VwGH 94/08/0191

VwGH94/08/019123.1.1996

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der Dr. F als Masseverwalterin der Gemeinschuldnerin E GmbH in W, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 29. Juni 1994, Zl. 120.105/3-7/94, betreffend Versicherungspflicht nach dem ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. A, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, 2. WGKK; 3. PVAdArb; 4. AUVA), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §4 Abs1 Z1;
ASVG §4 Abs2;
AVG §39 Abs2;
ASVG §4 Abs1 Z1;
ASVG §4 Abs2;
AVG §39 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 4. November 1992 sprach die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, daß der Erstmitbeteiligte aufgrund seiner Beschäftigung als Hilfskraft beim Dienstgeber E. GmbH, Marktfahrergewerbe, auch in der Zeit vom 1. August 1988 bis 18. November 1990 und am 31. Jänner 1992 gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 ASVG und § 1 Abs. 1 lit. a AlVG der Voll- (Kranken-, Unfall-, Pensions-) und Arbeitslosenversicherungspflicht unterlegen sei. Begründet wurde diese Entscheidung im wesentlichen damit, daß der Erstmitbeteiligte anläßlich einer Vorsprache im Versicherungsreferat am 2. März 1992 niederschriftlich angegeben habe, beim angeführten Dienstgeber in der Zeit vom 1. August 1988 bis 31. Jänner 1992 als Verkäufer beschäftigt gewesen zu sein. Bei einer täglichen Arbeitszeit von 12 Stunden habe er kein Entgelt, sondern nur volle freie Station (Wohnung, Essen) erhalten. Er sei erst vom 19. November 1990 bis 30. Jänner 1992 mit einem Monatslohn von S 6.353,-- zur Sozialversicherung gemeldet worden. Es werde daher um Überprüfung seiner Versicherungspflicht für die Zeit vom 1. August 1988 bis 18. November 1990 und am 31. Jänner 1992 ersucht.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse habe daraufhin die Einvernahme des Geschäftsführers der E. GmbH, M., der gleichzeitig Schwager des Erstmitbeteiligten sei, veranlaßt. Der Geschäftsführer habe dabei angegeben, daß der Erstmitbeteiligte ausschließlich in der Zeit vom 19. November 1990 bis 31. (richtig: 30.) Jänner 1992 als Handelsarbeiter wöchentlich 20 Stunden für die genannte Gesellschaft mit einem Monatslohn in der Höhe von S 6.353,-- tätig gewesen sei. Freie Unterkunft und Verpflegung sei in keinem Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis gestanden, sondern von ihm freiwillig gewährt worden. Seiner Meinung nach handle es sich bei der Anzeige um einen Racheakt wegen privater Unstimmigkeiten.

Der Erstmitbeteiligte habe die Erlassung eines Bescheides gefordert. Bei der gegebenen Sachlage sei nach § 410 ASVG "spruchgemäß zu entscheiden" gewesen.

Die E. GmbH erhob Einspruch. Der Erstmitbeteiligte sei in der Zeit vom 1. August 1988 bis 18. November 1990 und am 31. Jänner 1992 nicht als Hilfskraft beschäftigt gewesen. Zum Beweis dafür wurde eine Einkommensteuererklärung des Erstmitbeteiligten für das Jahr 1989 vorgelegt, in der dieser selbst angegeben habe, Gelegenheitsarbeiter zu sein, sowie zu studieren. Weiters wurde eine Bestätigung vom 1. Oktober 1989 vorgelegt, aus der sich ergebe, daß der Erstmitbeteiligte bei der S. Werbung tätig gewesen sein solle.

Mit Bescheid vom 26. April 1993 gab der Landeshauptmann von Wien dem Einspruch Folge und verneinte ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis des Erstmitbeteiligten in der streitgegenständlichen Zeit. Der Landeshauptmann begründete seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß der Erstmitbeteiligte für die von ihm behauptete Tätigkeit kein Entgelt erhalten habe, die Entgeltlichkeit seines Beschäftigungsverhältnisses jedoch ein wesentliches Kriterium für die Sozialversicherungspflicht darstelle. Im Hinblick auf die verwandtschaftlichen Beziehungen zum Geschäftsführer M., der der Ehegatte seiner Schwester sei, erscheine die Gewährung von freier Unterkunft und Essen aus familiären Gründen nicht unglaubwürdig. Dazu komme noch, daß der Erstmitbeteiligte in der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1989 unter Einkünften nur die Gelegenheitsarbeit als Reklameverteiler erwähnt habe, weshalb davon ausgegangen werden müsse, daß im strittigen Zeitraum kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zur E. GmbH bestanden habe.

