VwGH 95/12/0176

VwGH95/12/017624.11.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Germ und Dr. Riedinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Leitner, über die Anträge des Dr. J in W auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Dezember 1990, Zl. 89/12/0143, betreffend die vorzeitige Ruhestandsversetzung des Beschwerdeführers, abgeschlossenen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, den Beschluß gefaßt:

Normen

VwGG §45 Abs1;
VwGG §45 Abs1;

 

Spruch:

Gemäß § 45 Abs. 1 VwGG wird den Anträgen auf Wiederaufnahme des genannten Verfahrens nicht stattgegeben.

Begründung

Der Beschwerdeführer steht als Magistratsrat i.R. in einem öffentlich-rechtlichen Pensionsverhältnis zur Stadt Wien und ist rechtskundig im Sinne des § 24 Abs. 2 VwGG.

Mit Bescheid des Wiener Stadtsenates vom 11. Juli 1989 wurde der 1941 geborene Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 2 lit. a der Dienstordnung 1966 (DO) wegen Dienstunfähigkeit auf Grund psychischer bzw. habitueller Ursachen (insbesondere wegen mangelnder Einordnungs- und Einsichtsfähigkeit in rechtliche Zusammenhänge, die zu einer Störung des Dienstbetriebes führten) in den Ruhestand versetzt.

Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene und unter Zl. 89/12/0143 protokollierte Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof am 17. Dezember 1990 als unbegründet abgewiesen.

Gegen die mit dem vorher genannten Bescheid vom 11. Juli 1989 erfolgte Ruhestandsversetzung des Beschwerdeführers richten sich - genauso wie gegen die zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes - eine Vielzahl von Anträgen des Beschwerdeführers auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Zur Vermeidung entbehrlicher Wiederholungen wird im Sinne des § 43 Abs. 2 VwGG auf das vorher genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Dezember 1990 bzw. auf die Erkenntnisse vom 16. Dezember 1992, Zl. 91/12/0065, oder vom 8. Juni 1994, Zl. 92/12/0138, verwiesen.

Mit Schriftsatz vom 6. Juli 1995, protokolliert unter Zl. 95/12/0176, brachte der Antragsteller vor, der Senat 12 in der Zusammensetzung vom 17. Dezember 1990 habe seinem Antrag vom 6. März 1990 auf Einholung der Akten des Wiener Stadtsenates über die Sitzung am 11. Juli 1989 nicht entsprochen. Trotzdem sei im Erkenntnis ausgeführt worden:

"Was die mit Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 6. März 1990 aufgeworfene Frage der Willensbildung im Bereich der belangten Behörde und der Berechtigung zur Fertigung des angefochtenen Bescheides bzw der Beschlußfassung über die Gegenschrift betrifft, konnte der Verwaltungsgerichtshof nach Einsichtnahme in die entsprechenden Unterlagen nicht die vom Beschwerdeführers behauptete Rechtswidrigkeit vorliegend finden.

Meine Anmerkung hierzu:

Wird einem begründeten Antrag nicht entsprochen, der bezeichnete Akt eben nicht angefordert, dann kann auch wirklich nichts im Sinne des vom Antrag erfaßten Verfahrensthema gefunden werden. (Nämlich daß ein Einzelbeschluß in der Sache Pr.Z. 2013/89, welche im Verfahren 89/12/1243 zur Meta-Verfahrensbeurteilung Anlaß gab, weder durch die gemeinderätliche Personalkommission anläßlich der Vorberatung noch durch den Wr. Stadtsenat stattgefunden hatte (Siehe mein Vorbringen in den übrigen derzeit anhängigen Verfahren vor dem VwGHf)

Die entsprechenden Unterlagen lagen ihm nicht vor. Der

12. Senat verletzte hier offensichtlich seine Prüfpflichten."

Mit Schreiben vom 11. Oktober 1995, protokolliert unter Zl. 95/12/0264, brachte der Antragsteller vor:

"Die vom 12. Senat in seinem Erkenntnis vom 17.12.1990, Zl. 89/12/143-20 aufgestellte Norm bzw. Handlungsanweisung an die Normadressaten des Erkenntnisses auf Seite 30, wonach für die Prognoseentscheidung betreffend die zukünftige dauernde Dienstunfähigkeit als Rechtsvoraussetzung einer vorzeitigen Pensionierung der letzte Zustand maßgebend ist, blieb bisher auf der Sachverhaltsebene "ungesättigt".

