VwGH 93/01/0197

VwGH93/01/019727.5.1993

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Kremla und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, in der Beschwerdesache des Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den "Stadtrat" der Stadtgemeinde W wegen Verletzung der Entscheidungspflicht, den Beschluß gefaßt:

Normen

B-VG Art129a Abs1 Z2;
B-VG Art132;
GdO Allg Krnt 1982 §28 Abs1;
VwGG §27;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
B-VG Art132;
GdO Allg Krnt 1982 §28 Abs1;
VwGG §27;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Mit der vorliegenden, gemäß Art. 132 B-VG erhobenen Säumnisbeschwerde macht der Beschwerdeführer - ein Mitglied des Gemeinderates der Stadtgemeinde W. - Verletzung der Entscheidungspflicht des "Stadtrates" der Stadtgemeinde W. geltend. Aus der Beschwerde und dem mit der Beschwerde vorgelegten Berufungsschriftsatz des Beschwerdeführers ergibt sich folgender Sachverhalt:

Gegenstand des Punktes 5 der Tagesordnung der für den 25. Juni 1992 anberaumten Sitzung des Gemeinderates der Stadtgemeinde W. war die Genehmigung einer Vereinbarung und eines Kaufvertrages zwischen der Stadtgemeinde W. und der K.-Sparkasse betreffend die Veräußerung von Aktien der K.-Sparkasse. In den betreffenden Akt habe der Beschwerdeführer am 17. Juni 1992 Einsicht genommen. Dabei habe er festgestellt, daß ein zur Entscheidungsfindung wesentliches, einen Aktenbestandteil bildendes Gutachten betreffend den Wert des "Anteiles" der Stadtgemeinde W. an der K.-Sparkasse sich nicht im Akt befinde. Am 23. Juni 1992 habe der Beschwerdeführer im Büro des Bürgermeisters in das erwähnte Gutachten Einsicht genommen. Der Bürgermeister habe dem Beschwerdeführer auch gestattet, eine Abschrift des Gutachtens herzustellen; die Herstellung einer Fotokopie sei dem Beschwerdeführer vom Bürgermeister jedoch untersagt worden. Der Beschwerdeführer habe daraufhin schriftlich die Herstellung einer Fotokopie beantragt. Der Bürgermeister habe diesen Antrag mit einem am 7. Juli 1992 zugestellten, nicht als Bescheid bezeichneten Schreiben abgewiesen. Dies habe er damit begründet, daß "gemäß § 28 AGO die Frage der Herstellung und Ausfolgung von Fotokopien nicht expressis verbis angeführt und die Bestimmungen des AVG nicht auf § 28 AGO übertragbar" seien. Über die vom Beschwerdeführer gegen diese Erledigung, die er als Bescheid ansehe, am 21. Juli 1992 erhobene, an den "Stadtrat" (nach dem Inhalt des Berufungsschriftsatzes: den Gemeindevorstand) der Stadtgemeinde W. gerichtete Berufung habe der "Stadtrat" der Stadtgemeinde W. bis heute nicht entschieden.

Gemäß Art. 132 B-VG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate erheben, wer im Verwaltungsverfahren als Partei zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt war. Eine Säumnisbeschwerde kann somit nur erhoben werden, wenn der Beschwerdeführer einen Rechtsanspruch auf bescheidmäßige Erledigung seines im Bereich der Verwaltung unerledigt gebliebenen Begehrens hatte (vgl. z. B. die Beschlüsse vom 5. Dezember 1950, Slg. 1807/A, und zuletzt vom 21. Juni 1990, Zl. 89/12/0091, und vom 2. Oktober 1990, Zl. 89/11/0282).

Im Beschwerdefall fehlen diese Voraussetzungen. Bei der nach der Vorschrift des § 28 Abs. 1 letzter Satz der Allgemeinen Gemeindeordnung 1982, Kärntner LGBl. 1982/8, den Mitgliedern des Gemeinderates zu gewährenden Einsicht in die Akten von Verfahrensgegenständen des Gemeinderates, des Gemeindevorstandes und der Ausschüsse handelt es sich um einen Vorgang, der dem Bereich der inneren Willensbildung des Gemeinderates angehört (vgl. den Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 26. September 1972, VfSlg. Nr. 6837). Im Bereich der Willensbildung einer Kollegialbehörde haben die einzelnen Mitglieder dieser Behörde eine staatliche Funktion auszuüben, die - sofern nicht gesetzlich anderes normiert ist - ihre subjektive Rechtssphäre nicht berührt. Die die Willensbildung regelnden Normen haben nämlich nicht die Rechtsstellung der Organwalter, sondern deren Funktion zum Gegenstand. Im Bereich der kollegialen Willensbildung steht somit auch der diesen Verfahrensvorgang leitende Vorsitzende des Kollegiums (im Beschwerdefall der Bürgermeister) dessen Mitgliedern nicht als Verwaltungsbehörde gegenüber (vgl. den Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 21. Juni 1988, VfSlg. Nr. 11750, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Vorgänge, die sich auf den internen Akt der Willensbildung des Gemeinderates beziehen, können somit nicht unter dem Gesichtspunkt des Bescheides einer Verwaltungsbehörde bzw. der von einer Verwaltungsbehörde ausgehenden faktischen Amtshandlung von dem durch den Vorgang betroffenen Mitglied des Gemeinderates mit Beschwerde angefochten werden (vgl. - zur Beschwerde gemäß Art. 144 B-VG - die Beschlüsse des Verfassungsgerichtshofes vom 19. Dezember 1955, VfSlg. Anh 3/1955, und vom 26. September 1972, VfSlg. 6837); dies gilt - im Hinblick darauf, daß im vorliegenden Zusammenhang kein im Bereich der Verwaltung unerledigtes Begehren vorliegt - auch für die Geltendmachung der Entscheidungspflicht mit Säumnisbeschwerde nach Art. 132 B-VG.

Die Beschwerde war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

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