VwGH 93/06/0246

VwGH93/06/024617.11.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Müller, Dr. Waldstätten und Dr. Köhler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Knecht, über die Beschwerde der R in D, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 8. Oktober 1993, Zl. II-160/93, betreffend Erteilung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. P GmbH & Co KG in B, vertreten durch Dr. O, Rechtsanwalt in D; 2. Stadtgemeinde Dornbirn, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §8;
BauG Vlbg 1972 §30 Abs1 litb;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs7;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs9;
BauRallg;
RPG Vlbg 1973 §14 Abs3;
RPG Vlbg 1973 §14 Abs4;
AVG §8;
BauG Vlbg 1972 §30 Abs1 litb;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs7;
BauG Vlbg 1972 §6 Abs9;
BauRallg;
RPG Vlbg 1973 §14 Abs3;
RPG Vlbg 1973 §14 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von S 13.130,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die erstmitbeteiligte Partei beantragte am 30. März 1992 beim Stadtbauamt der zweitmitbeteiligten Stadtgemeinde die Erteilung einer Baubewilligung für den Ausbau der auf Grundstück Nr. nnn1, KG Dornbirn, bestehenden Räumlichkeiten zur gastronomischen Nutzung zum Zweck einer künftigen Verwendung als "gastronomischer Speisenzustellbetrieb". Der Bürgermeister der zweitmitbeteiligten Stadtgemeinde beraumte für den 16. Juni 1992 eine mündliche Bauverhandlung an, zu der u.a. die Beschwerdeführerin als Nachbarin unter Hinweis darauf geladen wurde, daß Einwendungen, die nicht spätestens am Tage vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung vorgebracht werden, keine Berücksichtigung fänden und die Beteiligten den Parteienantrag, dem Vorhaben oder der Maßnahme, die den Gegenstand der Verhandlung bilden, als zustimmend angesehen würden.

Nach Ausweis der Verhandlungsschrift vom 16. Juni 1992 (bei der die Beschwerdeführerin durch ihren Ehegatten vertreten war) wurde zunächst der Gegenstand der Verhandlung dahin beschrieben, daß es sich um einen Zu- und Umbau des bestehenden Lagerhauses zu einer Pizzeria mit Lagerraum auf Grundstück Nr. nnn1 der KG Dornbirn, S-Gasse 70, handle. Die gesetzlichen Bauabstände würden nicht allseits eingehalten. Gegenüber der Liegenschaft Grundstück Nr. nnn2 (diese Grundstücksnummer bildet die im Eigentum der Beschwerdeführerin stehende EZ mmm4) betrage der Abstand nur 0,50 m anstatt 3 m. Der Abstand zur Gemeindestraße betrage 0,00 m anstatt 4 m. Der verkehrstechnische Sachverständige führte danach aus, daß die Stellplätze entsprechend der Garagenverordnung eingehalten würden und der Betrieb keinerlei Auswirkungen auf den innerstädtischen Verkehr entfalten werde, sodaß aufgrund des Verkehrsaufkommens keinerlei Auswirkungen auf die Nachbarn zu befürchten seien. Die Ängste der Nachbarn, besonders im Hinblick auf die Stellplatzanzahl, könnten mit "relativ bescheidenen Mitteln gelöst werden". Die schriftlich eingebrachten Einwendungen einer näher bezeichneten Bürgerinitiative wurden verlesen und zum Bestandteil der Verhandlungsschrift erklärt.

Danach erstatteten der bautechnische Amtssachverständige und der Vertreter des Arbeitinspektorates sowie der brandschutztechnische Amtssachverständige ihre Gutachten. Ein Anrainer brachte vor, daß "aufgrund des zu erwartenden Holdienstes" mit einem vermehrten Verkehrsaufkommen, damit mit erhöhter Parkplatzinanspruchnahme zu rechnen sei und er daher mit der Ausführung des geplanten Bauvorhabens nicht einverstanden sei. Diesen Einwendungen schlossen sich weitere Anrainer, darunter auch der Ehegatte der Beschwerdeführerin an. Dieser erklärte ferner, sich ausdrücklich den (verlesenen) Einwendungen der Bürgerinitiative anzuschließen, die wie folgt lauten:

"Für das ehemalige Gebäude der Raiffeisenlagerhaus-Genossenschaft in der S-Gasse 70 liegt ein Bau-Ansuchen als Imbiß- und Pizza-Zustellbetrieb vor.

