Normen
AlVG 1977 §11;
VwRallg;
AlVG 1977 §11;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Punkt 2 des im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheides sprach die belangte Behörde aus, daß der Beschwerdeführer gemäß § 38 in Verbindung mit § 11 AlVG für den Zeitraum vom 9. September 1992 bis 6. Oktober 1992 keine Notstandshilfe erhalte und eine Nachsicht nicht erteilt werde. Nach der Bescheidbegründung stehe der Beschwerdeführer seit 11. Mai 1992 im Bezug der Notstandshilfe. Am 8. September 1992 habe er ein Dienstverhältnis als Gemüseeinleger bei der Firma M. GmbH) angetreten, es jedoch am selben Tag durch vorzeitigen Austritt wieder beendet. Im Zuge einer niederschriftlichen Einvernahme habe er der erstinstanzlichen Behörde mitgeteilt, daß er sein Dienstverhältnis aus gesundheitlichen Gründen gelöst habe. Daraufhin sei er einer amtsärztlichen Untersuchung unterzogen worden, bei der festgestellt worden sei, daß die Lösung des Dienstverhältnisses nicht gerechtfertigt gewesen sei, weil bei den vorliegenden Befunden die (behaupteten) Beschwerden im Wirbelsäulenbereich nur vorübergehend sein könnten. Die Krampfadern an den Beinen seien zwar massiv, jedoch ohne jegliche Entzündungszeichen, sodaß bei Beschwerden mit Stützstrümpfen gearbeitet werden könnte. In seiner Berufung gegen den (mit dem angefochtenen Bescheid bestätigten) Bescheid der Erstbehörde vom 12. Oktober 1992 habe der Beschwerdeführer im wesentlichen eingewendet, daß er seine Tätigkeit bei der M. GmbH deshalb schon nach einem Tag beendet habe, weil ihm die zugewiesene, im Stehen zu verrichtende Arbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht bzw. nur unter erheblichen Schmerzen möglich gewesen wäre. Zum Beweis hiefür habe er auf ein ärztliches Attest des praktischen Arztes Dr. S vom 22. Oktober 1992 verwiesen, das er in Kopie der Berufung angeschlossen habe. In diesem Attest vertrete Dr. S die Auffassung, daß derzeit von einer stehenden oder sitzenden Arbeit abzuraten sei. Besser geeignet seien Berufe, bei denen der Beschwerdeführer viel gehen, nicht aber schwer heben müßte, wobei ihm das Tragen von Gummistrümpfen angeraten werde. In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde nach Zitierung der §§ 11 und 38 AlVG aus, der Beschwerdeführer berufe sich offensichtlich auf § 82a lit. a GewO, wonach ein Arbeiter dann zum vorzeitigen Austritt berechtigt sei, wenn er ohne erweislichen Schaden für seine Gesundheit seine Arbeit nicht fortsetzen könne. Im Hinblick auf die sofort nach der Beendigung seiner Beschäftigung als Gemüseeinleger bei der M. GmbH durchgeführte amtsärztliche Untersuchung vertrete die belangte Behörde die Auffassung, daß der eben genannte Austrittsgrund im Fall des Beschwerdeführers nicht vorliege. Es sei nämlich im Zuge der amtsärztlichen Untersuchung nach Einsichtnahme in die vorliegenden Befunde festgestellt worden, daß die Beschwerden im Wirbelsäulenbereich nur vorübergehender Natur sein könnten und die Krampfadern an den Beinen keinerlei Entzündungszeichen zeigten. Nach Auffassung der belangten Behörde wäre daher bei Fortsetzung der Beschäftigung ein erweislicher Schaden für die Gesundheit des Beschwerdeführers nicht zu befürchten gewesen. Aus diesem Grund sei zu Recht eine Sperrfrist nach § 11 AlVG verhängt worden.
Gegen diesen Bescheidausspruch richtet sich die vorliegende Beschwerde, nach der sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Bezug der Notstandshilfe auch im Zeitraum vom 9. September bis 6. Oktober 1992 verletzt erachtet.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 11 in Verbindung mit § 38 AlVG erhalten Arbeitslose, deren Dienstverhältnis infolge eigenen Verschuldens beendet worden ist oder die ihr Dienstverhältnis freiwillig ohne triftigen Grund gelöst haben, für die Dauer von vier Wochen, gerechnet vom Tage der Beendigung des Dienstverhältnisses an, keine Notstandshilfe.
