VwGH 91/19/0297

VwGH91/19/02979.3.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des D in L, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 17. September 1991, Zl. III 63/91, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §1151;
AlVG 1977 §10 Abs1;
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z2;
FrPolG 1954 §3 Abs2;
StVO 1960 §16 Abs2 litb;
StVO 1960 §52 lita Z10a;
VwRallg;
ABGB §1151;
AlVG 1977 §10 Abs1;
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;
FrPolG 1954 §3 Abs2 Z2;
FrPolG 1954 §3 Abs2;
StVO 1960 §16 Abs2 litb;
StVO 1960 §52 lita Z10a;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 17. September 1991 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 3 Abs. 1, Abs. 2 Z. 2 und Abs. 3 sowie § 4 Fremdenpolizeigesetz ein bis zum 31. Dezember 1996 befristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet erlassen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 2 erster Fall Fremdenpolizeigesetz sei verwirklicht. Der Beschwerdeführer habe die im erstinstanzlichen Bescheid aufgezählten Bestrafungen (1978:

Übertretung nach Art. XI - richtig wohl Art. IX - Abs. 1 Z. 1 EGVG; 1985: drei Übertretungen nach § 102 Abs. 1 in Verbindung mit § 33 Abs. 1 bzw. § 49 Abs. 6 bzw. § 27 Abs. 2 KFG; 1987:

Übertretung nach § 16 Abs. 2 lit. b StVO; 1988: Übertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 2 EGVG; 1990: Übertretung nach § 22 Abs. 1 in Verbindung mit § 40 Abs. 2 Paßgesetz; 1991: zwei Übertretungen nach § 52 Z. 10a StVO) nicht bestritten. Als schwerwiegende Verwaltungsübertretungen im Sinne des § 3 Abs. 2 Z. 2 Fremdenpolizeigesetz seien die Übertretung des § 16 Abs. 2 lit. b StVO aus dem Jahre 1987 und die exzessiven Geschwindigkeitsüberschreitungen vom 26. Jänner 1991 auf der Inntalautobahn zu betrachten. Auf Grund dieser Übertretungen sei die im § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz umschriebene Annahme gerechtfertigt. Die Geschwindigkeitsüberschreitungen seien nicht wenige Minuten, sondern eine halbe Stunde nach 22.00 Uhr begangen worden. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit sei zudem nicht um 20 km/h, sondern um 40 km/h überschritten worden.

Der Beschwerdeführer habe außerdem nicht nur die genannten Verwaltungsübertretungen begangen, sondern auch nachweislich zu Unrecht Unterstützung aus der Arbeitslosenversicherung bezogen, wie sich aus dem Bescheid des Landesarbeitsamtes Tirol vom 3. April 1991 ergebe. Dieser Mißbrauch der Arbeitslosenversicherung durch den Beschwerdeführer lasse "einen Rückschluß auf seine Einstellung zu sozialen Einrichtungen des Gastlandes bzw. auf seine Arbeitsmoral und somit auf seine Persönlichkeitsstruktur zu". Dieser Mißbrauch und die aktenkundigen rechtskräftigen Verwaltungsstrafvormerkungen des Beschwerdeführers insgesamt zeigten, daß der Beschwerdeführer "ein Mensch ist, der - zur Erreichung persönlicher Vorteile - vor strafbaren Handlungen nicht zurückschreckt".

Das Aufenthaltsverbot stelle im Hinblick auf den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich seit 1976, die damit verbundene Integration, die Bindung an seine Lebensgefährtin, an seine seit 1972 in Österreich lebende und dementsprechend integrierte, nicht aber mit ihm in einem Familienverband lebende erblindete Mutter und an seinen bei der geschiedenen Ehegattin lebenden 11-jährigen Sohn, die hohe Intensität dieser Bindung sowie die Beeinträchtigung des beruflichen und persönlichen Fortkommens einen nicht unbedeutenden Eingriff in das Leben des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen dar, doch sei den hier maßgebenden öffentlichen Interessen wesentlich größeres Gewicht beizumessen als den privaten Interessen des Beschwerdeführers am weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

II.

1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des § 3 Abs. 1, Abs. 2 Z. 2 und Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz lauten:

§ 3 (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958, genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.

(2) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder

2. im Inland mehr als einmal wegen schwerwiegender Verwaltungsübertretungen oder mehrmals wegen Übertretungen des Fremdenpolizeigesetzes, des Paßgesetzes, des Grenzkontrollgesetzes oder des Meldegesetzes rechtskräftig bestraft worden ist.

(3) Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen, als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:

1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;

  1. 2. die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen;
  2. 3. die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.

    2. § 3 Abs. 2 Z. 2 erster Fall, den die belangte Behörde für gegeben erachtet, setzt voraus, daß rechtskräftige Bestrafungen in Ansehung von mindestens zwei schwerwiegenden Verwaltungsübertretungen vorliegen. Was unter schwerwiegenden Verwaltungsübertretungen zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht näher umschrieben. In der Rechtsprechung wurden beispielsweise das Lenken eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand, die Verweigerung der Untersuchung der Atemluft auf Alkoholgehalt, das Lenken von Kraftfahrzeugen ohne Lenkerberechtigung (siehe das hg. Erkenntnis vom 25. November 1991, Zl. 90/19/0554, mit weiteren Judikaturhinweisen), die Ausübung eines konzessionierten Gewerbes ohne die erforderliche Konzession und der Betrieb einer genehmigungspflichtigen Betriebsanlage ohne die erforderliche Genehmigung (siehe das hg. Erkenntnis vom 25. November 1991, Zl. 91/19/0312) als schwerwiegende Übertretungen im Sinne des § 3 Abs. 2 Z. 2 Fremdenpolizeigesetz bezeichnet. Soweit die in der Rechtsprechung genannten Beispiele Übertretungen der StVO betroffen haben, hat es sich dabei um Alkoholdelikte gehandelt, die im Hinblick auf die von alkoholisierten Lenkern ausgehenden Gefahren für die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer als besonders schwerwiegend zu bezeichnen waren. Solche Delikte liegen dem Beschwerdeführer nicht zur Last.

    Die am 26. Jänner 1991 erfolgten Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf der Inntalautobahn um jeweils 40 km/h können entsprechend den äußeren Begleitumständen nicht als schwerwiegende Verwaltungsübertretungen angesehen werden.

    Hinsichtlich der von der belangten Behörde ebenfalls als schwerwiegende Verwaltungsübertretung gewerteten Übertretung des § 16 Abs. 2 lit. b StVO, derentwegen der Beschwerdeführer im Jahre 1987 bestraft wurde, fehlen im angefochtenen Bescheid jegliche Feststellungen, worin das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers in diesem Zusammenhang konkret bestanden hat. Auch im vorgelegten Verwaltungsakt finden sich diesbezüglich keine Hinweise. Der Auffassung der belangten Behörde, daß eine Übertretung des § 16 Abs. 2 lit. b StVO jedenfalls eine schwerwiegende Verwaltungsübertretung darstelle, kann sich der Verwaltungsgerichtshof nicht anschließen.

    Auf Grund dieser Erwägungen kann nicht davon ausgegangen werden, daß der Beschwerdeführer wegen schwerwiegender Verwaltungsübertretungen im Sinne des § 3 Abs. 2 Z. 2 Fremdenpolizeigesetz bestraft wurde. Die belangte Behörde hat demnach zu Unrecht angenommen, daß der Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 2 erster Fall leg. cit. erfüllt sei.

    3. Der angefochtene Bescheid wäre - ungeachtet dieses Rechtsirrtums der belangten Behörde - dann nicht rechtswidrig, wenn auf Grund des festgestellten Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers die im § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz umschriebene Annahme gerechtfertigt wäre (vgl. zum Verhältnis des § 3 Abs. 1 zu § 3 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1991, Zl. 90/19/0575, mit weiteren Judikaturhinweisen). Dies kann jedoch aus den unter Pkt. II.3.2. genannten Erwägungen nicht abschließend beurteilt werden.

3.1. Die belangte Behörde hat unter Bezugnahme auf den Bescheid des Landesarbeitsamtes Tirol vom 3. April 1991 dem Beschwerdeführer den "Mißbrauch der Arbeitslosenversicherung" vorgeworfen, daraus auf seine "Arbeitsmoral und somit auf seine Persönlichkeitsstruktur" geschlossen und unter Einbeziehung der festgestellten Verwaltungsübertretungen gefolgert, der Beschwerdeführer "schrecke - zur Erreichung persönlicher Vorteile - vor strafbaren Handlungen nicht zurück".

Der Verwaltungsgerichtshof kann sich der Auffassung der belangten Behörde nicht anschließen, weil sich aus dem Bescheid des Landesarbeitsamtes Tirol vom 3. April 1991 nichts ergibt, was den oben beschriebenen Schluß der belangten Behörde rechtfertigen würde. Mit diesem im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AlVG für die Dauer der Weigerung, eine vom Arbeitsamt zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, mindestens aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden vier Wochen, das ist vom 4. Jänner 1991 bis 31. Jänner 1991, das Arbeitslosengeld entzogen. Nach der Bescheidbegründung hatte der Beschwerdeführer am 3. Jänner 1991 die Annahme einer vom Arbeitsamt vermittelten Beschäftigung abgelehnt, weil er damals - ohne daß bereits ein verbindlicher Dienstvertrag abgeschlossen gewesen wäre - hoffte, in Kürze bei jenem Unternehmen, bei dem er nach der im Akt befindlichen Versicherungsbestätigung zuletzt wiederholt beschäftigt gewesen war, wieder arbeiten zu können. Diese Weigerung führte zu dem in § 10 Abs. 1 AlVG vorgesehenen Anspruchsverlust, weil für den Arbeitslosen kein triftiger Grund für die Ablehnung einer angebotenen Beschäftigung besteht, solange kein rechtsverbindlicher Dienstvertrag bzw. keine rechtsverbindliche Zusage über eine künftige Dienstleistung bei einem anderen Dienstgeber vorliegt (vgl. dazu Dirschmied, Arbeitslosenversicherungsrecht, 2. Auflage, Seite 79 und die dort zitierte hg. Rechtsprechung). Die vom Landesarbeitsamt Tirol festgestellte Weigerung des Beschwerdeführers bewirkte zwar den Anspruchsverlust nach § 10 Abs. 1 AlVG, bietet jedoch mangels jeglichen Hinweises auf das Vorliegen strafbaren Verhaltens in diesem Zusammenhang keinen Anhaltspunkt für die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer schrecke zur Erreichung persönlicher Vorteile vor strafbaren Handlungen nicht zurück.

3.2. Welche Bedeutung den vom Beschwerdeführer begangenen Verwaltungsübertretungen im Rahmen der gemäß § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz vorzunehmenden Beurteilung zukommt, kann auf Grund der von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen nicht erkannt werden. Die Begründung des angefochtenen Bescheides enthält dazu - abgesehen von dem Hinweis auf die diesbezüglichen, oben wiedergegebenen Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid - keine Ausführungen, sodaß nicht ersichtlich ist, welches konkrete Verhalten des Beschwerdeführers zu den einzelnen Bestrafungen geführt hat. Die Angabe bloß des Jahres, in dem die Bestrafung erfolgt ist, und der durch die Tat verletzten Vorschrift ermöglicht keine Wertung der Taten gemäß § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz, weil einerseits nicht gesagt werden kann, daß die Übertretungen schon ihrer Art nach die in der zitierten Gesetzesstelle umschriebene Annahme rechtfertigen, andererseits aber auch nicht ausgeschlossen werden kann, daß die konkreten strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers insgesamt die genannte Annahme rechtfertigen. Es bedarf demnach in dieser Richtung ergänzender Ermittlungen und Feststellungen, die die belangte Behörde, ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht, es liege ein Fall des § 3 Abs. 2 Z. 2 Fremdenpolizeigesetz vor, unterlassen hat.

4. Aus den unter Pkt II.3.2. dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens von S 60,-- an Stempelgebührenersatz erfolgte deshalb, weil die Vorlage nur einer Kopie des angefochtenen Bescheides zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war.

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