Der Erstmitbeteiligte erhob Berufung, wobei er darauf verwies, daß es für das Vorliegen der Sozialversicherungspflicht nicht darauf ankomme, ob Entgelt bezahlt, sondern ein solches vereinbart worden sei. Eine solche Vereinbarung habe es im gegenständlichen Fall gegeben. Im Gehalt sei noch Essen und Logies inkludiert gewesen. Der Einkommensteuererklärung für das Jahr 1989 komme insofern keine Relevanz zu, als sie nicht von ihm stamme. Die darauf befindliche Unterschrift sei offenbar gefälscht worden. Er habe auch niemals als Reklameverteiler gearbeitet und daher auch aus diesem Grund keine diesbezügliche Einkommensteuererklärung abgegeben. Für ihn sei auch - ohne sein Wissen - eine Bestätigung ausgestellt worden, daß er bei der S. Werbung als Reklameverteiler tätig gewesen sein solle. Diese Bestätigung sei jedoch von dieser Firma als Fälschung bezeichnet worden. Ein diesbezügliches Schreiben lege er unter einem vor.

Die belangte Behörde veranlaßte daraufhin am 19. Jänner 1994 eine mündliche Verhandlung, bei der neben dem Erstmitbeteiligten auch dessen Brüder und der Geschäftsführer der E. GmbH einvernommen wurden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung des Erstmitbeteiligten schließlich Folge gegeben und in Abänderung des Bescheides des Landeshauptmannes festgestellt, daß dieser aufgrund seiner Tätigkeit für die E. GmbH auch in der Zeit vom 1. August 1988 bis 18. November 1990 und am 31. Jänner 1992 der Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht nach § 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 ASVG sowie § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen gewesen sei. Nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensgeschehens und der anzuwendenden Rechtslage legte die belangte Behörde ihrer Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde: Der Erstmitbeteiligte sei im Juli 1988 nach Österreich gekommen. Sein Schwager, der Geschäftsführer der E. GmbH, habe ihm Unterkunft und Verpflegung gewährt. Voraussetzung dafür sei jedoch gewesen, daß der Erstmitbeteiligte bei der E. GmbH arbeiten würde. Bereits am nächsten Tag nach seiner Ankunft habe der Erstmitbeteiligte für seinen Schwager zu arbeiten begonnen. Dabei sei vereinbart worden, daß der Erstmitbeteiligte bei diesem wohnen könne, freie Kost bekomme und sein Gehalt monatlich S 8.000,-- betragen würde. Diese vereinbarten S 8.000,-- pro Monat seien dem Erstmitbeteiligten jedoch nicht ausgezahlt worden. Der Erstmitbeteiligte habe zu Beginn seiner Tätigkeit eine Einschulung erhalten, bei der ihm gesagt worden sei, welche Waren welchen Preis hätten. Zu Beginn der Tätigkeit des Erstmitbeteiligten habe M. zwei Stände am Naschmarkt gehabt. Ab 1989 habe er mittlerweile sechs Stände gehabt; er sei für alle Bedürfnisse des Erstmitbeteiligten aufgekommen. So habe er ihm etwa Zigaretten zur Verfügung gestellt; wenn er ein Gewand benötigt habe, so sei ihm das Geld dafür gegeben worden. Die Arbeitszeit des Erstmitbeteiligten sei von 07.00 Uhr in der Früh bis 18.00 Uhr am Abend gewesen. Er habe auch am Sonntag gearbeitet. Dabei hätte es vorkommen können, daß er bis 24.00 Uhr unterwegs gewesen sei. Er habe an keinem fixen Stand gearbeitet, sondern M. habe ihm jeweils am Abend mitgeteilt, zu welchem Stand er in der Früh gehen müsse. Im Krankheitsfall habe M. selbst für eine Vertretung gesorgt. Der Erstmitbeteiligte sei in der Zeit vom 19. November 1990 bis

31. (richtig: 30.) Jänner 1992 von der E. GmbH mit einem Monatsgehalt von S 6.353,-- bei der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse gemeldet worden. Der Erstmitbeteiligte sei in der Zeit vom 1. August 1988 bis 31. Jänner 1992 keiner anderen Beschäftigung nachgegangen. Er sei auch nicht für die

S. Werbung als selbständiger Werbemittelverteiler tätig gewesen. Eine im Akt befindliche Einkommensteuererklärung für das Jahr 1989 sei nicht vom Erstmitbeteiligten unterzeichnet worden. Seine Aussage bezüglich seines Beschäftigungsbeginnes erschiene der belangten Behörde als durchwegs glaubwürdig, zumal es den Erfahrungen des täglichen Lebens widerspreche, daß

M. für Unterkunft, Verpflegung und sämtliche Bedürfnisse des Erstmitbeteiligten ohne jegliche Gegenleistung aufgekommen sei. Speziell bei der vorliegenden Beschäftigung sei es durchwegs vorstellbar und glaubwürdig, daß der Erstmitbeteiligte im Gegenzug für seine Versorgung bereits am nächsten Tag seiner Ankunft in Österreich seinem Schwager beim Verkauf an den Marktständen hätte helfen müssen. Die Glaubwürdigkeit der Angaben des Erstmitbeteiligten würde auch dadurch unterstützt, daß die Brüder des Erstmitbeteiligten, welche ebenfalls für die

E. GmbH tätig gewesen seien, völlig gleichlautende Angaben bezüglich ihrer Beschäftigung und der Beschäftigung des Erstmitbeteiligten gemacht hätten. Auch bezüglich des täglichen Arbeitsausmaßes seien die Angaben des Erstmitbeteiligten übereinstimmend mit den übrigen Zeugen und daher glaubwürdiger als die diesbezüglichen Angaben des Geschäftsführers der

E. GmbH. Durch ein Schreiben der S. Werbung vom 5. Oktober 1992 werde im übrigen bestätigt, daß bereits öfter gefälschte Bestätigungen aufgetaucht seien. Es könne daher im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden, daß es sich auch hier um eine Fälschung handle, zumal der Erstmitbeteiligte glaubwürdig angegeben habe, niemals bei der S. Werbung gearbeitet zu haben. Die Unterschrift auf der Einkommensteuererklärung für 1989 unterscheide sich ganz wesentlich von den Unterschriften, welche der Erstmitbeteiligte im Verwaltungsverfahren getätigt habe. Die belangte Behörde gehe daher davon aus, daß der Erstmitbeteiligte die Einkommensteuererklärung nicht unterschrieben und somit die darin enthaltenen Angaben auch nicht bestätigt habe. Der Erstmitbeteiligte sei sowohl zeitlich als auch örtlich an die Vorgaben von M., dem Geschäftsführer der E. GmbH, gebunden gewesen. Er habe eine Dienstzeit von 07.00 Uhr in der Früh bis 19.00 Uhr am Abend einzuhalten gehabt. M. habe in der mündlichen Verhandlung bei der belangten Behörde selbst angegeben, daß seine Angestellten keine eigenmächtige Entscheidungsfreiheit gehabt hätten und er deren Tätigkeit kontrolliert habe. Er habe auch immer für eine Vertretung gesorgt, da er zu fremden Leuten kein Vertrauen gehabt habe. Zwischen M. und dem Erstmitbeteiligten sei eine Entgeltleistung in der Höhe von S 8.000,-- vereinbart worden. Die Tatsache, daß der Erstmitbeteiligte jedoch nie ein Entgelt für seine Tätigkeit erhalten habe, schließe die Sozialversicherungspflicht nicht aus, da der Erstmitbeteiligte einen Anspruch auf einen Lohn gehabt habe. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Aufgrund der durch vollstreckbaren Rückstandsausweis glaubhaft gemachten Forderung der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse (S 604.603,19 abzüglich S 14.500,--) wurde über das Vermögen der E. GmbH der Konkurs eröffnet; zur Masseverwalterin wurde Dr. F bestellt.

Gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 29. Juni 1994 richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde der Masseverwalterin.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.

Von den mitbeteiligten Parteien wurde jeweils eine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 4 Abs. 2 ASVG ist Dienstnehmer im Sinne dieses Bundesgesetzes, wer in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird; dazu gehören auch Personen, bei deren Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber den Merkmalen selbständiger Ausübung der Erwerbstätigkeit überwiegen.

Welche Umstände bei der Beantwortung der Frage zu berücksichtigen sind, ob bei einer Beschäftigung die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit einer Person vom Empfänger der Arbeitsleistung gegenüber jenen persönlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit überwiegen, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt dargelegt, so etwa im Erkenntnis vom 19. März 1984, VwSlg. 11.361/A, aber auch im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, VwSlg. 12.325/A, auf deren Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG insoweit verwiesen wird.

Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist unbestritten, daß der Mitbeteiligte in der Zeit vom 19. November 1990 bis 30. Jänner 1992 als Hilfskraft der E. GmbH in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden ist. Strittig ist allerdings, ob der Mitbeteiligte bereits in der Zeit davor, also vom 1. August 1988 bis 18. November 1990 und auch am 31. Jänner 1992 in einem solchen Beschäftigungsverhältnis gestanden ist.

