VwGH 94/19/0599

VwGH94/19/059925.11.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Kremla, Dr. Stöberl, Dr. Holeschofsky und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des P in H, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. April 1993, Zl. 4.322.259/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §19 Abs1 Z2;
AVG §39 Abs2;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;
AsylG 1991 §19 Abs1 Z2;
AVG §39 Abs2;
ZustG §8 Abs1;
ZustG §8 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inners vom 7. April 1993 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen der "ehemaligen UdSSR", abgewiesen. Hiezu wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 2. Oktober 1991, mit dem festgestellt worden sei, daß er die Voraussetzungen des Art. I Abschnitt A der Konvention über die Rechtstellung der Flüchtlinge nicht erfülle, fristgerecht berufen. Er habe die letzte der Behörde bekannte Adresse verlassen, ohne der Behörde eine neue Abgabestelle bekanntzugeben. Es seien daher die Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des § 19 Abs. 1 Z. 2 AsylG 1991 gegeben und der Asylantrag abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte - ohne eine Gegenschrift zu erstatten - die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer erachtet sich im Recht "auf Durchführung eines ordentlichen Asylverfahrens und Entscheidung in der Sache selbst, auf Zuerkennung von Asyl gemäß § 3 AsylG sowie auf gesetzmäßige Anwendung der Verfahrensvorschriften des Zustellgesetzes und des AVG" durch unrichtige Anwendung des § 19 AsylG 1991 verletzt. Er bringt in Ausführung dieses Beschwerdepunktes im wesentlichen vor, er habe mit eingeschriebenem Brief vom 30. März 1993 - also vor Erlassung des angefochtenen Bescheides - der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg mitgeteilt, daß er nunmehr unter der Adresse "Postlagernd 5340 St. Gilgen" erreichbar sei und ersucht, Zustellungen unter dieser Adresse vorzunehmen. Diese Vorgangsweise habe er "aus Furcht des Nichterhaltens seiner Briefe im Hotel Post" (seiner damaligen Unterkunft) gewählt. Selbst dann, wenn man davon ausgehe, daß "Postlagernd" keine Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes sei, wäre die Behörde vor Anwendung des § 19 Abs. 1 Z. 2 AsylG 1991 verpflichtet gewesen, die neue Abgabestelle von Amts wegen festzustellen. Dies wäre auch über den "Verein Treffpunkt Flüchtlingsberatung", der als Verfasser des Schreibens vom 30. März 1993 aufscheine, ohne Schwierigkeiten möglich gewesen. Die Behörde habe es auch verabsäumt, aufgrund des Schreibens vom 30. März 1993 den Beschwerdeführer bzw. den bevollmächtigten Vertreter des Vereins gemäß § 13a AVG zu manuduzieren. Im übrigen mangle es dem angefochtenen Bescheid an einer, dem § 58 AVG entsprechenden Begründung, zumal sich die von der Behörde angezogene Rechtsfolge aus dem festgestellten Sachverhalt "in keinster Weise" ableiten lasse. So lasse die Bescheidbegründung jegliche Feststellung hinsichtlich des Wohnorts des Beschwerdeführers und wann er die Abgabestelle verlassen habe, vermissen und es fehle jegliche Begründung, aus welcher Erkenntisquelle die Behörde ihre Feststellungen ableite. Schließlich seien bei der Zustellung des angefochtenen Bescheides auch die Bestimmungen des § 23 Zustellgesetz verletzt worden. § 23 Abs. 3 Zustellgesetz sehe nämlich vor, daß immer dann, wenn eine Sendung aufgrund gesetzlicher Vorschrift ohne vorhergehenden Zustellversuch zu hinterlegen sei, der Empfänger durch eine schriftliche Verständigung oder durch mündliche Mitteilung an Personen, von denen der Zusteller annehmen könne, daß sie mit dem Empfänger in Verbindung treten können, von der Hintelegung zu unterrichten sei. Obwohl der Behörde aufgrund des Schreibens vom 30. März 1993 "völlig klar sein" habe müssen, daß es sich beim "Verein Treffpunkt Flüchtlingsberatung" um eine Person handle, von der angenommen werden könne, daß sie mit dem Beschwerdeführer in Kontakt treten könne, sei eine derartige Kontaktaufnahme unterblieben.

Gemäß § 8 Abs. 1 Zustellgesetz hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist gemäß Abs. 2 dieser Bestimmung, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann. § 8 Abs. 2 Zustellgesetz findet gemäß § 19 Abs. 3 - des im vorliegenden Fall anzuwendenden - AsylG 1991 im Asylverfahren mit der Maßgabe Anwendung, daß ohne vorhergehenden Zustellversuch die Hinterlegung bei der Behörde selbst erfolgt.

Die Ermächtigung der Behörde gemäß § 8 Abs. 2 Zustellgesetz, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, hat nicht nur zur Voraussetzung, daß die unverzügliche Mitteilung über die Änderung der Abgabestelle unterlassen wurde, sondern auch, daß eine neue Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Ohne - wenn auch durch "einfache Hilfsmittel" wie "Meldeauskünfte oder Mitteilungen an den Zusteller durch Nachbarn" (so RV 162 BlgNr. 15. GP Seite 10) - versucht zu haben, die (neue) Abgabestelle auszuforschen, darf daher von § 8 Abs. 2 Zustellgesetz kein Gebrauch gemacht werden.

Demgegenüber hat die belangte Behörde nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten vor der Hinterlegung des angefochtenen Bescheides am 16. April 1993 zwar eine Auskunft der Gemeindeämter in Strobl und in St. Gilgen sowie eine Auskunft der Bundespolizeidirektion Salzburg hinsichtlich einer Meldung des Beschwerdeführers eingeholt. Sie hat es allerdings unterlassen, die Ausforschung einer Abgabestelle des Beschwerdeführers auch über den "Verein Treffpunkt Flüchtlingsberatung", der nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten immerhin als Verfasser des Schreibens vom 30. März 1993 aufschien, zu versuchen, obwohl dies nach der Lage des konkreten Beschwerdefalles ohne Schwierigkeiten möglich und nicht als von vorneherein aussichtslos anzusehen gewesen wäre.

Da die belangte Behörde somit nicht alle ihr nach Lage des vorliegenden Falles offenstehenden und zielführend erscheinenden Möglichkeiten, eine Abgabestelle des Beschwerdeführers ohne Schwierigkeiten i.S.d. § 8 Abs. 2 Zustellgesetz festzustellen, genutzt hat, konnte schon aus diesem Grund der angefochtene Bescheid durch die Hinterlegung nicht rechtswirksam zugestellt werden. Vielmehr erfolgte die Zustellung des angefochtenen Bescheides durch Ausfolgung einer Bescheidausfertigung seitens der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung am 4. Mai 1993.

Die am 15. Juni 1993 beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachte Beschwerde erweist sich somit als rechtzeitig und aus folgenden Gründen als im Ergebnis berechtigt:

Gemäß § 19 Abs. 1 Z. 2 AslyG 1991 sind Asylanträge in jedem Stand des Verfahrens abzuweisen, wenn der Asylwerber eine Änderung der Abgabestelle (§ 8 Abs. 1 des Zustellgesetzes, BGBl. Nr. 200/1982) nicht rechtzeitig mitgeteilt hat.

Nicht die Unterlassung der Mitteilung einer Änderung der Abgabestelle schlechthin hat daher zu einer Abweisung des Asylantrages zu führen, sondern nur die Unterlassung, diese Änderung rechtzeitig mitzuteilen. Vor dem Hintergrund der Gesetzesmaterialien (RV, 270 BlgNr, 18. GP, Seite 21: "Die gesetzliche Möglichkeit vorzusehen, in bestimmten Situationen das Asylverfahren auch vor Abschluß des Ermittlungsverfahrens zu beenden, ist aus Gründen der Administration zwingend notwendig. Mangels einer diesbezüglichen Norm konnte die Behörde in der Vergangenheit ein Verfahren nicht abschließen, wenn der Asylwerber den Ausgang seines Verfahrns nicht abgewartet hat, weil er entweder während des Verfahrens in die Illegalität ging oder aber Österreich verlassen hat. Dieser Mißstand soll durch diese Bestimmung beseitigt werden") steht der Terminus "rechtzeitig" in Beziehung zur Beendigung des Verfahrens, woraus folgt, daß die Unterlassung der Mitteilung einer Änderung der Abgabestelle nur dann im Sinne des § 19 Abs. 1 Z. 2 AsylG 1991 eine Abweisung des Asylantrages rechtfertigt, wenn die Behörde das Asyslverfahren aus diesem Grunde andernfalls nicht abschließen könnte. Selbst wenn daher die unterlassene Mitteilung geeignet wäre, die Behörde an der Beendigung des Verfahrens zu hindern, könnte freilich so lange, als es der Behörde möglich ist, durch ihr - nach der Lage des Falles - zumutbare Erhebungen eine Abgabestelle des Asylwerbers festzustellen, nicht die Rede davon sein, daß das Asylverfahren wegen der unterlassenen Mitteilung nicht habe abgeschlossen werden können und eine rechtzeitige Mitteilung im Sinne des § 19 Abs. 1 Z. 2 AslyG 1991 daher unterlassen worden sei.

Die belangte Behörde hat daher, indem sie alleine "aufgrund der Tatsache", daß der Beschwerdeführer "die letzte der Behörde bekannte Adresse verlassen" hat, "ohne der Behörde eine neue Abgabestelle bekanntzugeben", die Voraussetzungen des § 19 Abs. 1 Z. 2 AsylG 1991 als erfüllt ansah, die Rechtslage verkannt. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden mußte.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

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