VwGH 95/05/0163

VwGH95/05/016323.1.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde der Gemeinde K, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in O, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberwart vom 18. April 1995, Zl. II-Sch-8-1995, betreffend Abtretung von Grundflächen in einer Bauangelegenheit (mitbeteiligte Partei: I in K, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in O), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Burgenland Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren der mitbeteiligten Partei wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Beschwerdeführerin vom 6. April 1994 wurde der mitbeteiligten Partei gemäß § 17 Abs. 1 und 3 der Burgenländischen Bauordnung, LGBl. Nr. 13/1970 i. d.g.F, und auf Grund des Beschlusses des Gemeinderates der Beschwerdeführerin vom 25. Februar 1994 "eine Grundabtretung in das öffentliche Gut in einer Breite von 1 m von ihrem Grundstück Nr. 170 und 361 entlang des Gemeindeweges Nr. 176 vorgeschrieben" und gemäß § 17 Abs. 7 leg. cit. für diese Abtretung eine Entschädigung von S 3.750,-- zuerkannt.

Der dagegen erhobenen Berufung der mitbeteiligten Partei wurde mit Bescheid des Gemeinderates der Beschwerdeführerin vom 17. Juli 1994 gemäß § 66 Abs. 4 AVG im Zusammenhang mit § 108 der Burgenländischen Bauordnung keine Folge gegeben und der bekämpfte Bescheid bestätigt.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 30. August 1994 wurde der dagegen erhobenen Vorstellung der mitbeteiligten Partei "gemäß §§ 77 und 79 Burgenländische Gemeindeordnung Folge gegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde verwiesen". Begründet wurde dies damit, daß "das Grundstück Nr. 170 ... im rechtswirksamen Flächenwidmungsplan nicht als Bauland ausgewiesen" ist, "sodaß der Tatbestand des § 17 Abs. 1 Burgenländische Bauordnung nicht erfüllt ist und der angefochtene Bescheid an Rechtswidrigkeit leidet".

Mit Bescheid vom 15. März 1995 wurde gegenüber der mitbeteiligten Partei durch Zustellung am 21. März 1995 mit der Fertigungsklausel: "Für den Gemeinderat: Der

2. Vizebürgermeister" folgender Bescheid erlassen:

"Gemäß Vorstellungsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberwart vom 30.8.1994, ... hat der Gemeinderat in seiner Sitzung am 11.3.1995 wie folgt entschieden:

SPRUCH

Gemäß § 77 Abs. 6 der Burgenländischen Gemeindeordnung in der Fassung LGBl. Nr. 55/1992 wird der Bescheid des Bürgermeisters vom 6.4.1994, Zl. 28/1994, behoben und zur neuerlichen Entscheidung an die Baubehörde erster Instanz zurückverwiesen."

In der Begründung wurde hiezu ausgeführt, daß "auf Grund des obzitierten Bescheides der Bezirkshauptmannschaft Oberwart im Zusammenhang mit dem Beschluß des Gemeinderates vom 11.3.1995 ... spruchgemäß zu entscheiden" war.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 18. April 1995 wurde unter Spruchpunkt I. der dagegen erhobenen Vorstellung der mitbeteiligten Partei gemäß den §§ 77 und 79 Abs. 3 der Burgenländischen Gemeindeordung Folge gegeben, der bekämpfte Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde verwiesen. Der Vorstellung wurde im Spruchpunkt II. gemäß § 77 Abs. 3 Burgenländische Gemeindeordnung aufschiebende Wirkung zuerkannt. In der Begründung führte die belangte Behörde hiezu aus, ein aufhebender Bescheid einer Vorstellungsbehörde erzeuge mit seiner Begründung eine bindende Wirkung für das zuständige Gemeindeorgan bei der Erlassung des Ersatzbescheides. Die Bindungswirkung des aufhebenden Vorstellungsbescheides bezüglich der tragenden Gründe der darin ausgesprochenen Rechtsmeinung erstrecke sich auf die Gemeinde, die Aufsichtsbehörde selbst und auch auf den Verwaltungsgerichtshof. Der aufhebende Vorstellungsbescheid vom 30. August 1994 enthalte in seiner Begründung nur eine Rechtsmeinung hinsichtlich des Grundstückes Nr. 170. Die letztinstanzliche Gemeindebehörde sei verpflichtet, eine der in den tragenden Gründen eines aufhebenden Vorstellungsbescheides zum Ausdruck kommenden Rechtsansicht entsprechende Entscheidung zu treffen. Entsprechend dieser Bindungswirkung wäre daher der Gemeinderat der Beschwerdeführerin hinsichtlich jenes Teiles der Abtretungsverpflichtung, der das Grundstück Nr. 170 betreffe, verpflichtet gewesen, die ersatzlose Behebung zu verfügen. Hinsichtlich der Abtretungsverpflichtung betreffend die Teile des Grundstückes Nr. 361 habe die Aufsichtsbehörde keine Rechtsmeinung geäußert, sodaß der Gemeinderat eine Berufungsentscheidung ohne Verpflichtung zur Bedachtnahme auf eine Bindungswirkung habe treffen können. Im nunmehr anhängigen zweiten Rechtsgang habe die Aufsichtsbehörde ausschließlich zu prüfen, ob die Gemeindebehörde der im ersten Rechtsgang geäußerten Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde gefolgt sei. Diese Prüfung habe ergeben, daß der Gemeinderat der Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde nicht entsprochen habe. Dadurch, daß der Gemeinderat in seinem Bescheid vom 15. März 1995 die teilweise ersatzlose Aufhebung der Abtretungsverpflichtung unterlassen und die Zurückverweisung der gesamten Abtretungsangelegenheit an die erste Instanz verfügt habe, habe er subjektive Rechte der mitbeteiligten Partei verletzt. Der Vorstellung sei aufschiebende Wirkung zuzuerkennen gewesen, da die betreffenden Grundstücke durch den Gemeindeweg (Grundstück Nr. 176) aufgeschlossen seien und daher öffentliche Rücksichten die sofortige Vollstreckung nicht gebieten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Nichtaufhebung des Bescheides ihres Gemeinderates verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 77 Abs. 1 der Burgenländischen Gemeindeordnung kann, wer durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in einer aus dem Vollziehungsbereich des Landes stammenden Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen nach Erlassung des Bescheides dagegen Vorstellung erheben. Die Aufsichtsbehörde hat den Bescheid, wenn Rechte des Einschreiters durch ihn verletzt werden, gemäß Abs. 5 dieser Gesetzesstelle aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zu verweisen. Die Gemeinde ist bei der neuerlichen Entscheidung nach Abs. 6 dieses Paragraphen an die Rechtsansicht der Aufsichtsbehörde gebunden.

Nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. August 1995, Zl. 95/05/0216, mwN) kommt nur den tragenden Aufhebungsgründen eines aufsichtsbehördlichen Bescheides für das fortgesetzte Verfahren bindende Wirkung zu.

Nach dem aufhebenden Bescheid der belangten Behörde vom 30. August 1994 liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Abs. 1 der Burgenländischen Bauordnung bezüglich des Grundstückes Nr. 170 der mitbeteiligten Partei deshalb nicht vor, weil dieses Grundstück im rechtswirksamen Flächenwidmungsplan der Beschwerdeführerin nicht als Bauland ausgewiesen ist. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft und ist daher im weiteren Verfahren zu beachten. Bei unveränderter Sach- und Rechtslage ist daher auf Grund der im § 77 Abs. 6 Burgenländische Gemeindeordnung angeordneten Bindungswirkung davon auszugehen, daß § 17 Abs. 1 der Burgenländischen Bauordnung auf das Grundstück Nr. 170 der Beschwerdeführerin keine Anwendung finden kann, weil dieses Grundstück im rechtswirksamen Flächenwidmungsplan der Beschwerdeführerin nicht als Bauland ausgewiesen ist.

Die beschwerdeführende Gemeinde hatte somit in ihrem Ersatzbescheid die die Aufhebung tragenden Gründe dieses aufsichtsbehördlichen Bescheides zu berücksichtigen. Infolge der Aufhebung des Berufungsbescheides durch die Vorstellungsbehörde hatte der Gemeinderat der Beschwerdeführerin somit neuerlich über die Berufung der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid des Bürgermeisters der beschwerdeführenden Partei vom 6. April 1994 gemäß § 66 AVG zu entscheiden.

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, sofern der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen.

Gemäß Abs. 4 dieser Gesetzesstelle hat die Berufungsbehörde außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Der Berufungswerber hat einen aus § 66 Abs. 4 AVG erfließenden Anspruch darauf, daß die Berufungsbehörde in der Sache entscheidet. "Sache" der Berufungsbehörde ist die Verwaltungssache, die den Gegenstand des Verfahrens der Vorinstanz gebildet hat, soweit der darüber ergangene Bescheid angefochten wurde (vgl. dazu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, auf S. 540 f referierte hg. Judikatur).

Die Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens berechtigt die Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 2 AVG nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides, wenn sich dieser Mangel nicht anders als mit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung beheben läßt. In allen anderen Fällen hat die Berufungsbehörde immer in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 12. Juli 1990, Zl. 90/09/0055). Ungeachtet des Umstandes, daß es einer Begründung bedarf, warum die Fortsetzung des Verfahrens nicht durch die Berufungsbehörde, sondern nur im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung durch die Behörde erster Instanz vorgenommen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 1991, Zl. 91/07/0117), ist im vorliegenden Fall nicht zu erkennen, warum die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 AVG vorliegen sollen und dem Gemeinderat der beschwerdeführenden Partei eine Entscheidung in der Sache selbst im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG nicht möglich ist. Der Verwaltungsgerichtshof hält es daher nicht für rechtswidrig, wenn die belangte Behörde den Bescheid des Gemeinderates der beschwerdeführenden Partei vom 15. März 1995 deshalb aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen hat, weil es der Berufungsbehörde bei der gegebenen Sach- und Rechtslage möglich gewesen wäre, im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG den auf § 17 Abs. 1 und 3 der Burgenländischen Bauordnung gestützten Bescheid des Bürgermeisters der Beschwerdeführerin vom 6. April 1994 hinsichtlich des Grundstückes Nr. 170 der mitbeteiligten Partei ersatzlos zu beheben. Mit ihrem Beschwerdevorbringen vermag die beschwerdeführende Gemeinde eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufzuzeigen.

Mit der Behauptung, die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Vorstellung sei ohne Antrag erfolgt, entfernt sich die Beschwerdeführerin von dem durch die vorgelegten Akten dokumentierten Verwaltungsgeschehen.

Die Beschwerde erweist sich somit insgesamt als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens der mitbeteiligten Partei betrifft nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand.

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