Grundsätzlich haben wir Anwohner des Stadtteiles S nicht die Absicht, gewerbliche Betriebe an diesem Standort zu verhindern. Als Bewohner sind wir aber bereits bisher mit einer großen Zahl an gastronomischen Betrieben konfrontiert, was eine gewisse Belastung im fließenden und ruhenden motorisierten Verkehr zur Folge hat.

Mit einem weiteren Gast- und Schankbetrieb, der nachts und an Wochenenden geöffnet hat, befürchten wir allerdings, daß die Belästigungen überhandnehmen werden, besonders durch Kunden-PKWs auf den angrenzenden Nachbargrundstücken, da das Gelände des Raiffeisen-Lagers selbst nur ganz wenige Parkplätze aufweist. Wir Unterzeichner bitten daher die Stadtverantwortlichen, das Bauansuchen exakt zu prüfen und aus Gründen einer unverträglichen Verkehrsabwicklung zu versagen."

Mit Eingabe vom 14. Juli 1992 teilte die erstmitbeteiligte Bewilligungswerberin durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter mit, daß "trotz größter Bemühungen" die mit den Nachbarn geführten Gespräche zu einer gütlichen Bereinigung der Angelegenheit erfolglos verlaufen seien. Die Erstmitbeteiligte ersuche nunmehr in der Sache zu entscheiden. Sie vertrete die Auffassung, daß eine Abstandsnachsicht im Sinne des § 6 Abs. 9 des Vorarlberger Baugesetzes für das Bauverfahren nicht erforderlich sei, da an der Außenfront des Gebäudes keine Veränderungen vorgenommen würden, die eine Beurteilung "wie bei einem Neubau" zuließen. Die Verwendung des "Lagers" bleibe unverändert. Umstände, für welche die Neuerteilung einer Abstandsnachsicht erforderlich wären, lägen nicht vor. Im übrigen wäre dazu die Zustimmung der Nachbarn nicht erforderlich.

Der Bürgermeister holte ergänzend ein verkehrstechnisches und ein medizinisches Sachverständigengutachten ein. Im letzteren Gutachten vom 28. September 1992 wird ausgeführt, daß die Betriebsemissionen der (geplanten) Pizzeria der erstmitbeteiligten Partei für die Nachbarn nicht gesundheitsschädigend seien. Es werde jedoch zu einem gehäuften Verkehrsaufkommen mit Zunahme der Lärmbelästigung kommen. Die zu errichtende Anlage befinde sich allerdings nicht in einem reinen Wohngebiet. In näherer Umgebung seien mehrere Lokale, die teilweise bis Mitternacht geöffnet hätten. Gegen das Projekt sei daher vom medizinischen Standpunkt aus kein Einwand zu erheben. Auch aus verkehrstechnischer Sicht wurde gegen die beantragte Bewilligung kein Einwand erhoben.

In der Sitzung des Stadtrates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 10. November 1992 wurde dem Ansuchen der erstmitbeteiligten Partei um Gewährung einer Abstandsnachsicht gemäß § 6 Abs. 9 des Vorarlberger Baugesetzes für den Zu- und Umbau des bestehenden Lagerhauses zu einer Pizzeria auf Grundstück Nr. nnn1, KG Dornbirn, nicht stattgegeben.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 26. Jänner 1993 wurde dem Baubewilligungsantrag der erstmitbeteiligten Partei die Genehmigung mit der Begründung versagt, daß im Falle einer Änderung des Verwendungszweckes die Erteilung einer neuerlichen Abstandsnachsicht mit Zustimmung des Gemeindevorstandes erforderlich sei (Hinweis auf VwSlg. 10815/A), weil die vom Baugesetz geforderten Bauabstände (Abstandsflächen) im Sinne des § 6 des Baugesetzes nicht eingehalten würden. Der Stadtrat habe in der Sitzung vom 10. November 1992 die Genehmigung jedoch nicht erteilt. Ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Nachsicht bestehe nicht. Im verkehrstechnischen Amtsgutachten würden sieben Stellplätze für die beantragte Betriebsgröße für ausreichend erachtet, wovon vier auf dem Vorplatz vor dem Haupteingang nachgewiesen hätten werden können. Für die restlichen drei (vier) Stellplätze an der S-Gasse wäre vorerst ein Umbau der Straße in Form einer "Reduzierung" der Straße von 6 m auf 5 m unter Mitverwendung des derzeitigen Gehsteiges erforderlich. Da die S-Gasse in der Hierarchie des Dornbirner Straßennetzes zumindest eine Sammelstraße darstelle, dürfe sie ohne wesentliche Beeinträchtigung der Verkehrssituation nicht auf 5 m Breite reduziert werden. Daraus ergebe sich, daß das Bauvorhaben im Zusammenhang mit dem Stellplatzerfordernis die schutzwürdigen Interessen des Verkehrs im Bereich der Bauliegenschaft verletzen würde.

