VwGH 95/20/0628

VwGH95/20/062818.12.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Bachler und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hemetsberger, über die Beschwerde des A in B, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. September 1995, Zl. 4.302.457/13-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §2 Abs2 Z1;
FlKonv Art1 AbschnC Z1;
AsylG 1991 §2 Abs2 Z1;
FlKonv Art1 AbschnC Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am 28. August 1990 in das Bundesgebiet ein. Am 30. August 1990 beantragte er die Gewährung von Asyl.

Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 12. Juni 1992 wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle.

Mit Bescheid vom 8. Juli 1993 wies die belangte Behörde die gegen diesen Bescheid gerichtete Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Aufgrund der dagegen gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit seinem Erkenntnis vom 29. November 1994, Zl. 94/20/0279, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf, weil die belangte Behörde in Verkennung der Bestimmung des § 25 AsylG 1991 dieses Gesetz zu Unrecht auf den vorliegenden Fall angewendet hatte.

Im fortgesetzten Verfahren wurde über Ergänzungsauftrag der belangten Behörde mit dem Beschwerdeführer am 11. September 1995 vor dem Bundesasylamt eine ergänzende Einvernahme durchgeführt, in der er zunächst - im Sinne des aufhebenden Erkenntnisses zu Unrecht - dahingehend belehrt wurde, während seines Berufungsverfahrens habe § 20 AsylG 1991 noch in der unbereinigten Fassung gegolten, weshalb er einfache Verfahrensmängel und daraus etwa folgende Sachverhaltsfeststellungen der Behörde erster Instanz im Rahmen seiner Berufung möglicherweise nicht releviert hätte. Nunmehr werde ihm zur Kenntnis gebracht, daß ihm diese Möglichkeit jetzt offenstehe und er daher Gelegenheit habe, eine Ergänzung seiner Berufung im Sinne des Dargelegten einzubringen. Sollte er eine Ergänzung nicht für erforderlich halten, werde der Berufungsbescheid aufgrund der Ermittlungsergebnisse erster Instanz und der bereits vorliegenden Berufung einschließlich allfällig vorliegender Berufungsergänzungen sowie des Ergebnisses dieser ergänzenden Befragung erlassen werden. Im folgenden wurde er zum Umstand befragt, daß er sich Ende Juni 1994 beim Meldeamt der Stadt Bregenz unter Vorweis eines türkischen Nüfus Nr. xxx, ausgestellt vom 3. Mai 1993 vom Generalkonsulat der türkischen Republik in Bregenz, angemeldet habe. Dazu gab der Beschwerdeführer an, er habe beim Konsulat nicht angegeben, daß er in Österreich Asylwerber sei und den Personalausweis benötigt habe. Er habe lediglich angegeben, daß er ohne Ausweis in Österreich Schwierigkeiten bekommen könnte. Auf die Frage, warum er sich einen Personalausweis und keinen Paß habe ausstellen lassen, antwortete der Beschwerdeführer, er habe keinen türkischen Reisepaß in Österreich gebraucht, vielmehr habe zum Nachweis seiner Identität ein Personalausweis genügt. Er habe bei der Ausstellung des Personalausweises keine Probleme gehabt und habe diesen einen Tag nach Antragstellung erhalten. In der Türkei sei er seit seiner Ausreise im Jahr 1990 nicht mehr gewesen. Im übrigen wurde er zu den von ihm in erster Instanz geltend gemachten Fluchtgründen einer näheren Befragung unterzogen, auf deren Wiedergabe hier wegen ihrer mangelnden Entscheidungsrelevanz verzichtet werden kann.

Mit dem angefochtenen Bescheid stellte die belangte Behörde - in Bindung an die im Vorerkenntnis, Zl. 94/20/0279, vertretene Rechtsansicht und unter Absehen eines näheren Eingehens auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Fluchtgründe wie in ihrem Vorbescheid - gemäß § 1 des Asylgesetzes (1968) fest, er sei nicht Flüchtling im Sinne dieses Gesetzes in Verbindung mit der Genfer Flüchtlingskonvention, weil bei ihm der Ausschließungsgrund des Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der genannten Konvention vorliege. Begründend bezog sie sich auf die - auf Sachverhaltsbasis unbestritten gelassene - Annahme, der Beschwerdeführer habe sich mit Datum 13. Mai 1993 einen türkischen Personalausweis (Nüfus) durch das türkische Generalkonsulat in Bregenz ausstellen lassen und sich damit im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention wieder unter den Schutz seines Heimatlandes gestellt. Die Ausfolgung eines Personalausweises sei eine der Formen, in denen ein souveräner Staat seinen Bürgern Schutz angedeihen lasse, werde doch durch die Innehabung eines solchen Ausweises dauernd ein begünstigender Hoheitsakt in Anspruch genommen, da ein solcher (staatlich beglaubigt) eine bestimmte Identität beweise. Daher könne davon gesprochen werden, daß die Ausstellung eines Personalausweises und die daraus folgende Identitätsbeglaubigung eine der Formen sei, in der staatlicher Schutz sich manifestiere. Durch seine Antragstellung habe der Beschwerdeführer diesen Schutz durch sein Heimatland begehrt und durch Ausfolgung des Personalausweises auch tatsächlich erhalten. Dafür, daß die Antragstellung etwa nicht freiwillig erfolgt sei, fehle jeglicher Hinweis.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Insoweit sich der Beschwerdeführer auf Bestimmungen des AsylG 1991 bezieht, ist er auf das hg. Vorerkenntnis vom 29. November 1994 zu verweisen, wonach die Rechtslage nach dem AsylG (1968) maßgebend ist. Zutreffend hat daher die belangte Behörde im vorliegenden Bescheid das Asylgesetz (1968) angewandt. Auch ist der Vorwurf des Beschwerdeführers, ihm sei zur Frage der "Unterschutzstellung" kein Parteiengehör eingeräumt worden, insofern unzutreffend, als die hiefür relevanten Umstände auf Sachverhaltsebene Gegenstand seiner Vernehmung vom 11. September 1995 gewesen waren. Die sich auf Grund der so gewonnenen Ermittlungsergebnisse ergebende rechtliche Beurteilung kann jedoch nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht Gegenstand des Rechtes auf Parteiengehör sein (vgl. Hauer-Leukauf3, E 7, 47, 48 zu § 45 Abs. 3 AVG).

