VwGH 86/11/0036

VwGH86/11/003617.9.1986

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräten Dr. Knell, Dr. Dorner, Dr. Waldner und Dr. Bernard als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Berger, über die Beschwerde der LH in W, vertreten durch Dr. Heinrich Vana, Rechtsanwalt in Wien VI, Gumpendorfer Straße 22/7, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 20. Jänner 1986, Zl. MA 12-13.001/85/A, betreffend Gewährung von Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Normen

SchOG 1962 §3 Abs2 litb;
SchOG 1962 §79;
SHG Wr 1973 §18;
SHG Wr 1973 §8 Abs1;
SHG Wr 1973 §9 Abs1;
SchOG 1962 §3 Abs2 litb;
SchOG 1962 §79;
SHG Wr 1973 §18;
SHG Wr 1973 §8 Abs1;
SHG Wr 1973 §9 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 9.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Wiener Landesregierung vom 20. Jänner 1986 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 11. Juli 1985 auf Gewährung einer Geldaushilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Mit dem zugrundeliegenden Antrag vom 11. Juli 1985 hat die Beschwerdeführerin die Gewährung einer Geldaushilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes für sich und ihre am 29. Juni 1981 geborene Tochter in den Monaten Juli und August 1985 begehrt.

Dieser Antrag wurde deshalb gestellt, weil die eine Sozialakademie besuchende Beschwerdeführerin in diesen beiden Monaten (im Gegensatz zur Zeit während des Studienjahres) keine Studienbeihilfe (sondern nur Alimente für ihre Tocher von monatlich S 1.000,--) beziehe und ihre Tochter betreuen müsse. Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin sei letzteres deshalb erforderlich, weil sie sich im Hinblick auf eine frühere unrichtige Auskunft von seiten des Sozialreferates für den 3. Bezirk in Wien, ihr werde für diese Zeit Sozialhilfe gewährt werden, nicht rechtzeitig um eine sonstige Unterbringungsmöglichkeit für ihre Tochter umgesehen habe, sodaß sie keiner Arbeit nachgehen könne.

Die belangte Behörde hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Rechtsansicht vertreten, daß sich im Zusammenhang mit dem von ihr zitierten § 8 Abs. 1 des Wiener Sozialhilfegesetzes (WSHG), LGBl. Nr. 11/1973, aus § 9 Abs. 2 leg. cit. ergebe, daß von Studenten, deren Selbsterhaltungsfähigkeit, sofern nicht gesundheitliche Gründe oder die Betreuung von Kleinkindern dem entgegenstünden, durch das Studium in der Regel vor allem in den Sommersemesterferien nicht eingeschränkt sei, vorrangig der Einsatz der eigenen Arbeitskraft erwartet werden könne. Im Hinblick darauf stelle sich, da die Absolvierung eines Hochschulstudiums keine Hilfsbedürftigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 leg. cit. indiziere, eine Unterstützung von Studenten allenfalls als Hilfe zur Erwerbsbefähigung dar (§ 18 leg. cit.). Gemäß § 18 Abs. 3 leg. cit. umfasse diese auch den Besuch von höheren Schulen, nicht aber von Hochschulen und Akademien. Besucher solcher Schulen erhielten bei Bedürftigkeit Studienbeihilfen nach dem Studienförderungsgesetz des Bundes; es liege demnach eine andere Zuständigkeit vor. Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerde darauf zusammenfassend erwidert, daß bei einer allfälligen Hilfsbedürftigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 WSHG, unabhängig von den Voraussetzungen des Vorliegens des § 18 leg. cit., Sozialhilfe zu gewähren sei, aus dem allgemeinen Hinweis auf "höhere Schulen" im § 18 Abs. 3 leg. cit. jedenfalls nicht geschlossen werden könne, daß davon Hochschulen bzw. Akademien ausgeschlossen werden sollten, und sie in den beiden in Frage stehenden Monaten keine Hilfe von anderer Seite erhalte, weshalb die belangte Behörde den sich aus § 8 Abs. 1 leg. cit. ergebenden Grundsatz der Subsidiarität zu beachten gehabt hätte.

Gemäß § 8 Abs. 1 WSHG hat Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen dieses Abschnittes, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht von anderen Personen oder Einrichtungen erhält. Nach § 9 Abs. 1 leg. cit. (in der Fassung vor der Novelle LGBl. Nr. 17/1986, welche am 1. Oktober 1985 in Kraft getreten und daher auf den vorliegenden Beschwerdefall noch nicht anzuwenden ist, weil es bei der Beurteilung der Möglichkeit und Zumutbarkeit des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft auf die Sach- und Rechtslage ankommt, die in den Zeiträumen gegeben war, in denen der Lebensbedarf gesichert werden soll) ist beim Einsatz der eigenen Kräfte auf den Gesundheitszustand, das Lebensalter, die berufliche Eignung und Vorbildung des Hilfesuchenden und die geordnete Erziehung der Kinder Bedacht zu nehmen. Der Einsatz der eigenen Arbeitskraft darf nach Abs. 2 Z. 1 dieses Paragraphen jedenfalls nicht verlangt werden von Personen, die in einer Erwerbsausbildung im Sinne des § 18 stehen.

