VwGH 94/10/0130

VwGH94/10/013029.3.1995

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Fichtner, über die Beschwerde des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Liezen vom 4. Juli 1994, Zl. 8.1 -B 407 - 94, betreffend Rodungsbewilligung (mitbeteiligte Parteien: K und RB in L), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §52;
AVG §58 Abs2;
ForstG 1975 §17 Abs2;
ForstG 1975 §17 Abs3;
ForstG 1975 §17 Abs4;
ForstG 1975 §17 idF 1987/576;
ForstG 1975 §17;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §52;
AVG §58 Abs2;
ForstG 1975 §17 Abs2;
ForstG 1975 §17 Abs3;
ForstG 1975 §17 Abs4;
ForstG 1975 §17 idF 1987/576;
ForstG 1975 §17;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Mit Eingabe vom 10. Juni 1994 beantragten die Mitbeteiligten die Erteilung einer Rodungsbewilligung für einen 30 m breiten, eine Fläche von 1200 m2 umfassenden Streifen im nördlichen Teil ihres Waldgrundstückes 565/1 der KG L. laut beiliegendem Lageplan "zwecks gewerblichen Interesses eines Nachbarn". Hinweise auf ein konkretes Vorhaben enthält der Antrag nicht.

Mit dem angefochtenen Bescheid erteilte die BH dem Mitbeteiligten die Bewilligung, Waldboden auf dem Grundstück Nr. 565/1 KG L. im Ausmaß von 1200 m2 entsprechend dem mit einem Sichtvermerk versehenen Lageplan zum Zwecke der baulichen Nutzung zu roden. Begründend wurde dargelegt, die Mitbeteiligten hätten um Erteilung der Rodungsbewilligung "zum Zwecke der baulichen Nutzung" angesucht. Das Waldgrundstück habe ein Gesamtausmaß von 6842 m2. Die Rodefläche sei derzeit mit FI, LBH Mischbestand ca. 40-jährig bestockt. Die angrenzenden Flächen seien im Osten und Süden Wald, im Norden Bauland und im Westen öffentliche Straße und landwirtschaftliche Nutzfläche. Das Bewaldungsprozent betrage "in der KG 66,85 % und in der OG 68,90 %". Die Waldflächenverteilung und Waldflächenbilanz sei positiv. Es sei daher keine Ersatzaufforstung bzw. Ersatzgeldleistung vorzuschreiben. Laut genehmigtem Waldentwicklungsplan sei die Nutzfunktion als Leitfunktion ausgewiesen. Durch die Rodung werde nachbarlicher Wald einer offensichtlichen Windgefährdung nicht ausgesetzt. Am nördlichen Rand der Rodefläche verlaufe eine Telefonleitung. Der Gutachter habe unter Berücksichtigung der gegebenen forstlichen Verhältnisse und mit Bedacht auf eine die erforderlichen Wirkungen des Waldes gewährleistende Waldausstattung bei Einhaltung der Auflagen und Bedingungen aus forsttechnischer Sicht keinen Einwand gegen die Erteilung der Rodungsgenehmigung erhoben. Die Gemeinde L. habe in ihrer Stellungnahme darauf hingewiesen, daß das für die Rodung vorgesehene Teilstück des Waldgrundstückes im Flächenwidmungsplan der Gemeinde im Ausmaß von 1200 m2 als "L (WA) 0,1 bis 0,3" ausgewiesen sei. Für eine spätere Erweiterung dieser Baulandausweisung gebe es seitens der Gemeinde bzw. der Landesregierung keine Einwendungen. Auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, insbesondere des schlüssigen Gutachtens des forsttechnischen Amtssachverständigen und der Stellungnahme der Gemeinde L. ergebe sich für die Forstbehörde, daß ein öffentliches Interesse an der Verwendung der gegenständlichen Waldfläche zum beantragten Zweck bestehe und dieses das öffentliche Interesse an der Erhaltung dieser Fläche als Wald überwiege.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 170 Abs. 8 ForstG gestützte Beschwerde.

Die belangte Behörde und die Mitbeteiligten haben Gegenschriften erstattet, in denen die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 17 Abs. 1 ForstG ist die Verwendung von Waldboden zu anderen Zwecken als für solche der Waldkultur (Rodung) verboten. Die Forstbehörde kann aber gemäß Abs. 2 dieser Gesetzesstelle eine Bewilligung zur Rodung erteilen, wenn ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche das öffentliche Interesse an der Erhaltung derselben als Wald überwiegt. Nach § 17 Abs. 3 leg. cit. können öffentliche Interessen im Sinne des Abs. 2 insbesondere in der umfassenden Landesverteidigung, im Eisenbahn-, Luft- und öffentlichen Straßenverkehr, im Post- und öffentlichen Fernmeldewesen, im Bergbau, im Wasserbau, in der Energiewirtschaft, in der Agrarstrukturverbesserung sowie im Siedlungswesen begründet sein. Gemäß § 17 Abs. 4 leg. cit. hat die Behörde bei Abwägung der öffentlichen Interessen im Sinne des Abs. 2 insbesondere auf eine die erforderlichen Wirkungen des Waldes gewährleistende Waldausstattung Bedacht zu nehmen; ferner sind unter diesen Voraussetzungen die Zielsetzungen der Raumordnung zu berücksichtigen.

