Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.860,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 23. Bezirk vom 12. April 1995, wurde der Beschwerdeführer wegen Übertretung des § 28 Abs. 1 Z. 1 lit. a in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz, bestraft. Dieses Straferkenntnis wurde nach einem Zustellversuch am 20. April 1995 am darauffolgenden Tag, dem 21. April 1995, beim zuständigen Postamt in W, hinterlegt und ab dem genannten Tag zur Abholung bereit gehalten. Am 15. Mai 1995 (Datum der Postaufgabe) erhob der Beschwerdeführer gegen dieses Straferkenntnis Berufung. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG als verspätet zurück.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde ist in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon ausgegangen, daß die Hinterlegung des Straferkenntnisses beim zuständigen Postamt rechtswirksam erfolgt sei, daher die Rechtsmittelfrist mit dem ersten Tag der Bereithaltung zur Abholung, das ist der 21. April 1995, zu laufen begonnen hat und am 5. Mai 1995 endete. Die erst am 15. Mai erhobene Berufung sei daher verspätet gewesen. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei im Zeitpunkt der Hinterlegung des Poststückes ortsabwesend gewesen, würdigte die belangte Behörde nach Durchführung eines ergänzenden Verfahrens insgesamt als nicht glaubwürdig. Über Anfrage habe das Postamt W mitgeteilt, daß das Straferkenntnis am 5. Mai 1995 vom Empfänger, das heißt vom Beschwerdeführer, persönlich behoben worden sei. Es übermittelte eine - dem Akt nunmehr angeschlossene - Kopie der Übernahmebestätigung, die - nach der Mitteilung des Postamtes und demfolgend nach den Feststellungen der belangten Behörde den Poststempel und das Übernahmsdatum "5.5.1995" sowie die Unterschrift des Beschwerdeführers aufweist. Die zur Glaubhaftmachung seiner Ortsabwesenheit infolge eines vom 18. April bis 8. Mai 1995 andauernden Aufenthaltes in Jugoslawien vorgelegten eidesstättigen Erklärungen (in Übersetzung) der Zeugen M S und D S erachtete die belangte Behörde im wesentlichen unter Hinweis auf die persönliche Übernahmsbestätigung des Beschwerdeführers am 5. Mai 1995 als unglaubwürdig.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Interpretation einer Urkunde (hier: der Postübernahmsbestätigung) sei eine Rechtsfrage, die vorliegendenfalls von der belangten Behörde, nicht jedoch vom Postamt zu lösen gewesen wäre. Richtig sei vielmehr das Übernahmedatum mit 8. Mai 1995. Als weitere Verfahrensverletzung erachtet der Beschwerdeführer die Nichtdurchführung der beantragten Einvernahme der von ihm namhaft gemachten Zeugen im Rechtshilfeweg, die hätten bestätigen können, daß er sich am 20. April 1995 tatsächlich in Jugoslawien aufgehalten habe, sodaß die Zustellung am 21. April 1995 durch Hinterlegung rechtswidrig gewesen sei.
Gemäß § 17 Abs. 1 ZustellG ist dann, wenn die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt und der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt ...... zu hinterlegen. Gemäß § 17 Abs. 3 Zustellgesetz ist die hinterlegte Sendung mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinn des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte.
Die gesetzliche Vermutung der rechtswirksamen Zustellung durch Hinterlegung im Sinne des dritten Satzes des Abs. 3 des § 17 leg. cit. greift im Falle der Ortsabwesenheit des Empfängers nicht ein. Der Beschwerdeführer hat im vorliegenden Fall Ortsabwesenheit behauptet. In diesem Falle ist zu prüfen, ob er vom Zustellvorgang "rechtzeitig" Kenntnis erlangt hat (oder hätte erlangen können), was jeweils nach den Verhältnissen des Einzelfalles zu beurteilen ist. Wird durch die Zustellung der Beginn einer Rechtsmittelfrist ausgelöst, so erlangt der Empfänger noch "rechtzeitig" vom Zustellvorgang Kenntnis, wenn ihm ein für die Einbringung des Rechtsmittels angemessener Zeitraum verbleibt (vgl. die in Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens5, Seite 1256 ff, zitierte hg. Judikatur). Die belangte Behörde ist - mit der Aktenlage übereinstimmend - auf Grund der Übernahmsbestätigung und des darauf befindlichen, einwandfrei lesbaren Poststempels - davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer die Sendung am 5. Mai 1995 übernommen hat. Geht man davon aus, daß der Beschwerdeführer, von einer Ortsabwesenheit erst an diesem Tag zurückkehrend, das erstinstanzliche Straferkenntnis übernommen hat, erweist sich die am 15. Mai 1995 erhobene Berufung als rechtzeitig. Auf die Frage des Datums der Rückkehr des Beschwerdeführers (5. Mai oder 8. Mai 1995) ging die belangte Behörde lediglich im Rahmen ihrer Beweiswürdigung ein. In diesem Zusammenhang beurteilte sie die vom Beschwerdeführer aufgestellte Behauptung seiner Ortsabweisenheit insgesamt als unglaubwürdig, weil sich hinsichtlich des Endzeitpunktes dieser behaupteten Ortsabwesenheit zwischen den eidesstättigen Erklärungen der in Jugoslawien befindlichen Zeugen einerseits und dem durch die postamtlichen Unterlagen bescheinigten Datum der persönlichen Übernahme der Postsendung durch den Beschwerdeführer eine Diskrepanz ergab. Allein aus dem sich ergebenden Widerspruch hinsichtlich des ENDZEITPUNKTES einer behaupteten Ortsabwesenheit auf die Unglaubwürdigkeit der Behauptung der Ortsabwesenheit AN SICH zu schließen, erweist sich aber als unschlüssig. Der Beschwerdeführer hat der widerleglichen gesetzlichen Vermutung der Rechtswirksamkeit der erfolgten Zustellung durch Hinterlegung Umstände entgegengehalten, die er zu bescheinigen hat. Eines förmlichen Beweises bedarf es nicht. Seiner Bescheinigungspflicht und damit auch der ihm obliegenden Pflicht zur Mitwirkung bei der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes ist der Beschwerdeführer aber im aufgezeigten Sinn nachgekommen. Die Würdigung dieser Bescheinigungsmittel durch die belangte Behörde wird daher vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt.
Ausgehend von dieser Sach- und Rechtslage war ein Eingehen auf die in der Beschwerde geltend gemachten Gründe nicht mehr erforderlich, weil die Beschwerde im Ergebnis somit zu Recht die Verletzung von Verfahrensvorschriften rügte. Der angefochtene Bescheid war daher bereits aus den oben dargelegten Gründen gemäß § 43 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG infolge Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 416/1994.
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