VwGH 85/18/0052

VwGH85/18/005211.9.1987

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Petrik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Domittner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hollinger, über die Beschwerde des AS in W, vertreten durch Dr. Eduard Wegrostek, Rechtsanwalt in Wien I, Domgasse 6, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 25. November 1981, Zl. MA 70-IX/S 180/80/Str, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
StVO 1960 §11 Abs1;
StVO 1960 §15 Abs1;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1;
VwRallg;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
StVO 1960 §11 Abs1;
StVO 1960 §15 Abs1;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.470,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 28. Mai 1980 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 25. Oktober 1979 um 16.30 Uhr als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw's in Wien 7., Neustiftgasse und dann Schottenfeldgasse 1. sich in der Neustiftgasse zum Linksabbiegen nicht auf dem äußersten linken, sondern auf dem rechts daneben liegenden Fahrstreifen eingeordnet und sei dann nach links abgebogen, 2. sodann in der Schottenfeldgasse einen ebenfalls dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw rechts überholt, 3. sodann den Fahrstreifen gewechselt und dabei den genannten Pkw behindert und gefährdet und 4. dadurch einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verursacht und es unterlassen, sofort anzuhalten und 5. hievon ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle zu verständigen. Er habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach 1. § 12 Abs. 1 StVO 1960, 2. § 15 Abs. 1 leg. cit., 3. § 11 Abs. 1 leg. cit., 4. § 4 Abs. 1 lit. a leg. cit. und 5. § 4 Abs. 5 leg. cit. begangen. Hiefür wurden über den Beschwerdeführer Geld- und für den Fall der Uneinbringlichkeit derselben Ersatzarreststrafen verhängt.

Auf Grund der dagegen rechtzeitig erhobenen Berufung erließ die Wiener Landesregierung den angefochtenen Bescheid, worin das Straferkenntnis der Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz in Anwendung des § 66 Abs. 4 AVG 1950 hinsichtlich der Punkte 2., 3. und 5. bezüglich der Strafzumessung und der Kostenentscheidung vollinhaltlich und in der Schuldfrage mit der Abänderung bestätigt wurde, dass die Tatortumschreibung zu Punkt 5. durch die Worte "obwohl es zu keinem gegenseitigen Nachweis der Identität kam" zu ergänzen sei. Die Punkte 1. und 4. des erstinstanzlichen Straferkenntnisses wurden gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 behoben und das Verfahren zu Punkt 1. gemäß § 45 Abs. 1 lit. a VStG 1950 und zu Punkt 4. gemäß § 45 Abs. 1 lit. c leg. cit. eingestellt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

Mit Beschluss vom 27. April 1987 gab der Verwaltungsgerichtshof den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens seine vorläufige Rechtsansicht dahingehend bekannt, dass durch die vollinhaltliche Bestätigung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses hinsichtlich der Punkte 2. und 3. der angefochtene Bescheid der belangten Behörde nach vorläufiger Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes auf Grund folgender Erwägungen mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet sein könnte:

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 29. Jänner 1982, Zl. 81/02/0245, zum Ausdruck gebracht habe, sei bei der Bezeichnung der als erwiesen angenommenen Tat gemäß § 44a lit. a VStG 1950 unter anderem die Zeit und der Ort der Begehung wesentlich (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 1980, Zl. 2056/77). Es gehöre nämlich zu den selbstverständlichen Grundsätzen jedes Strafverfahrens, dass die zur Last gelegte Tat so eindeutig umschrieben werde, dass kein Zweifel darüber bestehen könne, wofür der Täter bestraft worden sei, und dass verhindert werde, dass er etwa wegen derselben Handlung nochmal zur Verantwortung gezogen werde (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. Juni 1980, Zl. 3149/79, und vom 21. November 1977, Z1. 1931/77). Um dem Konkretisierungsgebot des § 44a lit. a VStG 1950 zu entsprechen, müsse in jenen Fällen, bei denen als Tatort Straßenzüge genannt werden, die durch Kreuzungen in Abschnitte unterteilt sind, zumindest der entsprechende Abschnitt bezeichnet werden, in dem sich die Übertretung ereignet habe, sofern nicht überhaupt durch Angabe einer Hausnummer des betreffenden Straßenzuges oder markanter Punkte desselben eine noch genauere Bezeichnung des Tatortes möglich sei (vgl. dazu u.a. das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 1982, Zl. 81/02/0357). Bezüglich Verwaltungsübertretungen nach § 11 Abs. 1 und Abs. 2 StVO 1960 habe der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Slg. N.F. Nr. 11894/A, die Tatortumschreibung "Dr. Karl Lueger Ring" mit der Begründung als dem Konkretisierungsgebot entsprechend akzeptiert, dass für die Begehung dieser Delikte begrifflich niemals ein bestimmter Punkt, sondern stets nur eine bestimmte Strecke in Betracht komme. Gleichzeitig sei zum Ausdruck gebracht worden, dass bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen eine Tatortumschreibung durch die Angabe einer Strecke in der Länge von 550 bis 600 m dem Konkretisierungsgebot genüge. Im vorliegenden Beschwerdefall habe die belangte Behörde den Spruch des Straferkenntnisses der Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz übernommen, soweit er die Schuldsprüche zu den Punkten 2) und 3) betroffen habe, hinsichtlich der Tatortumschreibung vollinhaltlich, wodurch jener insoweit Bestandteil des Spruches des angefochtenen Bescheides geworden sei. Der Beschwerdeführer sei im erstinstanzlichen Straferkenntnis u.a. schuldig erkannt worden, er habe "sodann in

der Schottenfeldgasse den Pkw W .... rechts überholt, sodann den

Fahrstreifen gewechselt und dabei den Pkw W .... behindert und

gefährdet". Der als "Schottenfeldgasse" bezeichnete Straßenzug im

7. Wiener Stadtbezirk verbinde die Mariahilferstraße mit der Lerchenfelderstraße und weise laut Stadtkarte von Wien im Maßstab 1 : 2000 eine Länge von ca. 1200 m auf. Im Lichte der obzitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes könnte die belangte Behörde durch die vorgenommene Tatortumschreibung gegen das im § 44a lit. a VStG 1950 statuierte Konkretisierungsgebot verstoßen haben, zumal der Verwaltungsgerichtshof, wie bereits weiter oben dargestellt, bei ähnlichen Delikten die Anführung eines Straßenzuges in der Länge von lediglich 550 bis 660 m als Tatortumschreibung toleriert habe. Der angefochtene Bescheid der Berufungsbehörde könnte bereits aus diesem Grunde mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet sein.

Die belangte Behörde erstattete fristgerecht eine Äußerung, in der sie den Versuch unternahm, die Rechtmäßigkeit des Spruches des angefochtenen Bescheides darzulegen.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof erhebt seine im Beschluss vom 27. April 1987 geäußerte Rechtsansicht nunmehr zu seiner endgültigen.

Gemäß § 44a lit. a VStG 1950 hat der Spruch eines Straferkenntnisses unter anderem die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Der genannten Vorschrift ist daher nur dann entsprochen, wenn a) im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen wird, dass er in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen und b) der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden (Erkenntnisse der verstärkten Senate vom 13. Juni 1984, Slg. N. F. Nr. 11466/A, und vom 3. Oktober 1985, Slg. N. F. Nr. 11894/A). Ausschließlich nach diesen Gesichtspunkten ist daher in jedem konkreten Fall insbesondere auch zu beurteilen, ob die im Spruch eines Straferkenntnisses enthaltene Identifizierung der Tat nach Ort und Zeit dem § 44a lit. a VStG 1950 genügt, mithin, ob die erfolgte Tatort- und Tatzeitangabe im konkreten Fall das Straferkenntnis als rechtmäßig oder als rechtswidrig erscheinen lässt. Das an Tatort- und Tatzeitumschreibung zu stellende Erfordernis wird daher nicht nur von Delikt zu Delikt, sondern auch nach jeweils gegebenen Begleitumständen in jedem einzelnen Fall ein verschiedenes, weil an den oben wiedergegebenen Rechtsschutzüberlegungen zu messendes Erfordernis sein (siehe dazu das zuletzt zitierte Erkenntnis des verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985).

Im vorliegenden Beschwerdefall wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe "sodann in der Schottenfeldgasse den Pkw

W .... rechts überholt, sodann den Fahrstreifen gewechselt und

dabei den Pkw W .... behindert und gefährdet". Die belangte

Behörde ist den hg. Ausführungen, der als "Schottenfeldgasse" bezeichnete Straßenzug im 7. Wiener Stadtbezirk verbinde die Mariahilferstraße mit der Lerchenfelderstraße und weise laut Stadtkarte von Wien im Maßstab 1 : 2000 eine Länge von ca. 1200 m auf, nicht entgegengetreten, sondern meinte, durch die Anführung des Wortes "sodann" in der Tatortumschreibung ergebe sich klar und unzweifelhaft, dass sich der Tatort hinsichtlich der Tatvorwürfe zu den Punkten 2. und 3. "unweit" der Kreuzung Neustiftgasse-Schottenfeldgasse, befinde.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag diese Auffassung der belangten Behörde nicht zu teilen. Das Temporaladverb "sodann" hat nämlich laut Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch 1983 die Bedeutung von "dann" bzw. "danach". Diese Umstandswörter, welche ausschließlich Angaben der Zeit bezeichnen, sind jedoch an sich, ohne das Hinzutreten von ergänzenden Feststellungen im Beschwerdefall, nicht geeignet, über einen konkreten Zeitpunkt oder Zeitraum präzise Aussagen zu treffen, geschweige denn, im grammatikalischen Kontext des Spruches den Tatort ausreichend zu konkretisieren. Auch das von der belangten Behörde in ihrer Stellungnahme verwendete Wort "unweit" könnte kein dem Konkretisierungsgebot des § 44a lit. a VStG 1950 entsprechendes räumliches Naheverhältnis umschreiben. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof erst jüngst in seinem Erkenntnis vom 17. Juni 1987, Zl. 85/18/0111, seine Rechtsprechung wiederholt hat, dass die Worte "nach" und "vor" dem im § 44a lit. a VStG 1950 statuierten Konkretisierungsgebot nicht Rechnung tragen.

Es trifft zwar zu, dass der Verwaltungsgerichtshof im bereits zitierten Erkenntnis vom 3. Oktober 1985, Slg. N. F. Nr. 11894/A, und in der daran anknüpfenden Judikatur bei im Fahren gesetzten Verwaltungsübertretungen nicht auf einen bestimmten Punkt, sondern eine bestimmte (Fahrt-)Strecke abgestellt hat. Die im vorliegenden Beschwerdefall gewählte Tatumschreibung umfasst eine Strecke von insgesamt ca. 1,2 km. Damit überschreitet diese Tatortumschreibung bei weitem das im erwähnten Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985 noch als ausreichend befundene Ausmaß von rund 550 bis 600 m. Der Verwaltungsgerichtshof ist der Auffassung, dass eine sich auf einen 1,2 km langen Straßenzug erstreckende Tatortumschreibung nicht mehr geeignet ist, den in den beiden zitierten Erkenntnissen der verstärkten Senate vom 13. Juni 1984 und 3. Oktober 1985 dargelegten Grundsätzen zu entsprechen, weshalb eine solche Tatortumschreibung gegen des Konkretisierungsgebot des § 44a lit. a VStG 1950 verstößt.

Ferner kann sich der Verwaltungsgerichtshof der auf das hg. Erkenntnis vom 21. März 1980, Zl. 2534/79, gestützten Rechtsansicht der belangten Behörde, der im Spruch des angefochtenen Bescheides bezeichnete Tatort bezüglich der in Rede stehenden Verwaltungsübertretungen sei durch die Anführung der Worte "Schottenfeldgasse ONr. 80" in der Begründung des angefochtenen Bescheides hinreichend bestimmt, nicht anschließen, zumal die Begründung eines Bescheides zwar zur Auslegung eines unklaren Spruches, nicht aber zu dessen Ergänzung herangezogen werden darf (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. November 1984, Zl. 84/02/0136).

Schon aus diesem Grunde war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen gewesen wäre, zumal es der belangten Behörde auf Grund der bereits eingetretenen Strafbarkeitsverjährung verwehrt ist, einen Ersatzbescheid zu erlassen.

Soweit auf nicht veröffentlichte Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen wurde, wird an Art. 14 Abs. 4 der hg. Geschäftsordung, BGBl. Nr. 45/1965, erinnert.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 11. September 1987

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