Die mangelnde Arbeitswilligkeit wird in den (systematisch miteinander zusammenhängenden) §§ 9 bis 11 AlVG näher geregelt. Während § 9 jene Fälle regelt, in denen Arbeitslosigkeit bereits eingetreten ist, der Arbeitslose jedoch an der Beendigung dieses Zustandes nicht hinreichend mitwirkt (wofür der Gesetzgeber die in § 10 Abs. 1 AlVG vorgesehene Sanktion des Verlustes des Anspruches auf Arbeitslosengeld vorsieht), bestimmt § 11 (in Ergänzung dazu), daß eine solche Sanktion u. a. auch denjenigen trifft, der den Zustand der Arbeitslosigkeit infolge Auflösung seines Dienstverhältnisses ohne triftigen Grund herbeiführt. Diese Bestimmungen sind Ausdruck der dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zugrundeliegenden Gesetzeszwecke, nämlich den arbeitslos Gewordenen, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung einer ihm zumutbaren Beschäftigung in den Arbeitsmarkt einzugliedern und ihn so wieder in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. § 10 Abs. 1 und 11 AlVG sanktionieren daher das Verhalten desjenigen, der entweder einen solchen Zustand des Unterhalts- und Vermittlungsbedarfes schuldhaft herbeigeführt hat oder zwar ohne Verschulden in einen solchen Zustand geraten ist, seine Beendigung jedoch zu vereiteln sucht (vgl. dazu die Erkenntnisse vom 19. Juni 1990, Zl. 90/08/0084, und vom 3. Juli 1990, Zl. 90/08/0106).
Unter den in § 11 AlVG genannten triftigen Gründen sind zwar nicht nur Austrittsgründe im Sinne des Arbeitsvertragsrechtes zu verstehen; die Verwendung des Wortes "triftig" deutet aber daraufhin, daß der Gesetzgeber nicht nur die gänzlich grundlose Herbeiführung des versicherten Risikos "Arbeitslosigkeit" als mangelnde (und damit zumindest temporär anspruchshemmende) Arbeitswilligkeit deutet, sondern auch jene Fälle der Auflösung von Dienstverhältnissen als vermeidbare (und daher der Versicherungsgemeinschaft nicht ohne weiteres zumutbare) Leistungsfälle betrachtet, in denen zwar ein Grund für die Auflösung des Dienstverhältnisses ins Treffen geführt werden kann, es diesem Grund aber (gemessen an den aufgrund der dargelegten Gesetzeszwecke an den einzelnen Versicherten zu richtenden Verhaltensanforderungen) an zureichendem Gewicht mangelt. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes sind bei Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffes "triftige Gründe" vor allem Zumutbarkeitsgesichtspunkte maßgebend, wie sie § 9 Abs. 2 und 3 AlVG auch für den arbeitslos gewordenen Versicherten im Hinblick auf dessen Verpflichtung, eine vom Arbeitsamt vermittelte oder sich bietende Arbeitsgelegenheit zu ergreifen, vorsieht. Die bei Anwendung des § 11 AlVG vorzunehmende Zumutbarkeitsprüfung hat freilich die gänzlich anders geartete Situation des in Beschäftigung Stehenden (zum Unterschied zu dem bereits arbeitslos Gewordenen) zu berücksichtigen. Soweit als triftiger Grund für die Auflösung eines Dienstverhältnisses dieses Verhältnis betreffende Umstände in Betracht kommen, wird es sich um Vorfälle handeln müssen, die einem wichtigen Grund (etwa im Sinne des § 82a GewO) zumindest nahe kommen (vgl. dazu u.a. die Erkenntnisse vom 3. Juli 1990, Zl.90/08/0106, vom 19. Mai 1992, Zl. 91/08/0189, und vom 8. Juni 1993, Zl. 93/08/0111).
Nach dem Beschwerdevorbringen hätte die belangte Behörde schon unter Zugrundelegung der auf die gutächtlichen Äußerungen des Amtssachverständigen gestützten Feststellungen, wonach die Beschwerden im Wirbelsäulenbereich nur vorübergehender Natur sein könnten und die Krampfadern an den Beinen keinerlei Entzündungszeichen zeigten, das Vorliegen eines triftigen Grundes im Sinne des § 11 AlVG bejahen müssen und sei der bekämpfte Bescheidausspruch schon deshalb mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet. Denn die vage Zukunftsprognose (über Beschwerden nur vorübergehender Natur) sei für die konkrete Beurteilung nach § 11 AlVG irrelevant, weil vom Beschwerdeführer nicht verlangt werden könne, eine ihm unzumutbare Beschäftigung weiterhin auszuüben, bis geklärt werden könne, ob die Beschwerden nur vorübergehender Natur seien oder sich sogar verschlimmerten. Die Lösung eines Dienstverhältnisses erfolge nicht ohne triftigen Grund im Sinne des § 11 AlVG, wenn die konkreten Beschwerden bereits vorhanden seien oder durch die Ausübung der Beschäftigung einträten. Insbesondere die Zukunftsprognose (über Beschwerden) bei weiterer Ausübung der Beschäftigung müsse im Falle des Vorhandenseins konkreter Anzeichen im wesentlichen dem Arbeitnehmer überlassen werden, weil schließlich er selbst hiebei über den größtmöglichen Erfahrungswert verfüge.
Dazu ist zunächst zu bemerken, daß die belangte Behörde in der Bescheidbegründung das amtsärztliche Gutachten (vom 25. September 1992) nur in verkürzter und insofern mißzuverstehender Art wiedergibt. Der Sachverständige fügte nämlich seiner gutächtlichen Äußerung, es könnten beim vorliegenden Röntgenbefund (über Wirbelsäule und Becken, der bis auf geringgradige Spondylosezeichen im mittleren und unteren Brustwirbelsäulenbereich und einen geringen Beckenschiefstand vollkommen unauffällig sei) die Beschwerden im Wirbelsäulenbereich nur vorübergehend sein, hinzu, daß sie "vor allem behandelbar" seien. So verstanden lassen aber die vom Beschwerdeführer angesprochenen Wendungen im Gutachten nicht den von ihm daraus gezogenen Schluß zu, daß bei Fortsetzung seiner Beschäftigung jedenfalls seine Gesundheit im Sinne des § 9 Abs. 2 AlVG gefährdet gewesen bzw. ein erweislicher Schaden für seine Gesundheit im Sinne des § 82a lit. a GewO eingetreten wäre. Die behauptete inhaltliche Rechtswidrigkeit ist daher nicht gegeben.
Allerdings reichen die eben genannten gutächtlichen Äußerungen allein - sowohl für sich betrachtet als auch unter Bedachtnahme auf das vom Beschwerdeführer mit seiner Berufung vorgelegte ärztliche Attest vom 22. Oktober 1992 - auch nicht aus, den von der belangten Behörde daraus gezogenen gegenteiligen Schluß zureichend zu begründen. (Dem Sachverständigen selbst stand - entsprechend seiner Aufgabe:
vgl. dazu u.a. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, Anm. 2 und 3 und E. 2 zu § 52 sowie E. 81 zu § 45; Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I, Anm. 1 zu § 52 - die Lösung dieser Rechtsfrage nicht zu und ist daher auf seine diesbezügliche Äußerung im Gutachten, es sei "die Selbstlösung des Dienstverhältnisses ... nicht gerechtfertigt" gewesen, nicht Bedacht zu nehmen.) Zu einer nachvollziehbaren Schlußfolgerung der genannten Art hätte es vielmehr einer Ergänzung des Gutachtens nach amtswegiger Ermittlung der konkreten Art der Beschäftigung, die der Beschwerdeführer als Gemüseeinleger der M. GmbH zu verrichten hatte, in Auseinandersetzung mit dem eben genannten ärztlichen Attest in der Richtung bedurft, ob der Beschwerdeführer bei Bedachtnahme einerseits auf dieses Beschäftigungsbild und andererseits auf seinen Gesundheitszustand am 8. September 1992 (zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunktes vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 27. April 1993, Zl. 92/08/0147 und Zl. 92/08/0219) diese Beschäftigung bei entsprechender Behandlung (und welcher) und/oder Zuhilfenahme geeigneter Hilfsmittel zumindest nach einer für ihn zumutbaren Zeit (und welcher) im wesentlichen beschwerdefrei, aber auch ohne die Besorgnis einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes durch die - wenn auch beschwerdefreie - Ausübung dieser Tätigkeit hätte fortsetzen können.
Aus den angeführten Gründen war der nur in Punkt 2 bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Bei diesem Ergebnis konnte von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 416/1994. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil Stempelgebühren nur im Ausmaße von S 420,-- zu entrichten waren.
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