Der belangten Behörde ist im weiteren auch zuzugeben, daß der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertritt, daß die Ausstellung oder Verlängerung eines Reisepasses den Tatbestand des § 2 Abs. 2 Z. 1 AsylG 1991 (damit inhaltlich ident mit Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention, die im vorliegenden Fall direkt Anwendung zu finden hat) erfüllt, wenn nicht im konkreten Einzelfall ein dieser rechtlichen Beurteilung entgegenstehender Sachverhalt aufgezeigt wird (vgl. hg. Erkenntnisse vom 12. September 1995, Zl. 96/20/0531, und vom 24. Oktober 1996, Zl. 96/20/0587, jeweils mit der dort wiedergegebenen Lehre und Rechtsprechung). Der vorliegende Fall kennzeichnet sich jedoch - in Abgrenzung zu der zuvor zitierten Judikatur - dadurch, daß nicht ein Reisepaß beantragt war, sondern lediglich ein "Identitätspapier". Auf die Ausstellung eines solchen i.S.d. Art. 27 GFK bzw. § 10 Abs. 1 AsylG 1968 durch die österreichischen Behörden hatte der Beschwerdeführer mangels vorangegangener Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft keinen Rechtsanspruch. In diesem Zusammenhang weist der Beschwerdeführer in der Beschwerde darauf hin, dem Personalausweis (Nüfus) komme eine dem Reisepaß vergleichbare rechtliche Qualität nicht zu, stelle vielmehr nach türkischem Recht lediglich eine "Geburtsurkunde", jedenfalls aber kein Reisedokument dar. Es braucht aber hier nicht abschließend geklärt zu werden, ob die Ausstellung eines Identitätspapiers wie das hier gegenständliche türkische "Nüfus", die gleiche Indizwirkung zeigt wie die in der hg. Judikatur immer wiederkehrende Ausstellung eines nationalen Reisepasses (-dokumentes). Es wurde bereits in den zuvor genannten Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. September bzw. 24. Oktober 1996 dargelegt, daß im Einzelfall ein anderes Ergebnis (als die Annahme der Unterschutzstellung) gewonnen werden kann, wenn Umstände vorgetragen werden, die die Freiwilligkeit des zu beurteilenden Verhaltens in Frage stellen. Die Freiwilligkeit in diesem Sinne wird nach Lehre und Rechtsprechung nicht ausgeschlossen durch den Wunsch, Rechtsvorteile des schutzgewährenden Staates zu erlangen, die dieser an die nationale Zugehörigkeit des Betroffenen knüpft. Dort jedoch, wo die Behörden des Schutzstaates selbst die Vorlage von Identitätspapieren für nötig erachten, wurde auch bereits vom Verwaltungsgerichtshof die "Freiwilligkeit" der Unterschutzstellung verneint (vgl. hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1995, Zl. 94/20/0838; Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International Law, Band 1, Seite 387). Unter diesem Aspekt hätte die belangte Behörde zu berücksichtigen gehabt, daß der Beschwerdeführer anläßlich seiner Vernehmung am 11. Dezember 1995 angegeben hatte, ein Identifikationspapier für das Meldeamt zu benötigen, wo man ihm gesagt habe, ein "Personalausweis" sei ausreichend. Dadurch, daß die belangte Behörde allein durch den Umstand der über Antrag erfolgten Ausstellung des Personalausweises eine "Unterschutzstellung", sohin den Ausschließungsgrund des Art. 1 Abschnitt C Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention, als gegeben erachtet hat, ohne auf die oben dargelegten Kriterien näher einzugehen, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit (durch sekundäre Verfahrensmängel), weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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