VwGH 91/10/0107

VwGH91/10/010714.6.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des J in L, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 11. März 1991, Zl. IVe-224/47, betreffend Wiederaufnahme eines Strafverfahrens, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs4;
AVG §7 Abs1;
AVG §69 Abs1 Z2;
AVG §69 Abs4;
AVG §7 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Vorarlberg Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 6. April 1989 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe als verantwortlicher Obmann eines Vereins im Zuge der im Zeitraum Februar/April 1988 erfolgten Aufschüttung des Uferweges auf der Grundparzelle 2497/1 in der KG. H auf Kote 397 ü.A. die Auflagen der hiefür erteilten Bewilligung nach dem Landschaftsschutzgesetz nicht eingehalten, da der im Süden an den Uferweg angrenzende Auwald auf der gesamten Schüttungslänge in einer Breite von durchschnittlich 8 m durch Entfernen fast aller Gehölze und durch eine illegale Aufschüttung vernichtet worden sei. Außerdem sei östlich der Zufahrt zum Gasthaus "S" ein befestigter Parkplatz mit dem Ausmaß 25 m x 17 m unter Rodung des in der südöstlichen Hälfte befindlichen Auwaldes angelegt worden, obwohl die hiefür erforderliche Ausnahmebewilligung nach dem Landschaftsschutzgesetz nicht vorgelegen sei. Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Übertretung gemäß § 34 Abs. 1 lit. f des Landschaftsschutzgesetzes (in der Folge: LSchG) in Verbindung mit Punkt II Z. 1 des Spruches des Bescheides vom 26. Februar 1988 sowie § 34 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 4 Abs. 1 LSchG begangen. Über den Beschwerdeführer wurde gemäß § 34 Abs. 3 leg. cit. eine Geldstrafe in der Höhe von S 30.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 28 Tagen) verhängt.

Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

Mit dem im vorliegenden Verfahren angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 15. Mai 1990 auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens gemäß § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG abgewiesen.

Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides gehe der Strafbescheid vom 6. April 1989 davon aus, daß der an den Uferweg "angrenzende Auwald" auf der ganzen Länge vernichtet worden sei. Die Vorarlberger Landesregierung sei dabei der Stellungnahme des Amtssachverständigen sowie weiterer Zeugen gefolgt. Nach der Empfehlung des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers, Lichtbildmaterial zu suchen, sei das beigelegte Lichtbild hervorgekommen, das im Jahre 1975 entstanden sei und sich in Privatbesitz befunden habe. Dieses Bild beweise, daß am fraglichen Standort nie ein Auwald bestanden habe. Bei einer Umfrage unter den Mitgliedern des Vereins hätten sich weitere Zeugen dafür gefunden, daß die Bepflanzungen im verfahrensgegenständlichen Bereich von den Mitgliedern durchgeführt worden seien. Vom beigelegten Lichtbild habe der Beschwerdeführer bis zum Informationsgespräch mit seinem Rechtsvertreter am 1. Mai 1990 keine Kenntnis gehabt, da es sich in Privatbesitz befunden habe. Dieses Bild sei geeignet, den Nachweis dafür zu erbringen, daß südlich des Uferweges niemals ein Auwald bestanden habe.

Nach Wiedergabe des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vertrat die belangte Behörde im wesentlichen die Auffassung, daß die vorgelegten Aussagen der namhaft gemachten Zeugen keine Beweismittel darstellten, deren Verwertung dem Beschwerdeführer ohne sein Verschulden erst nachträglich möglich geworden sei. Der Beschwerdeführer hätte diese Zeugen bereits während des laufenden Strafverfahrens namhaft machen können. Eine diesbezügliche Umfrage unter den Mitgliedern des Vereins wäre durchaus möglich und auch zumutbar gewesen.

Zum vorgelegten Lichtbild aus dem Jahre 1975 wurde die Ansicht vertreten, daß dieses allein oder mit Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens nicht geeignet sei, zu einem im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid zu führen, da dieses Foto aus dem Jahre 1975 kein taugliches Beweismittel dafür darstelle, daß auf der besagten Fläche niemals ein Auwald bestanden habe. Die Möglichkeit, daß zwischen 1975 und 1988 ein Auwald erst gewachsen sei, bleibe vollkommen offen. Da dem Foto daher lediglich Beweiskraft für die Zeit um das Jahr 1975 zukomme, laut dem bisherigen Beweisergebnis der Auwald jedoch im Jahre 1988 im genannten Ausmaß zerstört worden sei, könne das vorgelegte Foto aus dem Jahre 1975 diese Beweiswürdigung in keiner Weise beeinträchtigen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtwidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der mit "Wiederaufnahme des Verfahrens" überschriebene § 69 Abs. 1 AVG lautet auszugsweise:

"§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

...

(2) neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, ..."

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens kann nach der zitierten Bestimmung nur auf solche Tatsachen und Beweismittel gestützt werden, die erst nach Abschluß eines Verfahrens hervorgekommen sind und deshalb von der Partei ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten. Es muß sich also um Tatsachen und Beweismittel handeln, die beim Abschluß des wiederaufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde (vgl. z. B. das Erkenntnis vom 23. September 1991, Zl. 90/10/0174, unter Hinweis auf Vorjudikatur).

Bei der Beurteilung des Verschuldens im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ist das Maß dafür ein solcher Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit, welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten aufgewendet werden kann (vgl. das Erkenntnis vom 23. September 1991, Zl. 90/10/0173). Konnte der Beschwerdeführer eine Tatsache bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit schon im Verwaltungsverfahren geltend machen, unterließ er dies aber, liegt ein ihm zuzurechnendes Verschulden vor, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt (vgl. das Erkenntnis vom 20. Juni 1975, Zl. 2109/74).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage kann zunächst der Auffassung der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, bei den Aussagen der namhaft gemachten Zeugen handle es sich nicht um Beweismittel, die im Strafverfahren ohne Verschulden des Beschwerdeführers nicht geltend gemacht werden konnten. Der Beschwerdeführer hat der Auffassung der Behörde, er hätte die Zeugen bereits während des laufenden Strafverfahrens namhaft machen können, eine diesbezügliche Umfrage unter den Mitgliedern des Vereins wäre ihm durchaus möglich und zumutbar gewesen, nicht widersprochen. Gegenteiliges ist auch für den Gerichtshof nicht ersichtlich.

Wenn der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorwirft, sie habe offenkundig die Zweistufigkeit des Wiederaufnahmsverfahrens verkannt und bereits im Wiederaufnahmsverfahren eine Entscheidung im Hauptverfahren vorweggenommen, so kann ihm dabei ebenfalls nicht gefolgt werden: Im Neuerungstatbestand des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG wird ausdrücklich festgelegt, daß die Wiederaufnahme nur dann in Betracht kommt, wenn der Wiederaufnahmsgrund allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte (vgl. das Erkenntnis vom 10. März 1972, Zl. 2115/71). Es obliegt daher der Behörde, bereits im Wiederaufnahmeverfahren zu prüfen, ob die neue Tatsache oder das neue Beweismittel einen anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Wenn die belangte Behörde das vom Beschwerdeführer vorgelegte Lichtbild aus dem Jahre 1975 nicht als taugliches Beweismittel dafür angesehen hat, daß auf der streitgegenständlichen Fläche auch noch im Jahre 1988 keinerlei Auwald vorhanden war, und somit diesem Beweismittel die Eignung abgesprochen hat, allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens zu einem im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid zu führen, so kann ihr auch dabei nicht entgegengetreten werden. Die Annahme, in mehr als 10 Jahren könne sich eine entsprechende Vegetation gebildet haben, kann nicht als rechtswidrig erkannt werden, zumal auch die vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugen das Vorhandensein "einzelner Bäume" schon im Jahre 1975 eingestehen. Eine Vernehmung des amtlichen Sachverständigen war in diesem Zusammenhang entbehrlich. Die Verfahrensrügen des Beschwerdeführers gehen daher ins Leere.

Im Hinblick darauf, daß gemäß § 69 Abs. 4 AVG die Entscheidung über die Wiederaufnahme der Behörde zusteht, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, bildet der Umstand, daß ein Organwalter, der an der Erlassung des Bescheides in letzter Instanz mitgewirkt hat, auch über die Wiederaufnahme entscheidet, für sich allein noch keinen Grund, die Unbefangenheit dieser Person in Zweifel zu ziehen.

Die Beschwerde erweist sich demnach als nicht berechtigt, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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