VfGH V49/2014 ua

VfGHV49/2014 ua10.6.2014

Aufhebung weiterer Bestimmungen der Verordnung der Bundesregierung über die Zusammenlegung von Bezirksgerichten und über die Sprengel der verbleibenden Bezirksgerichte in Oberösterreich wegen eines Verstoßes gegen das „Schneideverbot“ des Übergangsgesetzes 1920 unter Hinweis auf die Vorjudikatur

Normen

Bezirksgerichte-Verordnung Oberösterreich 2012 §1, §2
ÜG 1920 §8 Abs5 litd
Bezirksgerichte-Verordnung Oberösterreich 2012 §1, §2
ÜG 1920 §8 Abs5 litd

 

Spruch:

I. Folgende Bestimmungen der Verordnung der Bundesregierung über die Zusammenlegung von Bezirksgerichten und über die Sprengel der verbleibenden Bezirksgerichte in Oberösterreich (Bezirksgerichte-Verordnung Oberösterreich 2012), BGBl II Nr 205/2012, werden als gesetzwidrig aufgehoben:

- die Wortfolge "teils Eferding" in §1 Z10;

- die Gemeindebezeichnungen "Eschenau im Hausruckkreis,", "Heiligenberg,", "Natternbach,", "Neukirchen am Walde," und "St. Agatha," in §2 Z3;

- die Gemeindebezeichnung "Linz (Stadtteile Urfahr, Pöstlingberg und St. Magdalena)," in §2 Z16.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. September 2015 in Kraft.

III. Die Bundesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Vorjudikatur

Mit Erkenntnis vom 11. März 2014, V4/2014-17 ua., hob der Verfassungsgerichtshof auf Antrag der Bezirksgerichte Steyr, Freistadt und Perg die diese Gerichte betreffenden Sprengelfestlegungen der Verordnung der Bundesregierung über die Zusammenlegung von Bezirksgerichten und über die Sprengel der verbleibenden Bezirksgerichte in Oberösterreich (Bezirksgerichte-Verordnung Oberösterreich 2012), BGBl II 205/2012, in näher bezeichnetem Umfang wegen Verstoßes gegen das in §8 Abs5 litd erster (Halb-)Satz des Übergangsgesetzes vom 1. Oktober 1920, in der Fassung des B. G. Bl. Nr 368 vom Jahre 1925, zuletzt geändert durch BVG BGBl I 2/2008 (im Folgenden: ÜG 1920), normierte "Schneideverbot" als gesetzwidrig auf. Für das Inkrafttreten der Aufhebung setzte er eine Frist bis zum Ablauf des 30. September 2015.

Die Aufhebung wurde im BGBl II 93/2014 kundgemacht.

II. Anlassverfahren, Anträge und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof sind auf Art89 Abs2 iVm Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützte Anträge zweier weiterer oberösterreichischer Bezirksgerichte anhängig, mit denen die teilweise Aufhebung der sie betreffenden Sprengelfestlegungen der Bezirksgerichte-Verordnung Oberösterreich 2012, BGBl II 205/2012, als gesetzwidrig begehrt wird.

1.1. Das Bezirksgericht Eferding, dessen Antrag zu V49/2014 protokolliert ist, begehrt die Aufhebung der Wortfolge "teils Eferding" in §1 Z10 sowie der Gemeindebezeichnungen "Eschenau im Hausruckkreis", "Heiligenberg", "Natternbach", "Neukirchen am Walde" und "St. Agatha" (augenscheinlich) in §2 Z3 der Bezirksgerichte-Verordnung 2012.

Das antragstellende Gericht legt dar, dass dem Antrag eine Zivilrechtssache zugrunde liege und sich der die örtliche Zuständigkeit begründende Wohnsitz des Beklagten in der Gemeinde Natternbach befinde. Das Zivilverfahren sei als Folge der Zusammenlegung des Bezirksgerichtes Peuerbach mit dem Bezirksgericht Eferding im Bereich der Gemeinden Eschenau im Hausruckkreis, Heiligenberg, Natternbach, Neukirchen am Walde und St. Agatha durch das Bezirksgericht Eferding zu führen.