Gemäß § 18 Abs. 1 WSHG umfaßt die Hilfe zur Erziehung alle Maßnahmen, die notwendig sind, um einem Minderjährigen die nach seiner Persönlichkeit erforderliche Erziehung sowie die seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Berufsausbildung zu sichern, während gemäß § 18 Abs. 2 leg. cit. die Hilfe zur Erwerbsbefähigung alle Leistungen, die zur Eingliederung des Hilfesuchenden in das Erwerbsleben notwendig sind, umfaßt. Klarzustellen ist, daß Gegenstand des Antrages vom 11. Juli 1985 nicht die Gewährung einer ebenfalls zur Deckung des Lebensbedarfes zählenden Hilfe dieser Art (§ 11 Abs. 1 Z. 5 leg. cit.), sondern die Zuerkennung einer Geldleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes (§ 11 Abs. 1 Z. 1, 12 f leg. cit.) war. Das ergibt sich nicht nur bereits schlüssig aus dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 11. Juli 1985, sondern kam ganz deutlich in ihrer Berufung vom 25. Juli 1985 zum Ausdruck, in der die Beschwerdeführerin vorbrachte, sie sei (anders als in den übrigen Monaten des Jahres) im Juli und August 1985 "gänzlich unversorgt" und wisse nicht, wovon sie ihren Lebensunterhalt "also meine Unterkunft, Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat und auch meine kulturellen Bedürfnisse", decken solle, und darüber hinaus sei durch ihre Notlage auch ihre vierjährige Tochter gefährdet, "da ihr Lebensbedarf durch die gewährten Alimente nicht zur Gänze abgedeckt ist".

Hinsichtlich der Frage, was unter der nach § 9 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. bedeutsamen "Erwerbsausbildung im Sinne des § 18" zu verstehen ist, scheidet im vorliegenden Beschwerdefall die im § 18 Abs. 1 leg. cit. angeführte Berufsausbildung (im Rahmen der Hilfe zur Erziehung) schon von vornherein aus, weil sie sich ausschließlich auf Minderjährige bezieht, diese Voraussetzung aber für die Beschwerdeführerin nicht zutrifft. Daß auch im Rahmen der Hilfe zur Erwerbsbefähigung eine "Erwerbsausbildung" nicht ausgeschlossen ist, geht aus § 18 Abs. 3 leg. cit. hervor, wonach die Hilfe zur Erziehung und Erwerbsbefähigung auch den Besuch einer höheren Schule zu ermöglichen hat, wenn das nach den Fähigkeiten und Leistungen des Hilfesuchenden gerechtfertigt ist. Eine Sozialakademie, die von der Beschwerdeführerin besucht wird, fällt nicht unter den Begriff der "höheren Schule". Nach § 3 Abs. 2 lit. b Schulorganisationsgesetz, BGBl. Nr. 242/1962 i. d.g.F., gliedern sich die Schulen nach ihrer Bildungshöhe in Pflichtschulen, mittlere Schulen, höhere Schulen und Akademien. Bei den höheren Schulen wird zwischen den allgemein-bildenden und den berufsbildenden höheren Schulen, die jeweils mit einer Reifeprüfung abschließen, unterschieden (§§ 34 ff und §§ 65 ff leg. cit.). Die Akademie für Sozialarbeit hat gemäß § 79 leg. cit. die Aufgabe, aufbauend auf dem Bildungsgut einer höheren Schule das für die Ausübung einer gehobenen Berufstätigkeit auf dem Gebiete der Sozialarbeit erforderliche Wissen und Können zu vermitteln. Gemäß § 82 Abs. 1 leg. cit. setzt die Aufnahme in eine Akademie für Sozialarbeit u.a. die erfolgreiche Ablegung der Reifeprüfung einer höheren Schule voraus; unter gewissen, im Abs. 2 dieses Paragraphen genannten Voraussetzungen können auch Personen, die keine Reifeprüfung abgelegt haben, aufgenommen werden, und zwar in den einjährigen Vorbereitungslehrgang (§ 80 Abs. 1 leg. cit.). Der Verwaltungsgerichtshof pflichtet der (insofern mit der Begründung des angefochtenen Bescheides im Einklang stehenden) Auffassung der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift bei, daß die Regelung des § 18 Abs. 3 WSHG bedeute, daß mit dem Abschluß einer höheren Schule mit Reifeprüfung die Erwerbsbefähigung voll gegeben sei, weshalb jede darüberhinausgehende Ausbildung keine Voraussetzung für eine Erwerbstätigkeit darstelle und nicht aus Mitteln der Sozialhilfe zu unterstützen sei. Eine solche darüberhinausgehende Ausbildung (wie etwa durch Besuch einer Sozialakademie) erscheint demnach nicht als gemäß § 18 Abs. 2 leg. cit. zur Eingliederung einer Person in das Erwerbsleben notwendig. Das hat aber zur Folge, daß die Beschwerdeführerin - entgegen ihrer Ansicht - nicht als in einer Erwerbsausbildung im Sinne des § 18 WSHG stehend anzusehen ist und daher der § 9 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. dem Verlangen der belangten Behörde auf Einsatz der eigenen Arbeitskraft der Beschwerdeführerin nicht entgegenstand.

