VwGH 91/18/0010

VwGH91/18/001013.12.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Pichler, Dr. Degischer, Dr. Dorner, Dr. Stoll, Dr. Bernard,

DDr. Jakusch, Dr. Baumann und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des H in L, vertreten durch den zur Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwalt Dr. F in L, gegen den Bescheid der oberösterreichischen Landesregierung vom 27. Juni 1990, Zl. VerkR-13.467/1-1990-II/M, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

RAO 1868 §45 Abs4;
RAO 1868 §45 Abs5;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §52 lita Z10a;
StVO 1960 §99 Abs3 lita;
VStG §19 Abs1;
VStG §19 Abs2;
VStG §19;
VStG §49 Abs2;
VwGG §13 Abs1 Z1;
VwGG §23;
VwGG §26 Abs1;
VwGG §26 Abs3;
VwGG §61;
VwRallg;
ZPO §64 Abs1 Z3;
ZPO §67;
ZPO §68;
RAO 1868 §45 Abs4;
RAO 1868 §45 Abs5;
StVO 1960 §20 Abs2;
StVO 1960 §52 lita Z10a;
StVO 1960 §99 Abs3 lita;
VStG §19 Abs1;
VStG §19 Abs2;
VStG §19;
VStG §49 Abs2;
VwGG §13 Abs1 Z1;
VwGG §23;
VwGG §26 Abs1;
VwGG §26 Abs3;
VwGG §61;
VwRallg;
ZPO §64 Abs1 Z3;
ZPO §67;
ZPO §68;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Oberösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Linz vom 21. Mai 1990 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 16. März 1990 um 10.08 Uhr in Unterweitersdorf auf der A 7 bei km 26,97 in Richtung Freistadt mit einem dem Kennzeichen nach bestimmten Fahrzeug die durch Verbotszeichen kundgemachte Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h überschritten, weil die Fahrgeschwindigkeit 116 km/h betragen habe; diese Überschreitung sei mit einem Meßgerät festgestellt worden. Er habe hiedurch eine Übertretung nach § 52 lit. a Z. 10a der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen; gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO wurde eine Geldstrafe von S 2.000,-- (Ersatzarreststrafe vier Tage) verhängt.

In seinem rechtzeitig gegen diese Strafverfügung erhobenen Einspruch bekämpfte der Beschwerdeführer allein die Höhe der verhängten Strafe. Er habe als Pensionist einen Bezug von S 6.000,-- netto monatlich und sei für die Ehefrau und eine Enkeltochter sorgepflichtig. Abgesehen vom Vorfall, der Anlaß zur Bestrafung gegeben habe, sei er immer bestrebt gewesen, die Verkehrsvorschriften genau einzuhalten. Die Strafe möge deutlich herabgesetzt werden.

Mit Bescheid der oberösterreichischen Landesregierung vom 27. Juni 1990 wurde dem als Berufung zu wertenden Einspruch des Beschwerdeführers keine Folge gegeben und die mit der genannten Strafverfügung verhängte Strafe bestätigt. Es wurde ein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens von S 200,-- festgesetzt. In der Begründung wurde ausgeführt, daß die Erstbehörde bei der Bemessung der Strafe die mit der Tat verbundene Schädigung "bzw. Gefährdung der Rechtsschutzinteressen" und die sonstigen nachteiligen Folgen als Grundlage für die Bestrafung richtig angenommen habe. Bei der Strafbemessung seien das Ausmaß des Verschuldens und auch der Umstand, daß dem Beschwerdeführer der Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit zugute komme, berücksichtigt, somit die Erschwerungs- und Milderungsgründe gegeneinander abgewogen worden; auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse (Monatsnettoeinkommen S 6.000,--, kein Vermögen) und die Sorgepflicht für die Ehefrau seien berücksichtigt worden. Gerade derart hohe Geschwindigkeitsüberschreitungen seien immer wieder Ursache von Verkehrsunfällen, so daß solche Übertretungen mit entsprechender Strenge geahndet werden müßten. Daher sei die Strafe nicht herabzusetzen gewesen.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 18. Juli 1990 zugestellt. Am 29. August 1990 langte beim Verwaltungsgerichtshof ein Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zwecks Erhebung einer Beschwerde gegen den oben genannten Berufungsbescheid der oberösterreichischen Landesregierung ein (das Postaufgabedatum war wahrscheinlich - bei teilweiser Unleserlichkeit des Poststempels - der 28. August 1990).

Mit Beschluß vom 25. Oktober 1990 wurde dem Beschwerdeführer die Verfahrenshilfe bewilligt; es wurde die Beigebung eines Rechtsanwaltes sowie die einstweilige Befreiung von der Entrichtung der Stempel- und Kommissionsgebühren und der notwendigen Barauslagen des der Partei beizugebenden Rechtsanwaltes bewilligt. Der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich, Abteilung II, bestellte Rechtsanwalt Dr. G zum Verfahrenshelfer; der Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Oktober 1990 wurde diesem Rechtsanwalt am 22. November 1990 zugestellt. Der Ausschuß der genannten Rechtsanwaltskammer, Abteilung II, nahm am 27. November 1990 eine Umbestellung des Verfahrenshelfers dahin vor, daß anstelle des Rechtsanwaltes Dr. G nunmehr der Rechtsanwalt Dr. F zum Verfahrenshelfer bestellt wurde. Dieser Umbestellungsbeschluß der Abteilung II des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich wurde am 27. November 1990 zur Post gegeben, so daß Rechtsanwalt Dr. F ihn frühestens am Mittwoch, dem 28. November 1990, erhalten haben kann.

Mit Postaufgabedatum vom 9. Jänner 1991 brachte Rechtsanwalt Dr. F namens des Beschwerdeführers eine Beschwerde gegen den oben erwähnten Berufungsbescheid der oberösterreichischen Landesregierung ein, in welcher Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 13 Abs. 1 Z. 1 VwGG verstärkten Senat erwogen:

Geht man von der Zustellung des oben erwähnten Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Oktober 1990 an den zeitlich ersten Verfahrenshilfeanwalt Dr. G aus - welche Zustellung am 22. November 1990 erfolgte -, so wäre die Beschwerdeerhebung mit Postaufgabedatum vom 9. Jänner 1991 verspätet. Anderes ergibt sich, wenn man die Beschwerdefrist von der Zustellung des Bestellungsbeschlusses an den zeitlich zweiten Verfahrenshilfeanwalt Dr. F, die frühestens am 28. November 1990 erfolgte, berechnet. Von diesem Tag an gezählt wäre die Beschwerdefrist durch Postaufgabe am 9. Jänner 1991 gewahrt.

Gemäß § 26 Abs. 3 VwGG beginnt, wenn die Partei innerhalb der Frist zur Erhebung der Beschwerde die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt (§ 61), für sie die Frist zur Erhebung der Beschwerde mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes an diesen. Der Bescheid ist durch den Verwaltungsgerichtshof zuzustellen.

Zweck dieser Gesetzesstelle ist es zweifellos, im Falle der Bestellung eines Verfahrenshelfers, diesem zur Abfassung der Beschwerde - unabhängig von der Dauer des Bestellungsverfahrens - die volle Frist des § 26 Abs. 1 VwGG zu sichern.

§ 26 Abs. 3 leg. cit. hat allerdings nur den Fall der erstmaligen Bestellung eines Verfahrenshelfers im Auge, während für den hier vorliegenden Fall einer Bestellung eines anderen Verfahrenshelfers an Stelle des ursprünglich bestellten (Umbestellung) im Gesetz eine Regelung über den Fristenlauf fehlt. Diesbezüglich liegt eine Gesetzeslücke vor, die im Wege der Analogie zu schließen ist, wobei die aus § 26 Abs. 3 VwGG als nächstverwandter Norm ableitbaren Grundsätze heranzuziehen sind. Der hier zu ziehende Analogieschluß führt zu dem Ergebnis, daß auch im Fall der Umbestellung dem neu bestellten Verfahrenshelfer zur Abfassung der Beschwerde die volle Frist des § 26 Abs. 1 VwGG gewahrt zu bleiben hat. Es beginnt daher diese Frist mit Zustellung des Bescheides über seine Bestellung an ihn neu zu laufen.

Zur Vermeidung von Mißverständnissen sei noch darauf hingewiesen, daß der zweite Satz des § 26 Abs. 3 leg. cit. ("Der Bescheid ist durch den Verwaltungsgerichtshof zuzustellen") auf den Fall der Umbestellung des bereits bestellten Verfahrenshelfers deshalb nicht ebenfalls analog anzuwenden ist, weil diesbezüglich eine Gesetzeslücke nicht vorliegt. Wie sich aus § 45 Abs. 5 RAO ergibt, ist der (Um-)Bestellungsbescheid durch den Ausschuß der Rechtsanwaltskammer unmittelbar zuzustellen.

Der Verwaltungsgerichtshof kann in Anbetracht dieser Überlegungen seine frühere anders lautende Rechtsprechung nicht mehr aufrecht erhalten (z.B. Beschluß vom 19. April 1979, Slg. N.F. Nr. 9820/A, Begründung gegeben zu Zl. 2958/78, Beschlüsse vom 26. Jänner 1982, Zlen. 82/11/0002, 0005, vom 19. September 1984, Zlen. 84/13/0131, 0132, vom 18. Februar 1986, Zlen. 85/04/0238, AW 85/04/0079, vom 13. Mai 1986, Zl. 86/13/0058, vom 23. Oktober 1986, Zl. 86/02/0148, vom 27. Mai 1987, Zlen. 87/03/0106, 0107, vom 14. Jänner 1988, Zl. 87/08/0324, vom 27. September 1988, Zl. 88/10/0125, vom 9. November 1988, Zlen. 88/13/0076, 0092, 0093, vom 3. Februar 1989, Zl. 89/11/0008, vom 12. Juni 1990, Zlen. 90/11/0106 bis 0108, vom 25. September 1990, Zl. 90/04/0167, vom 21. September 1990, Zlen. 90/11/0145-0147, vom 29. Jänner 1991, Zl. 91/14/0015).

Aus den oben aufgezeigten Gründen ist die vom zeitlich zweiten Verfahrenshilfeanwalt eingebrachte Beschwerde als rechtzeitig anzusehen.

Der Verwaltungsgerichtshof betont, daß obige Ausführungen ausschließlich auf einem neuen Verständnis des § 26 Abs. 3 VwGG beruhen und daher nur für Zustellungen an Rechtsanwälte, die gemäß § 61 VwGG und § 64 Abs. 1 Z. 3 ZPO beigegeben wurden, gelten, nicht aber für Zustellungen an von der Partei frei gewählte Rechtsanwälte.

Die rechtzeitige Beschwerde ist allerdings der Sache nach - diese ist allein die Frage der Strafbemessung - nicht gerechtfertigt.

Gemäß § 19 Abs. 1 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, und der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

Absatz 2 dieses Paragraphen lautet:

"Im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) sind überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen."

Das ordentliche Verfahren, von dem § 19 Abs. 2 VStG spricht, umfaßt AUCH das Berufungsverfahren, so daß die Berufungsbehörde, auch wenn sie (nur) über eine bloße Strafberufung iS des § 49 Abs. 2 VStG abzusprechen hat, sowohl den ersten als auch den zweiten Absatz des § 19 VStG anzuwenden hat (vgl. Erkenntnis vom 3. Juli 1986, Zl. 86/02/0051). Würde man das Berufungsverfahren nach § 49 Abs. 2 VStG auf die Anwendung der Grundsätze des § 19 Abs. 1 VStG beschränken, so würde man in einer den Grundsätzen der Verfahrensökonomie widersprechenden Weise einen Beschuldigten, der gegen eine Strafverfügung nur eine Rüge in der Straffrage zu erheben gedenkt, zwingen, vollen Einspruch gegen die Strafverfügung zu erheben, um dadurch der Vorteile eines "ordentlichen Verfahrens" teilhaftig zu werden. Er könnte dann erst seine Berufung gegen das folgende Straferkenntnis auf die Straffrage beschränken, bei deren Lösung sodann beide Absätze des § 19 VStG heranzuziehen wären. Der erkennende Senat folgt daher der oben zitierten Ansicht des Erkenntnisses vom 3. Juli 1986.

Wendet man diese Grundsätze auf die vorliegende Verwaltungsstrafsache an, so ist nicht ersichtlich, daß die belangte Behörde mit der Verhängung einer Geldstrafe von S 2.000,-- ihren Ermessensspielraum überschritten hätte:

Geschwindigkeitsüberschreitungen stellen, wie die belangte Behörde zutreffend dargelegt hat, immer wieder die Ursache schwerer Verkehrsunfälle dar, weshalb im Hinblick auf das Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung sowohl Gründe der Spezialprävention als auch der Generalprävention gegen eine Herabsetzung der Strafe sprechen. Es widerspricht daher - selbst unter Bedachtnahme auf die ungünstigen Einkommensverhältnisse und die Vermögenslosigkeit des Beschwerdeführers sowie seine Sorgepflicht für die Ehefrau und seine verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit - nicht dem Sinn der Strafbemessungsbestimmungen, bei einer gesetzlichen Höchststrafe von S 10.000,-- die Strafe mit S 2.000,-- zu bemessen (siehe zu einem vergleichbaren Fall das hg. Erkenntnis vom 18. September 1991, Zlen. 91/03/0043, 91/03/0250).

Die vorliegende Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991.

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