Normen
AVG §52;
AVG §8;
BauO NÖ 1976 §118 Abs8;
BauO NÖ 1976 §120 Abs3;
BauO NÖ 1976 §120 Abs4;
BauO NÖ 1976 §5;
BauRallg;
AVG §52;
AVG §8;
BauO NÖ 1976 §118 Abs8;
BauO NÖ 1976 §120 Abs3;
BauO NÖ 1976 §120 Abs4;
BauO NÖ 1976 §5;
BauRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 11.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die mitbeteiligte Bauwerberin suchte am 24. Oktober 1989 um Bewilligung für die Errichtung einer Wohnhausanlage in N, S 5, an; ein früheres Bauansuchen wurde gleichzeitig zurückgezogen. Geplant ist die Errichtung von zwei Blocks mit je 2 Stiegen und je 24 Wohnungen sowie eines Blocks mit 3 Stiegen und 32 Wohnungen. Jedes Haus soll zwei Obergeschoße und ein ausgebautes Dachgeschoß enthalten; in den Kellergeschoßen sind PKW-Abstellplätze vorgesehen.
Die Erstbeschwerdeführer sind seitliche Nachbarn; ihre Liegenschaft ist durch einen Gehweg vom Bauprojekt getrennt. Die Liegenschaften der übrigen Beschwerdeführer befinden sich gegenüber den beiden kleineren geplanten Wohnblocks und sind durch die bestehende Straße vom Projekt getrennt.
Schon anläßlich des zuvor eingereichten Projektes holte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde ein Sachverständigengutachten zur Frage ein, ob das Bauvorhaben im Sinne des § 120 Abs. 3 der NÖ Bauordnung 1976 der bestehenden Bebauung entspreche; das Gutachten des Sachverständigen der Abteilung Bautechnik der NÖ Landesregierung vom 28. Juni 1989 wurde, bezogen auf das nunmehrige Projekt, am 28. November 1989 ergänzt. Der Sachverständige ging davon aus, daß das gegenständliche Bauvorhaben mit einem umbauten Raum von insgesamt ca. 18.500 m3 und einer Gebäudehöhe von 10-11 m (bedingt durch die Hanglage) relativ weit zu sehen und damit einen weitreichenden Einfluß auf die bestehende Bebauung auszuüben imstande sein werde, sodaß der Beurteilungsraum weit zu fassen sei. Er nahm ein Beurteilungsgebiet an, welches in etwa mit den Grenzen eines möglichen Sichtfeldes ident sei.
Der Sachverständige verglich anhand von neun in diesem Bereich befindlichen Gebäuden charakteristische Merkmale wie die Bebauungsweise, Grundrißabmessungen, Geschoßzahl, Gebäudehöhe, Abstand zu den Grundgrenzen, Vorgartentiefe, Bebauungsdichte und bebaute Fläche. Anhand dieses Vergleiches gelangte der Sachverständige zum Ergebnis, daß das Projekt in keinem auffallenden Widerspruch zur bestehenden Bebauung stünde.
Anläßlich der Bauverhandlung vom 30. November 1989 wendeten die Beschwerdeführer ein, das Bauprojekt stünde im Widerspruch zur bestehenden Bebauung und das Vorhaben sei außerhalb eines zusammenhängenden Ortsgebietes geplant. Die Erstbeschwerdeführer wendeten auch ein, daß der Bauwich nicht eingehalten werde.
In einer Stellungnahme vom 14. Mai 1990 äußerten sich die Beschwerdeführer zum Sachverständigengutachten dahingehend, daß für sie das Volumen der Bauobjekte und die Art der Gestaltung maßgeblich sei. Ein großvolumiges Bauvorhaben wie das vorliegende passe nicht in die unmittelbare Umgebung. Der Gutachter habe sich an den bisherigen negativen Erscheinungsformen orientiert und nicht geprüft, wie viele Einfamilienhäuser vorhanden seien. In unmittelbarer Umgebung der Anrainer seien derartig großvolumige Objekte nicht vorhanden, sondern erst in einer Entfernung von 2 bis 3 km.
In weiteren Äußerungen vom 21. November 1990 und vom 5. Dezember 1990 wiesen die Beschwerdeführer darauf hin, daß die Einhaltung der Bestimmung des § 120 Abs. 3
NÖ Bauordnung 1976 ein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht darstelle. Es würden die "entsprechenden" Abstände zu den Grundstücksgrenzen laut den Bestimmungen der NÖ Bauordnung 1976 nicht eingehalten, insbesondere nicht der Seitenabstand zum Grundstück der Erstbeschwerdeführer. Außerdem sei im "Bebauungsplan" eine Einwohnerdichte von 40 Personen pro Hektar vorgesehen, während im gegenständlichen Fall eine Wohndichte von etwa 250/ha gegeben ist. Das Gutachten nehme wahllos auf gewisse Objekte Bedacht.
