VwGH 93/05/0007

VwGH93/05/000713.4.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Degischer, Dr. Giendl und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Gritsch, über die Beschwerde des O in X, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in N, gegen den Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt St. Pölten vom 1. Dezember 1992, Zl. 00/37/4-1992/Mag. Gu./Uh., betreffend eine Bauangelegenheit, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs3;
AVG §68 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §45 Abs3;
AVG §68 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat der Landeshauptstadt St. Pölten Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt St. Pölten vom 1. Dezember 1992 wurde dem Beschwerdeführer unter Berufung auf § 68 Abs. 3 AVG der Auftrag erteilt, die (baubehördlich bewilligten) Abluftanlagen der auf den Grundstücken Nr. 250, 251, 212 und 213 des Grundbuches über die Kat. Gem. X befindlichen beiden "Hühnerhallen" durch "Errichtung einer Biofilteranlage in geschlossener Bauweise mit vorgeschalteter Wäsche" zu ändern. Unter Punkt 3.) der Auflagen dieses Bescheides wurde für die Durchführung dieser Arbeiten und die Inbetriebnahme der Biofilteranlage eine Frist von sechs Monaten festgesetzt.

Die Berufungsbehörde ging, gestützt auf diesbezügliche Sachverständigengutachten, im wesentlichen davon aus, daß die gesamte Abluft der in Rede stehenden Hühnerhallen durch ihren Keimgehalt und den Gehalt an Staub- und Geruchsstoffen als gesundheitsgefährdend anzusehen ist und daher entweder eine Absiedlung oder eine hygienische Sanierung einschließlich der Abluftreinigung mittels Biofilter in geschlossener Bauweise mit einem Reinigungsgrad von 90 % durchgeführt werden muß. Anläßlich der im Gegenstande durchgeführten mündlichen Verhandlung habe der Amtsarzt erklärt, daß das gesundheitliche Risiko derzeit in einer Größenordnung liege, daß rasch gehandelt werden müsse. Die dem Verfahren beigezogenen Sachverständigen hätten in der Umstellung von der Bodenhaltung auf eine Käfighaltung offensichtlich keine Änderung der bestehenden Situation gesehen. Der Einwand, die bloße Anhebung der Ausblaseöffnung auf 4 m über dem Boden würde eine Vermeidung der Gesundheitsgefährdung bewirken, sei unbegründet, weil mit dieser Maßnahme keine Reduzierung des Keimgehaltes in der Abluft verbunden wäre. In dem medizinischen Gutachten sei schlüssig erläutert worden, daß Staphylokokken sowie häm. Streptokokken unabhängig von ihrer Konzentration als humanpathogen zu betrachten seien. Schimmelpilze könnten Allergien auslösen, sodaß eine Veränderung des Aufprallpunktes lediglich "eine Verschiebung der betroffenen Wohnnachbarschaft" bedeuten würde. Diese Maßnahme habe daher von den Sachverständigen nicht vorgeschrieben werden können.

Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 68 Abs. 2 AVG können von Amts wegen Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, sowohl von der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden. Andere Bescheide kann zufolge Abs. 3 dieser Gesetzesstelle in Wahrung des öffentlichen Wohles die Behörde, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, dieser, oder die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde insoweit abändern, als dies zur Beseitigung von das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährdenden Mißständen oder zur Abwehr schwerer volkswirtschaftlicher Schädigungen notwendig und unvermeidlich ist. In allen Fällen hat die Behörde mit möglichster Schonung erworbener Rechte vorzugehen.

Die Anwendbarkeit des Abs. 3 dieser Gesetzesstelle setzt nicht bloß die allgemein abstrakte und an generellen Erfahrungswerten orientierte Möglichkeit einer Gefahr voraus, sondern es muß vielmehr - gestützt auf einen ordnungsgemäß erhobenen Befund - eine konkrete Gefährdung von Personen nachgewiesen und von der Behörde in einem mängelfreien Verfahren festgestellt werden (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1976, Zl. 2303/74, abgedruckt bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Aufl., S. 597, ENr. 8).

Der Vorstand des Institutes für Umwelthygiene der Universität Wien hat in seiner auf die Befunde der NÖ. Umweltschutzanstalt vom 17. Mai 1989 sowie des Institutes für Bakteriologie und Tierhygiene der Veterinärmedizinischen Universität Wien vom 15. Juni 1992 gestützten zusammenfassenden Beurteilung vom 27. August 1992 die Auffassung vertreten, daß die gesamte Abluft des Hühnerzuchtbetriebes des Beschwerdeführers "durch ihren Keimgehalt und auch den Gehalt an Staub- und Geruchsstoffen als gesundheitsgefährdend einzustufen ist", weshalb "entweder eine Absiedlung oder eine hygienische Sanierung einschließlich der Abluftreinigung mittels Biofilter in geschlossener Bauweise mit einem Reinigungsgrad von 90 % durchzuführen ist".

Anläßlich der in Gegenwart des Beschwerdeführers durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 19. Oktober 1992 wurde dazu von dem genannten und einem weiteren medizinischen Sachverständigen ergänzend ausgeführt, daß "das gesundheitliche Risiko derzeit in einer Größenordnung liegt, daß rasch gehandelt werden muß". Ferner hat der Sachverständige für technischen Umweltschutz (Fachrichtung Luftreinhaltung) bei dieser Gelegenheit festgehalten, daß, sollte eine Absiedlung nicht möglich sein, die Erfassung der Abluft beider Hallen und Zuführung der gesammelten Abluft in einen Biofilter die einzige Möglichkeit zur Herabsetzung und Vermeidung der durch die gegenständliche Anlage auftretenden Staub- und Geruchsimmission darstelle. Biofilteranlagen in geschlossener Bauweise seien zur Hintanhaltung und Vermeidung von unzumutbaren Staub- und Geruchsimmissionen bei der Hühnerzucht und Hühnerhaltung als Stand der Technik anzusehen. Im vorliegenden Fall wäre ein Projekt von einer facheinschlägigen Firma derart auszuarbeiten, daß die vorhandenen Abluftführungen beider Hühnerhaltungshallen zusammengefaßt und einer Biofilteranlage in geschlossener Bauweise zugeführt werden. Auf Grund der Größenordnung der Hühnerhaltung und beider Hallen (insgesamt etwa 3800 Hühner) würde ein zu errichtender Biofilter die Größenordnung von ca. 12 x 2,5 x 2,6 m (Höhe) aufweisen. Der Abscheidegrad müßte mindestens 90 % betragen, wobei zur Hintanhaltung einer Dekontamination der Biofiltermasse und dadurch Herabsetzung der Standzeit des Biofiltermaterials der in der Abluft vorhandene Staub auf unter 10 mg/m3 zu reduzieren wäre. Da der Ammoniakgehalt in der Abluft bei der Hühnerhaltung erhöhte Konzentrationen aufweise und dadurch bedingt ebenfalls eine Herabsetzung des Abscheidegrades der Biofilteranlage gegeben sei, wäre dieser ebenfalls mit dem Staub zu entfernen. Für derartige Zwecke könne ein vorgeschalteter Füllkörperwäscher eingesetzt werden, wobei für die Abscheidung des Ammoniaks ein schwachsaures Waschmedium wie z.B. Essigsäure anzuwenden wäre. Zur Aufrechterhaltung der erforderlichen Feuchtigkeit des Biofiltermaterials sei diese kontinuierlich zu überwachen und zu regeln (z.B. Überdruckmeßdosen). Als Aufstellungsort könnte der freie Platz vor der Halle 2 oder der Halle 1 herangezogen werden. Die gereinigte Abluft wäre senkrecht in die freie Atmosphäre abzuführen, wobei die Mündungsöffnung mindestens 5 m über dem Boden liegen müßte. Der Schalldruckpegel des Abluftventilators müßte derart gestaltet werden, daß die Emission, gemessen in 1 m Entfernung, 60 dB nicht überschreite.

