VwGH 91/01/0192

VwGH91/01/019218.3.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde 1. des A G,

2. der mj. M G, beide in W, die Zweitbeschwerdeführerin vertreten durch den Erstbeschwerdeführer als Vater und gesetzlicher Vertreter, dieser vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. September 1991, Zl. 4.290.391/3-III/13/90, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- je zur Hälfte binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Erstbeschwerdeführer (im folgenden nur Beschwerdeführer genannt), ein Staatsangehöriger der (ehemaligen) UdSSR, reiste am 26. Dezember 1989 gemeinsam mit seiner (im Jahre 1986 geborenen) Tochter, der Zweitbeschwerdeführerin, in das Bundesgebiet ein und stellte am 5. Jänner 1990 einen Asylantrag. Bei seiner niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien am 30. Jänner 1990 gab er im wesentlichen folgendes an:

Er sei seit 1987 Inhaber eines Gewerbescheines zur Herstellung von Videofilmen anläßlich von Hochzeiten und Geburtstagsfeiern gewesen. In der Folge seien private Interessenten an ihn herangetreten, gegen Bezahlung auch andere Aktivitäten, wie politische Veranstaltungen, zu filmen, und er hätte diesem Ansinnen zugestimmt, obwohl dies durch den Gewerbeschein nicht gedeckt gewesen sei. Im Jänner 1989 habe er eine "Veranstaltung mit politischen Inhalten" gefilmt. Dies sei von Organen des KGB beobachtet worden, welche ihn angehalten und seine Kamera beschlagnahmt hätten. Er habe auf dem Weg zum Verhör fliehen können und sei in der Folge zweimal zu einer KGB-Untersuchungsabteilung geladen worden. Bei den Vernehmungen sei ihm angedroht worden, für 1990 keinen Gewerbeschein mehr zu bekommen, und es sei ihm gleichzeitig gesagt worden, daß er auch 1989 keine Videofilme mehr machen dürfe. Die Kamera habe er nicht mehr zurückerhalten, sondern er habe sich später eine neue Kamera besorgt und wieder zu filmen begonnen. Zu einer Gerichtsverhandlung sei es nicht gekommen. Durch Beziehungen sei es ihm gelungen, einen Reisepaß bzw. eine Ausreisebewilligung zu erhalten. Im Oktober 1989 sei er in Wien gewesen und habe deshalb damals keinen Asylantrag gestellt, weil er noch einmal in die UdSSR habe zurückkehren müssen, um einen Bezugsschein auf Neuzuteilung einer Wohnung auf seine Eltern umschreiben zu lassen. Er sei dann in der Folge legal über die CSFR nach Österreich gereist.

Daraufhin stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit Bescheid vom 17. April 1990 fest, daß der Beschwerdeführer gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126 in der Fassung des Bundesgesetzes vom 27. November 1974, BGBl. Nr. 796, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, nicht Flüchtling sei.

In der dagegen erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, daß er in der UdSSR wegen seiner politischen Tätigkeit verfolgt worden sei, "über die ich Ihnen schon berichtet habe". Er sei seit seiner Geburt als Angehöriger der jüdischen Minderheit diskriminiert und schlecht behandelt worden. Seine Familie und er hätten sich nie als gleichberechtigte Menschen fühlen dürfen, da sie Juden gewesen seien. Sie seien "immer als zweite Klasse betrachtet" worden. Als er wegen unerlaubten Filmens "bei verbotenen politischen Versammlungen und Demonstrationen" verhaftet worden sei, sei ihm vom KGB vorgeworfen worden, daß nur ein Jude in der Lage wäre, gegen das kommunistische Regime gerichtete Aktivitäten zu unternehmen. Nach seiner Flucht aus der UdSSR seien seine Eltern seinetwegen vom KGB verhört und ihnen mitgeteilt worden, daß ihm Gefängnis drohe. Er und seine Familie hätten diese Verfolgungen nicht mehr ertragen können.

Mit dem Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. September 1991 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Die belangte Behörde vertrat darin nach Wiedergabe der maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes die Auffassung, den vom Beschwerdeführer im Laufe des Verwaltungsverfahrens vorgebrachten Argumenten könne nicht entnommen werden, daß er "konkrete Verfolgung oder Furcht vor Verfolgung befürchten" müsse. Die in seiner erstinstanzlichen niederschriftlichen Befragung angegebenen beruflichen Beeinträchtigungen resultierten allein aus einer Überschreitung seiner Gewerbeberechtigung und seien daher nicht als Verfolgung im Sinne der Konvention anzusehen. Seine Berufungsangaben, daß er als Angehöriger der jüdischen Minderheit diskriminiert worden sei, seien nur allgemein gehalten; konkrete Umstände habe er nicht dargetan. Wäre er wegen seiner Zugehörigkeit zur jüdischen Minderheit tatsächlich gravierenden Verfolgungen im Sinne der Konvention ausgesetzt gewesen, hätte er dies sicherlich bereits in seiner niederschriftlichen Befragung angegeben, zumal einerseits dieser Befragung ein Dolmetscher beigezogen gewesen sei, sodaß Mißverständnisse auszuschließen seien, und andererseits gezielt nach Indizien einer Verfolgung gefragt worden sei. Erfahrungsgemäß würden nämlich Asylwerber gerade bei der ersten Befragung spontan jene Angaben machen, die der Wahrheit am nächsten kommen. Seine Berufungsangaben würden daher nicht glaubwürdig erscheinen. Daß die von der belangten Behörde vorgenommene Würdigung eines sich im Laufe des Instanzenzuges steigernden Vorbringens von Asylwerbern schlüssig sei, habe der Verwaltungsgerichtshof schon zu wiederholten Malen erkannt. Vor allem aber sei der Beschwerdeführer bereits im Oktober 1989 in Österreich gewesen und hätte bereits damals einen Asylantrag gestellt, wenn er tatsächlich einer konkreten Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre. Überdies sei es ihm möglich gewesen, seine Heimat mit einem Reisepaß, der am 14. November 1987 ausgestellt worden sei, legal und ohne Probleme zu verlassen. Dies sei ein weiteres Indiz, daß er keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Eine legale Ausreise wäre wohl nicht möglich gewesen, wenn man ein Interesse an seiner Verfolgung gehabt hätte. Mehrfach erlaubte Ausreisen eines Asylwerbers und die anschließende Rückkehr in sein Heimatland zeigten, daß er keine Verfolgungen seitens der Behörden seines Heimatstaates zu befürchten habe. Sein Vorbringen enthalte aber keinen Hinweis darauf, daß er nach seiner Rückkehr behördlicherseits verfolgt worden sei. Damit könnten seinem Vorbringen aber keine Umstände für eine objektiv begründete Furcht vor Verfolgung entnommen werden. Die von ihm ins Treffen geführte, lediglich subjektiv empfundene Furcht sei nicht als Fluchtgrund im Sinne der Konvention anzusehen. Da das durchgeführte Ermittlungsverfahren keine Anhaltspunkte für eine konkrete Verfolgung seiner Person oder seiner Tochter durch die Behörden seines Heimatstaates ergeben habe, sei die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht statthaft.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Asylgesetz), in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach dessen Bestimmungen festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll, BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F der Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der bezeichneten Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

In der Beschwerde wird gerügt, daß die belangte Behörde von "beruflichen Beeinträchtigungen" des Beschwerdeführers ausgegangen sei, es aber keinen Anhaltspunkt dafür gebe, daß sie aus einer Überschreitung seiner Gewerbeberechtigung resultieren würden, und sie sich diesbezüglich nicht mit seinem Vorbringen auseinandergesetzt habe, weshalb der angefochtene Bescheid an einem wesentlichen Begründungsmangel leide. Den Beschwerdeführern ist zuzugestehen, daß die Annahme der belangten Behörde, die dem Beschwerdeführer gegenüber ausgesprochenen und angedrohten Maßnahmen im Zusammenhang mit seiner gewerblichen Tätigkeit seien bloß auf eine Überschreitung der Gewerbeberechtigung zurückzuführen, der Schlüssigkeit entbehrt, muß doch ihre Ursache vor allem darin gesehen werden, daß der Beschwerdeführer (unabhängig von einer Überschreitung der Gewerbeberechtigung) - wenn man seinen Angaben folgt - eine politische Veranstaltung gefilmt hat. Selbst wenn dieses Verhalten von den Behörden seines Heimatlandes als eine Identifizierung des Beschwerdeführers mit dem politischen Inhalt der Veranstaltung gewertet worden wäre, wäre aber für seinen Standpunkt nichts zu gewinnen. Davon, daß der Beschwerdeführer (und damit auch seine Tochter) einer Verfolgung wegen seiner politischen Gesinnung ausgesetzt gewesen sei, könnte nämlich erst dann gesprochen werden, wenn sie in ihrer Lebensgrundlage massiv bedroht gewesen wären. Abgesehen davon, daß sich der Beschwerdeführer nach seinem eigenen Vorbringen eine neue Kamera besorgt und damit wieder zu filmen begonnen hat, ohne daß es deswegen zu Beanstandungen gekommen ist, wurde nicht hinreichend dargetan, daß die Androhung des "Entzuges der Gewerbeberechtigung" für das Jahr 1990 - wobei es sich nach der Behauptung des Beschwerdeführers um die jährlich notwendige neuerliche Ausstellung des Gewerbescheines handelt - auch tatsächlich wahrgemacht worden wäre und der Beschwerdeführer bei Stellung eines entsprechenden Antrages nicht eine Gewerbeberechtigung für dieses Jahr erhalten hätte. Im übrigen ist die weitere Ansicht, der Beschwerdeführer habe dadurch, daß er eine politische Veranstaltung gefilmt habe, das Grundrecht der Meinungsfreiheit in Anspruch genommen, welches nicht gewährleistet sei, wenn im Heimatstaat für diese "politische Tätigkeit" eine behördliche Erlaubnis erforderlich sei, weshalb dies allein für seine Anerkennung als Flüchtling ausreichen würde, verfehlt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. unter anderem die Erkenntnisse vom 2. März 1988, Zl. 87/01/0284, und vom 18. Dezember 1991, Zl. 91/01/0154) können nämlich Eingriffe in dieses Recht (Art. 10 MRK) im Rahmen der gebotenen Beurteilung des Vorliegens einer wohlbegründeten Furcht im Sinne der Genfer Konvention nur in Verbindung mit einem der in der Konvention taxativ aufgezählten Gründe berücksichtigt werden. In der Notwendigkeit einer Gewerbeberechtigung für das Filmen politischer Veranstaltungen (und sogar darin, daß sie allenfalls nie erteilt würde) ist aber kein in der Konvention genannter Fluchtgrund gelegen.

Im Asylverfahren ist das Vorbringen des Asylwerbers als zentrales Entscheidungskriterium heranzuziehen, und es obliegt dem Asylwerber, alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (vgl. unter anderem das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Dezember 1991, Zl. 91/01/0146, mit weiteren Judikaturhinweisen). Dabei kommt der Erstbefragung des Asylwerbers besondere Bedeutung zu (vgl. beispielsweise die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. September 1990, Zl. 90/01/0133, und vom 18. Dezember 1991, Zl. 91/01/0164). Es kann daher der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn sie den erstmals in der Berufung gemachten Angaben hinsichtlich einer Verfolgung des Beschwerdeführers aus Gründen der Religion den Glauben versagt hat. Der in der Beschwerde ins Treffen geführte Umstand, es sei bereits anläßlich der Erstbefragung des Beschwerdeführers festgehalten worden, daß er mosaischen Glaubensbekenntnisses sei, beinhaltete nicht zugleich die Behauptung, deswegen auch verfolgt worden zu sein. Selbst die in der Berufung hiefür gegebene Begründung läßt keine konkrete Verfolgungshandlung, die überdies in zeitlichem Naheverhältnis zur Ausreise der Beschwerdeführer nach Österreich hätte stehen müssen, erkennen, zumal auch die aus Anlaß des Filmens einer politischen Veranstaltung gefallene Äußerung des KGB, nur ein Jude würde Aktivitäten gegen das kommunistische Regime setzen, keine Verfolgungshandlung bildete. Schon aus diesem Grunde kann auch den Beschwerdeausführungen, daß das Glaubensbekenntnis für den Entzug der Lebensgrundlage gleichfalls ausschlaggebend gewesen sei, kein Erfolg beschieden sein.

Richtig ist, daß die belangte Behörde auf das Berufungsvorbringen, es seien nach der Flucht die Eltern des Beschwerdeführers vom KGB verhört und es sei ihnen mitgeteilt worden, daß dem Beschwerdeführer Gefängnis drohe, nicht näher eingegangen ist. Darin liegt aber kein wesentlicher Verfahrensmangel, weil nicht einmal in der Beschwerde eine Konkretisierung in der Richtung vorgenommen wurde, aus welchen Gründen der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in seinen Heimatstaat mit Haft zu rechnen habe. In diesem Zusammenhang fällt auf, daß es vor seiner Ausreise nach Österreich im Dezember 1989 zu einer derartigen Zwangsmaßnahme gegen ihn nicht gekommen ist, dies inbesondere auch nicht wegen des Vorfalles vom Jänner 1989 (Filmen einer politischen Veranstaltung) und obwohl er nach seiner Anhaltung auf dem Weg zum Verhör geflohen ist, er deshalb nur zweimal auf Grund von Ladungen einvernommen wurde, er bereits im Oktober 1989 ungehindert ausreisen konnte und auch nach seiner Rückkehr in die UdSSR nicht verhaftet wurde, sondern völlig legal nochmals seine Heimat verlassen konnte. Diese Umstände werden in der Beschwerde übergangen, obwohl sie von der belangten Behörde zutreffend als für die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft maßgeblich erachtet worden sind. Gerade der Umstand, daß der Beschwerdeführer - egal aus welchen Gründen - zwischenzeitig wieder in seinen Heimatstaat zurückgekehrt ist, zeigt, daß keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention besteht.

Da sich somit die Beschwerde als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

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