Die belangte Behörde hat den von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten Gründen, warum sie in den Sommermonaten während der Ferienzeit keine Arbeit habe annehmen können, in der Begründung des angefochtenen Bescheides entgegengehalten, "daß es auch andere (private) Möglichkeiten zur Betreuung eines vierjährigen Kindes geben müßte, die sie in Betracht hätte ziehen können". Mit Recht macht die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, daß es sich hiebei um keine konkrete, auf einem Ermittlungsverfahren beruhende Feststellung handle, die die von der belangten Behörde gezogene Schlußfolgerung, ein ernsthaftes Bemühen der Beschwerdeführerin, den Lebensbedarf aus eigenen Kräften zu sichern, sei jedenfalls für die Sommermonate nicht erkennbar, zulasse. In der Gegenschrift wird zwar zugestanden, daß "der Behauptung, daß für private Unterbringungsmöglichkeiten des 4jährigen Kindes von seiten der Berufungsbehörde ein Ermittlungsverfahren durchgeführt hätte werden müssen, jedoch gefolgt werden kann", andererseits aber betont, daß "es den Erfahrungen des täglichen Lebens entspricht, daß in Wien solche Unterbringungsmöglichkeiten bestehen und insbesondere bei dringendem Bedarf (Berufstätigkeit der Mutter usw.) auch Platz bieten". Abgesehen davon, daß eine fehlende Bescheidbegründung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mehr nachgeholt werden kann, sodaß sich an dem Umstand, daß die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides ihre Begründungspflicht gemäß § 60 i.V.m. § 67 AVG 1950 verletzt hat, nichts geändert hat, läßt die belangte Behörde außer Betracht, daß auch dann, wenn im Sinne des § 45 Abs. 1 AVG 1950 Tatsachen bei der Behörde offenkundig sind, die Parteien dazu gemäß § 37 leg. cit. zu hören sind (vgl. u.a. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. September 1970, Zl. 1712/69, und vom 15. Mai 1981, Zl. 1777/80, auf welche unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen wird). Der aufgezeigte Begründungsmangel ist auch wesentlich, weil er den Verwaltungsgerichtshof an der Überprüfung des angefochtenen Bescheides auf seine inhaltliche Rechtsmäßigkeit hindert.

Wenn die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides weiters davon ausgegangen ist, daß in Fällen sozialer Bedürftigkeit andere gesetzliche Regelungen zugunsten von Studenten bestehen und auch die Beschwerdeführerin 1985 eine Studienbeihilfe von monatlich S 4.700,--, "jedenfalls bis Ende Juni", bezogen habe, so wäre diese Argumentation dann verfehlt, wenn damit zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß die Beschwerdeführerin aus diesem Grunde keinen Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfes habe, hat sie doch unbestrittenermaßen in den Monaten Juli und August 1985 keine derartige Unterstützung erhalten, die bei Anwendung des § 8 Abs. 1 WSHG zu berücksichtigen gewesen wäre. Bedeutung konnte daher diesem Begründungsteil nur im Zusammenhang damit zukommen, daß die belangte Behörde im Anschluß daran ausgeführt hat, die Beschwerdeführerin habe aus Stiftungsmitteln anfangs Juni 1985 zusätzlich S 10.000,-- überwiesen erhalten, "sodaß die Notlage in den Sommermonaten weniger dramatisch erscheint, als geschildert". Offenbar hat die belangte Behörde damit gemeint, daß die Beschwerdeführerin den Lebensbedarf für den betreffenden Zeitraum aus eigenen Mitteln habe beschaffen können und daher (auch aus diesem Grunde keine Hilfsbedürftigkeit in Sinne des § 8 Abs. 1 i. V.m. § 10 leg. cit. vorliege). Die Beschwerdeführerin rügt aber mit Recht, daß ihr diesbezüglich kein Parteiengehör gewährt worden sei, wobei sie die Wesentlichkeit dieses Verfahrensmangels damit hinreichend dartut, daß sie vorgebracht hätte, mit dem erwähnten Betrag längst fällige Strom- und Gasrechnungen beglichen zu haben, sodaß er ihr in den Monaten Juli und August 1985 nicht mehr zur Verfügung gestanden, sondern die behauptete Notlage eingetreten sei. Die Ausführungen der belangten Behörde in der Gegenschrift, die Beschwerdeführerin erhalte nach eigenen Angaben ein "Stipendium" von monatlich S 4.700,--, "dieser Betrag geht aber sogar etwas über den Sozialhilfe-Richtsatz in der Höhe von S 4.654,-- (S 3.259,-- Richtsatz für Alleinunterstützte + S 1.395,-

- Miete) hinaus, sodaß ihr die laufende Begleichung der Strom- und Gasrechnung möglich gewesen wäre", müssen ohne entsprechende vorherige Erörterung mit der Beschwerdeführerin unbeachtlich bleiben.

Da somit der Sachverhalt einer Ergänzung bedarf, und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne daß noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985.

Wien, am 17. September 1986

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