VwGH 92/18/0356

VwGH92/18/035624.3.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des M in H, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 16. Juni 1992, Zl. Senat-KO-91-019, betreffend Bestrafung wegen einer Übertretung des Arbeitszeitgesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §66 Abs4;
AZG §26 Abs1;
VStG §44a Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §66 Abs4;
AZG §26 Abs1;
VStG §44a Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Im Spruch des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg vom 21. Mai 1991 wurde die als erwiesen angenommene Tat wie folgt umschrieben:

"Sie haben als gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Fa. X-Ges.m.b.H. in H, etabliert, nicht dafür gesorgt, daß die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes eingehalten werden, da bei der am 21.11.1990 in der Filiale W, P durchgeführten Überprüfung durch ein Organ des Arbeitsinspektorates festgestellt wurde, daß laut vorgelegten Stempelkarten lediglich der Arbeitsbeginn eingetragen war, obwohl der Arbeitgeber zur Überwachung der Einhaltung der in diesem Bundesgesetz geregelten Angelegenheiten Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden und deren Entlohnung zu führen hat."

Über den Beschwerdeführer wurde deshalb wegen einer Übertretung des § 26 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt.

2. In der dagegen erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer unter anderem geltend, er habe bereits in zahlreichen gleichgelagerten Verfahren mitgeteilt, daß die Stempelkarten in den einzelnen Filialen nicht die Funktion der gemäß § 26 Arbeitszeitgesetz geforderten Aufzeichnungen betreffend die Arbeitszeit erfüllten. Diese Aufzeichnungen würden vielmehr in der Verwaltung des Unternehmens in H geführt und könnten jederzeit zur Verfügung gestellt werden. Das Arbeitsinspektorat habe gar nicht versucht, in diese Unterlagen Einsicht zu nehmen.

3. Mit Bescheid vom 16. Juni 1992 wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) die Berufung ab und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, daß die Tatumschreibung im Spruch wie folgt zu lauten habe:

"Sie sind als gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ (handelsrechtlicher Geschäftsführer) der Firma X-Gesellschaft m.b.H. mit Sitz in H, dafür verantwortlich, daß am 28. November 1990 die für die Filiale W, P, in der Zentrale in H, geführten Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden und deren Entlohnung den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprochen haben; hinsichtlich der nachstehend angeführten Arbeitnehmerinnen haben nämlich die Angaben über Pausenzeiten (Ruhepausen) gefehlt:

A (8. Oktober 1990 bis 13. Oktober 1990, Arbeitszeit jeweils von 7.30 Uhr bis 14.30 Uhr)

E (22. Oktober 1990 bis 25. Oktober 1990 und 27. Oktober 1990, Arbeitszeit jeweils von 11.00 Uhr bis 19.00 Uhr; 5. November 1990 bis 9. November 1990, Arbeitszeit jeweils von 12.00 Uhr bis 19.00 Uhr)

C (17. September 1990 bis 22. September 1990, sowie 5., 12. und 13. November 1990, Arbeitszeit jeweils von 7.30 Uhr bis 15.30 Uhr; 8. Oktober 1990 bis 12. Oktober 1990, Arbeitszeit jeweils von 11.00 Uhr bis 19.00 Uhr)"

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde aus, die in der Filiale vorhandenen Stempelkarten hätten bei der Überprüfung durch das Arbeitsinspektorat am 21. November 1990 nur den Zeitpunkt des Eintreffens der Arbeitnehmer im Betrieb bzw. den Arbeitsbeginn aufgewiesen. Die in der Zentrale angelegten Unterlagen über die geleisteten Arbeitsstunden wiesen hinsichtlich der Arbeitnehmerinnen in der Filiale für den in Rede stehenden Zeitraum vom September bis November 1990 die Zeitpunkte des täglichen Arbeitsbeginns und -endes auf, nicht aber Angaben über die Ruhepausen während dieser Arbeitsstunden. Es sei glaubwürdig, daß der Arbeitsbeginn mit der Öffnung des Geschäftes zusammenfalle und die Stempelkarten nicht der Aufzeichnung der Arbeitszeit, sondern der Anwesenheitskontrolle dienten. Ferner stehe fest, daß in der Zentrale des Unternehmens Aufzeichnungen über die Arbeitszeit geführt worden seien. Daß diese Aufzeichnungen in der Zentrale geführt worden seien, sei nicht rechtswidrig. Die vorgelegten Aufzeichnungen enthielten jedoch keine Angaben über die Ruhepausen und entsprächen demnach nicht § 26 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz. Daß die Ruhepausen nicht gewährt worden seien, habe der Beschwerdeführer nicht behauptet und könne von der belangten Behörde auch nicht angenommen werden. Die teilweise Neufassung des Spruches sei erforderlich gewesen, weil die Übertretung nicht dadurch begangen worden sei, daß "laut den vorgelegten Stempelkarten lediglich der Arbeitsbeginn eingetragen war", sondern daß in den vorgelegten Aufzeichnungen über die geleisteten Arbeitsstunden hinsichtlich der genannten Arbeitnehmer zu den im Spruch genannten Zeiten die Ruhepausen nicht ausgewiesen worden seien.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

II.

1. Gemäß § 24 VStG in Verbindung mit § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid (unter Bedachtnahme auf das im Verwaltungsstrafverfahren geltende Verbot der reformatio in peius) nach jeder Richtung abzuändern. "Sache" ist immer die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Unterbehörde bildet. Wechselt die Berufungsbehörde die von der Erstbehörde als erwiesen angenommene Tat aus, so nimmt sie eine ihr nicht zustehende Befugnis in Anspruch und belastet ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit (siehe die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, unter E.Nr. 1-3 zu § 51 Abs. 6 VStG zitierte hg. Rechtsprechung).

2. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde mit Recht vor, sie habe im Berufungsverfahren die als erwiesen angenommene Tat ausgewechselt. Wie dem angefochtenen Bescheid zu entnehmen ist, hat die belangte Behörde den Verstoß gegen § 26 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz nicht - wie die erstinstanzliche Behörde - darin erblickt, daß die in der Filiale vorhandenen Stempelkarten nur den Arbeitsbeginn aufgewiesen hätten, sondern darin, daß durch ANDERE Aufzeichnungen, nämlich die in der Zentrale geführten und der belangten Behörde vorgelegten, in ANDERER Weise, nämlich durch das Fehlen der Angaben über die Ruhepausen an bestimmten Tagen, § 26 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz nicht entsprochen worden sei. Die belangte Behörde hat damit eine andere Tat im Sinne des § 44a Z. 1 VStG als erwiesen angenommen als die erstinstanzliche Behörde. Die Tatsache, daß im angefochtenen Bescheid eine andere Tatzeit

(28. November 1990) als im erstinstanzlichen

(21. November 1990) angegeben wurde, spielt bei dieser Beurteilung keine Rolle mehr, weil die belangte Behörde ihren Bescheid diesbezüglich mit Bescheid vom 7. Oktober 1992 berichtigt hat.

Daß sowohl die erstinstanzliche als auch die belangte Behörde durch die von ihnen als erwiesen angenommenen Taten jeweils § 26 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz als verletzt angesehen haben, ändert nichts daran, daß die belangte Behörde eine andere Tat als erwiesen angenommen hat als die erstinstanzliche.

3. Aus den dargelegten Gründen hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. An Stempelgebührenersatz konnten dem Beschwerdeführer nur S 450,-- (S 360,-- Eingabengebühr für die Beschwerde und S 90,-- Beilagengebühr für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) zuerkannt werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte