VwGH 90/14/0065

VwGH90/14/006521.6.1994

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Hnatek, Dr. Karger, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein der Schriftführerin Rätin Dr. Hutter, über die Beschwerde des A in T, vertreten durch Dr. O, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 30. Jänner 1990, Zl. 101/5-10/F-1990, betreffend Abgabennachsicht, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §20;
BAO §236 Abs1;
B-VG Art130 Abs2;
BAO §20;
BAO §236 Abs1;
B-VG Art130 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ersuchte am 25. April 1989 um Nachsicht eines Abgabenbetrages von insgesamt S 579.859,--. Dieser Betrag resultiere aus Einkommensteuer- und Umsatzsteuernachbelastungen für die Jahre 1980 bis 1986. Die Abgabenbehörde habe negative Einkünfte aus dem Betrieb eines Gasthauses mittels endgültiger Steuerbescheide nicht als Einkunftsquelle anerkannt. Die Einhebung des aus der entsprechenden Nachbelastung resultierenden Abgabenbetrages sei nach Lage des Falles unbillig. Gegen die Nichtanerkennung der erlittenen Verluste könne aufgrund der "derzeitigen Rechtsprechung" kein Rechtsmittel mit Erfolg eingebracht werden. Bereits durch die Nichtanerkennung der Verluste für die Jahre 1974 bis 1979 und die daraus resultierende Nachbelastung an Einkommensteuer und Umsatzsteuer in Höhe von S 640.000,-- sei er in finanzielle Schwierigkeiten geraten und nicht zuletzt, um diese Steuerverbindlichkeit tilgen zu können, sei er gezwungen gewesen, das Gasthaus und weitere Liegenschaften zu veräußern. Es habe sich wirtschaftlich um einen "Notverkauf" gehandelt, wobei der erzielte Verkaufspreis des Gasthauses nur einen Teil der in den Jahren 1974 bis 1986 durchgeführten Investitionen abgedeckt habe. Der Beschwerdeführer beziehe ab 1989 nur mehr Einkünfte aus einem Buffetbetrieb, wobei auch hier wegen außerordentlicher Umstände (im Jahr 1987 sei das Gebäude, in dem sich das Buffet befinde, durch einen Brand schwer beschädigt worden) für 1988 wahrscheinlich mit einem negativen Ergebnis zu rechnen sei. Aufgrund des Alters des Beschwerdeführers von über 60 Jahren bestünden für ihn, außer der Inanspruchnahme der Alterspension, keine anderen Verdienstmöglichkeiten. An Vermögenswerten besitze er nur mehr ein Mietwohngrundstück, welches jedoch mit offenen Bankdarlehen hypothekarisch schwer belastet sei. Unter Berücksichtigung einer noch bestehenden Sorgepflicht für seine Tochter würde die volle Einbringung der Steuerverbindlichkeit aufgrund der bestehenden finanziellen Situation den "Nahrungsstand" und die Existenz der Familie des Beschwerdeführers gefährden. Die Einbringung der Abgaben würde auch eine Sanierung des Buffetbetriebes verhindern. Auch dadurch sei die wirtschaftliche Existenz betroffen, weil allein aus den Pensionseinkünften die Abdeckung der bestehenden Verbindlichkeiten nicht gewährleistet sei. Weiters habe er durch übernommene Haftungen und Bürgschaften in den vergangenen Jahren höhere Zahlungen leisten müssen, sodaß die schwierige finanzielle Lage, in der sich der Beschwerdeführer derzeit befinde, größtenteils auf außerordentliche Umstände zurückzuführen sei.

Nachdem der Beschwerdeführer sein Nachsichtsansuchen am 26. Mai 1989 um S 44.228,-- wegen berichtigter Einkommensteuerbescheide der Jahre 1985 und 1986 erweitert hatte (gesamter Nachsichtsbetrag somit S 624.087,--), gab er in einer Vorhaltsbeantwortung vom 23. Juni 1989 seine (neben den Abgabenschulden) bestehenden Verbindlichkeiten (hauptsächlich gegenüber Banken) mit einem Gesamtbetrag von rund

S 4,8 Millionen an.

