VwGH 89/08/0214

VwGH89/08/021417.12.1991

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des Rechtsanwaltes Dr. M in I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 27. Dezember 1988, Zl. Vd-3481/5, betreffend Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse in 6020 Innsbruck, Klara-Pölt-Weg 2), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §292;
ASVG §293;
ASVG §294;
ASVG §76 Abs2;
ASVG §76;
B-VG Art18 Abs2;
B-VG Art89 Abs1;
Richtlinien Herabsetzung Beitragsgrundlage Selbstversicherung 1990;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;
ASVG §292;
ASVG §293;
ASVG §294;
ASVG §76 Abs2;
ASVG §76;
B-VG Art18 Abs2;
B-VG Art89 Abs1;
Richtlinien Herabsetzung Beitragsgrundlage Selbstversicherung 1990;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom 7. Juli 1987 lehnte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Antrag des Beschwerdeführers, die Selbstversicherung in der Krankenversicherung gemäß § 16 Abs. 1 ASVG in einer niedrigeren als der nach § 76 Abs. 1 Z. 1 ASVG in Betracht kommenden Lohnstufe zuzulassen, ab.

Nach der Begründung habe der Beschwerdeführer am 20. Mai 1987 den Antrag auf Selbstversicherung in der Krankenversicherung gemäß § 16 ASVG bei der mitbeteiligten Partei eingebracht und zugleich einen Antrag auf Herabsetzung der Beitragsgrundlage gestellt. Als Begründung für seinen Antrag würden die mit der Errichtung der Rechtsanwaltskanzlei entstandenen Kosten in Höhe von ca. S 150.000,-- und die in seiner Kanzlei anfallenden monatlichen Ausgaben von ca. S 30.000,-- bis S 35.000,-- angeführt. Diesen Ausgaben stünden - zumindest im ersten Jahr - angeblich keine größeren Honorareingänge gegenüber. Eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage für Selbstversicherte in der Krankenversicherung sei nur möglich, wenn dies in den wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers begründet sei. Durch die Adaptierung und Einrichtung einer Kanzlei werde jedoch ein Vermögen geschaffen, auch wenn dafür vorerst die Aufnahme eines Kredites erforderlich sei. Zur Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse sei nach den Richtlinien des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage gemäß § 76 Abs. 6 ASVG nicht nur das Einkommen, sondern auch das Vermögen des Antragstellers zu berücksichtigen. Da dieser überdies im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern wohne, denen gegenüber er notfalls einen Unhalterhaltsanspruch geltend machen könne, erscheine eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage in den wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers nicht begründet.

Der Beschwerdeführer erhob Einspruch.

1.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch keine Folge gegeben und der Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse bestätigt.

Aus der vom Beschwerdeführer vorgelegten Überschußrechnung 1987 (netto) gehe hervor, daß er in diesem Jahr Einnahmen in der Höhe von insgesamt S 356.661,06 erzielt habe; die Betriebsausgaben hätten in diesem Jahr S 417.418,50 betragen. Wenn man von den Betriebsausgaben die Ausgaben für Miete, Büro, Bücher, Porti, Kfz, Reisekosten und sonstige Kosten - diese Ausgaben seien nämlich bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Sinne des § 76 ASVG nicht zu berücksichtigen - abziehe, so verringerten sich die Ausgaben auf einen Betrag von S 219.357,37. Die Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben ergebe somit einen Betrag von S 137.303,69. Dazu komme, daß der Vater des Beschwerdeführers als Beamter der Dienstklasse VIII im Rechtsdienst bei der Bundesbahndirektion Innsbruck und die Mutter als Lehrerin tätig seien und somit über bedeutende Einkommen verfügten. Nach den Richtlinien des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger ergebe sich, daß die Unterhaltsansprüche des Beschwerdeführers gegenüber seinen Eltern mit 15 % des monatlichen Nettoeinkommens der Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen seien. Auf Grund der geschilderten wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers erscheine eine Herabsetzung der Beiträge zur Selbstversicherung in der Krankenversicherung nicht gerechtfertigt.

1.3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluß vom 12. Juni 1989, B 215/89, abgelehnt und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

1.4. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof beantragt der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

1.5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. Die belangte Behörde hat bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers bestimmte näher genannte Ausgaben (Ausgaben für Miete, Büro, Bücher, Porti, Kfz, Reisekosten und sonstige Kosten) nicht als Betriebsausgaben anerkannt, da diese Ausgaben "im Sinne des § 76 ASVG nicht zu berücksichtigen" seien. Diese Auffassung findet in der genannten Bestimmung keine Deckung.

Werden bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers zunächst seine Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit zugrundegelegt, so ist dem § 76 ASVG kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, daß gerade die von der belangten Behörde genannten Ausgaben nicht abzugsfähig seien. Bei der Auslegung des Begriffes der "wirtschaftlichen Verhältnisse" des Versicherten im Sinne des § 76 Abs. 2 ASVG ist auf die Bestimmungen der §§ 292, 293 und 294 ASVG Bedacht zu nehmen (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Februar 1981, Zl. 08/2131/79, und vom 28. Mai 1984, Zl. 84/08/0025). Unter dem Begriff des Nettoeinkommens ist gemäß § 292 Abs. 3 ASVG grundsätzlich die Summe sämtlicher Einkünfte in Geld oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge zu verstehen. Für die Ermittlung der Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit ist dabei auf die zur Zeit des Beschwerdefalles noch in Geltung gestandenen Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes 1972 (EStG 1972) zurückzugreifen (vgl. OGH vom 25. Oktober 1988, 10 Ob S 57/88, SSV-NF 2/111). Nach § 2 Abs. 4 EStG 1972 sind Einkünfte im Sinne des Abs. 3 (darunter auch jene aus selbständiger Arbeit) der GEWINN. Dieser ist gemäß § 4 Abs. 3 EStG 1972 der Überschuß der BETRIEBSEINNAHMEN über die BETRIEBSAUSGABEN. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Ausgaben sind vom TYPUS her zweifelsfrei BETRIEBSAUSGABEN. Daß es sich bei diesen Ausgaben etwa nicht oder nicht in dieser Höhe um betrieblich veranlaßte Ausgaben gehandelt hat, ist von der belangten Behörde nicht festgestellt worden.

Was die Berücksichtigung des Nettoeinkommens der Eltern des Beschwerdeführers auf Grund der Richtlinien des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger anlangt, so ist zunächst darauf zu verweisen, daß diese Richtlinien mangels einer ensprechenden Kundmachung im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (eine solche wurde erst durch die 48. ASVG-Novelle, BGBl. Nr. 642/1989, vorgesehen und erfolgte erstmals in der Zeitschrift "Soziale Sicherheit" 1990, Seite 110) nicht den Charakter von Rechtsnormen haben und bei der Beurteilung der Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Beitragsgrundlage nach § 76 Abs. 2 und 3 ASVG nicht zu beachten sind. Bei der Prüfung der nach diesen Bestimmungen maßgebenden wirtschaftlichen Verhältnisse ist - in dem vom Gesetz gezogenen Rahmen - ohne Bindung an generell abstrakte Regelungen ausschließlich auf die tatsächlichen Umstände des Einzelfalles abzustellen (vgl. das Erkenntnis vom 24. November 1988, Zl. 88/08/0220). Im übrigen ist nicht ersichtlich, inwiefern der - wenn auch im ersten Jahr mit Verlust - als Rechtsanwalt tätige Beschwerdeführer nicht selbsterhaltungsfähig sein sollte, was Voraussetzung für ein Wiederaufleben des Unterhaltsanspruches gegenüber seinen Eltern wäre (vgl. zur Selbsterhaltungsfähigkeit etwa Pichler in Rummel, Rz. 12 zu § 140).

2.2. Auf Grund dieser Erwägungen belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2.3. Von der beantragten mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen.

2.4. Die Kostenentscheidung beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die geltenden gemachten Bundesstempel konnten im Hinblick auf die auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren geltende sachliche Abgabenfreiheit des § 110 ASVG nicht zugesprochen werden. Neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand konnte ein Anspruch auf Ersatz der Umsatzsteuer nicht zuerkannt werden.

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