Normen
AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak, der am 17. Dezember 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist, hat seinen am 17. Dezember 1991 gestellten Asylantrag bei seiner Befragung am 12. März 1992 vor der Bundespolizeidirektion Wien damit begründet, er sei seit 1989 Mitglied der verbotenen "Assyrischen Demokratischen Partei". Assyrer zu sein, sei im Irak lebensbedrohlich. Er habe an öffentlichen Orten Flugblätter an Assyrer verteilt, sei bemüht gewesen, Mitglieder zu werben, und habe Bestrebungen zur Gründung einer Widerstandsbewegung unterstützt. Auf Grund einer Anzeige sei der Beschwerdeführer wegen seiner Parteimitgliedschaft für drei Monate inhaftiert worden. Auch wegen seiner Zugehörigkeit zur christlich assyrischen Religionsgemeinschaft sei er so wie alle anderen Angehörigen von Minderheiten verfolgt worden. Gotteshäuser, Wohnraum und auch Felder seien zerstört worden. Die Familie des Beschwerdeführers sei 1986 vertrieben und in das Lager Agrah eingewiesen worden. Er selbst habe - aus Sicherheitsgründen unter falscher Identität - in den Jahren 1985 bis 1990 als Geschäftsführer in Restaurants seines Bruders arbeiten können. Einem im Jahr 1985 ergangenen Einberufungsbefehl habe er nicht Folge geleistet, weshalb er eine dreimonatige Haftstrafe habe verbüßen müssen. Aus diesen Gründen sei für ihn ein geordnetes Leben nicht möglich gewesen; er habe auch wegen des Verschwindens seines Onkels im Jahre 1986 in ständiger Angst vor Inhaftierung bzw. davor, irgendwie beseitigt zu werden, gelebt. Er habe um die Ausstellung eines Reisedokumentes angesucht, doch sei die einzige Möglichkeit für die Reise nach Europa die Zuhilfenahme eines Schleppers gewesen.
Mit Bescheid vom 25. August 1992 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien fest, beim Beschwerdeführer lägen die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer sein bisheriges Vorbringen und machte ergänzend geltend, er sei während seines im Anschluß an die dreimonatige Haft abgeleisteten Militärdienstes im Zuge des Golfkrieges desertiert. Er habe sich zu seinen Eltern begeben, sei aber nach fünfzehn Tagen in die Türkei geflüchtet, weil sein Aufenthalt in Agrah unsicher geworden sei. Im Fall seiner Rückkehr müsse er mit der Todesstrafe rechnen. Hinzu komme, daß er als Angehöriger der Assyrischen Minderheit mit einem "Malus" behaftet sei, der bei der Bestrafung wegen Desertion schwerer wiege, sodaß mit einer exzessiven Bestrafung zu rechnen sei.
Mit Bescheid vom 28. August 1994 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 25 Abs. 1 Asylgesetz 1991 sind am 1. Juni 1992 in erster Instanz anhängige Verfahren nach der bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geltenden Rechtslage zu Ende zu führen. Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen sind am 1. Juni 1992 beim Bundesministerium für Inneres anhängige Verfahren nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen.
Entgegen der Ansicht der belangten Behörde, sie habe bereits das Asylgesetz 1991 anzuwenden gehabt, ergibt sich aus dem Umstand, daß das Verfahren infolge Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides am 4. September 1992 (dies ist das Datum der Übernahme des erstinstanzlichen Bescheides durch den Beschwerdeführer) am 1. Juni 1992 noch nicht bei ihr anhängig war, die Rechtsfolge, daß sie verpflichtet gewesen wäre, das Asylgesetz (1968) anzuwenden (vgl. für viele andere insbesondere das hg. Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831). Daraus, daß die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat, ist dem Beschwerdeführer, der dieses Vorgehen der belangten Behörde nicht gerügt hat, zunächst insoweit kein Rechtsnachteil erwachsen, als die belangte Behörde zu ihrer Entscheidung deshalb gelangt ist, weil sie seine Flüchtlingseigenschaft gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 beurteilt hat, wobei diese Bestimmung keine inhaltliche Änderung gegenüber dem nach § 1 Asylgesetz (1968) in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention geltenden Flüchtlingsbegriff darstellt. Auch wurde der Beschwerdeführer nicht deshalb in seinen Rechten verletzt, weil die belangte Behörde in (fälschlicher) Anwendung des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 etwa nicht auf sein Berufungsvorbringen eingegangen wäre. Vielmehr ist die Behörde zumindest zum Teil auf dieses Vorbringen eingegangen und hat sich insbesondere mit der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Desertion und der hiezu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auseinandergesetzt. Hiebei kann der belangten Behörde allerdings nicht gefolgt werden, wenn sie der Ansicht ist, die Strenge und Art der angedrohten Strafe sei auch deshalb nicht maßgeblich, weil der Beschwerdeführer sich einer eventuellen Bestrafung durch seine "Deliktsetzung der Desertion bzw. Wehrdienstverweigerung selbst wissentlich ausgesetzt" habe. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde liegt es wohl im Wesen der Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion wie auch von politischen Delikten, daß derjenige, der eine solche Tat begeht, dies wissentlich und in Kenntnis der Strafdrohung tut. Für die Frage der Relevanz der Höhe einer derartigen Strafdrohung kann daher der Umstand, daß die Tat wissentlich begangen wurde, kein asylrechtlich relevantes Beurteilungskriterium darstellen.
Der belangten Behörde ist beizupflichten, wenn sie die Furcht vor Ableistung des Militärdienstes bzw. die Verweigerung desselben oder Desertion grundsätzlich nicht als Umstand erachtet, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigen würde, da die Militärdienstpflicht alle in einem entsprechenden Alter befindlichen davon betroffenen Staatsbürger in gleicher Weise trifft. Allerdings kann der Flucht aus diesen Gründen dann Relevanz im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention zukommen, wenn die Einberufung aus einem der in dieser Konvention angeführten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen eine drohende allfällige Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen gewesen wäre (vgl. zum gesamten das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Juni 1994, Zl. 93/01/0377).
Der Beschwerdeführer hat im Zusammenhang mit seiner Desertion auch geltend gemacht, die ihm deswegen drohende Bestrafung werde deshalb exzessiv sein, weil er "als Angehöriger der assyrischen Minderheit mit einem "Malus" behaftet" sei, "der bei Bestrafung wegen Desertion schwerer" wiege. Mit dieser Behauptung hat sich die belangte Behörde nur insoweit auseinandergesetzt, als sie die Auffassung vertreten hat, die lediglich drei Monate dauernde Inhaftierung des Beschwerdeführers wegen Wehrdienstverweigerung lasse nicht auf eine rigoros angewandte harte Bestrafung schließen. Diese Ausführungen halten aber einer Schlüssigkeitsprüfung in bezug auf die vom Beschwerdeführer befürchtete Bestrafung wegen während des Golfkrieges begangenen Desertion nicht stand, weil die Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung keinen Rückschluß auf eine Bestrafung wegen Desertion während eines Krieges zuläßt. Auch kann ohne Ermittlungen darüber, ob die dem Beschwerdeführer auferlegte Strafe wegen Wehrdienstverweigerung im Rahmen der in solchen Fällen auch gegen andere Staatsangehörige verhängten Strafen lag, nicht darauf geschlossen werden, der Beschwerdeführer werde auch wegen des Deliktes der Desertion nicht strenger als andere Staatsangehörige bestraft. Damit sind aber Ermittlungen bzw. entsprechend belegte Feststellungen zu einem im Lichte der angeführten Judikatur bedeutsamen Sachvorbringen unterblieben, und es ist somit auch der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben.
Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufgehoben werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
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