1.2. Das Bezirksgericht Urfahr, dessen Anträge zu V50/2014 und V52/2014 protokolliert sind, beantragt, die Wortfolge "Linz (Stadtteile Urfahr, Pöstlingberg und St. Magdalena)" in §2 Z16 der Bezirksgerichte-Verordnung Oberösterreich 2012 als gesetzwidrig aufzuheben, und bringt dazu Folgendes vor:

1.2.1. Dem zu V50/2014 protokollierten Antrag liege eine Mahnklage auf Zahlung von Schadenersatz (Bezahlung des erhöhten Fahrgeldes) zugrunde. Mangels Berufung auf den Wahlgerichtsstand der Schadenszufügung (§92a JN) bestimme sich die Zuständigkeit nach dem allgemeinen Gerichtsstand der in Urfahr wohnhaften beklagten Partei. Bis zum 31. Dezember 2012 sei die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes Linz gegeben gewesen, weil die Stadtteile Urfahr, Pöstlingberg und St. Magdalena der Statutarstadt Linz zum Sprengel des nach wie vor existierenden Bezirksgerichtes Linz gehört hätten. Seit dem 1. Jänner 2013 erstrecke sich der Sprengel des Bezirksgerichtes Urfahr neben den Gemeinden des politischen Bezirkes Urfahr-Umgebung auch auf die genannten Linzer Stadtteile.

1.2.2. Der zu V52/2014 protokollierte Antrag werde aus Anlass einer Strafsache gestellt, in der der zuständigkeitsbegründende Tatort in Linz liege. Bis zum 31. Dezember 2012 sei die Zuständigkeit des Bezirksgerichtes Linz gegeben gewesen, weil Linz (Stadtteile Urfahr, Pöstlingberg und St. Magdalena) zum Sprengel des Bezirksgerichtes Linz gehört habe. Auf Grund der Bezirksgerichte-Verordnung Oberösterreich 2012 sei für das Verfahren nunmehr das Bezirksgericht Urfahr (vormals Bezirksgericht Urfahr-Umgebung) als aufnehmendes Gericht zur Verfahrensführung ab 1. Jänner 2013 zuständig.

2. Die zwei Bezirksgerichte legen ihre Bedenken, die sie zur Antragsstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, teils unter Berufung auf das unter Pkt. I. referierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 11. März 2014, V4/2014-17 ua., im Einzelnen dar. Auch sie machen einen Verstoß der angefochtenen Verordnungsbestimmungen gegen §8 Abs5 litd ÜG 1920 geltend. Nach dieser Bestimmung dürfen sich Grenzen der politischen Bezirke und der Gerichtsbezirke nicht schneiden, was jedoch in den Fällen, die Anlass zur Antragstellung gegeben haben, der Fall sei, da einerseits die Gemeinden Eschenau im Hausruckkreis, Heiligenberg, Natternbach, Neukirchen am Walde und St. Agatha zum politischen Bezirk Grieskirchen und andererseits die Linzer Stadtteile Urfahr, Pöstlingberg und St. Magdalena zur Statutarstadt Linz gehören.

3. Die Bundesregierung legte die Verordnungsakten vor, nahm jedoch von einer meritorischen Äußerung Abstand.

III. Rechtslage

1. Gemäß Art83 Abs1 B-VG idF BGBl I 51/2012 werden "[d]ie Verfassung und die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte [...] durch Bundesgesetz geregelt".

Dazu sieht das ÜG 1920 in seinem §8 Abs5 litd vor, dass die örtliche Zuständigkeit so festgelegt sein muss, dass sich die Grenzen der politischen Bezirke, der Gerichtsbezirke und der Ortsgemeinden nicht schneiden ("Schneideverbot"), und legt weiters eine Ausnahme von dem durch Art83 Abs1 B-VG statuierten Gesetzesvorbehalt dahingehend fest, dass Änderungen in den Sprengeln der Bezirksgerichte im Verordnungsweg durch die Bundesregierung mit Zustimmung der jeweiligen Landesregierung zu verfügen sind. §8 Abs5 litd ÜG 1920 samt Einleitungssatz hat folgenden Wortlaut:

"§8. (5) Bis zu dem Zeitpunkt, in dem die Organisation der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Ländern durch das gemäß Artikel 120 des Bundes-Verfassungsgesetzes zu erlassende Bundesverfassungsgesetz und die Ausführungsgesetze hiezu geregelt ist, gelten für die Verwaltung in den Ländern folgende Bestimmungen:

[…]

d) Die Grenzen der politischen Bezirke, der Gerichtsbezirke, der autonomen Bezirke und der Ortsgemeinden dürfen sich nicht schneiden; Änderungen in den Grenzen der Ortsgemeinden, durch die die Grenzen der Gerichtsbezirke berührt werden, bedürfen – unbeschadet der Einhaltung der in Betracht kommenden landesgesetzlichen Vorschriften – der Zustimmung der Bundesregierung. Änderungen in den Sprengeln der politischen Bezirke oder der autonomen Bezirke werden durch Verordnung der Landesregierung mit Zustimmung der Bundesregierung, Änderungen in den Sprengeln der Bezirksgerichte durch Verordnung der Bundesregierung mit Zustimmung der Landesregierung verfügt.

[…]"

2. Die auf Grund des §8 Abs5 litd ÜG 1920 mit Zustimmung der Oberösterreichischen Landesregierung erlassene, von den Bezirksgerichten Eferding und Urfahr in näher bezeichnetem Umfang angefochtene Verordnung der Bundesregierung über die Zusammenlegung von Bezirksgerichten und über die Sprengel der verbleibenden Bezirksgerichte in Oberösterreich (Bezirksgerichte-Verordnung Oberösterreich 2012), BGBl II 205/2012, lautet – auszugsweise – wie folgt (die angefochtenen Verordnungsstellen sind hervorgehoben):

"Zusammenlegung von Bezirksgerichten

§1. Folgende in Oberösterreich gelegenen Bezirksgerichte werden zusammengelegt:

  

Aufnehmende Bezirksgerichte

1.

Enns

Steyr

2.

Frankenmarkt

Vöcklabruck

3.

Lambach

Wels

4.

Leonfelden

teils Freistadt, teils Rohrbach

5.

Mauthausen

Perg

6.

Mondsee

Vöcklabruck

7.

Pregarten

teils Freistadt, teils Perg

8.

Weyer

Steyr

9.

Windischgarsten

Kirchdorf an der Krems

10.

Peuerbach

teils Grieskirchen, teils Eferding

Sprengel der Bezirksgerichte

§2. In Oberösterreich bestehen folgende Bezirksgerichte, deren Sprengel nachgenannte Gemeinden umfassen:

Bezirksgericht

Gemeinden

[...]

[...]

3. Eferding

Alkoven, Aschach an der Donau, Eferding, Eschenau im Hausruckkreis, Fraham, Haibach ob der Donau, Hartkirchen, Heiligenberg, Hinzenbach, Natternbach,Neukirchen am Walde, Prambachkirchen, Pupping, Scharten, St. Agatha, St. Marienkirchen an der Polsenz, Stroheim.

[...]

[...]

6. Grieskirchen

Aistersheim, Bad Schallerbach, Bruck-Waasen, Gallspach, Gaspoltshofen, Geboltskirchen, Grieskirchen, Haag am Hausruck, Hofkirchen an der Trattnach, Kallham, Kematen am Innbach, Meggenhofen, Michaelnbach, Neumarkt im Hausruckkreis, Peuerbach, Pollham, Pram, Pötting, Rottenbach, Schlüßlberg, Steegen, St. Georgen bei Grieskirchen, St. Thomas, Taufkirchen an der Trattnach, Tollet, Waizenkirchen, Wallern an der Trattnach, Weibern, Wendling.

[...]

[...]

8. Linz

Linz (Stadtteile Innenstadt, Waldegg, Lustenau, St. Peter, Kleinmünchen und Ebelsberg).

[...]

[...]

