Normen
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
RAO §2
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
RAO §2
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Am 23. Dezember 2009 beantragte der Beschwerdeführer bei der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte mit der Begründung, er sei als Richter an diversen Gerichten über 80 Monate lang tätig gewesen und habe 19 Monate praktische Verwendung als Rechtsanwaltsanwärter absolviert. Es müsse daher jene Zeit, die er verpflichtend als Rechtsanwaltsanwärter bei einem Rechtsanwalt gemäß §2 Abs2 Rechtsanwaltsordnung, RGBl. 96/1868 idF BGBl. I 111/2007 (im Folgenden: RAO), zu absolvieren hat, von 36 Monaten auf 20 Monate verkürzt werden.
2. Mit Bescheid vom 9. Februar 2010 wies der Ausschuss der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer den Antrag mit der Begründung ab, dass sich die Dauer von drei Jahren, die ein Rechtsanwaltsanwärter für die Eintragung verpflichtend bei einem Rechtsanwalt tätig sein muss, eindeutig aus dem Wortlaut des §2 Abs2 RAO ergebe und der Beschwerdeführer diese dreijährige Ausbildungszeit nicht zur Gänze absolviert habe.
3. Der gegen diesen Bescheid des Ausschusses der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer erhobenen Berufung wurde mit dem als Bescheid zu wertenden Beschluss der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (im Folgenden: OBDK) vom 5. Juli 2010 keine Folge gegeben. Begründend wird u.a. ausgeführt:
"Es ist der offenkundige Zweck des Gesetzes die Ausbildung bei einem Rechtsanwalt in den Mittelpunkt der Ausbildung des Rechtsanwaltsanwärters zu stellen. Nur diese stellt die umfassende Ausbildung des Rechtsanwaltsanwärters sicher. Nur durch die Ausbildung beim Rechtsanwalt wird gewährleistet, dass der Rechtsanwaltsanwärter umfassend mit allen Facetten des Berufsbildes des Rechtsanwalts vertraut gemacht wird (siehe VfGH 6.10.1999, B434/98 und 21.6.1997, B29/97).
Die Tätigkeit eines Richters in 1. und 2. Instanz stellt zweifellos eine eingehende Praxis auf den Gebieten des Rechtes in welchem dieses Richteramt ausgeübt wird, dar, dennoch vermag eine solche Praxiszeit eine umfassende Ausbildung in allen Rechtsbereichen, in denen ein Rechtsanwalt tätig ist, nicht zu ersetzen.
Der Umstand, dass der Eintragungswerber im Entscheidungszeitpunkt schon einen Großteil seiner Ausbildungszeit bei einem Rechtsanwalt absolviert hat, vermag eine ihm positive Beurteilung nicht zu begründen. Der Wortlaut des Gesetzes ist völlig eindeutig. Eine Gesetzeslücke liegt nicht vor. Eine Interpretation dahingehend, dass nur ein Teil der Kernzeit bei einem Rechtsanwalt verbracht werden müsste, muss schon an der Unbestimmbarkeit des relevanten Zeitraums scheitern."
4. Dagegen wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes sowie die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
5. Die OBDK als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete aber keine Gegenschrift.
II. Rechtslage
§2 RAO, RGBl. 96/1868 idF BGBl. I 111/2007, lautet auszugsweise:
"§. 2. (1) Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird; anrechenbar sind insoweit auch Zeiten des gesetzlichen Urlaubs oder der Verhinderung wegen Krankheit, Unfalls oder eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz. In den Fällen der Herabsetzung der Normalarbeitszeit nach den §§14a und 14b AVRAG oder nach dem Behinderteneinstellungsgesetz für begünstigte Behinderte sowie in den Fällen einer Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutzgesetz oder dem Väter-Karenzgesetz ist die Ausbildungszeit anzurechnen, auf die die Normalarbeitszeit herabgesetzt wurde.
(2) Die praktische Verwendung im Sinn des Abs1 hat fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht oder einer Staatsanwaltschaft und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen.
(3) Auf die Dauer der praktischen Verwendung, die nicht zwingend bei Gericht, einer Staatsanwaltschaft oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, sind auch anzurechnen:
1. Zeiten einer an ein Studium des österreichischen Rechts (§3) anschließenden universitären Ausbildung bis zum Höchstausmaß von sechs Monaten, wenn damit im Zusammenhang ein weiterer rechtswissenschaftlicher akademischer Grad erlangt wurde;
2. eine im Sinn des Abs1 gleichartige praktische Verwendung im Ausland, wenn diese Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen ist.
(4) ..."
III. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. In der Beschwerde wird die Verfassungswidrigkeit des §2 Abs2 iVm Abs1 RAO behauptet. Diese Bestimmung würde gegen die Art6 StGG und Art7 B-VG und Art2 StGG verstoßen, weil die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt immer und in jeder Fallkonstellation drei Jahre betragen muss und nicht durch alternative Ausbildungszeiten gekürzt werden kann.
1.2. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 12.337/1990, 12.670/1991, 13.575/1993, 17.980/2006, VfGH 24.6.2010, B538/09) bestehen keine Bedenken gegen §2 RAO. Der Verfassungsgerichtshof kann - auch aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles - nicht finden, dass der Gesetzgeber die ihm durch die Bundesverfassung, insbesondere die durch Art7 Abs1 B-VG und Art2 StGG sowie Art6 StGG gezogenen Grenzen überschritten hat, wenn er davon ausgeht, dass die Qualität der Ausbildung nur dann gesichert ist, wenn von den insgesamt geforderten fünf Jahren der praktischen Verwendung mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen sind (vgl. VfSlg. 13.011/1992) und die Tätigkeit als Richter nicht die Dauer der praktischen Verwendung im Ausmaß von drei Jahren bei einem Rechtsanwalt (auch nur teilweise) ersetzen kann.
1.3. Schließlich kann der Verfassungsgerichtshof auch darin keine Verfassungswidrigkeit erkennen, dass die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur der Tätigkeit bei einem Rechtsanwalt gleichgesetzt wird (vgl. §2 Abs1 2. Satz RAO), weil der Finanzprokuratur die Aufgabe obliegt, die Republik Österreich und ihre Rechtsträger im Sinn des §3 des Bundesgesetzes über die Finanzprokuratur als Parteien oder sonst Beteiligte vor allen Gerichten und Verwaltungsbehörden zu vertreten, was der Tätigkeit als Rechtsanwalt gleichzuhalten ist.
1.4. Da auch sonst keine Bedenken gegen die dem Bescheid zu Grunde liegenden Bestimmungen entstanden sind, ist der Beschwerdeführer nicht durch die Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
2.1. Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, durch den angefochtenen Bescheid in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verletzt worden zu sein. Da er über mehrere Jahre als Richter tätig gewesen und diese Tätigkeit der eines Rechtsanwaltes gleichzuhalten sei, hätte die belangte Behörde seinen Antrag nicht mit der Begründung abweisen dürfen, er habe die praktische Verwendung im Ausmaß von drei Jahren nicht bei einem Rechtsanwalt verbracht.
2.2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat (vgl. die Ausführung unter Punkt III.1.2.), könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).
2.2.1. Der Vorwurf eines willkürlichen Verhaltens kann der belangten Behörde nicht gemacht werden. Sie hat ein aus verfassungsrechtlicher Sicht ausreichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt und den angefochtenen Bescheid denkmöglich und schlüssig begründet.
2.3. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes durch einen Bescheid verletzt, wenn dieser einem Staatsbürger den Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt, ohne dass ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungswidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.470/1997, 15.449/1999, 17.980/2006; vgl. auch VfSlg. 15.431/1999).
2.3.1. Wie bereits unter Punkt III.1.2. ausgeführt, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §2 RAO. Die belangte Behörde hat dieser Bestimmung auch weder einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt noch das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung verletzt worden.
2.4. Schließlich ist auch aus dem Beschwerdevorbringen, die für die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung zuständige Behörde habe in vergleichbaren Fällen anders entschieden, für den Standpunkt des Beschwerdeführers nichts zu gewinnen (vgl. zB VfSlg. 6992/1973, 7962/1976, 9110/1979, 9169/1981, 9604/1983, 10.339/1985, 10.340/1985, 11.512/1987, 11.949/1989, 12.518/1990, 18.921/2009).
2.5. Es ist auch nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer in einem anderen, von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden ist.
Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt.
3. Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.
4. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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