Normen
StVO 1960 §19 Abs6;
StVO 1960 §19 Abs7;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1 impl;
StVO 1960 §19 Abs6;
StVO 1960 §19 Abs7;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1 impl;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.160,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Bundespolizeidirektion Innsbruck sprach mit dem Straferkenntnis vom 31. März 1981 aus, der Beschwerdeführer habe am 23. Juni 1980 um ca. 15.40 Uhr in Innsbruck, Kreuzung A-gasse-Bweg als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Pkws beim Ausfahren von der Grundstückszufahrt A-gasse auf den B-weg den Vorrang des Fließverkehrs nicht beachtet und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 19 Abs. 7 in Verbindung mit § 19 Abs. 6 StVO begangen. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von S 1.000,-- (Ersatzarreststrafe 50 Stunden) verhängt. Zur Begründung führte die Behörde aus, auf Grund des eingeholten Sachverständigengutachtens stehe fest, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Unfalls mit seinem Fahrzeug gefahren, und nicht -
wie er angebe - bereits gestanden sei.
Des weiteren stehe fest, dass die beteiligte Lenkerin keine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen habe. Aus diesem Grunde hätte der Beschwerdeführer bei nötiger Vorsicht und geringerer Geschwindigkeit den Unfall vermeiden können. Auf Grund des Gutachtens habe der Beschwerdeführer eine Bremsausgangsgeschwindigkeit von 20 km/h gehabt.
Die gegen dieses Straferkenntnis vom Beschwerdeführer rechtzeitig eingebrachte Berufung wies die Tiroler Landesregierung mit Bescheid vom 2. Juni 1981 ab, sie änderte jedoch den erstinstanzlichen Schuldspruch dahingehend ab, dass der Beschwerdeführer am 23. Juni 1980 um ca. 15.40 Uhr als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Personenkraftwagens in Innsbruck von der Grundstücksausfahrt des Hauses A-gasse Nr. 30 in die A-gasse eingefahren sei und dadurch die Lenkerin eines im Fließverkehr befindlichen Pkws zu einem unvermitteltem Abbremsen ihres Fahrzeuges gezwungen und in der Folge einen Verkehrsunfall verursacht habe. Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Übertretung nach § 19 Abs. 7 in Verbindung mit § 19 Abs. 6 StVO begangen. In der Begründung wurde zu den Berufungseinwendungen ausgeführt, dem von der Erstinstanz gehörten kraftfahrzeugtechnischen Sachverständigen seien als Unterlagen für seine Beurteilung des Verkehrsunfalles die von der Polizei aufgenommene Unfallskizze mit den dort verzeichneten Bremsspuren sowie der Anzeigeinhalt, aus dem sich die Typen der unfallsbeteiligten Fahrzeuge sowie die an diesen entstandenen Beschädigungen in detaillierter Form ergeben, zur Verfügung gestanden. Er habe auf Grund seines Sachverständigenwissens die Bremsverzögerung des im Fließverkehr befindlichen Pkws mit 5,5 m/s2 angenommen und eine Bremsausgangsgeschwindigkeit für das bevorrangte Fahrzeug von ca. 48 km/h errechnet. Diese Berechnung stimme mit der Aussage der Unfallsgegnerin, sie sei mit ca. 50 km/h gefahren, ziemlich genau überein. Des weiteren habe der Sachverständige in seinem Gutachten nachgewiesen, dass der vom Beschwerdeführer gelenkte Pkw unmittelbar vor der Kollision sich noch in Fahrt befunden habe. Der Sachverständige habe eine Geschwindigkeit von etwa 20 km/h errechnet. Dem vermöge der Beschwerdeführer nicht Gleichwertiges entgegenzusetzen, insbesondere erscheine der Vorwurf, der Sachverständige sei von falschen Voraussetzungen ausgegangen, nicht berechtigt. Die Rechtfertigung des Beschwerdeführers, er habe sich wegen schlechter Sichtverhältnisse in die bevorrangte Straße hineintasten müssen, habe sich als offensichtlich unrichtig herausgestellt. Von einem Hineintasten könne weder bei Einhalten der nachgewiesenen Fahrgeschwindigkeit von 20 km/h noch bei Einhalten der vom Beschwerdeführer selbst bei seiner ersten Einvernahme eingeräumten Geschwindigkeit von nicht schneller als 10 km/h keinesfalls die Rede sein. Somit könne es keinen Zweifel geben, dass ihn allein das Verschulden an diesem Verkehrsunfall treffe, weshalb seine Bestrafung zu Recht erfolgt sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Mit Beschluss vom 11. Mai 1983 forderte der Verwaltungsgerichtshof die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gemäß § 41 VwGG 1965 auf, zur Frage Stellung zu nehmen, ob im Beschwerdefall nicht Verfolgungsverjährung eingetreten sei. Nach vorläufiger Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes könnte dies der Fall sein, weil nach Lage der Akten die Durchschrift der allenfalls als Verfolgungshandlung in Betracht kommenden Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 28. August 1980 keine Unterschrift aufwies, sohin nicht Ausdruck einer Amtshandlung sein könne, und sonst von der Behörde keine Verfolgung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG 1950 innerhalb der im § 31 Abs. 2 leg. cit. vorgesehenen Frist vorgenommen wurde.