16. Urfahr

Alberndorf in der Riedmark, Altenberg bei Linz, Eidenberg, Engerwitzdorf, Feldkirchen an der Donau, Gallneukirchen, Goldwörth, Gramastetten, Hellmonsödt, Herzogsdorf, Kirchschlag bei Linz, Lichtenberg, Linz (Stadtteile Urfahr, Pöstlingberg und St. Magdalena), Ottensheim, Puchenau, Sonnberg im Mühlkreis, Steyregg, St. Gotthard im Mühlkreis, Walding.

[...]

[...]

Inkrafttreten und Übergangsbestimmungen

§3. (1) Diese Verordnung tritt mit 1. Jänner 2013 mit den Maßgaben in Kraft, dass1. die im §1 Z2 und 6 verfügten Zusammenlegungen erst mit 1. Juli 2013;2. die im §1 Z1, 5, 7, 8 und 10 verfügten Zusammenlegungen erst mit 1. Jänner 2014zu erfolgen haben. [...]"

IV. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1. Zur Zulässigkeit der Anträge

Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anträge zweifeln ließe (vgl. VfGH 11.3.2014, V4/2014-17 ua.).

Die Anträge sind daher zulässig.

2. In der Sache

2.1. Mit oben zitiertem Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof die Zusammenlegung des Bezirksgerichtes Enns mit dem Bezirksgericht Steyr sowie die teilweise Zusammenlegung des Bezirksgerichtes Leonfelden mit dem Bezirksgericht Freistadt und jene des Bezirksgerichtes Pregarten mit dem Bezirksgericht Perg als gesetzwidrig aufgehoben, weil sich die Grenzen der Sprengel der Bezirksgerichte Steyr, Freistadt und Perg mit den Grenzen der Sprengel der Bezirkshauptmannschaften Linz-Land, Urfahr-Umgebung und Freistadt in Bezug auf näher bezeichnete Gemeinden geschnitten haben. Die in diesem Erkenntnis angestellten Erwägungen lassen sich auf die vorliegend zur Aufhebung beantragten Verordnungsstellen übertragen.

Wie die antragstellenden Gerichte – mit Recht – darlegen, schneiden

a) zum einen (infolge der teilweisen Zusammenlegung des Bezirksgerichtes Peuerbach mit dem Bezirksgericht Eferding) die Grenzen des Sprengels des Bezirksgerichtes Eferding insoweit die Grenzen des Sprengels der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen, als die Gemeinden Eschenau im Hausruckkreis, Heiligenberg, Natternbach, Neukirchen am Walde und St. Agatha zur Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen gehören, und

b) zum anderen durch die Zuordnung der Linzer Stadtteile Urfahr, Pöstlingberg und St. Magdalena zum Sprengel des Bezirksgerichtes Urfahr die Sprengelgrenzen dieses Bezirksgerichtes die Grenzen des Sprengels des Magistrates der Landeshauptstadt Linz.

Die angefochtenen Bestimmungen der Bezirksgerichte-Verordnung Oberösterreich 2012 wurden daher unter Außerachtlassung des §8 Abs5 litd erster (Halb-)Satz ÜG 1920 erlassen und sind daher als verfassungswidrig aufzuheben.

V. Ergebnis

1. Die Wortfolge "teils Eferding" in §1 Z10 und die Gemeindebezeichnungen "Eschenau im Hausruck,", "Heiligenberg,", "Natternbach,", "Neukirchen am Walde," und "St. Agatha," in §2 Z3 sowie die Wortfolge "Linz (Stadtteile Urfahr, Pöstlingberg und St. Magdalena)," in §2 Z16 der Bezirksgerichte-Verordnung Oberösterreich 2012 sind daher wegen Verstoßes gegen §8 Abs5 litd erster (Halb-)Satz des Übergangsgesetzes 1920 als gesetzwidrig aufzuheben.

2.1. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnungsstellen gründet sich auf Art139 Abs5 letzter Satz B-VG.

2.2. Die Verpflichtung der Bundesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und des damit im Zusammenhang stehenden Ausspruches erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG idF BGBl I 33/2013 iVm §4 Abs1 Z4 BGBlG.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte