VwGH 87/13/0081

VwGH87/13/008124.10.1990

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Hofstätter und die Hofräte Dr. Schubert, Dr. Drexler, Dr. Pokorny und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Kommissär Dr. Schnizer-Blaschka, über die Beschwerde des N gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 19. September 1986, Zl. 6/3-3359/86, betreffend Einkommensteuer für das Jahr 1984, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §146;
EStG 1972 §34 Abs2;
EStG 1972 §34 Abs3;
MRKZP 01te Art2;
SchOG 1962 §5 Abs1;
ABGB §146;
EStG 1972 §34 Abs2;
EStG 1972 §34 Abs3;
MRKZP 01te Art2;
SchOG 1962 §5 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In der Einkommensteuererklärung für das Kalenderjahr 1984 beantragte der Beschwerdeführer die Berücksichtigung von Schulbeiträgen für seine beiden Kinder im Ausmaß von insgesamt S 29.400,-- als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 EStG 1972. Beide Kinder besuchten eine Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht, die nicht wie die öffentlichen Schulen aus Steuermitteln, sondern durch Schulbeiträge der Eltern finanziert würden. Die Zwangsläufigkeit des Besuches dieser Privatschule ergebe sich aus einer sittlichen Verpflichtung. Die "Auseinandersetzung mit der anthroposophischen Pädagogik" habe diese "Gewissensentscheidung" im Rahmen der gesetzlichen Erziehungsfreiheit notwendig gemacht. Die Ziele der gewählten Privatschule berührten nicht nur pädagogische, sondern vor allem weltanschauliche und religiöse Bereiche. Abgesehen von äußerlichen Kennzeichen (angstfrei, keine Noten, kein Wiederholen der Klasse) biete nur diese Schule in dem Maß "eine ganzheitliche Bildung sowohl intellektuell-geistig als auch emotional, charakterlich und handwerklich". Es gebe keine Gefahr der Aussonderung oder Umschulung, da die Kinder unter einheitlicher und kontinuierlicher pädagogischer Betreuung beginnend von der Schulpflicht an alle 12 Schulstufen durchlaufen können. Die Schule biete die Möglichkeit heilpädagogischer Betreuung, ohne daß dadurch ein Sonderschulcharakter gegeben wäre. Sie orientiere sich nicht in erster Linie an Lernzielen in bestimmten Zeitabschnitten, sondern an den Veranlagungen und Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder. Sie sei nicht "obrigkeitlich-hierarchisch" organisiert, sondern werde "kollegial im Verein mit den Eltern geführt".

Das Finanzamt gab dem Antrag im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung keine Folge.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung und verwies auf seine ursprüngliche Antragsbegründung.

Die belangte Behörde wies die Berufung ab und begründete dies im wesentlichen damit, daß die Aufwendungen für den Privatschulbesuch durch die Gewährung von Familienbeihilfe abgegolten seien. Außerdem begründe das Recht auf freie Schulwahl keine Zwangsläufigkeit des erwachsenen Aufwandes.

Der Beschwerdeführer erhob Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung jedoch mit Beschluß vom 4. März 1987, B 1060/86-4, abgelehnt wurde.

In der an den Verwaltungsgerichtshof abgetretenen Beschwerde wird inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 34 Abs. 2 EStG liegt eine steuerlich zu berücksichtigende außergewöhnliche Belastung vor, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen.

Aufwendungen stellen nur dann eine außergewöhnliche Belastung dar, wenn beide Merkmale, nämlich das der Außergewöhnlichkeit und das der Zwangsläufigkeit, vorliegen.

Im Beschwerdefall vertritt die belangte Behörde zunächst die Auffassung, daß gar kein berücksichtigungsfähiger Aufwand vorliege, weil die Kosten für Erziehung und Ausbildung von Kindern, zu denen auch die Kosten eines Privatschulbesuches gehörten, durch die Gewährung von Familienbeihilfe abgegolten seien.

Die belangte Behörde stützt sich dabei auf

hg. Rechtsprechung. Von dieser Rechtsprechung ist der Gerichtshof jedoch mit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 30. Jänner 1990, Zl. 88/14/0218, abgegangen und hat dies im wesentlichen damit begründet, daß durch Kinderabsetzbeträge und Familienbeihilfe nur solche Kosten der Ausbildung von Kindern abgegolten würden, die mit einer Ausbildung ÜBLICHERWEISE verbunden seien. Schulgeld falle nicht darunter, weil der Gesetzgeber grundsätzlich für eine Schulgeldfreiheit vorgesorgt habe. Der Rechtsauffassung der belangten Behörde, die noch auf der früheren Rechtsprechung beruht, kann daher nicht gefolgt werden.

Dem weiteren Begründungselement der belangten Behörde, daß dem Steuerpflichtigen der Aufwand für den Privatschulbesuch seiner Kinder nicht zwangsläufig erwachsen ist, kommt hingegen Berechtigung zu:

Gemäß § 34 Abs. 3 EStG erwächst dem Steuerpflichtigen die Belastung zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann. Der Beschwerdeführer erkennt richtig, daß im Beschwerdefall tatsächliche oder rechtliche Gründe von vornherein ausscheiden, weil für die Kinder des in Wien wohnhaften Beschwerdeführers weder eine tatsächliche noch eine rechtliche Notwendigkeit bestand, eine Privatschule zu besuchen.

Streit besteht lediglich darüber, ob der Beschwerdeführer aus sittlichen Gründen verpflichtet war, seinen Kindern einen Privatschulbesuch zu ermöglichen. Der Beschwerdeführer verweist in diesem Zusammenhang auf das Grundrecht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren religiös-weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen (2. Satz des Art. 2 des 1. Zusatzprotokolles zur Europäischen Menschenrechtskonvention).

Aus diesem GrundRECHT kann aber weder für sich allein noch im Zusammenwirken mit § 146 ABGB eine sittliche VERPFLICHTUNG abgeleitet werden, Kinder in einer Privatschule unterrichten zu lassen. Nicht alles, wozu sich Eltern ihren Kindern gegenüber verpflichtet fühlen, um ihnen eine bestmögliche Ausbildung in allen Bereichen, z. B. auf musischem oder sportlichem Gebiet oder auch auf religiös-weltanschaulichem Gebiet angedeihen zu lassen, ist als sittliche Verpflichtung im Sinne des § 34 Abs. 3 EStG anzusehen (vgl. diesbezüglich auch das hg. Erkenntnis vom 28. April 1987, Zl. 85/14/0008). Die Bereitschaft, für die eigenen Kinder eine Vielzahl finanzieller Opfer zu bringen, wird von den Eltern zwar häufig als sittliche Pflicht empfunden; das bedeutet aber nicht, daß alle damit verbundenen Aufwendungen zwangsläufig erwachsen. Ein sittlich achtenswertes Verhalten kann nämlich durchaus auch auf freiwillige Entscheidungen zurückzuführen sein. So hat der Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, eine sittliche Verpflichtung im Sinne des § 34 Abs. 3 EStG setze voraus, daß sich der Steuerpflichtige nach dem Urteil billig und gerecht denkender Menschen einem Aufwand nicht entziehen kann. Nicht das persönliche Pflichtgefühl des Steuerpflichtigen, sondern der objektive Pflichtbegriff nach den herrschenden moralischen Anschauungen ist entscheidend. Es reicht daher nicht aus, daß das Handeln des Steuerpflichtigen menschlich verständlich ist, es muß vielmehr die Sittenordnung dieses Handeln gebieten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Mai 1989, Zl. 88/13/0222, und die darin zitierte Vorjudikatur). Die Sittenordnung gebietet es aber nicht, Kindern den Besuch einer Privatschule zu finanzieren, wenn unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse der Besuch einer öffentlichen Schule mit vergleichbarem Lehrziel, wenn auch anderen Unterrichtsmethoden, möglich ist. Dies auch dann nicht, wenn die Wahl der Privatschule auf eine religiös-weltanschauliche Überzeugung zurückzuführen ist.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung vom 17. April 1989, BGBl. Nr. 206.

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