VwGH 95/19/1019

VwGH95/19/10193.10.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,

Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des Dr. JK in Wien, vertreten durch

Dr. Bruno Binder, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Wischerstraße 30, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 16. Juni 1994, Zl. 6668/1-III 6/94, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Ernennung zum Notar, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §63 Abs1;
B-VG Art131;
NO 1871 §11 Abs5;
NO 1871 §11 Abs6;
VerfGG 1953 §17 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z2;
AVG §63 Abs1;
B-VG Art131;
NO 1871 §11 Abs5;
NO 1871 §11 Abs6;
VerfGG 1953 §17 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Justiz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer hatte beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung der § 6 Abs. 5, § 9 Abs. 1 und 2, § 10 Abs. 1 bis 5, § 11 Abs. 1 bis 6, §§ 17, 18 und 20 der Notariatsordnung, RGBl. 75/1871 (im folgenden: NO), als verfassungswidrig, die Feststellung, daß § 9 Abs. 1 NO "idF StGBl. 104/1945" verfassungswidrig war, sowie die Aufhebung von Verordnungen über die Errichtung von Notarstellen als gesetzwidrig, beantragt. Der Verfassungsgerichtshof wies diesen Antrag mit Beschluß vom 29. September 1992 zurück. Er führte aus, anfechtungsberechtigt könne nur ein Rechtsträger sein, an den sich das anzufechtende Gesetz wendet. Dies treffe auf den Beschwerdeführer, der nicht Normadressat der angefochtenen Bestimmungen sei, nicht zu. Überdies sei eine aktuelle Betroffenheit des Beschwerdeführers zu verneinen, weil die bloße Absicht des Beschwerdeführers, sich in Wien als Notar niederzulassen, eine aktuelle Beeinträchtigung rechtlich geschützter Interessen des Antragstellers, wie sie Art. 140 B-VG voraussetze, nicht hinlänglich begründe. Schließlich führte der Verfassungsgerichtshof aus, es stünde dem Beschwerdeführer frei, beim Bundesminister für Justiz die Ernennung auf eine (nicht ausgeschriebene) Notarstelle zu beantragen, um - nach Zurückweisung seines Antrages - den Verfassungsgerichtshof anrufen zu können.

Mit dem am 30. September 1993 bei der belangten Behörde eingelangten Bewerbungsgesuch beantragte der Beschwerdeführer seine Ernennung zum Notar auf die (zu diesem Zeitpunkt ausgeschriebene) Amtsstelle in Wien, Alsergrund I, in eventu auf die (nicht ausgeschriebenen) Amtsstellen in Klosterneuburg, allenfalls in Schwechat oder Hainburg an der Donau.

Die belangte Behörde leitete dieses Bewerbungsgesuch an die Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland weiter. Mit einer als "Beschluß" bezeichneten Erledigung dieser Notariatskammer vom 14. Dezember 1993 wurde das Gesuch des Beschwerdeführers vom 30. September 1993, womit sich dieser für die am 1. Februar 1995 frei werdende Notarstelle in Wien, Alsergrund I, beworben hatte, gemäß § 11 Abs. 5 NO zurückgewiesen. Ebenso wurde das Eventualbegehren der Bewerbung um die nicht ausgeschriebenen Amtsstellen Klosterneuburg, allenfalls Schwechat oder Hainburg an der Donau, zurückgewiesen. Begründend führte die Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland aus, das Bewerbungsgesuch sei nach Weiterleitung durch die belangte Behörde am 14. Oktober 1993 bei ihr eingelangt. Die Beschlußfassung über die Besetzung der ausgeschriebenen Amtsstelle sei jedoch bereits am 12. Oktober 1993 erfolgt. Aus diesem Grunde sei die Bewerbung infolge verspäteten Einlangens bei der zuständigen Notariatskammer zurückzuweisen. Die Bewerbung um die Amtsstellen Klosterneuburg, Schwechat oder Hainburg an der Donau sei zurückzuweisen, weil diese Amtsstellen nicht zur Besetzung ausgeschrieben seien.

Der Beschwerdeführer richtete daraufhin ein mit 17. Jänner 1994 datiertes, am 24. Jänner 1994 eingelangtes Schreiben folgenden Inhalts an die belangte Behörde:

"Betrifft: Bewerbung um die Notarstelle Wien Alsergrund I

in eventu Klosterneuburg, Schwechat oder Hainburg

Sehr geehrter Herr Bundesminister,

ich erlaube mir in der Anlage eine Kopie des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 29.9.1992 anzuschließen, in welchem der Verfassungsgerichtshof darstellt, daß ich mich, bevor dieser die Angelegenheit sachlich prüfen kann, "beim Bundesminister für Justiz um eine Ernennung auf eine (nicht ausgeschriebene) Notarstelle zu bewerben" habe.

