Normen
AsylG 1968 §1;
AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §37;
AVG §58 Abs2;
AsylG 1968 §1;
AsylG 1991 §1 Z1;
AVG §37;
AVG §58 Abs2;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. November 1994 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Nigeria, der am 15. April 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist und am selben Tag den Antrag auf Asylgewährung gestellt hat, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 28. Juni 1993, mit welchem festgestellt worden war, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei, abgewiesen.
Der Beschwerdeführer gab bei seiner niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 4. Mai 1992 im wesentlichen an, er sei in seiner Heimat seit dem Jahr 1989 Angehöriger der "Sozialdemokratischen Partei" (SDP) gewesen. Seine Tätigkeit habe in der Vorbereitung der Wahlen am 14. Dezember 1991 bestanden. Bei diesen Wahlen sei die SDP als Wahlsieger hervorgegangen. Die Oppositionspartei "National-Republikanisches Konvent" (NRC) habe daraufhin versucht, die Einsetzung einer neuen Regierung zu verhindern. Ferner habe eine Hetzjagd auf die SDP-Mitglieder seitens der Angehörigen des NRC begonnen. Der Beschwerdeführer sei auch unter den bedrohten Personen gewesen. Deshalb habe er sich entschlossen, aus Nigeria zu flüchten, und sein Leben zu retten. Seitens der Regierung habe er sich keinerlei Hilfe erwarten können, da diese bei derartigen Dingen immer tatenlos zusehen würde. Im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland würde er ein Opfer einer Racheaktion des NRC werden. Er sei seit dem Jahr 1991 im Besitz eines legalen Reisepasses gewesen. Auch habe er ein rumänisches Visum ausgestellt bekommen. Er sei Anfang Februar 1992 auf dem Fluchtweg aus Nigeria ausgereist und über Rumänien, wo er sich etwa einen Monat und zwei Wochen aufgehalten habe, illegal nach Österreich eingereist.
In der Berufung gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion Wien ergänzte der Beschwerdeführer, er sei kein einfaches Mitglied, sondern als erster Sekretär in führender Position der SDP tätig gewesen. Diese Position sei der Grund gewesen, daß nach der Tötung des Vorsitzenden der SDP im Jänner 1992 durch Mitglieder des NRC etwa fünf bewaffnete Männer in sein Haus gekommen seien. Es habe sich um Angehörige des NRC gehandelt. Es sei dem Beschwerdeführer gelungen, im letzten Moment durch die Hintertür zu fliehen. Er habe sich in Lagos versteckt gehalten und um ein Visum für Rumänien angesucht. Der Beschwerdeführer wiederholte, daß er in seiner Heimat keinen Schutz von der Polizei erwarten habe können.
Die belangte Behörde erließ daraufhin den angefochtenen Bescheid. Sie führte aus, daß das gegenständliche Verfahren nach dem Asylgesetz 1991 zu Ende zu führen sei, und stützte sich "entsprechend der Erfahrung der erkennenden Behörde, daß Asylwerber gerade bei der Erstbefragung zum Asylantrag jene Angaben machen, die der Wahrheit am nächsten kommen", zur Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes auf das Vorbringen des Beschwerdeführers anläßlich seiner erstinstanzlichen Einvernahme. Der Beschwerdeführer sei keiner asylrechtlich relevanten Verfolgung ausgehend von den Behörden seines Heimatlandes ausgesetzt gewesen.
Sollte es tatsächlich zur Bedrohung seiner Person durch NRC-Mitglieder gekommen sein, könne dies nicht als asylbegründende mittelbare staatliche Verfolgung gewertet werden, da dies Übergriffe von Einzelpersonen seien, welche sich nicht als politisch, religiös oder ethnisch motivierte, vom Staat initiierte oder geduldete Verfolgungshandlungen darstellten.