§ 17 ForstG verpflichtet die Forstbehörde zu einer Interssenabwägung. Eine solche Interessenabwägung setzt voraus, daß festgestellt wird, ob und in welchem Ausmaß ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche besteht und welches Ausmaß das öffentliche Interesse an der Walderhaltung aufweist. Im Zuge der von § 17 vorgeschriebenen Interessenabwägung ist auch zu prüfen, ob für das Vorhaben, um das es geht, die Inanspruchnahme von Waldflächen überhaupt und bejahendenfalls in welchem Umfang erforderlich ist (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Dezember 1994, Zl. 94/10/0136, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Der angefochtene Bescheid entspricht den dargelegten Anforderungen nicht. Zunächst ist den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen, daß die belangte Behörde - entsprechend ihrer Pflicht zur amtswegigen Sachverhaltsermittlung - die Mitbeteiligten zu konkreten Angaben über jenes Vorhaben, das den angestrebten Rodungszweck verwirklichen soll, aufgefordert hätte. Damit fehlte eine konkrete Grundlage für die vorgeschriebene Interessenabwägung; ausreichend konkrete Feststellungen, inwieweit durch das Vorhaben ein Rodungszweck im Sinne des Gesetzes verwirklicht wird, und eine darauf aufbauende Interessenabwägung fehlen im angefochtenen Bescheid (daher) zur Gänze. Der bloße, nicht weiter auf ein konkretes Vorhaben und dessen Zusammenhang mit der Verwirklichung öffentlicher Interessen im Sinne des § 17 Abs. 2 und 3 ForstG bezogene Hinweis auf eine "bauliche Nutzung" der Rodefläche stellt keine dem Gesetz entsprechende Begründung einer Interessenabwägung im Sinne des § 17 Abs. 2 bis 4 dar. Die Darlegungen der Gegenschriften vermögen im Verwaltungsverfahren durchgeführte Ermittlungen und darauf aufgebaute Darlegungen der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zu ersetzen. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Im Hinblick auf die Darlegungen der Gegenschriften, die - wenngleich wiederum ohne ausreichende Bezugnahme auf ein konkretes Vorhaben, dessen Beschreibung Voraussetzung einer dem Gesetz entsprechenden Begründung einer Rodungsbewilligung wäre - auf im Siedlungswesen begründete öffentliche Interessen (im Zusammenhang mit der Errichtung einer Garage) und die Ausweisung der Fläche im Flächenwidmungsplan Bezug nehmen, sind aus Gründen der Prozeßökonomie folgende Hinweise geboten:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein im Siedlungswesen begründetes öffentliches Interesse jedenfalls dann vor, wenn Grundflächen der Verwirklichung eines nach dem Flächenwidmungsplan zulässigen Bauvorhabens dienen sollen. Dieser Umstand vermag aber noch nicht das Überwiegen dieses öffentlichen Interesses gegenüber jenem an der Walderhaltung zu begründen. Selbst wenn nämlich die Rodungsfläche in einem bereits bestehenden Flächenwidmungsplan der Gemeinde als Bauplatz ausgewiesen ist, bedeutet dies noch nicht, daß eine Verwirklichung dieser anderen Widmung entgegen dem Grundsatz der Walderhaltung auf jeden Fall zulässig wäre; es hat vielmehr die Forstbehörde festzustellen, ob die erforderliche Rodungsbewilligung auf Grund der forstrechtlichen Vorschriften als im öffentlichen Interesse gelegen zu erteilen ist. Die Verwirklichung der von der Gemeinde vorgesehenen anderen Verwendung einer Waldfläche ist in jedem Fall von der Entscheidung der Forstbehörde abhängig, die auf einer dem Gesetz entsprechenden Interessenabwägung beruhen muß (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 18. April 1994, Zl. 94/10/0007, und vom 19. Dezember 1994, Zl. 94/10/0136, sowie die dort jeweils zitierte Vorjudikatur).

Eine solche Interessenabwägung erfordert insbesondere die Feststellung der Tatsachen, die zur Festlegung der Baulandwidmung geführt haben (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 25. November 1991, Zl. 89/10/0037, und die dort jeweils angeführte Vorjudikatur). Im Zusammenhang mit der Errichtung einer Garage hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß diese ein öffentliches Interesse von einem Ausmaß begründen kann, das das öffentliche Interesse an der Walderhaltung überwiegt; dies jedoch nur dann, wenn keine andere Möglichkeit zum Abstellen von Kraftfahrzeugen zur Verfügung steht, wobei auch ein Abstellen im Freien in Erwägung zu ziehen ist, sofern nicht besondere Umstände dies als unzumutbar erscheinen lassen und wenn das Vorhaben nicht ohne Inanspruchnahme vom Waldboden verwirklicht werden kann (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 8. November 1978, Zl. 125/77, und vom 30. April 1992, Zl. 91/10/0191).

Weiters ist darauf hinzuweisen, daß die gesetzlich gebotene Bedachtnahme insbesondere auf eine die erforderlichen Wirkungen des Waldes gewährleistende Waldausstattung zwingend Ausführungen über die gegebene Waldausstattung einerseits und über die Wirkungen des Waldes auf der zur Rodung beantragten Fläche in bezug auf diese Fläche und den umgebenden Wald andererseits verlangt, weil erst dadurch die Gewichtung des Interesses an der Walderhaltung auf der betreffenden Fläche ermöglicht wird. Ein Gutachten, das zwar die im Waldentwicklungsplan festgelegte Wertziffer und das "Bewaldungsprozent" nennt, die Wirkungen des Waldes auf der zur Rodung beantragten Fläche aber nicht beschreibt, kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine taugliche Grundlage für die Interessenabwägung bieten (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 15. Mai 1991, Zl. 91/10/0001, und vom 19. Dezember 1994, Zl. 94/10/0136).

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