Mit Bescheid vom 14. Februar 1991 erteilte der Bürgermeister der mitbeteiligten Marktgemeinde die beantragte Baubewilligung unter Vorschreibung von Auflagen. Die Einwendungen der Beschwerdeführer wurden als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich der Bedachtnahme auf die bestehende Bebauung gemäß § 120 Abs. 3 NÖ Bauordnung 1976 verwies die Baubehörde erster Instanz auf das Sachverständigengutachten, wonach nach einer Vielzahl von Vergleichskriterien die Übereinstimmung gegeben sei. Die Beschwerdeführer hätten kein Recht auf Einhaltung eines Bauwichs, weil kein Bebauungsplan vorliege.
Der dagegen erstatteten Berufung gab der Gemeinderat der mitbeteiligten Marktgemeinde mit Bescheid vom 23. April 1991 keine Folge. Soweit in der Berufung erstmals eine Rechtswidrigkeit bei Festlegung der Gebäudehöhe geltend gemacht wird, sei Präklusion gemäß § 42 AVG eingetreten. Mit dem Hinweis in der Bauverhandlung, das Vorhaben stehe in einem auffallenden Widerspruch zur bestehenden Bebauung, sei keine Einwendung im Rechtssinn erhoben worden, weil nicht konkret angeführt wurde, in welchem subjektiv-öffentlichen Recht die Anrainer verletzt werden. Daher sei auch diesbezüglich Präklusion eingetreten. Im übrigen habe der beigezogene Sachverständige das Beurteilungsgebiet exakt nach den vom Verwaltungsgerichtshof in einschlägigen Erkenntnissen festgelegten Kriterien abgegrenzt und anhand verschiedenster Merkmale Vergleiche mit der bestehenden Bebauung vorgenommen. Diesem Gutachten seien die Beschwerdeführer nicht auf fachlich gleicher Ebene entgegengetreten. Was die Wohndichte betreffe, liege kein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht vor.
Der dagegen erstatteten Vorstellung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid keine Folge. Einwendungen seien gemäß § 42 AVG in der Verhandlung zu erheben; ein Vorbehalt späterer Einwendungen sei ausgeschlossen. Die Beschwerdeführer hätten zwar die Feststellungen bekämpft, das Bauvorhaben stelle keinen auffallenden Widerspruch zur bestehenden Bebauung dar, aber nicht vorgebracht, in welchen subjektiv-öffentlichen Rechten sie sich verletzt erachteten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher sich die Beschwerdeführer in ihrem Recht darauf beschwert erachten, daß die belangte Behörde ihrer Vorstellung nicht stattgegeben habe. Es wird inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von "Verfahrensgrundsätzen" geltend gemacht.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und
erstattete wie die Bauwerberin eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 120 Abs. 3 der NÖ Bauordnung 1976 in der Fassung der Novelle LGBl. 8200-6 (im folgenden: BO) lautet:
"Eine Bewilligung gemäß § 92 oder § 93 ist in Gemeinden, in denen nur ein vereinfachter Bebauungsplan gemäß Abs. 1 gilt - abgesehen vom § 100 Abs. 2 - zu versagen, wenn
1. das geplante Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht;
2. das Vorhaben außerhalb eines zusammenhängend bebauten Ortsgebietes geplant ist und die geordnete Entwicklung der Bau- und Siedlungstätigkeit der Gemeinde gefährdet.
In Baulandbereichen, für die noch keine Regelung der Bebauung getroffen wurde, gelten die auf die vorherrschende Bebauung zutreffenden Bestimmungen dieses Gesetzes."
Da nach der Aktenlage für den gegenständlichen Bauplatz ein Bebauungsplan bisher nicht erlassen wurde, gelten die Übergangsbestimmungen des § 120 BO. Nach Abs. 4 dieser Bestimmung ist eine Bewilligung gemäß § 92 oder 93 BO in einer Gemeinde, in der noch kein Bebauungsplan und auch kein vereinfachter Bebauungsplan gilt, zu versagen, wenn das geplante Vorhaben einer Bestimmung des Abs. 3 widerspricht. Die Beschwerdeführer haben schon in der Bauverhandlung behauptet, daß das von der Erstmitbeteiligten geplante Bauvorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch stehe; in den ihnen aufgetragenen Stellungnahmen haben sie auf die Verletzung ihrer subjektiv-öffentlichen Nachbarrechte verwiesen, sodaß von einer Präklusion ihrer diesbezüglichen Einwendungen keine Rede sein kann.
Nach § 118 Abs. 9 Z. 4 BO werden subjektiv-öffentliche Rechte der Anrainer insbesondere durch die Bestimmungen über die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe und die Abstände der Fluchtlinien zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung begründet. Derartige Festsetzungen sind typischer Inhalt eines Bebauungsplanes (§ 5 BO) und dementsprechend kommt den Nachbarn für den Fall des Fehlens eines Bebauungsplanes nach den Übergangsbestimmungen des § 120 Abs. 3 und 4 BO ein Rechtsanspruch darauf zu, daß ein Vorhaben, welches zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht, wegen Verletzung subjektiv-öffentlicher Nachbarrechte nicht bewilligt wird (siehe das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 1992, Zl. 92/05/0064 m.w.N.). In diesem Erkenntnis wurde auch die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dahingehend zusammengefaßt, daß die genannte Übergangsregelung den geordneten Weiterausbau einer Ortschaft zu gewährleisten habe. In die Beurteilung der Frage, ob ein Vorhaben zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch stehe, seien daher alle jene Liegenschaften einzubeziehen, die miteinander nach der überwiegend herrschenden faktischen Bebauung ein im wesentlichen einheitliches, zusammenhängendes Ganzes bilden, da nur auf diese Weise dem Sinn der angeführten Übergangsregelung entsprechend ein einem Bebauungsplan ähnlicher Beurteilungsmaßstab geschaffen werden könne. Die Prüfung des Vorhabens habe alle Merkmale zu umfassen, die Gegenstand eines Bebauungsplanes sein können; erforderlich seien konkrete Feststellungen zunächst über die Grenzen des Bezugsbereiches.
Die Verwaltungsbehörden gelangen zur Bejahung der Übereinstimmung mit der bestehenden Bebauung aufgrund der Gutachten des Amtssachverständigen Dipl.Ing. K.. Der Sachverständige nahm aufgrund des Umstandes, daß das Projekt weithin sichtbar auf einer Anhöhe geplant sei, ein relativ großes, dem Sichtbereich entsprechendes Bezugsgebiet an. Diesbezüglich liegt eine Ablichtung - offenbar aus dem Flächenwidmungsplan - vor, in welchem die Grenzen des Bezugsgebietes eingezeichnet sind. Der Plan enthält zwar keinen Maßstab; sollte der Maßstab in etwa 1 : 5000 sein, ist eine maximale Längsausdehnung dieses Gebietes von ca. 2 km, eine maximale Breitenausdehnung von ca. 1 km anzunehmen. Im Gutachten heißt es wörtlich: "Alle innerhalb des vorhin abgegrenzten Beurteilungsgebietes liegenden Bauten sind also grundsätzlich für die Feststellung der "bestehenden Bebauung" (§ 120 Abs. 3 Z. 1) maßgeblich. Selbstverständlich werden nur jene Baulichkeiten besonders in die Betrachtung einbezogen, die IN ETWA gleiche oder zumindest vergleichbare ähnliche Abmessungen bzw. Kubaturen aufweisen". In der Folge wurden 9 Gebäude aus diesem Bezugsbereich beschrieben.
Eine derartige Einschränkung auf eine dem Projekt vergleichbare Bebauung erlaubt die Übergangsregelung jedoch keineswegs; es ist auf die bestehende Bebauung, also auf alle vorhandenen Gebäude Bedacht zu nehmen.
Die Beschwerdeführer haben ständig darauf hingewiesen, daß die Umgebung vor allem mit Einfamilienhäusern bebaut sei, wie dies auch aus den dem Sachverständigengutachten angeschlossenen Fotos entnommen werden kann. Der Sachverständige hat für seinen Vergleich aber zwei Betriebsgebäude, zwei Kasernengebäude, ein Pflegeheim, drei mehrgeschoßige Wohnhausanlagen und eine Reihenhausanlage herangezogen. Damit wird keine vollständige Aussage über die bestehende, vor allem nicht über die überwiegende Bebauung getroffen. Eine Beurteilung, ob ein Vorhaben dem Bestand entspricht, kann nicht aufgrund eines Vergleiches mit dem Vorhaben ähnlichen Teilen des Bestandes erfolgen. Wie immer der Bezugsbereich sachlich gerechtfertigt abgegrenzt wird, muß in einem solchen Bezugsbereich aber der Bestand an Gebäuden VOLLSTÄNDIG erfaßt werden, und sodann anhand der wesentlichen Kriterien (§ 5 BO) mit dem Vorhaben verglichen werden. Nur durch ein Gutachten, das eine vollständige Bestandsaufnahme enthält, kann die Rechtsfrage geklärt werden, ob das Projekt zur bestehenden Bebauung in einem auffallenden Widerspruch steht oder nicht.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes.
Aufgrund der dargelegten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Barauslagen konnten nur im tatsächlich erforderlichen Umfang zugesprochen werden.
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