Gemäß dieser Gesetzesauslegung des Höchstgerichtes habe ich mich gemäß der Stellenausschreibung im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 14.9.1993 "Bewerbungsgesuche sind bis längstens 30. September 1993 einzubringen" mit Bewerbungsgesuch, beim Bundesministerium eingelangt am 30.9.1993, um die Notarstelle Wien - Alsergrund I und in eventu um die (nicht ausgeschriebenen) Notariate in Klosterneuburg, Schwechat oder Hainburg/Donau beworben.

Nunmehr teilt mir die Notariatskammer für Wien, NÖ und Bgld. mit Beschluß vom 14.12.1993 mit, daß die Beschlußfassung über die Besetzung der Notarstelle in Wien Alsergrund I am 12.10.1993 erfolgte, mein Gesuch aber erst zwei Tage später in der Notariatskammer eingelangt wäre (das Original trägt aber nur 2 Eingangsstampiglien mit dem Datum 30. Sept. 1993) und daher verspätet wäre.

Unter nochmaligem Hinweis auf das in Kopie angeschlossene Erkenntnis darf ich nunmehr eine bescheidmäßige Erledigung seitens des vom Höchstgericht angesprochenen Bundesminister für Justiz erwarten."

Die belangte Behörde erließ daraufhin am 16. Juni 1994 einen Bescheid mit folgendem Spruch:

"Ihr Antrag vom 17.1.1994 auf Ernennung zum Notar auf die Amtsstelle Wien-Alsergrund I, in eventu auf die Amtsstelle in Klosterneuburg, allenfalls in Schwechat oder Hainburg an der Donau, wird zurückgewiesen."

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe am 30. September 1993 bei der belangten Behörde ein Bewerbungsgesuch um die in Rede stehenden Amtsstellen eingebracht. Dieses sei von der belangten Behörde der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland übersendet worden. Die Notariatskammer habe mit Beschluß vom 14. Dezember 1993 das Bewerbungsgesuch hinsichtlich der Amtsstelle Wien-Alsergrund I wegen verspäteter Einbringung gemäß § 11 Abs. 5 NO und hinsichtlich der Eventualbewerbung mangels einer offenen Ausschreibung bezüglich dieser Amtsstellen zurückgewiesen. Dieser Beschluß sei in Rechtskraft erwachsen.

Mit Eingabe vom 17. Jänner 1994 habe der Beschwerdeführer beantragt, über seinen Antrag vom 30. September 1993 auf Ernennung zum Notar bescheidmäßig abzusprechen. Die Notarstelle Wien-Alsergrund I sei mit Bescheid der belangten Behörde vom 9. Juni 1994 anderweitig besetzt worden. Dem Antragsteller komme nach ständiger Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechtes im Verfahren zur Besetzung einer Notarstelle keine Parteistellung zu. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Ernennung zum Notar sei daher zurückzuweisen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluß vom 13. Juni 1995 ihre Behandlung ablehnte und sie antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Begründend führte der Verfassungsgerichtshof aus, die vorliegende, gegen einen Zurückweisungsbescheid eingebrachte Beschwerde rüge die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf "Erwerbs- und Niederlassungsfreiheit" sowie in Rechten durch Anwendung rechtswidriger genereller Normen. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber teils nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen seien zur Beurteilung der insoweit aufgeworfenen Fragen nicht erforderlich. Soweit die Beschwerde aber verfassungsrechtliche Fragen berühre, lasse ihr Vorbringen - schon angesichts des Umstandes, daß die belangte Behörde davon ausgegangen sei, das Bewerbungsgesuch des Antragstellers sei teils verspätet, teils auf Verleihung besetzter Notarstellen gerichtet - vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes u.a. zur Präjudizialität gesetzlicher Vorschriften - die behaupteten Rechtsverletzungen oder die Verletzung in einem nicht geltend gemachten, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht als so wenig wahrscheinlich erkennen, daß sie - unter dem Blickwinkel der vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmenden Rechtswidrigkeiten - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe.

In seiner Beschwerdeergänzung vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem einfachgesetzlich gewährleisteten Recht auf Ernennung zum Notar sowie in seinem einfachgesetzlich gewährleisteten Recht auf Entscheidung in der Sache verletzt. Er macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 10, § 11 und § 138 NO lauten auszugsweise:

"§ 10. (1) Die Ernennung der Notare steht dem Bundesminister für Justiz zu.

(2) Jede zu besetzende Notarstelle ist von der Notariatskammer auszuschreiben; ...

§ 11. (1) Die Bewerbungsgesuche sind gemeinsam mit den zum Nachweis der Erfüllung der Erfordernisse nach § 6 beizubringenden Belegen an die ausschreibende Notariatskammer zu richten.

(2) Die Notariatskammer hat einen Besetzungsvorschlag zu machen, und ihn dem Präsidenten des Gerichtshofs erster Instanz, in dessen Sprengel die zu besetzende Stelle gelegen ist, zuzuleiten. Der Präsident des Gerichtshofs erster Instanz hat den Vorschlag mit einem vom Personalsenat des Gerichtshofs erster Instanz zu beschließenden Besetzungsvorschlag dem Präsidenten des Oberlandesgerichts vorzulegen, der beide Vorschläge mit einem vom Personalsenat des Oberlandesgerichts zu beschließenden Besetzungsvorschlag dem Bundesminister für Justiz vorzulegen hat. Die Besetzungsvorschläge haben, soweit geeignete Bewerber vorhanden sind, drei Bewerber in einer bestimmten Reihung zu enthalten; die übrigen Bewerber sind gesondert anzuführen. ...

(3) ...

(4) Die Besetzungsvorschläge sind zu begründen.

(5) Bewerbungsgesuche, die nach Ablauf der Bewerbungsfrist bei der ausschreibenden Notariatskammer einlangen, sind zurückzuweisen, wenn innerhalb der Bewerbungsfrist mindestens drei Gesuche geeigneter Bewerber eingelangt sind. Nach Beschlußfassung über den Besetzungsvorschlag einlangende Bewerbungsgesuche sind jedenfalls zurückzuweisen.

(6) Die Notariatskammer hat ihrem Besetzungsvorschlag alle rechtzeitig eingelangten Gesuche samt den von den Bewerbern beigebrachten Belegen beizuschließen. ...

§ 138. (1) Sofern gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, sind die auf Grund dieses Gesetzes ergehenden Bescheide (Entscheidungen und Verfügungen) mittels Berufung (Beschwerde) anfechtbar, und zwar

1. Bescheide der Notariatskammer und ihres Präsidenten sowie Bescheide des Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz beim Oberlandesgerichtspräsidenten; ..."

Gemäß Art. II Abs. 2 lit. B. Z. 31 EGVG sind von den Verwaltungsverfahrensgesetzen anzuwenden:

"B. das AVG in vollem Umfang, das VStG mit Ausnahme der §§ 37, 39, 50 und 56 auf das behördliche Verfahren ...

31. der Organe der Körperschaften, Anstalten und Fonds des öffentlichen Rechts, soweit sie nicht unter eine andere Bestimmung dieses Absatzes fallen und soweit es sich nicht um ... gesetzliche berufliche Vertretungen ... handelt;"

§ 41 Abs. 1 und § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG lauten (auszugsweise):

"§ 41. (1) Der Verwaltungsgerichtshof hat, soweit er nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde oder wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gegeben findet (§ 42 Abs. 2 Z 2 und 3) und nicht § 38 Abs. 2 anwendbar ist, den angefochtenen Bescheid aufgrund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte (§ 28 Abs. 1 Z 4) oder im Rahmen der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 28 Abs. 2) zu überprüfen. ...

§ 42. (1) ...

(2) Der angefochtene Bescheid ist aufzuheben,

  1. 1. ...
  2. 2. wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde,"

In der beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten Gegenschrift vertrat die belangte Behörde unter anderem die Auffassung, die an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde sei nicht im Sinne des § 17 Abs. 2 VfGG durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht, weil sie mit dem Beisatz "i.V." gefertigt wurde. Nach den glaubwürdigen Angaben des Beschwerdevertreters erfolgte die Unterfertigung durch den mit Substitutionsvollmacht des Beschwerdevertreters ausgestatteten Rechtsanwalt Dr. Georg Lehner. Damit wurde der Bestimmung des § 17 Abs. 2 VfGG Genüge getan, weil die Beschwerde durch einen, wenngleich im Wege einer Substitutionsvollmacht, bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht wurde.

Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, der ihm von der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland übermittelte "Beschluß" vom 14. Dezember 1993, mit dem seine Bewerbung "zurückgewiesen" worden sei, sei "rechtsirrelevant" (gewesen), weil der Notariatskammer in dieser Angelegenheit keine Hoheitsgewalt und behördliche Stellung eingeräumt sei. Weil die belangte Behörde über seinen Antrag vom 30. September 1993 auf Ernennung zum Notar als gemäß § 10 Abs. 1 NO zuständige Behörde nicht entschieden habe, habe er mit seiner Eingabe vom 17. Jänner 1994 nochmals nachdrücklich verlangt, daß über diesen immer noch offenen Antrag auf Ernennung zum Notar endlich abgesprochen werde. Spruchgemäß habe der Bundesminister für Justiz jedoch den Antrag des Beschwerdeführers "vom 17.1.1994 auf Ernennung zum Notar" zurückgewiesen. Das Schreiben des Beschwerdeführers vom 17. Jänner 1994 habe sich - wie dargelegt - jedoch bloß als Erinnerung an die durch den Antrag vom 30. September 1993 auf Ernennung zum Notar begründete Entscheidungspflicht der belangten Behörde dargestellt. Diese hätte daher nicht über seinen Antrag vom 30. September 1993 (gemeint wohl: vom 17. Jänner 1994) entscheiden müssen. Der Bescheidgegenstand sei verfehlt.

Es ist daher zunächst die Frage zu prüfen, ob ein (in Rechtskraft erwachsener) Bescheid der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vorliegt.

Gemäß Art. II Abs. 2 lit. B. Z. 31 EGVG ist auf das Verfahren einer Notariatskammer das AVG (und damit dessen Bescheidbegriff) nicht anwendbar, weil Notariatskammern zu den gesetzlichen beruflichen Vertretungen im Sinne dieser Gesetzesbestimmung zählen (vgl. hiezu Puck, Zur Anwendbarkeit des AVG (im besonderen auf die Fristberechnung) und zum Instanzenzug vor den Notariatskammern, NZ 1978, 191). Maßgebend ist daher der Bescheidbegriff des B-VG.

Ein Bescheid im Verständnis des B-VG liegt dann vor, wenn die Erledigung einer Verwaltungsbehörde gegenüber individuell bestimmten Personen eine Verwaltungsangelegenheit normativ regelt, wenn sie also für den Einzelfall bindend die Gestaltung oder Feststellung von Rechtsverhältnissen zum Gegenstand hat, ob sie nun in Form eines Bescheides nach den §§ 56 ff AVG ergeht oder nicht. In Ermangelung der nach dem AVG für Bescheide vorgesehenen Form muß deutlich erkennbar sein, daß die Behörde dennoch den - objektiv erkennbaren - Willen hatte, mit der Erledigung gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit zu treffen (vgl. auch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 1994, Slg. Nr. 13.723).

Nach dem Vorgesagten vermag der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung des Beschwerdeführers, der als "Beschluß" bezeichnete Akt der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 14. Dezember 1993 sei "rechtsirrelevant", nicht zu folgen.

Im Gegensatz zu der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung ermächtigt § 11 Abs. 5 NO die ausschreibende Notariatskammer, Bewerbungsgesuche, die nach Beschlußfassung über den Besetzungsvorschlag einlangen, zurückzuweisen (vgl. Wagner, Notariatsordnung4, Rz 15 zu § 11 NO). Zwar regelt die in Rede stehende Gesetzesbestimmung nicht ausdrücklich, daß die Zurückweisung durch die Notariatskammer zu erfolgen hat, doch ergibt sich diese Interpretation insbesondere aus dem Systemzusammenhang mit § 11 Abs. 6 NO, wonach die Notariatskammer ihrem Besetzungsvorschlag lediglich die rechtzeitig eingelangten Gesuche beizuschließen hat. Käme die Kompetenz zur Zurückweisung gemäß § 11 Abs. 5 zweiter Satz NO verspäteter Gesuche einer anderen (etwa der belangten) Behörde zu, so wäre nicht einzusehen, weshalb diese Gesuche dem Besetzungsvorschlag der Notariatskammer nicht beizuschließen wären. Demnach kommt der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland jedenfalls im Bereich der Zurückweisung von verspäteten Anträgen auf Ernennung zum Notar gemäß § 11 Abs. 5 NO Behördenqualität und eine Befugnis zu behördlichem Verwaltungshandeln zu.

Es kann nun auf Grund der sprachlichen Fassung kein Zweifel darüber bestehen, daß die Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland durch die in Rede stehende Enunziation vom 14. Dezember 1993 gegenüber einer individuell bestimmten Person (dem Beschwerdeführer) die Verwaltungsangelegenheit normativ (durch Zurückweisung des Antrages) regeln wollte.

