VwGH 95/20/0672

VwGH95/20/067218.12.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 26. Juli 1995, Zl. 4.344.376/2-III/13/94, betreffend Wiederaufnahme eines Asylverfahrens zu Recht erkannt:

Normen

AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs1 Z2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans und hatte am 11. April 1994 (zwei Tage nach seiner Einreise in das Bundesgebiet) den Asylantrag gestellt. Anläßlich seiner daraufhin mit ihm durchgeführten niederschriftlichen Befragung vor dem Bundesasylamt am 13. April 1994 gab er zu seinen Fluchtgründen an:

"Ich bin wegen der Probleme meines Bruders B mit ihm mitgeflüchtet. Vor ca. 3 Monaten wurde unser Cousin E von den Mudjaheddin umgebracht. Das erfuhren wir von unserem Onkel. Er hieß K.

Die Mudjaheddin suchten ein paar Mal meinen Vater auf und fragten nach uns. Unsere Wohngegend wurde überhaupt immer nach jungen Leuten durchsucht. Unsere Wohngegend wurde immer wieder von anderen rivalisierenden Mudjaheddin kontrolliert. Die Vorgangsweise derer war aber immer gleich. Ich bin sehr verwirrt. Mein Kopf sollte untersucht werden.

Sonst ist nichts passiert. Mein Onkel sagte nach der Ermordung unseres Cousins, daß wir flüchten müssen. Das haben wir auch getan.

Sonst ist nicht passiert. Andere Gründe habe ich bezüglich meines Asylantrages nicht anzugeben."

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. April 1994 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 30. August 1994, dem Beschwerdeführer zu Handen der gesetzlichen Vertretung durch den zuständigen Jugendwohlfahrtsträger am 2. September 1994 zugestellt, wurde die dagegen gerichtete Berufung (rechtskräftig) abgewiesen.

Mit Eingabe vom 23. November 1994 begehrte der Beschwerdeführer die Wiederaufnahme seines rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG und begründete diesen wie folgt:

"Mein Bruder B und ich erhielten auf Umwegen und über einen Boten, der aus Afghanistan nach Wien kam und uns am 9.11. ausfindig machte und besuchte, den beiliegenden Brief meines Onkels, den mein Bruder sofort übersetzen ließ und der Behörde vorlegte. Das Original befindet sich im Wiederaufnahmeantrag meines Bruders.

Daraus geht hervor, daß die Mudjaheddin unser Haus durchsuchten und darin belastende Dokumente und Waffen fanden und daß mein Vater verhaftet wurde.

Daraus geht eindeutig hervor, daß ich ebenso wie mein Bruder in Afghanistan aus politischen Gründen aufs höchste bedroht bin.

Ich beantrage daher:

Mein Asylverfahren wieder aufzunehmen und mir und meinem

Bruder in Österreich Asyl zu gewähren."

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den auf § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG gestützten Antrag des Beschwerdeführers vom 23. November 1994 auf Wiederaufnahme seines Asylverfahrens ab. Sie begründete dies im wesentlichen damit, das vom Beschwerdeführer vorgelegte Dokument, "selbst bei dessen unterstellter Edition bereits während Ihres Asylverfahrens" hätte keinen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeiführen können, da dieses in Anbetracht aller Umstände von höchst dubiosem Beweiswert sei:

Es sei nicht einmal zweifelsfrei auszumachen, ob der Schreiber des vorliegenden Briefes diesen in Afghanistan verfaßt habe, ob somit dieser Brief überhaupt aus dem Heimatland des Beschwerdeführers stamme. Ein Blankoluftbrief könne ja grundsätzlich überall geschrieben werden. Sollte das Schriftstück tatsächlich von einem Anverwandten des Beschwerdeführers verfaßt worden sein, so könne ihm kein ausreichender Bescheinigungswert zukommen, da anzunehmen sei, daß die Verwandten das Interesse des Beschwerdeführers an einer Asylgewährung in Österreich wohlwollend teilen und daher auf Anforderung jederzeit schriftlich, sei es auch fiktive Verfolgungshandlungen bestätigen würden. Tatsächlich erwecke das vorliegende Schreiben einen "bestellten Eindruck", wofür auch die im Schreiben selbst dokumentierte Involvierung eines Schleppers spreche, welche Personengruppe gemeinhin gewisse Basiskenntnisse westlicher Asylrechtsordnungen und deren Anforderungen aufweise und somit durchaus als Inspirator - wenn nicht als Verfasser - derartiger Bestätigungen in Frage käme. Für einen Familienbrief sei es auch untypisch, die Erzählung der Bewandtnisse der zurückgebliebenen Verwandten mit einem kursorischen Überblick über die allgemeine politische Lage im Heimatland zu beginnen und der Festnahme eines Familienmitgliedes sowie des Niederbrennens des Familiendomizils erst vier Absätze später zu gedenken. Bedenklich wirke auch die umstandslose und nicht weiter reflektierte Aufforderung an den Beschwerdeführer und seinen Bruder, in Österreich zu bleiben, obwohl doch aus der Brieferzählung hervorgehe, daß man seinen Vater als Geisel für die Rückkehr genommen haben solle, woraus die belangte Behörde den Schluß zieht:

"Im Rahmen einer dergestalten Loyalitätskonfliktssituation hätte man sich vom Briefschreiber doch wohl wenigstens rudimentäre Deliberationen einer Abwägung ihm familiär affiner Schicksale erwarten müssen, warum er es (z.B. wegen des Altersunterschiedes) für angemessener hält, daß Sie sich auf Kosten Ihres Vaters retten als umgekehrt".

Das vorgelegte Schreiben erwecke daher auch inhaltlich einen fingierten Eindruck.

Aber selbst im Falle der Echtheit und Richtigkeit dieses Schreibens könne daraus für die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers nichts gewonnen werden, da aus dem Schreiben lediglich abzuleiten sei, daß der Beschwerdeführer in seiner Heimat, in der auf Grund der militärischen Lage Übergriffe der Mudjaheddins möglich seien, derartigen Repressionen mit gewisser Wahrscheinlichkeit ausgesetzt sein könnte. Im übrigen hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative entgegen und kam zum Schluß, das vorgelegte "Beweismittel" sei nicht geeignet gewesen, einen im Spruch anderslautenden Bescheid im Asylverfahren herbeizuführen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätten.

Aus dem zitierten Gesetzeswortlaut und dem sich daraus klar und unmißverständlich ergebenden Zweck der Gesetzesbestimmung, durch das Institut der Wiederaufnahme ein Korrektiv gegen aus bestimmten näher angeführten Gründen unrichtige rechtskräftige Bescheide einzurichten, ergibt sich, daß die Relevanz des behaupteten Wiederaufnahmetatbestandes immer am in der Sache selbst ergangenen rechtskräftigen Bescheid zu messen ist. Bei den im § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG bezeichneten "Tatsachen und Beweismitteln" muß es sich um neu hervorgekommene, d.h. nur solche handeln, die bereits zur Zeit des Verfahrens bestanden haben, aber erst später nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens bekannt wurden. "Neue Tatsachen und Beweismittel" im Sinne der zitierten Gesetzesbestimmung sind daher nur solche, die beim Abschluß des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde. In diesem Sinne hat der Beschwerdeführer in seinem Wiederaufnahmeantrag lediglich vorgebracht, auf Umwegen und durch persönliche Übergabe den Brief seines Onkels am 9. November 1994 erhalten zu haben. Der Wiederaufnahmeantrag enthält jedoch keinerlei Angaben darüber, wann dieses Schriftstück verfaßt wurde. Es fehlen daher Behauptungen darüber, daß das im Wiederaufnahmsantrag neu hervorgekommene Beweismittel noch vor Abschluß des Verwaltungsverfahrens entstanden ist. Schon daraus ist ersichtlich, daß das Vorliegen aller für die Wiederaufnahme des Verfahrens erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen vom Beschwerdeführer nicht behauptet wurde.

Unterstellt man jedoch eine Entstehung (Verfassung) des Briefes vor rechtskräftigem Abschluß des Asylverfahrens, so kann auch in der weiteren Einschätzung der belangten Behörde, das neu vorgelegte Beweismittel sei ungeeignet, eine im Spruchteil anderslautende Entscheidung im Asylverfahren herbeizuführen, nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Im Neuerungstatbestand des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG wird nämlich ausdrücklich festgelegt, daß die Wiederaufnahme nur dann in Betracht kommt, wenn der Wiederaufnahmegrund allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Es obliegt daher der Behörde, dies bereits im Wiederaufnahmeverfahren zu prüfen (vgl. hg. Erkenntnis vom 14. Juni 1993, Zl. 91/10/0107, zitiert in Hauer-Leukauf5, S. 656). Im Rahmen der von ihr in diesem Sinne vorzunehmenden Relevanzprüfung kam die belangte Behörde zum Schluß, das vorgelegte Schreiben lasse schon auf Grund seines äußeren Erscheinungsbildes sowie seiner inhaltlichen Gestaltung erhebliche Zweifel an seiner Echtheit aufkommen. Diese beweiswürdigenden Erwägungen der belangten Behörde halten aber einer vom Verwaltungsgerichtshof vorzunehmenden Schlüssigkeitsprüfung im Ergebnis - wenn auch nicht in allen Einzelheiten - stand. Insbesondere vermag auch der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde den von der belangten Behörde herangezogenen Argumenten nichts Konkretes entgegenzusetzen.

Da sich die Beschwerde bereits aus diesen Gründen als unbegründet erweist, war auf die weitere Begründung der belangten Behörde unter Heranziehung der "inländischen Fluchtalternative" und die sich darauf beziehenden Äußerungen in der Beschwerde nicht näher einzugehen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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