Die belangte Behörde hat diese Frage im wesentlichen aufgrund der übereinstimmenden Angaben (des Erstmitbeteiligten) und dessen Brüder bejaht, "zumal es den Erfahrungen des täglichen Lebens widerspreche, daß Herr M. für die Unterkunft, Verpflegung und sämtliche Bedürfnisse (des Erstmitbeteiligten) aufgekommen ist, dafür aber keinerlei Gegenleistungen erwartet hat". Eine im Akt befindliche Einkommensteuererklärung für das Jahr 1989 (die vom Geschäftsführer der E. GmbH im Verwaltungsverfahren vorgelegt wurde) sei nicht vom Erstmitbeteiligten unterzeichnet worden. Die Unterschrift unterscheide sich "ganz wesentlich" von den Unterschriften, welche der Erstmitbeteiligte im gegenständlichen Verwaltungsverfahren geleistet habe. Es sei daher davon auszugehen, daß der Erstmitbeteiligte diese Einkommensteuererklärung nicht unterschrieben habe. Die S. Werbung habe mitgeteilt, daß bereits öfter gefälschte Bestätigungen über eine Beschäftigung bei ihr aufgetaucht seien. Es könne daher nach Auffassung der belangten Behörde im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden, daß es sich auch hier um eine Fälschung handle, zumal der Erstmitbeteiligte glaubwürdig angegeben habe, niemals bei der S. Werbung gearbeitet zu haben.

In der Beschwerde werden diese Feststellungen unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpft: Daß die Einkommensteuererklärung aus dem Jahre 1989 nicht vom Erstmitbeteiligten stamme, habe die belangte Behörde ohne die Einholung entsprechender Schriftproben lediglich aufgrund seiner Angaben angenommen. Wäre dabei hervorgekommen, daß diese Urkunde tatsächlich vom Erstmitbeteiligten stamme, so hätte dieser nicht einen besonders glaubwürdigen Eindruck vor der belangten Behörde hinterlassen können. Mit einem weiteren Beweismittel habe sich die belangte Behörde überhaupt nicht auseinandergesetzt, nämlich mit der für den Erstmitbeteiligten bei der Versicherung Collegialität beantragten Krankenversicherung vom Oktober 1989. Aus der der belangten Behörde vorgelegten Kopie des Antragsformulars gehe hervor, daß der Erstmitbeteiligte Prospektverteiler sei und über keine Sozialversicherung verfüge. Bei einer entsprechenden Überprüfung durch die belangte Behörde wäre hervorgekommen, daß tatsächlich eine Krankenversicherung abgeschlossen und auch bezahlt worden sei.

Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu.

Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Nach § 60 AVG sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Der in § 45 Abs. 2 AVG zum Ausdruck kommende Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nicht, daß der in der Begründung des Bescheides niederzulegende Denkvorgang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle nicht unterliegt. Diese Bestimmung hat nur zur Folge, daß - sofern in den besonderen Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist - die Würdigung der Beweise keinen anderen, insbesondere auch nicht gesetzlichen Regeln unterworfen ist. Dies schließt aber keineswegs eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Der Verwaltungsgerichtshof ist an den von der belangten Behörde angenommenen Sachverhalt insoweit nicht gebunden, als dieser in einem wesentlichen Punkt aktenwidrig angenommen wurde, der Ergänzung bedarf oder bei seiner Ermittlung Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können (vgl. etwa das Erkenntnis vom 12. Dezember 1995, Zl. 95/08/0082, mit weiteren Judikaturhinweisen).

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage hätte sich die belangte Behörde zunächst eingehender mit der Frage auseinanderzusetzen gehabt, ob die Einkommensteuererklärung für das Jahr 1989 vom Erstmitbeteiligten unterschrieben worden ist. Die bloß laienhafte Feststellung, daß sich die (im Oktober 1989 geleistete) Unterschrift auf der Einkommensteuererklärung von den im Akt getätigten Unterschriften unterscheidet, reicht dazu nicht aus, zumal der Erstmitbeteiligte allem Anschein nach auch der deutschen Schrift nur begrenzt mächtig ist.

Ebenso wäre eine Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich gewesen, ob der Erstmitbeteiligte bei der Versicherung Collegialität einen Antrag auf Krankenversicherung gestellt hat, entsprechende Beiträge entrichtet und etwaige Leistungen von ihm in Anspruch genommen worden sind. In diesem Zusammenhang hätte sich die belangte Behörde auch nicht mit der Erklärung der S. Werbung zufrieden geben dürfen, daß die ihr vorgelegte Arbeitsbescheinigung gefälscht sei. Es wäre vielmehr auch zu klären gewesen, ob der Erstmitbeteiligte in der streitgegenständlichen Zeit jemals bei der S. Werbung tätig gewesen ist.

Schließlich wäre es auch an der belangten Behörde gelegen, den Erstmitbeteiligten zur Namhaftmachung weiterer Zeugen zu veranlassen, die bestätigen könnten, daß und bejahendenfalls in welchem Ausmaß er auch in der Zeit vom 1. August 1988 bis 18. November 1990 und am 31. Jänner 1992 für die E. GmbH tätig gewesen ist. Eine nähere Prüfung dieser Frage wäre schon im Hinblick auf die Höhe der letztlich zum Konkurs der E. GmbH führenden Beitragsnachforderung geboten gewesen.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Mängel zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebühren konnten wegen der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) nicht zugesprochen werden.

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