Die erstmitbeteiligte Partei erhob Berufung, worin sie im wesentlichen darauf verwies, daß nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei Umwidmungen eine Abstandsnachsicht nur unter besonderen Voraussetzungen erforderlich sei, nämlich dann, wenn Interessen des Brandschutzes oder der Gesundheit "erhöht beeinträchtigt" würden. Einwendungen aus zu- und abfahrenden Motorfahrzeugen würden keine subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte begründen, weshalb diese Bedenken bei der Frage der Notwendigkeit einer Abstandsnachsicht nicht zu berücksichtigen seien. Da durch die beabsichtigte Veränderung auch keine Erhöhung des Stellplatzbedarfes entstehe, seien auch keine zusätzlichen Parkplätze erforderlich. Die Frage der Stellplätze sei daher im Bewilligungsverfahren irrelevant.

Im Berufungsverfahren wurde seitens der Gemeinde ein lärmtechnisches Gutachten des Amtssachverständigen der Vorarlberger Landesregierung eingeholt, nach dessen Ergebnis der zu erwartende Immissionspegel durch den geplanten Gastbetrieb tagsüber im Bereich des Grundgeräuschpegels, zwischen 22.OO und 6.00 Uhr 10 dB über dem für die Widmungskategorie üblichen Grundgeräuschpegel liege. Die maximalen Immissionspegel lägen bei 70 dB und seien nach der "ÖAL-Richtlinie Nr. 3" gerade noch zulässig. Das dazu eingeholte medizinische Sachverständigengutachten kommt - nach Wiederholung der Beurteilung des lärmtechnischen Sachverständigen - zum Ergebnis, "daß laut ÖAL-Richtlinien Nr. 3 unzumutbare Lärmbelästigungen" vermieden würden. Festgestellt werde noch, daß die von einem Betrieb ausgehenden Zu- und Abfahrten von Kraftfahrzeugen und die damit verbundenen allfälligen Immissionen auf öffentlichen Straßen nicht Gegenstand von Rechten der Nachbarn im Baubewilligungsverfahren seien.

Die Beschwerdeführerin erstattete eine Stellungnahme zur Berufung der erstmitbeteiligten Partei, worin sie unter anderem darauf hinwies, daß ihr als Nachbarin ein Rechtsanspruch auf Einhaltung der Abstände und Abstandsflächen bzw. darauf zukäme, daß Ausnahmen nach § 6 Abs. 9 Baugesetz nur bei Vorliegen der dort umschriebenen Voraussetzungen zugelassen würden. Zum lärmtechnischen Gutachten sei (u.a.) auszuführen, daß die Spitzenpegel erheblich über dem Toleranzbereich lägen, wodurch Interessen der Gesundheit beeinträchtigt würden. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin lägen die Voraussetzungen des § 6 Abs. 10 Baugesetz vor, sodaß der Baubehörde kein Ermessensspielraum eingeräumt sei. Durch die zusätzliche Auslieferungstätigkeit der erstmitbeteiligten Partei würden Beeinträchtigungen der Nachbarn bestehen, die das ortsübliche Maß überstiegen. Diesfalls stünde jedenfalls den Nachbarn ein Rechtsanspruch auf Festsetzung größerer Abstände zu; die nach § 6 Abs. 10 Baugesetz größeren Abstände könnten nicht eingehalten werden, sodaß das Bauvorhaben letztendlich zu versagen sei.

