VwGH 90/15/0168

VwGH90/15/016829.4.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Wetzel, Dr. Steiner und Dr. Mizner, als Richter im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Lebloch, über die Beschwerde des X-Vereines gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 4. Oktober 1990, Zl. GA 11-1789/1/89, betreffend Stempelgebühr, zu Recht erkannt:

Normen

GebG 1957 §2 Z3;
VwRallg;
GebG 1957 §2 Z3;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem beschwerdeführenden Verein Aufwendungen in der Höhe von S 11.630,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

§ 3 der im Oktober 1986 beschlossenen Satzung des beschwerdeführenden Vereins (im folgenden kurz: Bfr) hat folgenden Wortlaut:

"ZWECK DES VEREINES:

Der ausschließliche und unmittelbare Zweck des X-Vereines ist ein humanitärer und darauf gerichtet, Personen, die einer Hilfeleistung durch Rettungs-, Hilfs- und andere humanitäre Maßnahmen bedürfen, zu unterstützen. Seine Tätigkeit ist keine auf Gewinn gerichtete."

Die §§ 4 und 5 der Satzung regeln die ideellen und materiellen Mittel zur Erreichung des Vereinszweckes wie folgt:

§ 4 IDEELLE MITTEL ZUR ERREICHUNG DES ZWECKES:

"Als ideelle Mittel zur Erreichung des Zweckes dienen die Errichtung, die Erhaltung und Führung aller Einrichtungen des Rettungspersonals, der entsprechenden Ausbildungstätigkeit und der Flüchtlingshilfe. Zur Gewährleistung der Erreichung des Zweckes dienen insbesondere:

  1. a) Werbung, Aufnahme und Betreuung von Mitgliedern;
  2. b) Freiwillige Hilfstätigkeit auf allen Gebieten des Gesundheits- und Sozialwesen, der Volkswohlfahrt und des Rettungsdienstes;

    c) Schaffung und Erhaltung eines aus sorgfältig ausgebildeten Mitgliedern bestehenden Erste Hilfe- und Katastrophenhilfsdienstes; Einsatz bei öffentlichen Notständen oder Naturereignissen;

    d) Errichtung, Erhaltung sowie Führung aller Einrichtungen eines Rettungsdienstes unter Benützung aller technischer Hilfsmittel (einschließlich besonderer Rettungsdienste wie z.B. Wasserrettung und dgl. mehr), Errichtung und Erhaltung von Sanitätswachen, Errichtung und Erhaltung von Behelfsspitälern;

    e) Ausbildung der Mitglieder und der Bevölkerung zur Verhütung von Unfällen sowie in der fachgemäßen Leistung der Ersten Hilfe und Hilfeleistungen im Rahmen des Zivilschutzes, der Katastrophen-, Nachbarschafts-, Familien- und Haushaltshilfe;

    f) Ausbildung und Schulung von Betriebssamaritern sowie Betreuung der Sanitätseinrichtungen in Betrieben und an Arbeitsstätten;

    g) Herstellung, Herausgabe und Verlegung von notwendigen Lehrbüchern, Publikationen, Druckschriften, Veröffentlichungen und Plakaten;

    h) Herstellung von Filmen und Lichtbildern sowie Durchführung von Vorträgen, Veranstaltungen usw., die den X-Verein in seiner Hilfstätigkeit unterstützen und fördern;

    i) Durchführung von Erhebungen, Sammlung und Verwertung von statistischem Material;

    j) Mitwirkung in der umfassenden Landesverteidigung und beim Zivildienst, beim Katastrophenhilfsdienst und Selbstschutz, beim Hilfs- und Gesundheitsdienst (einschließlich Umweltschutz und Familienberatung) sowie deren Förderung in Zusammenarbeit mit den öffentlichen Verwaltungsdienststellen;

  1. k) Durchführung von Kinderhilfsaktionen im In- und Ausland;
  2. l) Betreuung von Flüchtlingen, Errichtung und Haltung von Flüchtlingslagern;

    m) die Pflege der Beziehungen zu internationalen und nationalen Samariter- und Hilfsorganisationen;

  1. n) Errichtung von Untergliederungen;
  2. o) Durchführung aller von der Bundeshauptversammlung und dem Bundesvorstand beschlossenen einschlägigen humanitären Maßnahmen.

    § 5 MATERIELLE MITTEL ZUR ERRICHTUNG DES ZWECKES

    Als materielle Mittel zur Erreichung des Zweckes dienen:

  1. a) Das Vermögen des X-Vereines und dessen Erträge;
  2. b) Mitgliedsbeiträge und Einschreibgebühren;
  3. c) Subventionen, Spenden, Widmungen, Erbschaften und sonstige Zuwendungen;

    d) Einnahmen aus Veranstaltungen und wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben, Inserate;

  1. e) Öffentliche Sammlungen, Lotterien, Tombolen und dgl.;
  2. f) Beiträge der Untergliederungen."

    Unter Vorlage des Vereinsstatutes ersuchte der Bfr am 2. Mai 1989 um die Erteilung einer Bestätigung der Gebührenfreiheit und stellte unter einem den Antrag auf Rückerstattung von S 300,-- entrichteter Stempelgebühren.

    Mit Bescheid vom 8. August 1989 wies das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Wien dieses Ansuchen ab, weil die vorgelegten Statuten für die Gebührenfreiheit nicht ausreichend seien.

    In einem Begleitschreiben vom gleichen Tag legte das Finanzamt noch ergänzend dar, daß der in der Satzung verwendete Begriff "humanitär" nicht mit dem im § 37 BAO "für mildtätige Zwecke umschriebenen Inhalt" ident sei.

    Dagegen berief der Bfr im wesentlichen mit der Begründung, er werde mit allen seinen rechtlich selbständigen Zweigorganisationen (Landesorganisationen, Bezirksstellen und Ortsgruppen) von vielen Behörden als eine Vereinigung anerkannt, die ausschließlich humanitäre Zwecke verfolge. Er habe sich dabei auch viele Jahre lang auf ein Schreiben des Finanzamtes stützen können, in den letzten Jahren jedoch sei die generelle Handhabung der Anerkennung der Gebührenbefreiung nach § 2 Z. 3 GebG einer unterschiedlichen Praxis gewichen. Sowohl im allgemeinen Sprachgebrauch als auch im Sinne des Gesetzes könnten die Begriffe "wohltätige Zwecke" und "mildtätige Zwecke" als ident angesehen werden. Der Begriff "humanitäre Zwecke" sei historisch aus dem provisorischen Gebührengesetz 1850 abzuleiten und entspreche daher eine Bezugnahme auf die Bundesabgabenordnung als Rechtsquelle nicht den Interpretationsregeln. Mildtätigkeiten und Humanität seien auch im Sprachgebrauch nicht deckungsgleich. Der Begriff "humanitär" im § 37 BAO könne nur so verstanden werden, wie schon ein Jahrhundert vorher im Gebührengesetz. Der historische Gesetzgeber hätte insbesondere freiwillige Sanitätsdienste als humanitäre Zielsetzungen verstanden.

    Mit der nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Berufungsentscheidung wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Sie vertrat dazu nach Wiedergabe des § 2 Z. 3 GebG mit Bezug auf § 3 der Satzung des Bfrs die Auffassung, der darin verwendete Begriff "humanitär" sei nicht mit dem in § 37 BAO "für mildtätige Zwecke umschriebenen Inhalt ident", unter den "geförderten Zwecken würden die gemeinnützigen im Sinne des § 35 BAO (insbesondere Förderung der Gesundheitspflege und der Bekämpfung von Elementarschäden) überwiegen". Die Satzung bilde daher keine geeignete Grundlage für die Beurteilung des Bfrs als Vereinigung, die ausschließlich Humanitäts- oder Wohltätigkeitszwecke verfolge. Gemäß § 1 lit. a BAO gelten die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes u.a. in Angelegenheiten der bundesrechtlich geregelten öffentlichen Abgaben. Auch die Gebühren seien solche Abgaben. Da das Gebührengesetz in seinem § 2 Z. 3 eine Begriffsbestimmung der "Humanitätszwecke" vermissen lasse, sei eine Heranziehung der Begriffsbestimmungen aus der BAO als der generellen Verfahrensanordnung durchaus zulässig.

    Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Bfr erachtet sich in seinem Recht auf Gebührenfreiheit gemäß § 2 Z. 3 GebG verletzt.

    Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

    Nach § 2 Z. 3 GebG sind u.a. von der Entrichtung von Gebühren alle Vereinigungen befreit, die ausschließlich wissenschaftliche, Humanitäts- oder Wohltätigkeitszwecke verfolgen, hinsichtlich ihres Schriftverkehres mit den öffentlichen Behörden und Ämtern.

    Gemäß § 1 lit. a BAO gelten die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes u.a. in Angelegenheiten der bundesrechtlich geregelten öffentlichen Abgaben.

    Auch die Gebühren im Sinne des Gebührengesetzes sind Abgaben im Sinne des § 1 BAO (vgl. Stoll, BAO-Handbuch 5).

    § 37 BAO bestimmt:

    "Mildtätig (humanitär, wohltätig) sind solche Zwecke, die darauf gerichtet sind, hilfsbedürftige Personen zu unterstützen."

    Nach einhelliger Meinung des Schrifttums ist der Begriff "Humanität" (wie der der Wohltätigkeit) in § 2 Z. 3 GebG dem Begriff "mildtätig" in § 37 BAO gleichgestellt (vgl. z.B. Frotz-Hügel-Popp, Kom. zum Gebührengesetz B II 3 b bb

    5. Lieferung Oktober 1985 S. 16; Fellner, Kom. zum Gebührengesetz Ergänzung N Jänner 1989 18 N; Gaier, Kom. zum Gebührengesetz2 Rz. 43 zu § 2 GebG; Arnold, Rechtsgebühren2 Rz. 26 zu § 2 GebG). Diese Meinung des Schrifttums befindet sich im Einklang mit den Materialien zu § 37 BAO (vgl. 228 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates

    IX. GP 57).

    Nach ebenso herrschender Ansicht bedeutet Hilfsbedürftigkeit nicht nur den Zustand materieller Not, sondern müssen auch Menschen dieser Kategorie zugeordnet werden, die wegen ihrer körperlichen und geistigen Verfassung auf die Hilfe anderer angewiesen sind (vgl. Stoll, BAO-Handbuch 100, sowie Frotz-Hügel-Popp, a.a.O., jeweils unter Berufung auf BFH 2. Dezember 1955, BStBl. 1956 III 22), so insbesondere Kranke und Gebrechliche.

    Der Verwaltungsgerichtshof hat - in anderem Zusammenhang, und zwar betreffend § 62 Abs. 3 RDG - in seinem Erkenntnis vom 7. März 1983, Zl. 82/12/0120, zur Frage der Auslegung des Begriffes "humanitär" unter Berufung auf diverse Lexika klargestellt, daß dieser Begriff in § 37 BAO in eben dem Sinn verwendet wird, wie im allgemeinen Sprachgebrauch, nämlich auf die Linderung menschlicher Not gerichtet.

    Da es aber hinsichtlich der Frage, wann Hilfsbedürftigkeit bzw. menschliche Not vorliegt, nicht unbedingt nur auf Fälle materieller Not ankommt, sondern - wie jeder, der sich z.B. in die Lage eines akut Kranken, der des (raschen) Transportes in das Krankenhaus bedarf, versetzt, unschwer zu erfassen vermag - auch Notfälle denkbar sind, die ihren Grund in anderen als pekuniären Umständen haben, teilt der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht des Bfrs, daß es sich bei ihm um eine Vereinigung iS des § 2 Z. 3 GebG handelt. Die Erwähnung der "Förderung der Gesundheitspflege" und der "Bekämpfung von Elementarschäden" in der Satzung des Bfrs nimmt diesen Tätigkeiten daher noch nicht den humanitären Charakter.

    Indem die belangte Behörde den Umstand, daß der ausschließliche satzungsmäßige Zweck des Bfrs in der Unterstützung von Personen, die einer Hilfeleistung durch Rettungs-, Hilfs- und anderer humanitärer Maßnahmen bedürfen, besteht (was durch die Punkte lit. a bis o des § 4 der Satzung, die sämtliche unmittelbar oder mittelbar Maßnahmen zur Linderung menschlicher Not vorsehen, im einzelnen anschaulich untermauert wird), nicht im oben dargestellten Sinn würdigte, hat sie ihren Bescheid mit der vom Bfr behaupteten Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet, was gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG zu seiner Aufhebung führen muß.

    Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 5. März 1991, BGBl. Nr. 104, insbesondere deren Art. III Abs. 2.

    Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG Abstand genommen werden.

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