Die naheliegende Vermutung für diesen Rechtsmangel eines Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes lag vorerst in einer zu vermutenden Erkenntnishemmung bestehend in einer Befangenheit.

Mit Beschluß vom 7. September 1995, Zl. 95/18/0861 wird durch einen anderen Senat erkannt, daß eine Befangenheit nicht vorliegen soll.

Die Gründe für den Rechtsmangel des Erkenntnisses sind daher wo anders zu vermuten, sodaß ich mich zur Hypothese veranlaßt sehe wie folgt und diese mit rationalen Gründen belege.

Um ein "Spiel" zu kennen, reicht es nicht aus, mit seinen Regeln vertraut zu sein; es bedarf darüberhinaus der Übung, des Erlernens einer Technik. Es folgt daraus: "Einen Satz verstehen, heißt eine Sprache verstehen. Eine Sprache verstehen, heißt eine Technik beherrschen."

(Phil. Untersuchungen v. L. Wittgenstein, Frankfurt a.M. 1977).

Nicht empirische Beobachtung, sondern "Verstehen" bildet hier das geeignete Mittel zur Erkenntnis von Sprache (metaphorisch hier: Spiel respektiv Wortlaut des Begründungstextes eines Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes Zl. 89/12/143-20, das von den Nachfolgesenaten als Prämisse bisher genommen worden war).

Um zu verstehen, warum eine Regel gilt (der letzte Zusand ist maßgeblich ...) muß das Vorwissen bestehen, daß Prognosen (da sie Hypothesencharakter haben) soweit wie möglich empirisch abgesichert werden müssen und dieses Ideal der empir. Wissenschaften ist dann erreicht, wenn vor allem der letzte Zeitraum datenmäßig im Prognosekalkül Niederschlag findet. (Eine Wetterprognose für die nächste Woche kann wohl auch nicht auf Grund von empirischen Daten aus einem Zeitraum vor einem Jahr erstellt werden, was für diesen Bereich ziemlich einleuchtend ist. Bei menschlichen Verhaltensweisen ist dies ja geradezu absurd, derartige Prognosen erstellen zu wollen.)

Ich vermute daher bei den Mitgliedern des 12. Senats in der Zusammensetzung vom 17.12.1990 ein mangelhaftes sozialempirisch fundiertes Wissen als Basis einer Verstehensvoraussetzung der von ihnen selbst erzeugten Norm und Handlungsanweisung ... "maßgeblich ist der letzte Zustand ..."

Ein Nichtwissen, das bisher zu meinen Lasten ging und erheblichen Schaden zufügte, der ja noch (durch eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes) beseitigt werden kann, wenn die Feststellung des Mangels, daß der normierte letzte Zustand bisher keine akten- und entscheidungsmäßige Deckung gefunden hatte, nunmehr getroffen wird. Der Zeitgeist (die öffentliche Meinung) spricht sich gegen derartige und noch dazu rechtswidrige vorzeitige Ruhestandsversetzungen aus.

Ich habe einen Rechtsanspruch auf Einhaltung dieser normativen Handlungsanweisung (letzter Zustand ist maßgeblich) gegenüber der belangten Behörde "erworben" auch wenn der Spruch der Meta-Entscheidung Zl 89/12/143-20 rechtens verfehlt ist, weil der Sachverhalt der angefochtenen Entscheidung nicht der ausgedrückten Norm im Einzelfall entsprach. Der 12. Senat ist an diese Handlungsanweisung ebenso gebunden wie jeder andere Senat. Der zwischen dem Spruch der Meta-Entscheidung und der in der Begründung ausgedrückten normativen Regel, wie bei Prognoseentscheidungen vorzugehen ist, bestehende logische und rechtliche Widerspruch ist durch andere Entscheidung ein leicht zu lösender, weil niemandem zugemutet werden kann, daß ein derartiger gravierender Widerspruch zwischen den Entscheidungsprämissen in Zukunft aufrechterhalten wird."

Dieses wörtlich wiedergegebene Schreiben des Antragstellers ist - auch wenn nicht ausdrücklich so bezeichnet - als Antrag auf Wiederaufnahme des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu deuten, weil es offensichtlich versucht, Mängel des Erkenntnisses Zl. 89/12/0143 aufzuzeigen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat beide Anträge wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Gemäß § 45 Abs. 1 VwGG ist die Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis oder Beschluß abgeschlossenen Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof auf Antrag einer Partei zu bewilligen, wenn

1. das Erkenntnis oder der Beschluß durch eine gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder

2. das Erkenntnis oder der Beschluß auf einer nicht von der Partei verschuldeten irrigen Annahme der Versäumnis einer in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Frist beruht, oder

3. nachträglich eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bekannt wird, die in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte, oder

4. im Verfahren vor dem Gerichtshof den Vorschriften über das Parteiengehör nicht entsprochen wurde und anzunehmen ist, daß sonst das Erkenntnis oder der Beschluß anders gelautet hätte, oder

5. das Verfahren vor dem Gerichtshof wegen Klaglosstellung oder wegen einer durch Klaglosstellung veranlaßten Zurückziehung der Beschwerde eingestellt, die behördliche Maßnahme, die die Klaglosstellung bewirkt hatte, jedoch nachträglich behoben wurde.

Der Antragsteller macht weder in den unter Zl. 95/12/0176 noch in den unter Zl. 95/12/0264 protokollierten Anträgen einen der im § 45 Abs. 1 VwGG genannten Wiederaufnahmegründe geltend. Das Wesen der Wiederaufnahme des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens liegt von vornherein nicht darin, daß der Verwaltungsgerichtshof seine eigenen Erkenntnisse und Beschlüsse so wie die Bescheide der Verwaltungsbehörden (neuerlich) überprüft, sondern er kann das Verfahren nur unter einer der Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 VwGG wiederaufnehmen (vgl. in diesem Sinne beispielsweise den Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Juni 1994, Zlen. 93/12/0095, 0096, und die dort weiters angegebene Rechtsprechung). Selbst eine behauptete unrichtige Anwendung von Rechtsvorschriften durch den Verwaltungsgerichtshof kann - nur in Verbindung mit einem der Tatbestände des § 45 Abs. 1 VwGG - zur Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof führen. Ein solcher Sachverhalt, der einem der Tatbestände des § 45 Abs. 1 VwGG zu unterstellen wäre, ist aber weder dem Antrag vom 6. Juli noch dem vom 11. Oktober 1995 zu entnehmen.

Was den vom Antragsteller erhobenen Vorwurf der Nichteinholung von Akten betrifft, ist darüber hinaus noch zu bemerken, daß der Verwaltungsgerichtshof unter Hinweis auf die Gegenäußerung des Antragstellers vom 6. März 1990 die Vorlage dieser Akten seinerzeit im kurzen Wege verlangt und die Behörde dem auch entsprochen hatte.

Hinsichtlich des Vorwurfes, es sei angeblich nicht auf den maßgeblichen letzten Zustand abgestellt worden, geht der Antragsteller von einem zu kurzen Betrachtungszeitraum aus. Er will offenbar den wahren Grund seiner Ruhestandsversetzung, der in der Frage seiner Dienstunfähigkeit auf Grund psychischer und habitueller Ursachen (mangelnde Einordnungs- und Einsichtsfähigkeit - siehe die einleitenden Ausführungen) von der Behörde gesehen worden ist, nicht zur Kenntnis nehmen. Diese Wertung der Behörde war auf Sachverhaltsfeststellungen über einen langen, nahezu die gesamte A-Verwendung des Antragstellers umfassenden Zeitraum gestützt worden.

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