Nach einer mit dem Geschäftsführer und anderen Mitarbeitern der erstmitbeteiligten Partei aufgenommenen Niederschrift vom 22. Juli 1993 wurde das Bauvorhaben insoweit abgeändert, daß die im Dachgeschoß ursprünglich vorgesehene Errichtung von Personalunterkünften nicht mehr zur Ausführung gelangen sollte. Das Dachgeschoß werde so wie bisher als Lagerraum benützt werden. Es kämen dort lediglich fünf Dachfenster zum Einbau und außerdem werde eine Gaupe für den Stiegenaufgang errichtet. An Stellplätzen würden in dem als Lieferantenzubringer bezeichneten Raum zwei Einstellplätze, ein Einstellplatz entlang der S-Gasse und ein Abstellplatz entlang der A-Straße sowie vier Abstellplätze vor dem Eingang zur Verfügung stehen. Der bestehende Lastenlift werde nicht umgebaut. Gegenüber den Nachbarn würde sich die erstmitbeteiligte Partei verpflichten, im Gastlokal lediglich einen Tisch mit insgesamt acht Sitzplätzen, sowie vier Barabholplätze einzurichten, den Gastbetrieb auf 22.00 Uhr einzuschränken und Bestellungen nur bis 23.00 Uhr anzunehmen sowie auch für Abholer die Zeit hiefür auf 23.00 Uhr einzuschränken. Erfahrungen in Bregenz hätten gezeigt, daß der Betrieb zwischen 22.00 und 23.OO Uhr lediglich ca. 4 % des Gesamtumsatzes ausmache.

Mit Bescheid der Berufungskommission in Bauangelegenheiten der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 29. Juli 1993 wurde der Berufung der erstmitbeteiligten Partei Folge gegeben, gemäß § 6 Abs. 9 Baugesetz, LGBl. Nr. 39/1972, idgF eine Ausnahme von den vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abständen gegenüber dem Grundstück der Beschwerdeführerin Nr. nnn2, "im projektbedingten Umfang" zugelassen und der erstmitbeteiligten Partei gemäß §§ 31 Abs. 3 und 32 Baugesetz und dem diesem Bescheid als wesentlicher Bestandteil zugrundeliegenden Plan und Beschreibungsunterlagen vom März 1992 und Mai 1992 die Baubewilligung für den Umbau und die Umwidmung des bestehenden Lagerhauses zu einer Pizzeria mit acht Sitzplätzen und einem Speisenzustellbetrieb auf Grundstück Nr. nnn1, KG Dornbirn, unter zahlreichen Auflagen erteilt. Nach der Begründung dieses Bescheides komme den Nachbarn weder ein Rechtsanspruch darauf zu, daß sich die Verkehrsverhältnisse auf öffentlichen Straßen nicht ändern, noch normiere das Baugesetz ein umfassendes subjektiv-öffentliches Recht der Nachbarn auf Immissionsschutz. Ansatzpunkte für einen Immissionsschutz fänden sich lediglich hinsichtlich der Einhaltung der Normen über die Abstandsflächen, worauf den Nachbarn ein Rechtsanspruch zustehe, insoweit der Bauantrag den Schutz des Nachbarn aus Rücksichten des Brandschutzes und der Gesundheit, insbesondere Belichtung, Luft und Lärm betreffe. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten würden beim gegenständlichen Bauvorhaben unzumutbare Lärmbelästigungen vermieden werden, wobei auch zu berücksichtigen sei, daß sich die Bauliegenschaft an einer für den innerörtlichen Verkehr betreffend die Verkehrsfrequenz besonders bedeutsamen Straße befinde. Es könne auch aufgrund der Sachverständigengutachten nicht davon gesprochen werden, daß der Verwendungszweck des Bauvorhabens und die vorgesehenen Umbauten eine das ortsübliche Ausmaß übersteigende Belästigung oder eine Gefährdung der Nachbarn im Sinne des § 6 Abs. 10 Baugesetz erwarten ließen, wobei überdies hinsichtlich der Ortsüblichkeit von der Widmungskategorie des Baugrundstückes auszugehen sei. Zwischen der Bauliegenschaft und den nächstgelegenen Nachbarn befänden sich jeweils öffentliche Verkehrsflächen. Die Beurteilung der Belästigung oder Gefährdung im Sinne des § 6 Abs. 10 habe weiters nach den Maßstäben eines durchschnittlich sensiblen Menschen aufgrund der örtlichen Verhältnisse, wobei diese vor allem durch die Widmung im Fläcnenwidmungsplan bestimmt seien, zu erfolgen. Zur Abstandsnachsicht nach § 6 Abs. 9 Baugesetz sei zu bemerken, daß das gesamte Ermittlungsverfahren keinerlei Anhaltspunkte ergeben habe, daß dadurch Interessen des Brandschutzes oder der Gesundheit beeinträchtigt würden. Diesbezüglich sei neuerlich auf das eingeholte lärmschutztechnische Gutachten sowie die beiden im Ergebnis übereinstimmenden medizinischen Gutachten zu verweisen. Die Frage, ob die Nachsicht wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder aus Gründen ihrer zweckmäßigeren Bebauung überhaupt zuzulassen gewesen sei bzw. Fragen des Landschafts- oder Ortsbildschutzes seien in diesem Zusammenhang nicht neuerlich aufzuwerfen. Der nunmehr vorgesehene Verwendungszweck stehe mit der Widmung Bau-Mischgebiet entlang einer stark befahrenen Gemeindestraße nicht im Widerspruch. Auswirkungen auf Nachbargrundstücke durch Lärm und Abgase von zu- und abfahrenden Motorfahrzeugen könnten subjektiv-öffentliche Nachbarrechte im Sinne des § 30 Baugesetz nicht begründen.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Vorstellung.

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid der belangten Behörde wurde die Vorstellung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen und dies im wesentlichen damit begründet, daß die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 1992 Einwendungen betreffend die Nichteinhaltung des Seitenabstandes zu ihrer Liegenschaft nicht erhoben habe. Aufgrund der Präklusionsfolgen des § 42 Abs. 1 AVG komme ihr insoweit ein Mitspracherecht im weiteren Verfahren nicht mehr zu. Die einzig rechtswirksam erhobene Einwendung betreffend das vermehrte Verkehrsaufkommen und die Verkehrsabwicklung im Zusammenhang mit den vorgesehenen Parkflächen könnte allenfalls unter § 30 Abs. 1 lit. d des Baugesetzes subsumiert werden, doch zähle das Wohnhaus der Beschwerdeführerin nicht zu jenen Einrichtungen, die nach den genannten Bestimmungen eines besonderen Schutzes bedürfen. Auch habe der Nachbar keinen Rechtsanspruch darauf, daß sich die Verkehrsverhältnisse auf öffentlichen Straßen nicht ändern. Betreffend die Zulassung einer Ausnahme von den gesetzlichen Abstandsflächen gegenüber dem Grundstück der Beschwerdeführerin sei aufgrund der Aktenlage festzustellen, daß zum Nachweis der Voraussetzungen entsprechende Gutachten eingeholt worden seien. Es habe die Behörde daher davon ausgehen dürfen, daß die aus dem Betrieb der Pizzeria resultierenden Immissionen für die Nachbarn nicht gesundheitsschädlich seien. Hinsichtlich der Lärmimmissionen sei eine amtsärztliche Beurteilung auf der Grundlage eines gesonderten Gutachtens des lärmtechnischen Amtssachverständigen erfolgt, wonach eine unzumutbare Lärmbelästigung gleichfalls nicht zu besorgen sei. Aufgrund der Stellungnahme des im erstinstanzlichen Verfahren angehörten brandschutztechnischen Amtssachverständigen habe des weiteren die Zulässigkeit der Abstandsnachsicht auch aus der Sicht des Brandschutzes angenommen werden können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - wie die erstmitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10317/A, und die seither ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

Gemäß § 30 Abs. 1 lit. b des Baugesetzes, Vorarlberger LBGl. Nr. 39/1972 in der hier noch anzuwendenden Fassung der Novelle LGBl. Nr. 47/1983, ist in der Erledigung über den Bauantrag über Einwendungen der Nachbarn abzusprechen, die sich (u.a.) auf § 6 Baugesetz stützen, insoweit diese Bestimmung den Schutz der Nachbarn aus Rücksichten des Brandschutzes und der Gesundheit, insbesondere Belichtung, Luft und Lärm betrifft.

Gemäß § 6 Abs. 7 Baugesetz müssen oberirdische Gebäude mindestens 3 m von der Nachbargrenze entfernt sein. Gemäß § 6 Abs. 9 kann die Behörde mit Genehmigung des Gemeindevorstandes wegen der besonderen Form oder Lage des Baugrundstückes oder aus Gründen einer zweckmäßigeren Bebauung von den in Abs. 2 bis 8 vorgeschriebenen Abstandsflächen und Abständen Ausnahmen zulassen, wenn dadurch die Interessen des Brandschutzes, der Gesundheit sowie des Schutzes des Landschafts- und Ortsbildes nicht beeinträchtigt werden.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist zwischen der Beschwerdeführerin und der belangten Behörde vor allem strittig, ob die Beschwerdeführerin mit ihrer Einwendung der Nichteinhaltung des Seitenabstandes (bzw. in Konsequenz daraus:

insoweit auch mit ihren Einwendungen gegen die Erteilung einer Nachsicht im Sinne des § 6 Abs. 9 Baugesetz) gemäß § 42 AVG mangels rechtzeitiger Erhebung dieser Einwendungen präkludiert sei: Während die belangte Behörde die Präklusion der Beschwerdeführerin mit der Begründung bejaht, sie habe auf Abstände bezogene Einwendungen in der mündlichen Bauverhandlung vom 16. Juni 1992 nicht erhoben, vertritt die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde (unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, richtig: der Rechtswidrigkeit des Inhaltes) den Standpunkt, die Baubehörde erster Instanz habe "ohnehin von Amts wegen zu prüfen", ob das Vorhaben den von ihr wahrzunehmenden Bestimmungen entspreche und es sei Pflicht der Baubehörde, stets die Rechte der Nachbarn zu berücksichtigen. Im Hinblick auf die Feststellung in der Verhandlungsschrift vom 16. Juni 1992, daß die gesetzlichen Bauabstände allseits nicht eingehalten würden, eine "Abstandsnachsicht" (gemeint offenbar: eine Zustimmung zur Unterschreitung der Mindestabstände) seitens der Beschwerdeführerin aber nicht vorliege, sei jedenfalls davon auszugehen, daß die Beschwerdeführerin sich rechtzeitig gegen die Zulassung einer Ausnahme von den vorgeschriebenen Abstandsflächen ausgesprochen habe.

Mit dieser Rechtsauffassung ist die Beschwerdeführerin im Ergebnis im Recht:

Es kann auf sich beruhen, ob die Auffassung der belangten Behörde zutrifft, daß die Beschwerdeführerin mit ihrer Einwendung hinsichtlich der Nichteinhaltung des gesetzlichen Abstandes im Sinne des § 6 Abs. 7 BauG präkludiert ist (insbesondere ob der Gegenstand der mündlichen Bauverhandlung in der Ladung zu dieser Bauverhandlung mit "Renovierung und Innenausbau" - somit ohne Erwähnung der beabsichtigten Änderung des Verwendungszweckes - ausreichend umschrieben gewesen ist), weil sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Vorstellung u.a. auch gegen die erst von der Berufungsbehörde im Spruch ihres Bescheides erteilte Abstandsnachsicht gemäß § 6 Abs. 9 BauG gewendet hat. Den Gegenstand des Verfahrens zur Erteilung der Abstandsnachsicht bildet der Sache nach ausschließlich die mit einer solchen Bewilligung bewirkte (gesetzlich unter bestimmten Voraussetzungen zulässige) Beschränkung nachbarlicher Rechte im Sinne des § 6 Abs. 7 iVm § 30 Abs. 1 lit. b BauG. Der betroffene Nachbar, dessen Rechtsstellung durch den Ausgang dieses Nachsichtsverfahrens dahin verändert werden kann, daß ihm eine Berufung auf die Einhaltung des gesetzlichen Mindestabstandes im Baubewilligungsverfahren nicht mehr möglich ist, ist daher schon deshalb auch Partei des Nachsichtsverfahrens im Sinne des § 8 AVG (vgl. dazu auch die Ausführungen eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. Jänner 1967, Slg. Nr. 7070/A zu vergleichbaren Ausnahmebewilligungen nach dem Salzburger Bauerleichterungsgesetz und Hauer, Der Nachbar im Baurecht, 3. Auflage 215 ff).

Insoweit kann die Beschwerdeführerin aber auch nicht präkludiert sein, weil über die Erteilung der Abstandsnachsicht (bzw. zur Klärung des Vorliegens ihrer Voraussetzungen) eine mündliche Verhandlung von der Behörde gar nicht durchgeführt wurde.

Dies allein würde jedoch noch nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen, hätte die belangte Behörde dessen ungeachtet in Auseinandersetzung mit den Einwendungen der Beschwerdeführerin die von der Berufungsbehörde erteilte Ausnahmebewilligung von der Einhaltung der Abstandsvorschriften, zu Recht als rechtmäßig beurteilt. Dies ist jedoch aus folgenden Gründen zu verneinen:

Vorausgeschickt sei, daß die Behörden auf Verwaltungsebene zu Recht die Auffassung vertreten haben, die Änderung des Verwendungszweckes eines im Seitenabstand des § 6 Abs. 7 BauG errichteten Gebäudes von Lagerraum auf (teilweise) Pizzeria sei aufgrund der dadurch geänderten Emissionslage geeignet, den betreffenden Nachbarn in den Belangen des Brandschutzes und der Gesundheit zu beeinträchtigen, weshalb dafür eine Ausnahmebewilligung gemäß § 6 Abs. 9 BauG erforderlich ist, wobei allerdings Fragen des Ortsbildschutzes nicht neuerlich aufzuwerfen sind (vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. September 1982, Zl. 82/06/0062, 0063 = Slg. Nr. 10815/A - nur Leitsatz).

Die Ausnahme von der Einhaltung der in § 6 Abs. 2 bis 8 vorgeschriebenen Abstandsflächen setzt nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 9 Baugesetz voraus, daß "die Interessen des Brandschutzes, der Gesundheit sowie des Schutzes des Landschafts- und Ortsbildes nicht beeinträchtigt werden". Fehlt auch nur eine dieser Voraussetzungen, so ist eine Ermessensübung im Sinne der Erteilung einer Abstandsnachsicht unzulässig.

Ein - aus dem Blickwinkel zulässiger Nachbareinwendungen im Sinne des § 30 Abs. 1 lit. b Baugesetz - mängelfreies Verfahren setzt daher im Beschwerdefall voraus, daß die Frage, ob Interessen des Brandschutzes und der Gesundheit der Beschwerdeführerin durch die Erteilung der Abstandsnachsicht beeinträchtigt werden, hinreichend geprüft worden ist.

Dazu bringt die Beschwerdeführerin vor, daß aufgrund der vorliegenden Amtsgutachten von einer Beeinträchtigung der Interessen der Gesundheit ausgegangen werden müsse, eine solche Gefährdung aber jedenfalls nicht "vollkommen" ausgeschlossen werden könne. Auch der Umstand, daß 50 cm an das Grundstück der Beschwerdeführerin ein "Holzgartenhäuschen" angebaut worden sei und unter Würdigung des Umstandes, daß im umzuwidmenden Lagerhaus Pizzaöfen betrieben werden (sollen), sei davon auszugehen, daß jedenfalls Interessen des Brandschutzes beeinträchtigt würden. Demgegenüber vertritt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die Auffassung, daß "aufgrund der Stellungnahme des im erstinstanzlichen Verfahren angehörten brandschutztechnischen Amtssachverständigen ... des weiteren die Zulässigkeit der Abstandsnachsicht auch aus der Sicht des Brandschutzes angenommen werden" habe werden können.

Die Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Frage der Gesundheitsbeeinträchtigung laufen darauf hinaus, daß eine nach dem medizinischen Sachverständigengutachten medizinisch "gerade noch zumutbare" Lärmbelästigung durch den Spitzenpegelwert an- und abfahrender Kraftfahrzeuge zu einer Versagung der Ausnahmebewilligung hätte führen müssen. Die Beschwerdeführerin übergeht jedoch damit die Feststellung der medizinischen Amtssachverständigen im Berufungsverfahren, wonach aus medizinischer Sicht unzumutbare Lärmbelästigungen für die unmittelbare Nachbarschaft nicht zu besorgen sind, welcher die Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten ist. Der Verwaltungsgerichshof hegt gegen die diesbezüglichen Feststellungen auf Verwaltungsebene vorallem jedoch deshalb keine Bedenken, weil eine Pizzeria der hier geplanten Art im Bau-Mischgebiet schon ihrer Art nach grundsätzlich zulässig ist:

In einem Bau-Mischgebiet (um ein solches Gebiet handelt es sich nach der Aktenlage) dürfen u.a. jene Gebäude und Anlagen errichtet werden, die auch in Kern- und Wohngebieten zulässig sind (§ 14 Abs. 4 des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes ÄRPGö, LGBl. Nr. 15/1973 in der Fassung LGBl. Nr. 61/1988). Gemäß § 14 Abs. 3 RPG dürfen in Wohngebieten andere Bauwerke und sonstige Anlagen als Wohngebäude nur errichtet werden, wenn sie den kulturellen, wirtschaftlichen oder sozialen Bedürfnissen der Einwohner des Gebietes dienen und ihre ordnungsgemäße Benützung keine Gefahren oder Belästigungen für die Einwohner mit sich bringt. Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, daß eine Pizzeria der hier beabsichtigten Betriebsart, mit dem Schwergewicht des Verkaufes über die Gasse, sich im Rahmen der Versorgungsbedürfnisse der dort lebenden Bevölkerung und damit des im Wohngebiet allgemein Üblichen und im Zweifel daher Zulässigen hält. Eine solche Pizzeria ist daher schon deshalb auch im Mischgebiet zulässig, ohne daß gesondert die Frage geprüft werden müßte, ob es sich um einen "nicht störenden Kleinbetrieb" im Sinne des § 14 Abs. 4 RPG handelt.

Soweit die belangte Behörde den Brandschutz im Auge hat, vermag ihr der Verwaltungsgerichtshof - insoweit in Übereinstimmung mit dem Beschwerdevorbringen - nicht zu folgen:

Nach der Verhandlungsschrift vom 16. Juli 1992 führte der brandschutztechnische Sachverständige zu der Frage, ob der Brandschutz in Anbetracht der beabsichtigten Verwendungsänderung einerseits und eines Abstandes von nur 50 cm zur nachbarlichen Grundgrenze der Beschwerdeführerin andererseits die Interessen des Brandschutzes beeinträchtige, nichts aus. Es wurde ihm eine solche Frage - im Hinblick auf eine allfällige Abstandsnachsicht im Sinne des § 6 Abs. 9 Baugesetz - in dieser mündlichen Verhandlung auch gar nicht vorgelegt. Das Gutachten des brandschutztechnischen Amtssachverständigen erschöpfte sich vielmehr darin, verschiedene, der erstmitbeteiligten Partei zu erteilende Auflagen vorzuschlagen, die aber in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem für eine Abstandsnachsicht gemäß § 6 Abs. 9 Baugesetz maßgebenden Beweisthema stehen.

Auch dem Berufungsbescheid kann nicht entnommen werden, daß sich die Berufungsbehörde bei der Erteilung der Abstandsnachsicht der Frage, ob Interessen des Brandschutzes durch die Nichteinhaltung des Seitenabstandes beeinträchtigt werden, zugewendet hätte: Sie vertrat vielmehr die Auffassung, daß das Ermittlungsverfahren "keinerlei Anhaltspunkte ergeben" habe, daß solche Interessen beeinträchtigt würden, bezog sich in diesem Zusammenhang jedoch ausschließlich auf das lärmschutztechnische Gutachten und die (darauf bezugnehmenden) medizinischen Gutachten. Hinsichtlich der Fragen des Brandschutzes reicht daher die Feststellung, das Ermittlungsverfahren habe für eine Beeinträchtigung "keinerlei Anhaltspunkte ergeben" dann nicht aus, wenn zu dieser Frage Ermittlungsergebnisse fehlen, insbesondere ein Sachverständigengutachten gar nicht eingeholt wurde.

Da die belangte Behörde diesen Mangel des Berufungsverfahrens nicht erkannt hat, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes; dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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