VwGH 94/20/0639

VwGH94/20/063927.6.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Händschke, Dr. Köhler und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. April 1994, Zl. 4.284.244/9-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

VwGG §42 Abs2 litc Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita impl;
VwGG §42 Abs2 litc Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita impl;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste am 14. August 1989 in das Bundesgebiet ein und stellte noch am selben Tage den Antrag, ihm Asyl zu gewähren.

Mit Erledigung vom 22. Februar 1990 durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle. Gegen diese - offenbar mangels entsprechender Unterfertigung als Nichtbescheid zu qualifizierende - Erledigung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich erhob der Beschwerdeführer fristgerecht am 11. April 1990 Berufung, die er jedoch mit Schriftsatz vom 4. Juli 1991 zurückzog unter gleichzeitiger Geltendmachung des Übergangs der Entscheidungspflicht an die belangte Behörde gemäß § 73 Abs. 1 AVG. Da die belangte Behörde innerhalb von sechs Monaten über diesen Antrag nicht entschied, erhob der Beschwerdeführer Säumnisbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, der der belangten Behörde mit Verfügung vom 1. April 1992 zu Zl. 92/01/0362, die Erlassung des versäumten Bescheides binnen drei Monaten auftrug. Innerhalb der gesetzten Frist erließ die belangte Behörde den Bescheid vom 30. Juni 1992, mit dem der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 3 AsylG 1991 abgewiesen wurde. Infolge der dagegen gerichteten Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 9. September 1993, Zl. 92/01/1028, den bekämpften Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof nunmehr bekämpften Ersatz-Bescheid wies die belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers vom 14. August 1989 gemäß § 3 AsylG 1991 neuerlich ab. Sie ging dabei von der Anwendbarkeit des Asylgesetzes 1991 auf Grund dessen § 25 Abs. 2 erster Satz leg. cit. aus, da das Asylverfahren des Beschwerdeführers "am bzw. nach dem 1. Juni 1992 beim Bundesministerium für Inneres anhängig war" und verneinte die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 1 Z. 1 leg. cit. Mit der vorliegenden Beschwerde bekämpft der Beschwerdeführer diesen gemäß § 73 Abs. 2 AVG im Devolutionswege ergangenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete, von diesem gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG mit Beschluß vom 25. August 1994, B 1073/94-7, abgetretene Beschwerde (nach Ablehnung von deren Behandlung mit Beschluß vom 2. Juli 1994) erwogen:

Gemäß der Verfassungsbestimmung des § 25 Abs. 1 erster Satz AsylG 1991 sind am 1. Juni 1992 in erster Instanz anhängige Verfahren nach der bis zum Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geltenden Rechtslage zu Ende zu führen. Abs. 2 der zitierten Gesetzesbestimmung bestimmt, daß am 1. Juni 1992 beim Bundesminister für Inneres anhängige Verfahren nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen sind. Anders als der Verfassungsgerichtshof (vgl. dessen Erkenntnis vom 16. Dezember 1992, B 1387, 1542/92) vertritt der Verwaltungsgerichtshof seit dem Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, daß § 25 Abs. 1 und 2 jeweils erster Satz AsylG 1991 für die Übergangszeit nicht nur die Behördenzuständigkeit festlegen, sondern auch eine Aussage über das von der Behörde jeweils anzuwendende (materielle) Recht getroffen wird.

Die belangte Behörde hat im vorliegenden Falle auf Grund des Devolutionsantrages des Beschwerdeführers gemäß § 73 Abs. 2 AVG nicht als Rechtsmittelinstanz, sondern funktionell als Behörde erster Instanz entschieden (vgl. hg. Erkennntnis eines verstärkten Senates vom 19. Oktober 1979, Zl. 992/78, Slg. 9950/A). Als Asylbehörde erster Instanz hatte sie aber im Sinne des § 25 Abs. 1 erster Satz AsylG 1991 das Asylgesetz (1968) anzuwenden (vgl. auch hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 1995, Zl. 94/19/0248). In der Anwendung des unrichtigen Gesetzes konnte jedoch für den Beschwerdeführer allein noch kein Nachteil liegen, da sich die belangte Behörde mit der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers im Sinn des § 1 Z. 1 AsylG 1991 auseinandergesetzt hat, die inhaltlich gegenüber dem Flüchtlingsbegriff des richtigerweise anzuwenden gewesenen Asylgesetzes (1968) in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention keine Änderung erfahren hat. Anders als im hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 1994, Zl. 94/19/0235, konnte sich überdies im Beschwerdefall die Aufhebung des Wortes "offenkundig" in § 20 Abs. 2 AsylG 1991 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, Zl. G 92, 93/94, nicht auswirken, weil diese Bestimmung nur im BERUFUNGSverfahren anzuwenden war.

Es ist daher auf die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde einzugehen.

Der Beschwerdeführer hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 24. Oktober 1989 angegeben, er sei seit dem Jahre 1984 Sympathisant der Modjahedin und aktives Mitglied gewesen. Er habe an verschiedenen Orten Parolen geschrieben und Flugzettel verteilt. Gemeinsam mit sieben anderen Freunden sei er einmal festgenommen und verhört und dabei geschlagen worden. Er habe sich danach wieder entfernen dürfen. Anfang März (gemeint: 1989) sei er von Revolutionswächtern festgenommen und an einen unbekannten Ort gebracht worden, wo man ihn ebenfalls geschlagen habe. Zu diesem Zeitpunkt habe er einige Flugzettel bei sich gehabt, die von den Beamten auch gefunden worden seien, worauf man ihn mißhandelt habe, bis er fast bewußtlos geworden sei. Als er wieder zu sich gekommen sei, sei er nach Hause gelaufen und von dort nach Teheran gefahren, um vor den Revolutionswächtern Ruhe zu haben. Während des mehrtägigen Aufenthaltes in Teheran habe er seine Flucht in den Westen geplant, die dann mit Hilfe eines türkischen Lastkraftwagenfahrers gelungen sei. In seiner zurückgezogenen Berufung gegen die Erledigung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 22. Februar 1990, führte der Beschwerdeführer aus, sich ab 1986 nach Ablegung der Matura bei den Modjahedin betätigt zu haben; im Jahr 1986 habe man ihn gegen seinen Willen zum Militärdienst eingezogen, wo er mit seiner ganzen Kraft gegen das Regime agiert habe.

Gleichgesinnte hätten mit ihm ein Soldatenkomitee gebildet. Diese Aktivität sei Anlaß dafür gewesen, daß man ihn mehrmals festgenommen und in der Folge ständig, auch nach Beendigung des Militärdienstes, verfolgt habe. Täglich sei der Druck stärker geworden, bis er ihn nicht mehr habe aushalten können. Er sei depressiv und hoffnungslos geworden.

Flüchtling im Sinn des AsylG (1968) ebenso wie nach § 1 Abs. 1 Z. 1 AsylG 1991 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Grundsätzlich ist eine Partei trotz der Amtswegigkeit des Verwaltungsverfahrens zur Mitwirkung verpflichtet (vgl. VwSlg. 5007/A). Dieser Mitwirkungspflicht kommt insbesondere dort Bedeutung zu, wo amtswegigen Erhebungen faktische Grenzen gesetzt sind, d.h. wo es der Behörde nicht möglich ist, von sich aus und ohne Mitwirkung der Partei tätig zu werden, was insbesondere bei jenen, in der Person des Antragstellers gelegenen Voraussetzungen der Fall sein wird, deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann. Der diesbezüglichen Verfahrensrüge des Beschwerdeführers kommt daher keine Berechtigung zu, weil er in den bisherigen Verfahrensstadien ausreichend Gelegenheit gehabt hat bzw. gehabt hätte, den - aus seiner Sicht - vollständigen Sachverhalt lückenlos darzulegen.

Zu den vom Beschwerdeführer unter dem Beschwerdepunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemachten Aktenwidrigkeiten ist zunächst grundsätzlich festzuhalten, daß eine Aktenwidrigkeit nur dort vorliegt, wo Feststellungen der Behörde im Akteninhalt keine Deckung finden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. September 1992, Zl. 92/01/0466). Eine aktenwidrige Feststellung liegt jedenfalls nicht schon dann vor, wenn die Behörde einen Sachverhalt feststellt, der mit dem Vorbringen der Partei in Widerspruch steht (vgl. hg. Erkenntnis vom 20. September 1956, Slg. Nr. 4247/A). Die bei der vorzunehmenden Beweiswürdigung für die belangte Behörde maßgebenden Erwägungen hat sie aber im angefochtenen Bescheid entsprechend der Bestimmung des § 60 AVG ausführlich dargelegt. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Beweiswürdigung durch die belangte Behörde aber nur insoweit einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich, als es sich um die Prüfung handelt, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist, d. h. ob das Verfahren, das die Grundlage für die Schlußfolgerungen der Behörde geliefert hat, in gesetzmäßiger Weise abgewickelt wurde, und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind, d.h. ob sie u.a. den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut entsprechen. Ob der Akt der Beweiswürdigung aber auch richtig in dem Sinn ist, daß ihr Ergebnis den Tatsachen entspricht, kann der Verwaltungsgerichtshof auf Grund seiner eingeschränkten Prüfungsbefugnis in einem Verfahren über eine Bescheidbeschwerde nicht überprüfen (vgl. dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053, u. v.a.). Der belangten Behörde kann aber mit Erfolg nicht darin entgegengetreten werden, wenn sie aus den in wesentlichen Punkten divergierenden Angaben des Beschwerdeführers den Schluß gezogen hat, diesem komme Glaubwürdigkeit nicht zu, erscheinen doch seine Schilderungen zu jenen Gründen, die ihn zum Verlassen seiner Heimat veranlaßt hatten, anläßlich seiner Ersteinvernahme einerseits sowie in seiner Berufungsschrift andererseits gänzlich unterschiedlich.

Aus diesen Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

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