VwGH 94/19/1388

VwGH94/19/138831.8.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pokorny und die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Bachler, Dr. Dolp und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des O in M, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. September 1994, Zl. 4.332.739/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;
AsylG 1991 §16 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs1;
AsylG 1991 §20 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, ist am 17. Oktober 1991 in das Bundesgebiet eingereist und hat am 18. Oktober 1991 den Antrag auf Asylgewährung gestellt. In seiner niederschriftlichen Einvernahme gab er am 4. März 1992 an: Sein Vater sei Stammeshäuptling der Edo in Oza gewesen und samt seiner Mutter im Jahre 1991 von unbekannten Personen aus dem Stamm der Edo ermordet worden. Als ältester Sohn hätte der Beschwerdeführer Stammeshäuptling in Oza werden sollen, Mitglieder der Edo hätten dies jedoch nicht zulassen und eine andere Familie in dieses Amt einsetzen wollen. Es sei zu einem Kampf zwischen Anhängern und Gegnern seines Vaters gekommen. Als er bemerkt habe, daß sein Leben in Gefahr sei, sei er zu seinem Onkel nach Lagos geflüchtet. Dort habe er sich von Februar 1991 bis Juli 1991 versteckt gehalten. Sein Onkel, Inhaber einer großen Firma, sowie andere Stammesangehörige hätten ihm geraten das Land zu verlassen, weil sie zur Ansicht gekommen seien, daß es für ihn besser wäre. Es seien bei Stammeskämpfen bereits mehrfach Personen ums Leben gekommen. So wisse er von einem kleinen Jungen, welcher nach England geflüchtet sei. Der Beschwerdeführer sei im September per Flug von Lagos über Malta und "Sophia" nach Bukarest gereist, wo er sich bis 14. Oktober 1991 aufgehalten habe.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien stellte mit Bescheid vom 11. März 1992 fest, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 55/1955 unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. Nr. 78/1974 nicht erfülle.

In der dagegen erhobenen Berufung wiederholte der Beschwerdeführer die im erstinstanzlichen Verfahren gemachten Angaben und fügte hinzu, daß er auch in Lagos nicht sicher gewesen sei, denn er habe gewußt, die Stammesangehörigen würden ihn suchen um ihn nach Oza zu schleppen. Von der Polizei habe er keinen Schutz erwarten dürfen und können, weil die Polizei viel zu schwach sei. Auch wenn "in Oza ein Verfahren für ihn gemacht werden würde", seine Sicherheit und sein Leben würden hier nicht gewährleistet sein. Es gebe in fünf Landesteilen Edo-Angehörige. Er hätte Angst gehabt, daß sie ihn doch eines Tages finden würden.

Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde, welche Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht, erwogen:

Insofern der Beschwerdeführer im Hinblick auf § 16 Abs. 1 in Verbindung mit § 20 Abs. 2 Asylgesetz der belangten Behörde vorwirft, sie habe eine Ergänzung des Ermittlungsverfahrens unterlassen, ist ihm zu entgegnen, daß die Bestimmung des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 im Zusammenhalt mit der Bestimmung des § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991, nach welcher der Bundesminister für Inneres über eine zulässige Berufung in jedem Fall in der Sache selbst zu entscheiden hat, wobei er seiner Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen hat, zu sehen ist. Eine Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens ist lediglich dann anzuordnen, wenn das erstinstanzliche Ermittlungsverfahren mangelhaft war, der Asylwerber Bescheinigungsmittel vorlegt, die ihm im Verfahren vor dem Bundesasylamt nicht zugänglich waren, oder wenn sich der entscheidungsrelevante Sachverhalt in der Zwischenzeit geändert hat. Das bedeutet, daß für den Umfang der Ermittlungspflicht zunächst das erstinstanzliche Vorbringen des Beschwerdeführers maßgeblich ist.

§ 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 bestimmt, daß die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden ist, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. aus vielen abermals das hg. Erkenntnis vom 25. April 1995, Zl. 95/20/0112).

Der Beschwerdeführer hat in erster Instanz lediglich vorgebracht, daß er das Land auf Anraten seines Onkels und anderer Stammesangehöriger verlassen habe, jedoch hat er keine Erwähnung derart gemacht, daß er sich den staatlichen Behörden deshalb nicht anvertraut habe, weil er von diesen keinen Schutz erwarten durfte oder konnte. Somit bietet das erstinstanzliche Vorbringen keinen Ansatzpunkt für die Annahme mittelbarer staatlicher Verfolgung, weshalb der Erstbehörde in der Unterlassung diesbezüglicher Ermittlungen kein Vorwurf gemacht werden kann. Der Beschwerdeführer relevierte weder in der Berufung noch in der Beschwerde zutreffende Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, er hat insbesondere nicht behauptet, daß er Angaben betreffend mittelbarer staatlicher Verfolgung bereits bei der Ersteinvernahme gemacht hätte und diese unvollständig oder unrichtig übersetzt worden wären. Deshalb war die belangte Behörde an das Ermittlungsverfahren erster Instanz gemäß § 20 Abs. 1 AsylG 1991 gebunden.

Doch selbst unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens, in dem der Beschwerdeführer die Möglichkeit staatlichen Schutzes anspricht, ist für ihn nichts gewonnen, kann doch auch ein hochentwickelter Staat gegen Übergriffe nichtstaatlicher Kräfte keinen absoluten Schutz des Lebens und der Sicherheit gewährleisten, ohne daß darin eine staatliche oder dem Staat zurechenbare - asylrechtlich relevante - Verfolgung gelegen wäre.

Wenn die Beschwerde in diesem Zusammenhang nunmehr ausführt, daß staatliche Stellen nicht gewillt gewesen seien, die Verfolgungen, die der Beschwerdeführer von den Gegnern seines Vaters zu befürchten hatte, hintanzuhalten, so ist dieses - die bisherigen Angaben des Beschwerdeführers übersteigende - Vorbringen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG unbeachtlich.

Der Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei keiner asylbegründenden Verfolgungshandlung im Sinne der Fluchtgründe der Genfer Flüchtlingskonvention unterlegen, kann daher nicht mit Erfolg entgegengetreten werden.

Bei diesem Ergebnis brauchte auf die von der Behörde ebenfalls zur Begründung herangezogene inländische Fluchtalternative in Lagos und die vom Beschwerdeführer hiegegen gemachten Ausführungen nicht eingegangen zu werden.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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