Der Gerichtshof kann der belangten Behörde nicht entgegentreten, wenn sie angesichts dieses Ermittlungsergebnisses die Voraussetzungen für ein Vorgehen im Sinne des § 68 Abs. 3 AVG als gegeben angesehen hat, zumal kein Zweifel besteht, daß im Falle der Fortsetzung des Hühnerzuchtbetriebes des Beschwerdeführers ohne Durchführung der aufgetragenen Maßnahmen weiterhin eine konkrete Gefährdung der Gesundheit von Menschen verursacht wird. Dabei ist im Hinblick auf die in der wiedergegebenen Gesetzesstelle enthaltene Vorschrift, wonach das Änderungsrecht der Behörde nur insoweit besteht, als dies zur Beseitigung von das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährdenden Mißständen notwendig und unvermeidlich ist, darauf hinzuweisen, daß der Sachverständige für technischen Umweltschutz die geschilderten Maßnahmen als "die einzige Möglichkeit zur Herabsetzung und Vermeidung der durch die gegenständliche Anlage auftretenden Staub- und Geruchsimmission" angesehen hat, weshalb der belangten Behörde in Ermangelung von Alternativen zur Sanierung des aufgezeigten Mißstandes auch nicht vorgeworfen werden kann, im Sinne des § 68 Abs. 3 letzter Satz leg. cit. nicht mit möglichster Schonung erworbener Rechte des Beschwerdeführers vorgegangen zu sein. Zu der in diesem Zusammenhang in der Beschwerde erwähnten Möglichkeit "der Umstellung von Bodenhaltung der Hühner auf Käfighaltung" ist zu bemerken, daß der Beschwerdeführer schon während des Verwaltungsverfahrens durch ein fachlich fundiertes Gutachten den allfälligen Beweis dafür zu erbringen gehabt hätte (vgl. dazu die bei Hauer-Leukauf, a.a.O., auf S. 370 unter ENr. 52 zitierte hg. Judikatur), daß außer dem in den erwähnten - schlüssigen - Sachverständigengutachten als einzige Maßnahme zur Beseitigung der Gesundheitsgefährdung vorgeschlagenen Einbau einer Biofilteranlage noch andere, ebenfalls zielführende Maßnahmen in Betracht kommen, durch welche ein geringerer Eingriff in seine Rechte erfolgt. Da der Beschwerdeführer den Äußerungen der Sachverständigen aber nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten ist und sohin nicht einmal einen Beweis dafür angeboten hat, daß "eine Verbesserung der hygienischen Situation in der Bodenhaltung der Hühner zu einer Vermeidung einer allenfalls bestehenden Gesundheitsgefährdung führen kann", oder durch "Einbau von Staubfiltern, Baumpflanzungen usw." die konkrete Gesundheitsgefährdung von Menschen künftig vermieden würde, kann der belangten Behörde keine im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wesentliche, also zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Verletzung von Verfahrensvorschriften angelastet werden, wenn sie dem Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid die in Rede stehenden Maßnahmen vorgeschrieben hat, ohne das erstinstanzliche Ermittlungsverfahren durch weitere Sachverständigengutachten zu ergänzen. Die belangte Behörde hatte in Ermangelung irgendwelcher diesbezüglicher Anhaltspunkte insbesondere keinen Anlaß, auf Grund der vom Institut für Bakteriologie und Tierhygiene am 8. Mai 1992 durchgeführten Messungen der Luftkeimflora in der Abluft des Hühnerzuchtbetriebes des Beschwerdeführers, welche an 16 verschiedenen Stellen in Entfernungen von 0,2 m bis 50 m "ab Abluftaustrittsöffnung" durchgeführt worden sind, daran zu zweifeln, daß die festgestellten Keime aus dem Betrieb des Beschwerdeführers stammen und daher für die von den Sachverständigen angenommene Gesundheitsgefährdung kausal sind. Bei seinem Hinweis in der Beschwerde, unter Punkt 1. dieser Untersuchung werde festgehalten, daß in einer Entfernung von 0,2 m ab Abluftaustrittsöffnung hochgradig Mikrokokken, unter Punkt 3. in einer Entfernung von 5 m ab Abluftaustrittsöffnung mittelgradig, und unter Punkt 4. in einer Entfernung von 10 m ab Abluftaustrittsöffnung wiederum hochgradig Mikrokokken festgestellt worden seien, dürfte der Beschwerdeführer übersehen haben, daß die Messungen nach der einleitenden Feststellung dieses Untersuchungsberichtes "bei Punkt 1 0,50 m über Boden und bei den übrigen Punkten 1,20 m über dem Boden erfolgten" und überdies "leichter Wind WO -> SO" herrschte.

Im übrigen kann sich der Verwaltungsgerichtshof der Auffassung des Beschwerdeführers nicht anschließen, daß er in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt worden sei. Abgesehen davon, daß eine im erstinstanzlichen Verfahren allenfalls unterlaufene Verletzung dieses Rechtes jedenfalls dadurch saniert wird, daß die Partei die Möglichkeit hat, in der Berufung oder im Zuge des Berufungsverfahrens ihren Rechtsstandpunkt darzulegen und sohin an der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes mitzuwirken (vgl. dazu Hauer-Leukauf, a. a.O., S. 235, ENr. 62), wurden dem Beschwerdeführer u.a. der eben erwähnte Untersuchungsbericht des Institutes für Bakteriologie und Tierhygiene vom 8. Mai 1992 und das darauf basierende Gutachten des Vorstandes des Institutes für Umwelthygiene der Universität Wien vom 27. August 1992 fünf Tage vor der im Gegenstande abgehaltenen mündlichen Verhandlung zur Kenntnis gebracht, sodaß der Beschwerdeführer, auch wenn man ihm zugesteht, daß er bis zu dieser Verhandlung kein Gegengutachten ausarbeiten lassen konnte, bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides, aber jedenfalls auch noch im Zuge des Rechtsmittelverfahrens ausreichend Gelegenheit gehabt hätte, den Schlußfolgerungen der Sachverständigen auf gleicher fachlicher Ebene entgegenzutreten.

Abschließend ist in Erwiderung auf ein diesbezügliches Beschwerdevorbringen noch darauf hinzuweisen, daß dem angefochtenen Bescheid entsprechend den vom Gerichtshof beigeschafften Unterlagen ein Beschluß des zuständigen Stadtsenates zugrunde liegt, welcher nicht nur den Spruch, sondern auch die Begründung des angefochtenen Bescheides umfaßt hat. Es liegt daher kein Bescheid einer unzuständigen Behörde vor.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid nicht in seinen Rechten verletzt worden ist, weshalb sich die Beschwerde als unbegründet erweist. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Damit erübrigt sich auch eine Entscheidung über den in der Beschwerde gestellten Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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