Die Abgabenbehörde erster Instanz wies das Ansuchen um Bewilligung der Nachsicht ab. Nach der Lage des Falles sei die Einhebung der fälligen Abgabenschulden zwar unbillig, dem Ansuchen jedoch im Sinne des freien Ermessens nach § 20 BAO nicht Folge zu geben. Die Nachsicht ginge ausschließlich zu Lasten der Finanzverwaltung und außerdem würde durch die Nachsicht des im Verhältnis zu den anderen Verbindlichkeiten relativ geringen Abgabenbetrages eine wesentliche Veränderung oder Sanierung der wirtschaftlichen Lage nicht eintreten.

Diesen zuletzt getroffenen Annahmen widersprach der Beschwerdeführer in seiner Berufung. Vom Finanzamt werde nicht berücksichtigt, daß die gegenüber den anderen Gläubigern bestehenden Schulden hypothekarisch auf dem dem Beschwerdeführer noch gehörenden Grundstück sichergestellt seien. Bei einer Versteigerung dieser Liegenschaft bzw. einem Freihandverkauf sei mit einer rund 60 %igen Befriedigung der grundbücherlich sichergestellten Bankverbindlichkeiten zu rechnen, sodaß von diesen Verbindlichkeiten noch rund S 1,8 Millionen offen blieben. Daher gehe die beantragte Nachsicht auch bei Realisierung der vorhandenen Vermögenswerte nicht ausschließlich zu Lasten der Finanzverwaltung und zu Gunsten anderer Gläubiger. Setze man den beantragten Nachsichtsbetrag in Verhältnis zu den nicht gedeckten Verbindlichkeiten an andere Gläubiger in Höhe von rund S 1,8 Millionen, sei zu ersehen, daß die Nachsicht sehr wohl eine wesentliche Veränderung bzw. sogar eine Sanierung der wirtschaftlichen Lage ermöglichen würde. Der Beschwerdeführer strebe mit den anderen Gläubigern die Vereinbarung eines außergerichtlichen Ausgleiches an. Nach Renovierung des Geschäftslokales für den Buffetbetrieb seien auch positive Einkünfte zu erwarten; außerdem versuche der Beschwerdeführer wieder als selbständiger Vermittler im Handel mit Ostblock-Staaten Fuß zu fassen. Die Nachsicht bedeute somit die Möglichkeit der Sanierung der wirtschaftlichen Lage des Beschwerdeführers. Dies umsomehr, als die Bankverbindlichkeiten im wesentlichen langfristige Verbindlichkeiten seien, wogegen der steuerliche Rückstandsbetrag eine kurzfristig nicht finanzierbare weitere Mittelaufbringung bedeute.

Im angefochtenen Bescheid ging die belangte Behörde davon aus, daß nach den Angaben des Beschwerdeführers die Unbilligkeit der "Einziehung" nicht verneint werden könne, weil aufgrund der vorliegenden Überschuldung bzw. der bekannten wirtschaftlichen Verhältnisse die "Einziehung" des Abgabenbetrages die wirtschaftliche Existenz bzw. den "Nahrungsstand" des Beschwerdeführers gefährden würde. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung seien die vorgebrachten berechtigten Interessen des Beschwerdeführers dem öffentlichen Anliegen an der Einbringung der Abgaben gegenüberzustellen. Der Beschwerdeführer strebe nach seinen Ausführungen mit seinen anderen Gläubigern die Vereinbarung eines außergerichtlichen Ausgleiches an. Für die Abgabenbehörde würde der Verzicht auf die Abgabenforderung somit bedeuten, dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu geben, andere Gläubiger schneller und in einem höheren Ausmaß zu befriedigen. Dem Abgabengläubiger würde dadurch kaum ein Vorteil erwachsen, vielmehr würden bloß andere Gläubiger wesentlich günstiger behandelt. Mit dem Verzicht auf den Abgabenanspruch würde auch keine wirtschaftliche Sanierung des Nachsichtswerbers eintreten. Für die Beurteilung eines Nachsichtsansuchens seien die aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse und nicht etwa eventuell eintretende zukünftige Ereignisse aufgrund Realisierung von Vermögenswerten von Bedeutung. Es sei daher vom gesamten Schuldenstand auszugehen und dazu auch zu berücksichtigen, daß Bankverbindlichkeiten einer Verzinsung unterlägen und neben der Tilgung auch die Zinsen erwirtschaftet werden müßten. Auch die Angaben, wonach der Beschwerdeführer nach vollständiger Renovierung seines Geschäftslokales (Buffetbetrieb) positive Einkünfte erwarte und als Vermittler im Handel mit Ostblock-Staaten Fuß fassen wolle, seien zu wenig konkret, um daraus auf eine Sanierung der finanziellen Situation des Beschwerdeführers schließen zu können. Auch könne die Sanierung nicht von einem einzigen Nebengläubiger ausgehen, vielmehr müßten dazu alle Gläubiger einen Beitrag leisten. Es läge sicherlich nicht im öffentlichen Interesse, wenn die Abgabenbehörde durch einen voreiligen Verzicht auf den Abgabenanspruch auf die Einbringungsmöglichkeiten verzichte.