Der Beschwerdeführer pflichtete der Ansicht des Gerichtshofes bei. Die belangte Behörde schloss sich ebenfalls der Auffassung des Gerichtshofes an, dass als Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG 1950 nur die erwähnte Strafverfügung angesehen werden könne, regte aber an, auch das dem Beschwerdeführer zugekommene Exemplar der Strafverfügung auf diesen Formmangel hin zu überprüfen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde unter Anwendung des § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG 1965 erwogen:
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer eine Übertretung des § 19 Abs. 7 in Verbindung mit § 19 Abs. 6 StVO zur Last gelegt. Gemäß § 19 Abs. 7 StVO darf, wer keinen Vorrang hat (der Wartepflichtige), durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) - zu denen gehören gemäß Abs. 6 des § 19 StVO Fahrzeuge im fließenden Verkehr weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen. Ein wesentliches Tatbestandsmerkmal des § 19 Abs. 7 StVO, das die Nichtbeachtung des Vorranges erst zu einer Übertretung im Sinne dieser Bestimmung macht, ist es sohin, dass der Lenker des Fahrzeuges mit Vorrang zu unvermitteltem Bremsen oder zum Ablenken seines Fahrzeuges genötigt wird. Der Verstoß gegen die Vorrangregel des § 19 Abs. 6 StVO ist sohin nur dann strafbar, wenn die Tatbestandsmomente des § 19 Abs. 7 leg. cit. hinzutreten, also der Umstand, dass der Wattepflichtige den Vorrangberechtigten zu unvermitteltem Bremsen oder zum Ablenken seines Fahrzeuges nötigt. In diesem Sinne ist das abstrakte "Nichtbeachten" eines Vorranges etwas anderes als das konkrete "Verletzen" des Vorranges eines Berechtigten in solcher Weise, dass dieser zu unvermitteltem Bremsen oder zum Ablenken seines Fahrzeuges genötigt wird. (Vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. September 1978, Slg. 9626/A, ferner Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Februar 1981, Zl. 02/1312/79; hinsichtlich der zitierten, nicht veröffentlichten hg. Entscheidungen wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.) Dies hat die belangte Behörde zutreffend erkannt und demgemäß den Spruch des Strafbescheides geändert, um - wie es in der Begründung ihres Bescheides heißt - klarzustellen, in welcher Weise der Beschwerdeführer den Vorrang des Fließverkehrs nicht beachtet hat.
Gemäß § 32 Abs. 2 VStG 1950 ist Verfolgungshandlung jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung (Ladung, Vorführungsbefehl, Vernehmung, Ersuchen um Vernehmung, Auftrag zur Ausforschung, Strafverfügung u. dgl.), und zwar auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. Oktober 1978, Slg. Nr. 9664/A, ausgesprochen hat, unterbricht eine Verfolgungshandlung nur dann die Verjährung, wenn sie sich auf alle der Bestrafung zu Grunde liegenden Sachverhaltselemente bezogen hat.
Es kann im Beschwerdefall dahingestellt bleiben, ob die dem Beschwerdeführer zugestellte Ausfertigung der Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 28. August 1980 entsprechend der Anordnung des § 18 Abs. 4 AVG 1950 in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 199/1982 unterfertigt war, was nach den vom Verwaltungsgerichtshof in dieser Richtung gepflogenen Erhebungen angenommen werden muss. Denn selbst wenn dies der Fall war, entsprach diese Strafverfügung nicht den an eine Verfolgungshandlung gestellten Anforderungen im Sinne der vorstehenden Darlegungen. Darin wurde nämlich dem Beschwerdeführer lediglich vorgeworfen, beim Ausfahren von der Grundstückszufahrt Agasse auf den B-weg den Vorrang des Fließverkehrs nicht beachtet zu haben, nicht aber auch, dadurch den Lenker eines im fließenden Verkehr befindlichen Fahrzeuges zu unvermitteltem Bremsen oder zum Ablenken seines Fahrzeuges genötigt zu haben. Es ist daher davon auszugehen, dass gegen den Beschwerdeführer von der Behörde innerhalb der Frist des § 31 Abs. 2 VStG 1950 keine Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 leg. cit. gesetzt wurde, weil in der Strafverfügung das wesentliche Sachverhaltselement, nämlich dass der Lenker eines im Fließverkehr befindlichen Fahrzeuges zu unvermitteltem Bremsen oder zum Ablenken seines Fahrzeuges genötigt wurde, fehlt. Die mit dem Spruch des angefochtenen Bescheides diesbezüglich vorgenommene Klarstellung liegt außerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1965 aufzuheben. Von der Durchführung der vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 lit. f VwGG 1965 Abstand genommen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 lit. a und b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981. Das Begehren auf Ersatz der Umsatzsteuer war im Hinblick auf die Pauschalierung des Schriftsatzaufwandes gemäß § 58 VwGG 1965 abzuweisen Wien, am 11. April 1984
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