Der Beschwerdeführer behaupte, daß er von der Regierung keinerlei Hilfestellung erwarten könne, da diese bei derartigen Dingen tatenlos zusehen würde. Die belangte Behörde schloß daran folgenden Absatz an:
"Keinesfalls kann die bloße Behauptung asylbegründender Tatsachen als ausreichend angesehen werden. Würde es bereits genügen, wenn das Vorliegen der asylbegründenden Tatsachen abstrakt möglich wäre, also nicht mit Sicherheit ausgeschlossen ist, so könnte von Beweiswürdigung im eigentlichen Sinn wohl kaum gesprochen werden. Ein hervorstehendes Charakteristikum ist, daß das Vorbringen, wenngleich es bis zu einem gewissen Grad auch auf Ihren eigenen Erfahrungen beruht, regelmäßig so abstrakt und allgemein gehalten ist, daß es sich einer Überprüfbarkeit an der Wirklichkeit entzieht."
Den Angaben des Beschwerdeführers sei nicht zu entnehmen, daß er jemals den Versuch unternommen habe, sich des Schutzes des Staates zu bedienen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Das gegenständliche Verfahren war am 1. Juni 1992 noch bei der Sicherheitsdirektion für Wien anhängig. Gemäß § 25 Abs. 1 Asylgesetz 1991 sind aber am 1. Juni 1992 in erster Instanz anhängige Verfahren nach dem Asylgesetz (1968) zu Ende zu führen, was die belangte Behörde verkannt hat. Diese Rechtswidrigkeit führt aber nicht in jedem Fall zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, entspricht doch der Flüchtlingsbegriff des § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 inhaltlich jenem des Asylgesetzes (1968).
Wie die belangte Behörde zutreffend erkennt, liegt eine asylrechtlich relevante Verfolgung nicht nur dann vor, wenn sie von den staatlichen Behörden des Heimatlandes des Asylwerbers ausgeht, sondern kann auch dann gegeben sein, wenn der Heimatstaat nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, die von anderen Stellen ausgehenden Verfolgungen hintanzuhalten (mittelbare staatliche Verfolgung). Die belangte Behörde ist der Behauptung des Beschwerdeführers, er sei von Angehörigen des NRC bedroht worden, nicht entgegengetreten, sondern hat eine solche Bedrohung für durchaus möglich angesehen (erkennbar aus der Wortfolge: "Sollte es tatsächlich zu einer Bedrohung ... gekommen sein"). An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß die Behörde aufgrund der im Verfahren gemäß § 37 und § 39 AVG bestehenden Pflicht zur Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes und den in der Erstaussage enthaltenen deutlichen Hinweisen des Beschwerdeführers auf eine ihm von politischen Gegnern drohende Verfolgung ohnehin gehalten gewesen wäre, nähere Umstände dieser behaupteten Verfolgung zu erfragen, weshalb die diesbezüglich ergänzenden Angaben des Beschwerdeführers in der Berufung nicht außer acht zu lassen waren.
Die belangte Behörde hat jedoch diese Verfolgung nicht als mittelbare staatliche Verfolgung anerkannt. Dabei ist sie der diesbezüglichen Behauptung des Beschwerdeführers lediglich mit einer im Zusammenhang unverständlichen Phrase (vgl. oben wörtlich: "Keinesfalls kann die bloße Behauptung ...") und mit der Aussage entgegengetreten, der Beschwerdeführer habe niemals den Versuch unternommen, sich des Schutzes des Staates zu bedienen. Die letzte Aussage ist nicht schlüssig, kann doch von einer Person, die von vornherein keinen Schutz der staatlichen Behörden erwartet, weil diese "bei derartigen Dingen tatenlos zusehen würden", nicht ernsthaft verlangt werden, sie solle dennoch solchen Schutz suchen.
Die belangte Behörde hat weder Ermittlungen durchgeführt noch begründet, warum sie die Behauptung des Beschwerdeführers, die staatlichen Behörden würden ihn nicht schützen, als unzutreffend erachtet. Ohne Ermittlungen über das behauptete Verhalten der Behörden in Fällen des Konfliktes zwischen Mitgliedern der SDP und des NRC ist aber die Behauptung des Beschwerdeführers nicht ohne weiteres widerlegbar. Dies hat der Beschwerdeführer in der Beschwerde zutreffend gerügt und mit seinen Ausführungen die Relevanz der unterlaufenen Verfahrensmängel (Ermittlungs-, Begründungsmangel) dargetan.
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
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