In der Beschwerde gegen diesen Bescheid werden dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Bewilligung einer Abgabennachsicht in der Höhe von S 624.087,-- verletzt.

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet und die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach Lage des Falles unbillig wäre.

Die Erledigung eines Nachsichtsantrages ist daher einerseits von der rechtlich gebundenen Entscheidung der Frage der Unbilligkeit der Einhebung abhängig, andererseits von der Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO.

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde die Frage der Unbilligkeit der Einhebung der Abgabenschuldigkeiten bejaht. Dennoch hat sie im Rahmen der Ermessensentscheidung die Gewährung der Abgabennachsicht abgelehnt.

Eine Ermessensentscheidung der Behörde darf der Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 130 Abs. 2 B-VG nur dahin untersuchen, ob die Behörde von ihrem freien Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat, ob der Behörde also im Rahmen ihrer Entscheidung Ermessensüberschreitung oder Ermessenmißbrauch anzulasten ist.

Gemäß § 20 BAO müssen sich Ermessensentscheidungen in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.

Zu diesen Umständen zählt sowohl die Tatsache, daß eine allfällige Nachsicht im Hinblick auf den Gesamtschuldenstand zu keiner wesentlichen Veränderung der wirtschaftlichen Lage des Beschwerdeführers oder gar zu einer Sanierung führen würde, als auch die Tatsache, daß sich die Nachsicht ausschließlich zu Lasten der Finanzverwaltung und zu Gunsten anderer Gläubiger des Beschwerdeführers auswirken würde (vgl. z.B. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. März 1989, 88/13/0179, und vom 25. Juni 1990, 89/15/0100). Über eine Abgabennachsicht ist aufgrund der bei Bescheiderlassung gegebenen Sach- und Rechtslage abzusprechen. Ändert sich (z.B.) die Sachlage, so kann allenfalls neuerlich um Abgabennachsicht angesucht werden (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Dezember 1989, 89/14/0196). Ein Nachsichtsverfahren ersetzt nicht ein Rechtsmittelverfahren gegen den Abgabenbescheid, sodaß für eine Bewilligung der Nachsicht die inhaltliche Richtigkeit des Abgabenbescheides grundsätzlich nicht von Bedeutung ist (siehe z.B. das Erkenntis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. März 1994, 91/14/0079, 0080, 0081).

Zutreffend führt die belangte Behörde für ihren Standpunkt ins Treffen, daß die begehrte Nachsicht beim vom Beschwerdeführer vorgelegten "Sanierungsplan" einem "Vorwegverzicht" der Abgabenbehörde zu Gunsten anderer Gläubiger gleichkäme. Die Abgabenbehörde ist keineswegs verhalten, durch eine Nachsicht der Abgabenschuldigkeiten erst den Ausgleich und die (teilweise) Befriedigung - nur - der anderen Gläubiger zu ermöglichen.

Auch wird durch die Hinweise auf eine hypothetische Schuldenstandverminderung bei einem eventuellen Abverkauf der Liegenschaft eine konkrete Sanierungsmöglichkeit des Beschwerdeführers durch die begehrte Abgabennachsicht nicht aufgezeigt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. April 1990, 86/13/0183). Dasselbe gilt für die Ausführungen bezüglich zukünftig erwarteter Besserung der wirtschaftlichen Lage wegen möglicher positiver Geschäftsentwicklungen. Behauptete Verfahrensmängel, wonach von der belangten Behörde nicht geprüft worden sei, ob die Einnahmen aus einer erwarteten Abwicklung von Großprojekten dem Beschwerdeführer oder einer Ges.m.b.H. zufließen würden, können an dieser Beurteilung ebenfalls nichts ändern.

Die belangte Behörde hat daher innerhalb ihres vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraumes entschieden, sie hat von dem ihr durch das Gesetz eingeräumten Ermessen nicht dem Sinn des Gesetzes zuwider Gebrauch gemacht (Art. 130 Abs. 2 B-VG), sodaß die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

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