Normen
AVG §1;
AVG §6 Abs1;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §65 Abs1;
FrG 1993 §7 Abs1;
AVG §1;
AVG §6 Abs1;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1993 §65 Abs1;
FrG 1993 §7 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Bestätigung der Ausweisung und der Abweisung des Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Im übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg, jeweils vom 7. Dezember 1994, wurde die Ausweisung der beiden Beschwerdeführerinnen verfügt (§ 17 Abs. 1 Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992). Darüber hinaus wurde gemäß § 27 Abs. 3 leg. cit. einer (allfälligen) Berufung gegen diese Bescheide die aufschiebende Wirkung aberkannt.
2. Aufgrund der gegen diese Bescheide erhobenen Berufung (vom 7. Dezember 1994) erging unter dem Datum 25. Jänner 1995 ein Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich (der belangten Behörde), dessen Spruch wie folgt lautet:
"Gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1991 wird Ihrer Berufung k e i n e Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt. Ihr Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird abgewiesen. Ihre Anträge auf Sichtvermerkserteilung und auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung werden zurückgewiesen."
In der Begründung nahm die belangte Behörde als erwiesen an, daß die beiden Beschwerdeführerinnen im März 1994 über die Grenzkontrollstelle Bruck in das Bundesgebiet eingereist seien. Als "jugoslawische" Staatsangehörige seien sie nicht zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt gewesen, vielmehr hätte es dazu außer eines gültigen Reisedokumentes einer der im § 15 FrG genannten Aufenthaltsberechtigungen bedurft. Da die Beschwerdeführerinnen über keine der in dieser Gesetzesstelle genannten Berechtigungen verfügten, hielten sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf. Damit liege die Voraussetzung für die Verfügung einer Ausweisung (§ 17 Abs. 1 FrG) vor, wobei allerdings auf § 19 leg. cit. Bedacht zu nehmen sei. Durch die Ausweisung würde zumindest vorübergehend in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerinnen eingegriffen, da deren Ehegatte bzw. Vater in Österreich lebe, im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung und einer Arbeitserlaubnis sei und auch einer Beschäftigung nachgehe. Dennoch erachte die belangte Behörde die Ausweisung im Grunde des § 19 FrG für zulässig, weil diese im Interesse der öffentlichen Ordnung, insbesondere eines geordneten Fremdenwesens dringend geboten sei, komme doch den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zu.
Aufgrund des schon über zehn Monate andauernden rechtswidrigen Aufenthaltes im Bundesgebiet werde die von der Erstbehörde vorgenommene Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung aus Gründen der öffentlichen Ordnung für zulässig erachtet.
Die Anträge der Beschwerdeführerinnen auf Erteilung eines Sichtvermerkes und auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung seien zurückzuweisen gewesen, weil diese bei der sachlich zuständigen Erstbehörde einzubringen seien (§ 65 FrG).
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aus diesen Gründen kostenpflichtig aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Die belangte Behörde zog aus der - aktenkundigen - Tatsache, daß der Erstbeschwerdeführerin von der Vertretungsbehörde der "Bundesrepublik Jugoslawien" in Wien ein Reisepaß (mit der Gültigkeitsdauer vom 16. September 1993 bis 16. September 1998) ausgestellt wurde (die Zweitbeschwerdeführerin ist in diesem Reisepaß miteingetragen), den Schluß, daß die beiden Beschwerdeführerinnen im Hinblick auf die Aussetzung der pragmatischen Weiteranwendung des Abkommens zwischen der Bundesregierung der Republik Österreich und der Regierung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht, BGBl. Nr.365/1965 idF BGBl. Nr. 117/1983, im Verhältnis zur "Bundesrepublik Jugoslawien" (Kundmachung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 386a/1992) für die Einreise und den Aufenthalt in Österreich eines Sichtvermerkes bedürften.
1.2. Zu dieser bereits von der Erstbehörde vertretenen Auffassung wurde in der Berufung vorgebracht, daß die Erstbeschwerdeführerin "Bosnierin" sei, der aufgrund der in Bosnien im Gange befindlichen "ethnischen Säuberungen" kein "blauer moslemischer Reisepaß" ausgestellt werde. Da ihr alter Reisepaß "mit BH" die Gültigkeit verloren habe, habe sie, weil sie "sonst keinen anderen Reisepaß bekommen konnte", den Reisepaß genommen, den sie "bekommen konnte". Die Erstbeschwerdeführerin "als Bosnierin, die gegenwärtig einen jugoslawischen Reisepaß habe, muß gleich behandelt werden wie alle anderen Bosnier, da es der Behörde bekannt ist, daß die Bosnier wegen ethnischer Säuberung nur den Moslems den bosnischen blauen Reisepaß geben, den Kristen geben diese den Reisepaß nicht".
2. Mit diesem Vorbringen, dessen Relevanz für den Beschwerdefall im Hinblick auf das kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina eingeräumte vorübergehende Aufenthaltsrecht in Österreich (vgl. § 12 Aufenthaltsgesetz und darauf gestützte Verordnungen der Bundesregierung, beginnend mit der Verordnung
BGBl. Nr. 402/1993, zuletzt die Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994) unschwer zu erkennen ist (und von der belangten Behörde - freilich erst in der Gegenschrift - auch erkannt wurde), setzte sich der angefochtene Bescheid nicht auseinander.
Aufgrund des dargestellten nachvollziehbaren Berufungsvorbringens (dessen Inhalt durch weitere, Bestandteile der vorgelegten Verwaltungsakten bildende Schriftstücke unterstrichen wird), dessen Eignung, darzutun, daß vorliegend ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht nach der genannten Sonderregelung zum Tragen komme, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, war es der belangten Behörde verwehrt, ohne weiteres, d.h. ohne diesbezügliche Ermittlungen und darauf gründende Feststellungen, allein angesichts des Umstandes, daß der Erstbeschwerdeführerin am 16. September 1993 in Wien ein Reisepaß der "Bundesrepublik Jugoslawien" ausgestellt wurde (unter Miteintragung der Zweitbeschwerdeführerin), zu dem Schluß zu gelangen, die Beschwerdeführerinnen seien - ausschließlich - Staatsangehörige der "Bundesrepublik Jugoslawien" und unterlägen als solche der Sichtvermerkspflicht. Der belangten Behörde wäre es vielmehr - unter weiterer Mitwirkung der Beschwerdeführerinnen - oblegen, die Frage zu klären, ob nicht ungeachtet der Ausstellung des besagten Reisepasses die Beschwerdeführerinnen, wie von ihnen behauptet, weiterhin (allenfalls auch) bosnische Staatsangehörige waren.
3. Da nach dem Gesagten nicht auszuschließen ist, daß die belangte Behörde, wäre der Sachverhalt nicht in der bezeichneten Hinsicht ergänzungsbedürftig geblieben, zu einem anderen (für die Beschwerdeführerinnen günstigeren, nämlich die Sichtvermerkspflicht und folglich die Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes verneinenden) Ergebnis hätte gelangen können, erweist sich die im Instanzenzug ausgesprochene Ausweisung im Grunde des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG als rechtswidrig.
4. Schon deshalb, weil nach dem Gesagten die belangte Behörde rechtens nicht in der Lage war, abschließend zu beurteilen, ob sich die Beschwerdeführerinnen unrechtmäßig in Österreich aufhielten, belastete sie auch den mit dem Hinweis auf die durch einen "über 10 Monate andauernden rechtswidrigen Aufenthalt im Bundesgebiet" bewirkte Gefährdung der öffentlichen Ordnung begründeten Abspruch betreffend die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung mit Rechtswidrigkeit.
5. Was hingegen die Zurückweisung der im Rahmen des Berufungsbegehrens an die belangte Behörde gerichteten Anträge der Beschwerdeführerinnen auf Erteilung eines Sichtvermerkes und auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung (nach Bosnien) mit dem bekämpften Bescheid mangels Zuständigkeit der belangten Behörde (§ 65 Abs. 1 FrG) anlangt, so vermag der Gerichtshof darin eine Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerinnen nicht zu erkennen, zumal durch den zurückweisenden Abspruch - was in der Bescheidbegründung deutlich zum Ausdruck gebracht wurde - die Zuständigkeit der Behörde erster Instanz zur meritorischen Entscheidung über die besagten Anträge unberührt blieb und im übrigen - unbeschadet der Verpflichtung der Behörde, nach § 6 Abs. 1 AVG vorzugehen - dem Einschreiter durch diese Bestimmung kein subjektives Recht auf Weiterleitung oder Weiterverweisung eingeräumt wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 7. September 1995, Zl. 94/18/0694).
6.1. Unter Zugrundelegung der vorstehenden Ausführungen war der angefochtene Bescheid im Umfang der Bekämpfung der Bestätigung der Ausweisung der Beschwerdeführerinnen und der Abweisung des Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
6.2. Im übrigen, d.h. im Umfang der Anfechtung der Zurückweisung der Anträge auf Erteilung eines Sichtvermerkes und auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
7. Der Antrag auf Abtretung der vorliegenden Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof zur Prüfung der Frage, ob die Beschwerdeführerinnen in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden sind, entbehrt einer gesetzlichen Grundlage.
8. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47, 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 sowie § 50 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung Stempelgebühren lediglich in der Höhe von
S 390,-- (Eingabengebühr S 360,--, Beilagengebühr S 30,--) zu entrichten waren.
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