VfGH G54/11 ua

VfGHG54/11 ua28.2.2012

Individualanträge auf Aufhebung einer Neuregelung des ASVG betreffend die für eine Anrechnung von Ersatzzeiten erforderliche Beitragsleistung unzulässig; Erwirkung eines Bescheides über die Beitragsvorschreibung möglich und zumutbar

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
ASVG §607 Abs12, §410 Abs1 Z7
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
ASVG §607 Abs12, §410 Abs1 Z7

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Der erste Antragsteller hat in seiner Jugend

55 Monate in der elterlichen Landwirtschaft gearbeitet bevor er andere Arbeitsverhältnisse eingegangen ist. Nach Anfrage gab die Pensionsversicherungsanstalt dem Antragsteller am 28. Jänner 2009 bekannt, dass er voraussichtlich mit 1. März 2011 die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer antreten könne, wenn er ab 1. Februar 2009 noch 25 Beitragsmonate erwerbe. In der Folge löste der Antragsteller sein Dienstverhältnis mit 15. März 2009 und beantragte erfolgreich die freiwillige Selbstversicherung. Nach Änderung der Rechtslage durch das Budgetbegleitgesetz 2011 mit 1. Februar 2011 beantragte der Antragsteller am 25. Februar 2011 die Beitragsentrichtung für 55 Monate der Beschäftigung vor Einführung der Versicherungspflicht (Selbstständiger BSVG) und erhielt eine entsprechende Vorschreibung der Pensionsversicherungsanstalt über EUR 8.580,-. Der Antragsteller bezahlte den vorgeschriebenen Betrag und erhielt am 14. März 2011 die Mitteilung über die (bis zum Abschluss der endgültigen Prüfung) vorübergehende Zuerkennung der Pension ab 1. März 2011.

2. Der zweite Antragsteller war insgesamt 34 Monate in der elterlichen Landwirtschaft tätig bevor er ein Angestelltenverhältnis einging. Im November 2008 erhielt er die Mitteilung von der Pensionsversicherungsanstalt, dass die Voraussetzungen für die vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer zum Stichtag 1. Mai 2011 voraussichtlich vorliegen, wenn er bis zum Stichtag weitere 29 Beitragsmonate erwerben würde. Der Antragsteller ging daraufhin mit seinem Dienstgeber eine Altersteilzeitvereinbarung bis 30. April 2011 ein. Im Februar 2011 beantragte der Antragsteller die Zuerkennung der Pension und erhielt mit Schreiben vom 19. Mai 2011 die Mitteilung, dass die Voraussetzungen nur erfüllt seien, wenn Beiträge für 34 Monate einer selbstständigen Ausbildungsersatzzeit in der Höhe von EUR 5.313,86 entrichtet würden. Der Antragsteller bezahlte den Betrag und erhielt am 7. Juni 2011 den positiven Pensionsbescheid.

3. Die Antragsteller stellten den auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG gestützten Antrag, jene mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 eingeführte Regelung in §607 Abs12 ASVG wegen Verletzung des Gleichheitssatzes und des Rechts auf Unversehrtheit des Eigentums aufzuheben, die die Berücksichtigung von Ersatzmonaten als Beitragsmonate an die Erbringung eines Beitrages in der Höhe von 22,8% der dreißigfachen Mindestbeitragsgrundlage pro Monat knüpft.

4. Zu ihrer Antragslegitimation bringen die Antragsteller im Wesentlichen vor, dass die Erwirkung eines Bescheides bzw. einer gerichtlichen Entscheidung zwar möglich aber unzumutbar wäre, da sie mit dem Ergreifen eines Rechtsmittels ihren Anspruch auf vorzeitige Alterspension gefährden würden.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in

sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1. Die Anträge sind nicht zulässig.

Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss

VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).

Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

2. Die am 30.12.2010 kundgemachte Änderung des §607 Abs12 ASVG durch Art115 des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I 111/2010, (75. ASVG-Novelle) hatte zur Folge, dass Ausübungsersatzzeiten, also Zeiten einer Erwerbstätigkeit, die vor der Einführung der Pflichtversicherung nach dem GSVG und BSVG liegen, ab dem Stichtag 1. Februar 2011 (§658 Abs1 Z2 ASVG in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes) bei der Berechnung der Versicherungsdauer für die Zulässigkeit einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer für männliche Versicherte, die nach dem 1. Jänner 1954 geboren sind, nicht - wie bisher - als Versicherungszeiten (Ersatzzeiten) gelten, sondern nur mehr dann, wenn (und sobald) ein Beitrag in der Höhe von 22,8% der dreißigfachen Mindestbeitragsgrundlage nach §76a Abs3 ASVG je Ersatzmonat geleistet wurde.

3. Die Antragsteller haben ihren eigenen Angaben

zufolge die Beitragsentrichtung gemäß §607 Abs12 iVm §227 Abs4 ASVG beantragt und eine entsprechende "Vorschreibung" von der Pensionsversicherungsanstalt erhalten. Es kann auf sich beruhen, ob bereits diese "Vorschreibung" als Bescheid zu qualifizieren wäre, gegen den die Antragsteller den Rechtsweg hätten beschreiten und die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die anzuwendenden Normen an den Verfassungsgerichtshof hätten herantragen können. Es wäre beiden Antragstellern jedenfalls möglich gewesen, zu diesem Zweck über die Vorschreibung dieser Beiträge gemäß §410 Abs1 Z7 ASVG die Erlassung eines Bescheides zu begehren.

4. Dieser Weg wäre auch zumutbar gewesen. Gemäß §412 Abs6 ASVG hat der Einspruch beim Landeshauptmann keine aufschiebende Wirkung. Die Antragsteller hätten also - ungeachtet des laufenden Einspruchverfahrens gegen die Beitragsvorschreibung - die vorgeschriebenen Beiträge - wie sie es auch tatsächlich gehandhabt haben - vorerst leisten können, um die Zuerkennung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer nicht zu gefährden. Nach einem allfälligen Erfolg ihrer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof wäre ihnen die Rückforderung der Beiträge gemäß §69 ASVG - allenfalls nach einer Wiederaufnahme des Leistungsverfahrens - offen gestanden.

5. Die Anträge waren daher schon aus diesem Grund

gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

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