 1992, Zl. 88/17/0205 und den Beschluß vom 30. Juni 1994, Zl. 92/15/0211, sowie die dort jeweils zitierte Vorjudikatur).

Der Verwaltungsgerichtshof geht ferner in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß der Rechtsanwalt lediglich rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken ohne nähere Beaufsichtigung einer verläßlichen Kanzleikraft überlassen kann (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 19. September 1990, Zl. 89/03/0213). Hingegen ist für die richtige Berechnung der jeweiligen Rechtsmittelfrist stets der Anwalt selbst verantwortlich. Er selbst hat die entsprechende Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen sowie die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seinen Kanzleiangestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen. Tut er dies nicht oder unterläuft ihm hiebei ein Versehen, ohne daß er dartun kann, daß die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des betreffenden Kanzleiangestellten beruht und in seiner Person keinerlei Verschulden vorliegt, so trifft ihn ein Verschulden an der Versäumung (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 6. Oktober 1994, Zlen. 93/16/0075, 0076, sowie den Beschluß vom 28. Juni 1994, Zl. 94/05/0111. Kommt der Rechtsanwalt im erwähnten Zusammenhang seiner Aufsichts- und Kontrollpflicht nicht nach, so handelt es sich nicht um einen minderen Grad des Versehens (vgl. z.B. den Beschluß vom 14. Mai 1991, Zl. 91/14/0061, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Davon ausgehend stellt der vorgetragene Sachverhalt keinen Wiedereinsetzungsgrund dar. Der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin hat nach den Darlegungen des Antrages die Berechnung der Beschwerdefrist nicht selbst vorgenommen, sondern dies der Kanzleileiterin überlassen; mit dem Auftrag, "die Beschwerdefrist verläßlich und unverzüglich im Fristenkalender einzutragen", und der Entgegennahme einer Erklärung der Kanzleileiterin, daß die Fristvormerkung erfolgt sei, wird den dargelegten Anforderungen an die Kanzleiorganisation nicht entsprochen. Damit hat der Rechtsanwalt selbst weder auf die richtige Berechnung noch auf richtige Eintragung des Endes der Beschwerdefrist im konkreten Einzelfall abzielende Maßnahmen gesetzt. Die Berufung auf die Fehlerhaftigkeit der Fristangaben im Juristenkalender ist im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb nicht zielführend, weil es nicht darauf ankommt, ob auf seiten der Kanzleiangestellten ein Verschulden bzw. ein den minderen Grad eines Versehens übersteigendes Verschulden an der Versäumung vorliegt. Schon aus den Behauptungen des Antrages geht somit hervor, daß im vorliegenden Fall kein auf die Überprüfung der Eintragung der richtig ermittelten Fristen gerichtetes Kontrollsystem bestand; bei dieser Sachlage kann nicht davon gesprochen werden, daß auf Seiten des Rechtsanwaltes nur ein Verschulden vorläge, das den minderen Grad des Versehens nicht übersteigt.

Dem Wiedereinsetzungsantrag war demnach nicht stattzugeben. Damit war die gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebrachte Beschwerde gemäß § 34 Abs. 1 VwGG wegen Versäumung der Beschwerdefrist des § 26 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. ohne weiteres Verfahren mit Beschluß zurückzuweisen.

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