VwGH 89/05/0027

VwGH89/05/002715.9.1992

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte DDr. Hauer, Dr. Degischer, Dr. Giendl und Dr. Kail als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde der C in W, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 15. Dezember 1988, Zl. MDR-B XVIII-27 und 28/88, betreffend Anrainereinwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: M in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in Wien), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §42;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
BauO Wr §134 Abs3;
BauO Wr §60 Abs1;
BauO Wr §70 Abs1;
BauO Wr §70 Abs2;
BauO Wr §76;
BauO Wr §80 Abs1;
BauO Wr §93 Abs6;
BauRallg;
AVG §42;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
BauO Wr §134 Abs3;
BauO Wr §60 Abs1;
BauO Wr §70 Abs1;
BauO Wr §70 Abs2;
BauO Wr §76;
BauO Wr §80 Abs1;
BauO Wr §93 Abs6;
BauRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- je binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 4. Juni 1987 suchte der Mitbeteiligte um die Erteilung einer Baubewilligung für ein (weiteres) Wohnhaus mit vier Wohnungen und einer Tiefgarage auf dem Grundstück EZ nn, KG X (H-Gasse 23), an. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin des Nachbargrundstückes H-Gasse 21. Sie erhob vor der Baubehörde erster Instanz nachstehende Einwendungen:

1. Zufolge unrichtiger Beurteilung eines Gebäudeteiles als "Giebel" werde die zulässige maximale Gebäudehöhe überschritten.

2. Die geplante Unterfangung der Stützmauer würde eine Beeinträchtigung des unterirdischen Wasserverlaufes bewirken. Eine ausreichende Versickerung bzw. Abfuhr der Gewässer sei nicht gewährleistet.

3. Für die geplante Garagenzufahrt müsse die vorhandene Stützmauer abgetragen werden. Für eine Neuerrichtung liege kein Konsens vor.

4. Die zulässige bebaute Fläche werde deshalb überschritten, weil durch die Garagenzufahrt eine Anbindung an das schon bestehende Gebäude A und nicht ein neues Gebäude errichtet werde.

Der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, erteilte mit Bescheid vom 7. Juli 1988 gemäß § 70 der Bauordnung für Wien (BO) und in Anwendung des Wiener Garagengesetzes die Baubewilligung nach Maßgabe der mit dem amtlichen Sichtvermerk versehenen Pläne, wobei eine Reihe von Auflagen vorgeschrieben wurde. Hinsichtlich der Garagenzufahrt wurde bewilligt, daß die bestehende Stützmauer entlang der Grundgrenze zur Liegenschaft H-Gasse 21 unterfangen werde und eine seitliche Begrenzungswand des Zufahrtstunnels zur Tiefgarage bilde.

Die Einwendungen bezüglich der Unterfangung der Stützmauer, der Überschreitung der zulässigen bebauten Fläche und hinsichtlich der Gebäudehöhe wurden als im Gesetz nicht begründet abgewiesen; die Einwendung hinsichtlich der Beeinträchtigung des unterirdischen Wasserverlaufes wurde zurückgewiesen.

Gegen diesen Bescheid wendete sich die Berufung der Beschwerdeführerin. Hinsichtlich der Stützmauer wurde in der Berufung darauf hingewiesen, daß der seinerzeitige Konsens nur wegen der beabsichtigten gärtnerischen Nutzung erteilt worden sei. Diese Stützmauer müsse gänzlich entfernt werden; die Zustimmung zur Errichtung dieses Bauwerkes sei untergegangen. Einer Wiedererrichtung werde nicht zugestimmt, zumal die neue Mauer nicht der gärtnerischen Nutzung, sondern der Abstützung der Zufahrt zur Tiefgarage diene. Da die Zufahrt zur unterirdischen Garage ein oberirdisches geschlossenes Gebäude darstelle, werde die zulässig bebaute Fläche in jedem Fall überschritten. Die Drainagierung sei nicht ausreichend, um eine hinreichende Versickerung des Wasserandranges zu gewährleisten.

Die belangte Behörde wies die Berufung als unbegründet ab. Die Stützmauer werde nicht abgetragen und neu errichtet, sondern unterfangen. Den Einwand, das Gebot der sogenannten "Drittelverbauung" werde nicht befolgt, habe die Berufungswerberin nicht entsprechend begründet, weshalb die Behörde keine aufwendigen Ermittlungen durchführen müsse; auch die Pläne wiesen auf keine Rechtswidrigkeit hin. Hinsichtlich der Versickerung des Regenwassers bestehe kein Nachbarrecht.

Über die dagegen erhobene Beschwerde und die von der belangten Behörde unter Vorlage der Bauakten erstattete Gegenschrift hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde in der Sache selbst zu entscheiden. Diese Verpflichtung erstreckt sich jedoch nur auf die "Sache" des Berufungsverfahrens, also auf den Gegenstand des Verfahrens der Vorinstanz, soweit der darüber ergangene Bescheid mit Berufung angefochten wurde (Erkenntnis vom 1. Februar 1971, Slg. Nr. 7.959/A). Ein Bauvorhaben ist zwar ein unteilbares Ganzes, sodaß der Berufungsbehörde die Entscheidung über die Zulässigkeit des gesamten Bauvorhabens obliegt. Eine Einschränkung dieser Aufgabe besteht dann, wenn der durch die Berufung angefochtene Bescheid trennbare Teile enthält und von der Berufung nur einzelne dieser Teile erfaßt sind (Erkenntnis vom 29. November 1971, Slg. Nr. 8.123/A). Die funktionelle Zuständigkeit berechtigt die Berufungsbehörde nämlich nur dazu, den Bescheid erster Instanz im Rahmen der mit der Berufung bekämpften Punkte einer Abänderung zu unterziehen (Erkenntnis vom 28. April 1981, Zl. 07/1199/80).

Eine Teilbarkeit des erstinstanzlichen Bescheides muß hinsichtlich der Einwendungen eines Nachbarn jedenfalls bejaht werden, da ja auch im Bewilligungsverfahren erster Instanz die Präklusion gemäß § 42 Abs. 1 AVG zu beachten ist und verspätete Einwendungen unberücksichtigt bleiben müssen. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin zwar die Verletzung von Bestimmungen über die Gebäudehöhe vor der Behörde erster Instanz eingewendet, worüber auch im Bescheid abgesprochen wurde. Da sie in der Berufung diesen Ausspruch nicht bekämpfte, konnte eine Rechtsverletzung vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht geltend gemacht werden.

Hinsichtlich der weiters erhobenen Einwendungen ist zunächst davon auszugehen, daß § 134 Abs. 3 BO dem Nachbarn dann Parteistellung einräumt, wenn der geplante Bau seine in der Bauordnung festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechte berührt. Eine festgelegte Beschränkung der Ausnutzbarkeit der Bauplätze (z.B. § 76 Abs. 10 BO - Drittelbebauung) dient dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung von - der Verbauung nicht zugänglichen - "Freiräumen" und zugleich dem Interesse der Nachbarn; allerdings bleiben unterirdische Gebäudeteile gemäß § 80 (1) letzter Satz BO bei der Ermittlung der bebauten Fläche außer Betracht. Die Beschwerdeführerin meint, daß wegen der oberirdisch sichtbaren Stützmauer kein "unterirdisches" Gebäude vorliege. Damit verkennt sie aber, daß die Stützmauer schon vorher vorhanden war und im SICHTBAREN Bereich keine Änderung erfährt; wenn im nicht sichtbaren Bereich ihre Funktion "verfremdet" wird, so kann eine Beeinträchtigung von Nachbarinteressen darin nicht erkannt werden. Aus welchen Motiven seinerzeit die Zustimmung der Beschwerdeführerin zur Stützmauer erteilt wurde, ist schon deswegen nicht von Belang, weil die neue, zusätzliche Funktion der Stützmauer keineswegs ausschließt, daß diese auch in Zukunft dem

sichtbaren Bereich der gärtnerischen Gestaltung diene. Der behauptete Verfahrensmangel liegt somit nicht vor.

Eingewendet wurde vor der Baubehörde erster Instanz, daß die Stützmauer abgetragen und neu errichtet werden müsse, wofür kein Konsens vorliege. Gegenstand der Baubewilligung ist aber die Unterfangung der vorhandenen und nicht die Errichtung einer neuen Stützmauer. Daß Einsturzgefahr bei der Unterfangung bestünde, wird erstmals in der vorliegenden Beschwerde behauptet, weshalb der Behörde diesbezüglich kein Verfahrensmangel vorgeworfen werden kann.

Die Ausführungen der belangten Behörde, den Nachbarn stehe kein subjektiv-öffentliches Recht auf Versickerung des Regenwassers zu, versucht die Beschwerde durch den Hinweis auf das Erkenntnis vom 13. November 1959, Slg. 5.114/A, zu entkräften. Diese Entscheidung betraf aber keineswegs Regenwasser, sondern die Anlage einer Sickergrube zur Aufnahme der Abwässer aus einer Kläranlage. § 93 Abs. 6 BO enthält Abstandsvorschriften für Sickergruben, die NICHT AUSSCHLIESSLICH zur Aufnahme von Niederschlagswässern bestimmt sind; diese Bestimmung dient auch dem Interesse der Nachbarschaft (Geuder-Hauer, Das Wiener Baurecht3, 354). Daraus ergibt sich aber eindeutig, wie dies der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach, zuletzt in seinem Erkenntnis vom 14. Mai 1991, Zl. 91/05/0030, ausgesprochen hat, daß kein subjektiv-öffentliches Nachbarrecht hinsichtlich der Versickerung von REGENWASSER besteht.

In dieser Entscheidung wurde auch wiederholt, daß die Wiener Bauordnung den Nachbarn ein Recht darauf, daß für ein Bauvorhaben keine Veränderung des Grundwasserspiegels eintrete, nicht einräumt (vgl. Erkenntnis vom 14. November 1978, Zl. 241/78 und 1080/78).

Da somit der angefochtene Bescheid in subjektiv-öffentliche Rechte der Beschwerdeführerin nicht eingegriffen hat, war der Beschwerde ein Erfolg gemäß § 42 Abs. 1 VwGG zu versagen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere auch deren Art. III Abs. 2.

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