Die Notariatskammer hat nun aber auch den Antrag des Beschwerdeführers auf Ernennung auf bestimmte nicht ausgeschriebene Planstellen zurückgewiesen. Diesem Akt käme auch dann Bescheidqualität zu, wenn die Notariatskammer zur Erlassung eines solchen Zurückweisungsbescheides nicht zuständig gewesen wäre, weil die Zurückweisung einer Bewerbung wegen Unzulässigkeit mangels ausgeschriebener Amtsstelle jedenfalls im Kreis ("Umfeld") jener Verwaltungsmaterien erfolgte, zu deren Vollzug eine Zuständigkeit dieser Kammer bestand.

Aus der Anordnung des § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG, wonach ein beim Verwaltungsgerichtshof angefochtener letztinstanzlicher Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben ist, ergibt sich auch für den Bereich außerhalb der Anwendbarkeit des AVG (als ein ausdrücklich geregeltes Fehlerkalkül), daß die bloße Unzuständigkeit einer letztinstanzlichen Behörde zur Erlassung eines Verwaltungsaktes nicht zu dessen absoluter Nichtigkeit führen kann.

In diesem Zusammenhang kann es dahingestellt bleiben, ob gegen die Erledigung vom 14. Dezember 1993 auch in Ansehung der dort ausgesprochenen Zurückweisung des Antrages betreffend die nicht ausgeschriebenen Planstellen eine Berufung zulässig gewesen wäre (und daher die obigen, auf § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG gegründeten Überlegungen zu letztinstanzlichen Bescheiden nicht zum Tragen kämen), weil aus der Einräumung eines Berufungsrechtes gegen Bescheide von Behörden, die nicht das AVG anzuwenden haben, abzuleiten ist, daß diese Bescheide im Falle der Unzuständigkeit der erstinstanzlichen Behörde von der Berufungsbehörde ersatzlos aufzuheben wären, also jedenfalls "Bescheide" (auch) im Sinne dieser besonderen Verfahrensanordnungen sind.

Da es sich nach dem Vorgesagten bei der Erledigung der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 14. Dezember 1993 - auch ungeachtet ihrer Bezeichnung als "Beschluß" (vgl. hiezu Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts6 Rz 408 f) - um einen Bescheid handelte, bewirkte die - unstrittige - Unterlassung der Erhebung einer Berufung durch den Beschwerdeführer (vgl. § 138 Abs. 1 NO) die rechtskräftige Zurückweisung seiner in der Eingabe vom 30. September 1993 gestellten Anträge.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt die Auffassung des Beschwerdeführers, daß das Schreiben vom 17. Jänner 1994 nicht als eigener Antrag auf Ernennung zum Notar zu werten ist, sondern sich bloß als Erinnerung an die durch den Antrag vom 30. September 1993 begründete - nach der, wie oben ausgeführt, verfehlten Auffassung des Beschwerdeführers ungeachtet des "Beschlusses" der Notariatskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 14. Dezember 1993 noch aufrechte - Entscheidungspflicht der belangten Behörde darstellt. Durch eine solche "Erinnerung" an eine vom Beschwerdeführer angenommene, in Wahrheit aber gar nicht mehr bestandene Entscheidungspflicht der belangten Behörde wäre diese nicht zur Erlassung eines Bescheides verhalten gewesen.

Dessenungeachtet wies die belangte Behörde nach dem - eindeutigen und daher auch aus der Begründung nicht umdeutbaren (vgl. Walter-Mayer a.a.O. Rz 419) - Spruch des angefochtenen Bescheides einen Antrag des Beschwerdeführers "vom 17.1.1994 auf Ernennung zum Notar" zurück. Einen solchen Antrag hatte der Beschwerdeführer jedoch am 17. Jänner 1994 nicht gestellt.

Eine Behörde, welche einen antragsbedürftigen Bescheid erläßt, obwohl kein diesbezüglicher Antrag der Partei vorliegt, verletzt auf einfachgesetzlicher Ebene das Recht auf Einhaltung der Zuständigkeitsordnung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 1996, Zl. 93/17/0200, mwN). Die hier erfolgte Zurückweisung eines Antrages als unzulässig ist jedenfalls insoweit antragsbedürftig, als sie das Vorliegen eines solchen voraussetzt. Die durch die Zurückweisung des nicht gestellten Antrages als unzulässig bewirkte Verletzung der Behördenzuständigkeit war vom Verwaltungsgerichtshof ungeachtet einer Möglichkeit der Verletzung sonstiger subjektiv-öffentlicher Rechte des Beschwerdeführers von Amts wegen wahrzunehmen und führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG (vgl. das zur Abweisung eines nicht gestellten Antrages ergangene hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 1996, Zl. 94/17/0300).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

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