VwGH 92/18/0367

VwGH92/18/036717.9.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 23. März 1992, Zl. SD 297/91, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §46;
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z1;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z2;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z5;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs3 Z2;
FrPolG 1954 §3 Abs3 Z3;
EMRK Art8 Abs2;
TilgG 1972 §6 Abs1;
TilgG 1972 §6 Abs2;
AVG §46;
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z1;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z2;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z5;
FrPolG 1954 §3 Abs3 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs3 Z2;
FrPolG 1954 §3 Abs3 Z3;
EMRK Art8 Abs2;
TilgG 1972 §6 Abs1;
TilgG 1972 §6 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 23. März 1992 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, ein auf § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1, 2 und 5 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954 idF BGBl. Nr. 575/1987, (FrPolG) gestütztes unbefristetes Aufenthaltsverbot für das "Bundesgebiet der Republik Österreich" erlassen.

Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen folgendes aus: Der Beschwerdeführer, der seit 1980 in Österreich lebe, sei im Jahr 1984 und im Jahr 1990 wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. wegen Körperverletzung von einem inländischen Gericht rechtskräftig verurteilt worden. Insoweit sei der Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 1 dritter Fall FrPolG verwirklicht. Weiters sei der Beschwerdeführer in den Jahren 1988, 1989 und 1990 insgesamt dreimal wegen unerlaubten Aufenthaltes im Bundesgebiet nach § 14 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 FrPolG rechtskräftig bestraft worden (Verwirklichung des Tatbestandes des § 3 Abs. 2 Z. 2 zweiter Fall FrPolG). Darüber hinaus habe er sich viermal wegen Übertretungen der GewO (unbefugte Konzessionsausübung) schuldig gemacht. Schließlich sei der Beschwerdeführer vom Amtsgericht Traunstein (Bundesrepublik Deutschland) am 25. Oktober 1988 zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten (unter Bewährung) rechtskräftig verurteilt worden, weil er am 1. Oktober 1988 an der rechtswidrigen Ausreise von vier türkischen Staatsangehörigen gegen Entgelt, und zwar gewerbsmäßig, mitgewirkt habe. Damit habe sich der Beschwerdeführer auch der Schlepperei im Sinne des § 3 Abs. 2 Z. 5 FrPolG schuldig gemacht. Auf diese Weise seien beim Beschwerdeführer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 FrPolG mehrfach und damit jedenfalls auch jene des § 3 Abs. 1 leg. cit. erfüllt.

Im Rahmen der Interessenabwägung sei zugunsten des Beschwerdeführers sein Aufenthalt in Österreich seit 1980 und daß er hier mit seiner Frau und fünf Kindern lebe, zu berücksichtigen. Dem stehe gegenüber, daß er nicht nur gegen strafgesetzliche Bestimmungen verstoßen habe, sondern sich auch anderen Normen, vor allem jenen des FrPolG gegenüber gleichgültig zeige, sodaß er mehrmals wegen unerlaubten Aufenthaltes in Österreich habe bestraft werden müssen. Eine erhebliche Beeinträchtigung seines beruflichen Fortkommens sei nicht gegeben, da er zwar in Österreich einer Beschäftigung nachgegangen sei, es sich dabei aber größtenteils um nicht qualifizierte Tätigkeiten gehandelt habe. Lediglich in der Zeit von 1986 bis 1988 habe er - in dieser Zeit allerdings etwa ein Jahr entgegen der GewO ohne Konzession (in diesem Zusammenhang seien ihm fremdenpolizeiliche Maßnahmen für den Fall angedroht worden, daß er die österreichischen Rechtsvorschriften nicht beachte) - ein Gasthaus geführt. Nach dem Verkauf des Gasthauses habe er sich als Versicherungsvertreter und als Montagearbeiter versucht. Insgesamt gesehen könne dem Beschwerdeführer daher durchaus zugemutet werden, sich in seinem Heimatstaat eine neue Existenz aufzubauen, zumal er Arbeiten, für die keine Qualifikation erforderlich sei, auch in anderen Ländern verrichten könne. Auch könne er seiner Unterhaltspflicht für seine Kinder im Ausland nachkommen. Zusammenfassend wögen die öffentlichen Interessen unverhältnismäßig schwerer, weshalb das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf dessen Aufhebung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und "unrichtiger rechtlicher Beurteilung".

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des § 3 Abs. 1, Abs. 2 Z. 1, 2 und 5 sowie Abs. 3 FrPolG lauten:

§ 3 (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958, genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

1. von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

einer solchen Verurteilung ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht dann gleichzuhalten, wenn sie den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht;

2. im Inland mehr als einmal wegen schwerwiegender Verwaltungsübertretungen oder mehrmals wegen Übertretungen des Fremdenpolizeigesetzes, des Paßgesetzes, des Grenzkontrollgesetzes oder des Meldegesetzes rechtskräftig bestraft worden ist;

5. an der rechtswidrigen Einreise von Fremden in das Bundesgebiet oder an der rechtswidrigen Ausreise aus diesem gegen Entgelt mitgewirkt hat ("Schlepper").

(3) Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen, als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

  1. 2. die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen;
  2. 3. die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.

2.1. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, daß er dreimal, jeweils wegen unbefugten Aufenthaltes im Bundesgebiet, nach dem FrPolG rechtskräftig bestraft worden ist. Damit hat er - von der belangten Behörde zutreffend erkannt - den Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 2 zweiter Fall FrPolG verwirklicht (vgl. dazu etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. März 1990, Zl. 90/19/0161, vom 24. September 1990, Zl. 90/19/0307, und vom 27. April 1992, Zl. 90/19/0507).

Richtig ist der Beschwerdehinweis, daß die gerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers aus dem Jahr 1984 wegen fahrlässiger Körperverletzung im Zeitpunkt der Entscheidung durch die belangte Behörde bereits getilgt war, was zur Folge hatte, daß - wie in der Beschwerde aufgezeigt - die Verwirklichung des Tatbestandes des § 3 Abs. 2 Z. 1 dritter Fall FrPolG von der belangten Behörde zu Unrecht als gegeben erachtet wurde. Dies hinderte die Behörde freilich nicht, die der getilgten Verurteilung zugrunde liegende Straftat - im Rahmen des Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers - zu berücksichtigen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1991, Zl. 90/19/0598). Letzteres auch dann, wenn - entsprechend der in der Beschwerde vertretenen Meinung - das betreffende Beweismittel im Hinblick auf § 6 Abs. 1 und 2 des Tilgungsgesetzes 1972 ("Beschränkung der Auskunft") auf gesetzwidrige Weise erlangt worden sein sollte, besteht doch nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insoweit - von (hier nicht in Betracht kommenden) Ausnahmen abgesehen - kein Beweisverwertungsverbot (vgl. etwa RINGHOFER,

Die Verwaltungsverfahrensgesetze I, Wien 1987, S. 428, und WALTER-MAYER, Verwaltungsverfahrensrecht5, Wien 1991, Rz 329). Daß sich der Beschwerdeführer "entschieden gegen diese Spruchpraxis (wendet)", vermag den Gerichtshof mangels überzeugender Gegenargumente nicht zu einem Abgehen von seiner diesbezüglichen Rechtsprechung zu veranlassen. Im übrigen wird auf § 407 StPO verwiesen, wonach von der Verurteilung einer Person, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, die für die Ausübung der Fremdenpolizei zuständige Behörde unverzüglich zu verständigen ist.

Was nun die dem Beschwerdeführer angelastete Schlepperei anlangt, so hat sich die belangte Behörde insofern auf die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten durch ein deutsches Gericht berufen. Die Beschwerde hält das Abstellen auf diese Verurteilung - gleichfalls wegen § 6 Abs. 1 und 2 des Tilgungsgesetzes 1972 - für unzulässig. Dazu ist zunächst festzuhalten, daß § 3 Abs. 2 Z. 5 FrPolG eine rechtskräftige Bestrafung bzw. gerichtliche Verurteilung wegen der Schleppertätigkeit nicht voraussetzt. Wesentlich ist vielmehr nur, ob die belangte Behörde eine derartige Tätigkeit aufgrund der Ermittlungsergebnisse als erwiesen annehmen durfte (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. November 1991, Zl. 90/19/0447). Dies ist vorliegend im Hinblick auf die im angefochtenen Bescheid getroffene, auf das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichtes Traunstein gestützte - vom Beschwerdeführer unwidersprochen gebliebene - maßgebliche Feststellung, der Beschwerdeführer habe am 1. Oktober 1988 an der rechtswidrigen Ausreise von vier türkischen Staatsangehörigen gegen Entgelt und zwar gewerbsmäßig, mitgewirkt, zu bejahen. Daran ändert auch der Hinweis der Beschwerde auf die eine Beschränkung der Auskunft aus dem Strafregister normierenden Bestimmungen des Tilgungsgesetzes 1972 nichts. Denn selbst wenn dieses Urteil ein gesetzwidrig erlangtes Beweismittel sein sollte, so war es doch bei der Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes zu berücksichtigen (vgl. die Ausführungen weiter oben).

2.2. Nach dem Gesagten ist mit der belangten Behörde von der Erfüllung der Tatbestände des § 3 Abs. 2 Z. 2 zweiter Fall und des Abs. 2 Z. 5 FrPolG und mithin davon auszugehen, daß die im § 3 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Daß die Behörde dem solcherart konstituierten öffentlichen Interesse an der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer sehr großes Gewicht zugemessen hat, begegnet keinem rechtlichen Einwand (vgl. insbesondere zum großen öffentlichen Interesse an der Unterbindung des Schlepperunwesens das bereits zitierte hg. Erkenntnis Zl. 90/19/0447). Dieses an sich schon sehr große Gewicht des öffentlichen Interesses erfährt noch eine beachtliche Verstärkung durch die den gerichtlichen Verurteilungen ex 1984 und 1990 zugrunde liegenden Straftaten des Beschwerdeführers sowie durch seine (wenngleich offenbar nicht verwaltungsstrafrechtlich geahndeten) Verstöße gegen die GewO.

3. Zu prüfen bleibt sohin noch die von der belangten Behörde im Grunde des § 3 Abs. 3 FrPolG vorgenommene Interessenabwägung. Im bekämpften Bescheid wurde der langjährige Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich sowie der Umstand, daß seine Ehefrau mit den fünf gemeinsamen Kindern hier leben, erkennbar zugunsten des Beschwerdeführers berücksichtigt. Daß die berufliche Integration des Beschwerdeführers nicht besonders hoch zu veranschlagen sei, hat die Behörde mit dem Hinweis begründet, daß er größtenteils nicht qualifizierte Tätigkeiten ausgeübt und diese zudem im Laufe der Jahre des öfteren gewechselt habe. Der daraus gezogene Schluß, daß eine allfällige Beeinträchtigung des beruflichen Fortkommens des Beschwerdeführers durch die Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht als erheblich anzunehmen sei, kann nicht als unzutreffend angesehen werden. Die von der Behörde geäußerte Ansicht, der Beschwerdeführer könne seiner Unterhaltspflicht auch im Ausland nachkommen, entspricht der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 9. März 1992, Zl. 91/19/0365). Daß die belangte Behörde nicht ausdrücklich auf das (persönliche) Fortkommen der Familienangehörigen des Beschwerdeführers Bedacht genommen hat, ist kein wesentliches Versäumnis, vermochte doch die insoweit anzunehmende Beeinträchtigung der Frau und der fünf Kinder - hält man sich das von der belangten Behörde mit Recht als besonders groß veranschlagte Gewicht der öffentlichen Interessen an der Verhängung des Aufenthaltsverbotes (vgl. oben II.2.2.) vor Augen - keinesfalls entscheidend zugunsten des Beschwerdeführers durchzuschlagen.

Zusammengefaßt ergibt sich demnach, daß der Interessenabwägung die von der Beschwerde behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, daß die dem Beschwerdeführer aufgrund der unbefugten Ausübung eines konzessionierten Gewerbes bereits im Jahr 1987 erfolgte Androhung fremdenpolizeilicher Maßnahmen keineswegs geeignet ist, die Rechtsposition des Beschwerdeführers zu stärken, im Gegenteil die maßgebenden öffentlichen Interessen zusätzlich akzentuiert.

4. Da somit die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

5. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein gesonderter Abspruch über den mit der Beschwerde verbundenen Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

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