VwGH 93/01/0210

VwGH93/01/021020.5.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Herberth und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Händschke, Dr. Bernegger und Dr. Beck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Mayer, über die Beschwerde der A in R, mit ihren mj. Kindern I und D, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. Oktober 1992, Zl. 4.337.911/2-III/13/92, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1991 §1 Z1;
AsylG 1991 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 5. Oktober 1992 wurde in Erledigung der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 20. Juni 1992 ausgesprochen, daß Österreich der Beschwerdeführerin - die am 17. April 1992 mit ihren beiden Kindern in das Bundesgebiet eingereist ist und am 16. Mai 1992 den Asylantrag gestellt hat - kein Asyl gewähre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde ist in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon ausgegangen, daß von ihr bereits das Asylgesetz 1991 anzuwenden sei, dies im Hinblick auf die Bestimmung des § 25 Abs. 2 erster Satz dieses Gesetzes, weil das gegenständliche Asylverfahren "am bzw. nach dem 1. Juni 1992 beim Bundesministerium für Inneres anhängig war". Diese Auffassung trifft aber - wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 31. März 1993, Zl. 92/01/0831, auf welches des näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausführlich dargelegt hat - auf Grund der Auslegung der genannten Bestimmung sowie der des § 25 Abs. 1 erster Satz Asylgesetz 1991 nicht zu. Dies führt allerdings noch nicht zwangsläufig dazu, daß die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten verletzt wurde. Die belangte Behörde hat zwar ihre Entscheidung auch darauf gestützt, daß bei der Beschwerdeführerin der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 gegeben sei, wonach einem Flüchtling kein Asyl gewährt wird, wenn er bereits in einem anderen Staat vor Verfolgung sicher war. Auf dem Boden der von ihr anzuwendenden alten Rechtslage hätte die belangte Behörde von diesem Ausschließungsgrund zu Ungunsten der Beschwerdeführerin nicht Gebrauch machen können, weil dem Asylgesetz (1968) - demzufolge in solchen Verfahren lediglich die bescheidmäßige Feststellung zu treffen war, ob der Betreffende als Flüchtling im Sinne dieses Gesetzes anzusehen sei oder nicht - eine derartige Bestimmung fremd war (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Juni 1993, Zl. 92/01/1007, und vom 27. Jänner 1994, Zlen. 93/01/0441, 0442). Die belangte Behörde ist aber zu ihrer abweislichen Entscheidung schon deshalb gelangt, weil sie die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin gemäß § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 verneint hat, welche Bestimmung keine inhaltliche Änderung gegenüber dem nach § 1 Asylgesetz (1968) in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention geltenden Flüchtlingsbegriff darstellt (vgl. unter anderem die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Jänner 1994, Zl. 93/01/0291, und vom 27. April 1994, Zl. 93/01/0487).

Die Beschwerdeführerin hat bei ihrer niederschriftlichen Vernehmung am 20. Mai 1992 hinsichtlich ihrer Fluchtgründe im wesentlichen angegeben, bosnische Staatsangehörige zu sein, jedoch der kroatischen Minderheit anzugehören. Einer politischen Organisation oder verbotenen Gruppierung habe sie nicht als Mitglied angehört. Bezüglich ihres Glaubensbekenntnisses habe sie bis zum Ausbruch des Krieges keinerlei Schwierigkeiten zu verzeichnen gehabt. Im April 1992 sei ihr Haus vom serbischen Militär zerstört worden. Sie habe in der Folge kein Zuhause mehr gehabt und "wie Zigeuner" leben müssen. Es sei ihr somit keine andere Wahl geblieben, als Bosnien zu verlassen. Darüber hinaus habe ihr Gatte eine Einberufung erhalten, welcher er jedoch nicht habe Folge leisten wollen.

In ihrer Berufung hat die Beschwerdeführerin vorgebracht, daß sie mit ihrem Mann und ihren Kindern in der Nähe von Derventa, einer Stadt in Bosnien, gelebt habe, sie der kroatischen Minderheit angehört hätten und Katholiken seien. Die Angriffe der serbischen Armee auf ihre Stadt hätten Ende Februar (offenbar: 1992) begonnen. Die Armee sei in ihren Ort gekommen und habe ihre Häuser zerstört. Die serbische Armee habe ihnen einen Termin gesetzt, an dem sie diese Gegend hätten verlassen müssen. Innerhalb von fünf Minuten hätten sie ihr Haus räumen müssen. Sie habe keine Papiere und Dokumente oder Wertsachen mitnehmen können. Danach sei ihr Haus angezündet worden. Sie wären in den umliegenden Wald geflüchtet und hätten zuerst nicht gedacht, daß sie die serbische Armee "wirklich ganz" aus ihrer Heimat vertreiben wolle. Nach einem Monat hätten sie gesehen, daß es für sie tatsächlich keine Möglichkeit mehr gebe, in ihrer Heimat zu leben, und die serbische Armee sie endgültig vertreiben wolle. Die gesamte kroatische Minderheit aus dieser Gegend sei vertrieben worden. Sie hätten um ihr Leben gefürchtet; alles sei zerstört gewesen, was sie gehabt hätten. Es sei für sie nicht mehr möglich, in ihre Heimat zurückzukehren, da dort ihr Leben bedroht sei und sie alles verloren hätten.

Die belangte Behörde hat, ohne jedoch das Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin wiederzugeben, die Auffassung vertreten, daß die Beschwerdeführerin im gesamten Verwaltungsverfahren keine Umstände geltend gemacht habe, "die unter das Asylgesetz 1991 zu subsumieren sind". Der Umstand, daß die Beschwerdeführerin von den bürgerkriegsähnlichen Ereignissen in ihrem Heimatland betroffen gewesen sei und ihr dadurch die Möglichkeit einer gesicherten Lebensführung gefehlt habe, könne allein schon mangels Vorliegens einer konkreten Verfolgung nicht unter die genannte Bestimmung subsumiert werden und daher die Gewährung von Asyl nicht rechtfertigen. Ihre Betroffenheit von den von ihr angesprochenen Ereignissen sei in typologischer Sicht eher der Heimsuchung durch eine Naturkatastrophe vergleichbar denn intentional und gezielt gegen ihre Person gerichteten Repressionshandlungen der Staatsgewalt, welch letztere allein allenfalls "Verfolgung" zu begründen vermöchten. Das Asylrecht schütze nur Personen, gegen die mit staatlichen Maßnahmen von erheblicher Intensität in Verfolgungsabsicht vorgegangen werde. Derartige Maßnahmen habe die Beschwerdeführerin jedoch im gesamten Verwaltungsverfahren nicht behauptet. Ein Nachteil, der sich aus der allgemeinen Situation ergebe und der jedermann treffen könnte, der dort lebe, sei nicht als Verfolgung zu qualifizieren. Da eine die Beschwerdeführerin betreffende Verfolgungsgefahr weder durch die vergangenen Ereignisse noch durch die notorische aktuelle Situation in ihrem Heimatland habe bescheinigt werden können, sei somit die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin zu verneinen und ihr kein Asyl zu gewähren.

Dazu ist zunächst zu bemerken, daß die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides - ungeachtet dessen, daß sie sowohl bei Nennung des Adressaten als auch einleitend (in Form einer Feststellung), entsprechend dem Nationale in der Niederschrift vom 20. Mai 1992 bezüglich der Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin, diese als kroatische Staatsangehörige bezeichnet hat - unmißverständlich davon ausgegangen ist, daß Bosnien-Herzegowina (ein seit 3. März 1992 unabhängiger Staat) als "Heimatland" der Beschwerdeführerin im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention anzusehen sei. Dem lagen die niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin hinsichtlich ihrer Fluchtgründe zugrunde, in denen die Beschwerdeführerin dezidiert behauptet hat, bosnische Staatsangehörige kroatischer Nationalität zu sein, woran sich durch ihr Berufungsvorbringen nichts geändert hat. Auch der Beschwerde ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß die Beschwerdeführerin dann, wenn sie von ihrem "Heimatland" spricht, damit diesen Staat und nicht Kroatien meint, wobei hinzukommt, daß sie in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 21. Dezember 1993 ausdrücklich erklärt hat, Staatsbürgerin von Bosnien-Herzegowina zu sein. Die belangte Behörde versucht in ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 22. März 1994 darzutun, warum sie auf Grund des Akteninhaltes eine kroatische Staatsbürgerschaft der Beschwerdeführerin angenommen habe, ohne jedoch neue Gesichtspunkte aufzuzeigen. Sie hätte die vorliegende Diskrepanz schon bei Erlassung des angefochtenen Bescheides aufzuklären gehabt und dann, wenn sie tatsächlich auf dem Standpunkt gestanden wäre, daß die Beschwerdeführerin kroatische Staatsbürgerin sei, hiefür eine entsprechende Begründung geben müssen.

Für die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin ist gemäß Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention maßgebend, ob sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus einem der darin angeführten Gründe verfolgt zu werden, außerhalb ihres Heimatlandes, also - nach dem oben Gesagten - außerhalb von Bosnien-Herzegowina befindet. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Annahme einer derartigen Befürchtung nicht voraus, daß die betreffende Person vor ihrer Ausreise eine individuell gegen sie gerichtete Verfolgung erlitten hätte oder ihr zumindest eine solche bereits konkret angedroht worden wäre. Eine solche Befürchtung wäre nämlich schon dann gerechtfertigt, wenn auf Grund der Verhältnisse im Heimatland der Beschwerdeführerin davon gesprochen werden müßte, daß systematisch eine Gruppenverfolgung der Kroaten, denen die Beschwerdeführerin angehört, aus Gründen ihrer Nationalität erfolgt, weil die Beschwerdeführerin dadurch der Gefahr ausgesetzt wäre, davon unmittelbar betroffen zu sein. Für den Standpunkt der Beschwerdeführerin wäre daher selbst dann etwas zu gewinnen, wenn das Berufungsvorbringen bloß einen deutlichen Hinweis darauf enthalten hätte, daß für sie eine daraus resultierende Verfolgungsgefahr von erheblicher Intensität bestanden habe (vgl. unter anderem die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Jänner 1994, Zl. 93/01/0291, und vom 2. Februar 1994, Zl. 92/01/0890). Die Beschwerdeführerin hat aber sogar behauptet, daß bereits schwerwiegende Aktivitäten gegen sie selbst gesetzt worden seien, indem ihr Haus von der serbischen Armee zerstört und sie mit ihrer Familie vertrieben worden sei. Es handelte sich hiebei nicht allein um die Tatsache, daß es im Heimatland der Beschwerdeführerin zu kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen ist, worin noch kein Grund gelegen wäre, darin gegen sie selbst konkret gerichtete Verfolgungshandlungen zu erblicken; vielmehr hatten (nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin) diese Aktivitäten gegen die Gesamtheit der dort lebenden Kroaten gerichtete Maßnahmen zum Ziel, die nicht bloß in Beeinträchtigungen allgemeiner Natur, die von allen hingenommen werden müßten, bestanden. Dabei wäre es der Beschwerdeführerin (auf dem Boden ihres Vorbringens im Zusammenhalt mit den allgemein bekannten Ereignissen in ihrem Heimatland) auch nicht zumutbar gewesen, sich weiteren, von ihr persönlich zu erwartenden Repressionshandlungen nicht durch ihre Flucht zu entziehen. Inwieweit diese, der Beschwerdeführerin nach ihrem Vorbringen von der serbischen Armee weiterhin drohende Verfolgung staatlichen Stellen ihres Heimatlandes zuzurechnen wäre, ist davon abhängig, ob der betreffende Staat in der Lage ist, diese Verfolgung hintanzuhalten. Hätte daher die staatliche Autorität zufolge der Besetzung durch die serbische Armee ihre Wirksamkeit in dem davon betroffenen Gebiet verloren, so wären die dort gesetzten Verfolgungshandlungen in asylrechtlicher Hinsicht staatlichen Maßnahmen gleichzuhalten, wobei sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auch nicht ergibt, daß eine inländische Fluchtalternative bestanden habe (vgl. auch dazu unter anderem die beiden zuletzt zitierten Erkenntnisse jeweils mit weiteren Judikaturhinweisen).

Da somit - wie auch die Beschwerde zutreffend ausführt - die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte