VfGH G201/10

VfGHG201/1028.2.2011

Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip durch eine Regelung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes über die Einstellung von Verfahren betreffend Niederlassungsbewilligungen für Drittstaatsangehörige im Fall des Verlassens des Bundesgebietes

Normen

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
Niederlassungs- und AufenthaltsG (NAG) §44 Abs4, Abs5
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
Niederlassungs- und AufenthaltsG (NAG) §44 Abs4, Abs5

 

Spruch:

I. §44 Abs5 letzter Satz des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 122/2009, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Die aufgehobene Bestimmung ist in allen am 28. Februar 2011 anhängigen Verfahren nicht mehr anzuwenden.

III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist ein zu B1239/10 protokolliertes Beschwerdeverfahren anhängig, dem folgender Sachverhalt zu Grunde liegt:

1.1. Der Beschwerdeführer des Anlassverfahrens ist Staatsangehöriger der Türkei. Er stellte nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 7. September 2001 einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. November 2001 abgewiesen wurde. Die dagegen eingebrachte Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. April 2002 abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 26. November 2003 die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde ab.

Am 19. Februar 2004 stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. Juni 2006 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Das dagegen eingebrachte Rechtsmittel wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 1. August 2008 abgewiesen. Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 6. November 2008 die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde ab.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Landeck vom 21. Jänner 2009 wurde über den Beschwerdeführer die Schubhaft verhängt, nachdem sämtliche ordentliche und außerordentliche Rechtsmittel gegen die Ausweisungsentscheidung erfolglos geblieben waren.

Während der Schubhaft stellte der Beschwerdeführer am 26. Jänner 2009 einen (dritten) Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. März 2009 zurückgewiesen wurde. Der Asylgerichtshof wies mit Entscheidung vom 9. April 2009 die dagegen erhobene Beschwerde ab.

1.2. Ebenfalls während der Schubhaft beantragte der Beschwerdeführer am 17. April 2009 gestützt auf §44 Abs4 NAG bei der Bezirkshauptmannschaft Landeck die Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung - beschränkt“.

Am 7. Mai 2009 wurde der Beschwerdeführer aus Österreich in die Türkei abgeschoben.

Da über den Antrag auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden worden war, stellte der Beschwerdeführer am 21. Mai 2010 einen auf §73 AVG gestützten Devolutionsantrag, der mit Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 6. Juli 2010 mit der Begründung:

abgewiesen wurde, es liege kein überwiegendes Verschulden (der Sache nach: keine Säumnis) der Behörde erster Instanz vor, weil das auf §44 Abs4 NAG gestützte erstinstanzliche Verfahren gemäß §44 Abs5 letzter Satz NAG als eingestellt gelte, wenn der Antragsteller das Bundesgebiet verlassen habe. Eine bescheidmäßige Erledigung sei daher nicht erforderlich.

2. Dagegen richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und Gewährleistung faktisch effizienten Rechtsschutzes sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung des als verfassungswidrig erachteten §44 Abs5 letzter Satz NAG sowie der Wortfolge „Im Bundesgebiet aufhältigen“ in §44 Abs4 erster Satz NAG behauptet wird.

3. Aus Anlass dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 8. Dezember 2010 gemäß Art140 Abs1 B-VG beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit von §44 Abs5 letzter Satz des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I 122/2009, von Amts wegen zu prüfen.

3.1. Seine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmung begründete der Verfassungsgerichtshof damit, dass §44 Abs5 letzter Satz NAG den sich aus der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 17.013/2003, 17.734/2005, 18.517/2008) ergebenden Anforderungen, wonach in bestimmten Fällen ein aus Art8 EMRK abzuleitender Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen und daraus resultierend ein aus Art8 und 13 EMRK abzuleitender Rechtsanspruch auf Durchführung eines Verfahrens zur Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen bestehen muss, nicht entsprechen dürfte.

3.2. Dazu führte der Verfassungsgerichtshof aus:

„Der Gesetzgeber ermöglicht durch §44 Abs4 NAG 'für besonders berücksichtigungswürdige Altfälle' (vgl. RV 88 BlgNR 24. GP 1) die Erteilung einer quotenfreien 'Niederlassungsbewilligung - beschränkt' und räumt dem '(i)m Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen' ein diesbezügliches Antragsrecht ein. Damit sollte vor allem gewährleistet sein, dass der Antragsteller seine Interessen als seine Rechte - unabhängig vom Tätigwerden der Behörde - in einem Verfahren geltend machen kann. Dies schließt - so die vorläufige Auffassung des Verfassungsgerichtshofes - mit ein, dass die Niederlassungsbehörde einen 'begründeten' Antrag inhaltlich einer Prüfung unterziehen und in einem Verfahren das Vorliegen der Voraussetzungen des §44 Abs4 NAG untersuchen muss. Damit einhergehen dürfte schließlich auch ein Anspruch des Antragstellers auf Erledigung dieses Verfahrens in Form einer - der Überprüfung letztlich durch die Gerichtshöfe des Öffentlichen Rechts unterliegenden - Entscheidung der Niederlassungsbehörde.

Gemäß §44 Abs5 letzter Satz NAG gelten nun Verfahren gemäß Abs4 dann als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat. Der Wortlaut dieser Bestimmung (‚gelten als eingestellt') dürfte in Anbetracht der Gesetzesmaterialien keinen anderen Schluss zulassen, als dass die - nicht an einen Willensakt der Behörde gebundene - Einstellung des Verfahrens einzig an das Verlassen des Bundesgebietes geknüpft ist und unberücksichtigt bleibt, aus welchen Gründen der Antragsteller ausgereist ist ('Dabei ist unbeachtlich, ob die Ausreise freiwillig oder mittels Abschiebung erfolgt.' [AB 387 BlgNR 24. GP zu Z22 des Abänderungsantrages]).

Mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip erachtet es der Verfassungsgerichtshof vorläufig für verfassungsrechtlich bedenklich, dass das mit der Antragstellung gemäß Abs4 verbundene Recht auf Durchführung eines Verfahrens zur Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels dem Antragsteller nur solange zukommt, als er sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhält, und unmittelbar wegfällt, sobald der Antragsteller - aus welchen Gründen auch immer - das Bundesgebiet verlassen hat. Diese Bestimmung dürfte die Niederlassungsbehörde verpflichten, undifferenziert von einem als eingestellt geltenden Verfahren auszugehen (VfSlg. 13.837/1994 mwH).

Der vom Bundeskanzleramt-Verfassungsdienst und der belangten Behörde in den Stellungnahmen erwähnte Hinweis auf §2 Abs7 NAG dürfte nach der vorläufigen Ansicht des Verfassungsgerichtshofes nicht geeignet sein, diese vorläufigen Bedenken zu widerlegen. Nach dieser Bestimmung unterbrechen kurzfristige Auslandsaufenthalte, insbesondere solche zu Besuchszwecken, die anspruchsbegründende Dauer eines Aufenthalts nicht, wobei Gleiches für den Fall gilt, dass der Fremde das Bundesgebiet infolge einer nachträglich behobenen fremdenpolizeilichen Entscheidung verlassen hat. §2 Abs7 NAG dürfte damit schon dem Wortlaut nach keinen Einfluss auf die mit dem Verlassen des Bundesgebietes automatisch einhergehende Rechtsfolge der Einstellung des Verfahrens haben und daher niemals bewirken, dass über den Antrag gemäß §44 Abs4 NAG inhaltlich abgesprochen wird.“

4. Die Bundesregierung erstattete dazu eine Äußerung, in der sie beantragt, die in Prüfung gezogene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufzuheben.

4.1. Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass §44 Abs5 letzter Satz NAG nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip verstößt und einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich ist. Im Einzelnen hält sie den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes entgegen:

„Aus dem Rechtsstaatsprinzip ist zwar der Grundsatz abzuleiten, dass Verwaltungsentscheidungen mit erheblichen Rechtsfolgen für den Einzelnen in einer im verfassungsrechtlichen Rechtsschutzsystem (also letztlich vor den Gerichtshöfen des vffentlichen Rechts) bekämpfbaren Form, d.h. in der Regel als Bescheid, zu ergehen haben (vgl. zB Thienel, Der mehrstufige Verwaltungsakt [1996] 57 f; ders, Verwaltungsverfahrensrecht5 [2004] 56).

Außerdem können nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts die Behörden nach allgemeinen Verfahrensgrundsätzen (VwGH 1.7.1992, 92/01/0043) aus einem in privatem oder im öffentlichen Interesse begründeten Anlass allerdings auch ohne ausdrückliche Ermächtigung Rechte bescheidförmig feststellen (vgl. auch VfSlg. 11.764/1988, 16.221/2001, 16.979/2003), sofern dadurch nicht den im einzelnen Fall maßgeblichen Rechtsvorschriften widersprochen würde (VfSlg. 4460/1963), also die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen (VwGH 1.7.1992, 92/01/0043; VwSlg. 13.732 A/1992; VwGH 23.4.1996, 93/05/0238; vgl. Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Teilband (2005), Rz 73 zu §56).

§44 Abs5 letzter Satz NAG bestimmt nicht anderes; er sieht weder vor, dass eine in subjektive Rechte eingreifende Entscheidung nicht in Bescheidform ergehen soll noch schließt er die Erlassung eines Feststellungsbescheides explizit aus. Sollte der Verfassungsgerichtshof zur Auffassung gelangen, dass die in Prüfung gezogene Bestimmung einer bescheidförmigen Erledigung des Antrags gemäß §44 Abs4 NAG entgegensteht, sobald ein Antragsteller aus Österreich ausreist, so stünde einem solchen Antragsteller aber jedenfalls die Möglichkeit der Erwirkung eines Feststellungsbescheides offen. Damit könnte er die für ihn zweifellos im rechtlichen Interesse anzusehende Frage klären lassen, ob ihm im Hinblick auf seine besondere Konstellation, ungeachtet einer inzwischen erfolgten Ausreise aus Österreich, aus Art8 und 13 EMRK ein Recht auf bescheidförmige Erledigung seines Antrags erwachsen ist.

Im Lichte dessen kann eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips durch §44 Abs5 letzter Satz NAG nicht erblickt werden.

Auch die vorläufige Ansicht des Verfassungsgerichtshofes, dass §2 Abs7 NAG niemals bewirken dürfte, dass über den Antrag gemäß §44 Abs4 NAG inhaltlich abgesprochen wird, wird von der Bundesregierung nicht geteilt. Durch den mit dem FrÄG 2009 eingeführten §2 Abs7 NAG wird nämlich explizit normiert, dass die für Aufenthaltsrechte nach dem NAG notwendige Dauer des Aufenthalts nicht unterbrochen wird, wenn der Fremde das Bundesgebiet in Folge einer fremdenpolizeilichen Entscheidung (Ausweisung oder Aufenthaltsverbot) verlassen hat, die sich danach als rechtswidrig herausstellt und daher behoben wird. Gemäß den Bestimmungen des FPG wäre dem Fremden die Wiedereinreise in das Bundesgebiet zu gestatten und in weiterer Folge das Verfahren gemäß §44 Abs4 NAG auf Antrag des Fremden fortzusetzen (vgl. dazu auch den Ausschussbericht 387 BIgNR 24. GP zu Z19 des Abänderungsantrags [Art5 Z4 der Regierungsvorlage]). Im fortgesetzten Verfahren würde - entgegen der vorläufigen Ansicht des Verfassungsgerichtshofes - über den Antrag gemäß §44 Abs4 NAG auch inhaltlich abgesprochen werden. Durch diese Vorkehrung wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass eine sich nachträglich als rechtswidrig herausstellende fremdenpolizeiliche Maßnahme nicht zum Nachteil des Antragstellers ausschlägt. Sie ergänzt die oben aufgezeigte allgemeine Möglichkeit der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung mittels Antrag auf Erlassung eines Feststellungsbescheides.“

5. Der Beschwerdeführer des Anlassverfahrens erstattete eine Äußerung.

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG), BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 122/2009, lauten (die in Prüfung gezogene Bestimmung ist hervorgehoben):

„1. TEIL

ALLGEMEINER TEIL

1. Hauptstück

Begriffsbestimmungen

§2. (1)-(6) ...

(7) Kurzfristige Inlands- und Auslandsaufenthalte, insbesondere zu Besuchszwecken, unterbrechen nicht die anspruchsbegründende oder anspruchsbeendende Dauer eines Aufenthalts oder einer Niederlassung. Gleiches gilt für den Fall, dass der Fremde das Bundesgebiet in Folge einer nachträglich behobenen fremdenpolizeilichen Entscheidung verlassen hat.

2. Hauptstück

Behördenzuständigkeiten

Sachliche Zuständigkeit

§3. (1) Behörde nach diesem Bundesgesetz ist der örtlich zuständige Landeshauptmann. ...

(2) Über Berufungen gegen die Entscheidungen des Landeshauptmannes entscheidet der Bundesminister für Inneres. Gegen Entscheidungen über Anträge auf Erteilung einer ‚Niederlassungsbewilligung - beschränkt' gemäß §44 Abs4 ist eine Berufung nicht zulässig.

(3)-(5) ...

4. Hauptstück

Allgemeine Voraussetzungen

Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel

§11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1.-2. ...

3. gegen ihn eine durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß §21 Abs1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4. ...

5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten sichtvermerksfreien oder sichtvermerkspflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit §21 Abs6 vorliegt oder

6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden, und

6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§24) die Integrationsvereinbarung nach §14 oder ein einzelnes Modul bereits erfüllt hat, soweit er bereits ein Jahr niedergelassen war und ihm kein Aufschub gemäß §14 Abs8 gewährt wurde.

(3)-(7) ...

2. TEIL

BESONDERER TEIL

1. Hauptstück

Niederlassung von Drittstaatsangehörigen

Niederlassungsbewilligung - beschränkt

§44. (1)-(3) ...

(4) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß §11 Abs1 Z3, 5 oder 6 in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen auf begründeten Antrag, der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie ‚Niederlassungsbewilligung - beschränkt' erteilt werden, wenn

1. der Drittstaatsangehörige nachweislich seit dem 1. Mai 2004 durchgängig im Bundesgebiet aufhältig ist und

2. mindestens die Hälfte des Zeitraumes des festgestellten durchgängigen Aufenthalts im Bundesgebiet rechtmäßig gewesen ist.

Die Behörde hat dabei den Grad der Integration des Drittstaatsangehörigen, insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der Deutschen Sprache, zu berücksichtigen. Der Nachweis einer oder mehrerer Voraussetzungen des §11 Abs2 Z2 bis 4 kann auch durch Vorlage einer Patenschaftserklärung (§2 Abs1 Z18) erbracht werden. Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß §11 Abs2 Z1 und 5 einschließlich fremdenpolizeilicher Maßnahmen hat die Behörde unverzüglich eine begründete Stellungnahme der der zuständigen Fremdenpolizeibehörde übergeordneten Sicherheitsdirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß §74 und §73 AVG gehemmt. Ein einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag (Folgeantrag) ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(5) Anträge gemäß Abs4 begründen kein Aufenthalts- oder Bleiberecht nach diesem Bundesgesetz. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Behörde über einen solchen Antrag hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde jedoch mit der Durchführung der eine Ausweisung umsetzenden Abschiebung zuzuwarten, wenn

1. ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung erst nach einer Antragstellung gemäß Abs4 eingeleitet wurde und

2. die Erteilung einer ‚Niederlassungsbewilligung - beschränkt' gemäß Abs4 wahrscheinlich ist, wofür die Voraussetzungen des Abs4 Z1 und 2 jedenfalls vorzuliegen haben.

Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen der Z2 hat die zuständige Fremdenpolizeibehörde vor Durchführung der Abschiebung eine begründete Stellungnahme der Behörde einzuholen. Verfahren gemäß Abs4 gelten als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat.

3. TEIL

STRAF-, SCHLUSS- UND ÜBERGANGSBESTIMMUNGEN

Übergangsbestimmungen

§81. (1)-(14) ...

(15) Alle nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2009 anhängigen Verfahren gemäß §§44 Abs4 und 69a sind nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2009 zu Ende zu führen.“

III. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit:

Die Bundesregierung ist der im Prüfungsbeschluss vorläufig geäußerten Annahme der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung und des Vorliegens der Prozessvoraussetzungen nicht entgegengetreten. Es ist auch sonst kein Prozesshindernis hervorgekommen. Das Gesetzesprüfungsverfahren ist daher zulässig.

2. In der Sache:

2.1. Die vom Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss vom 8. Dezember 2010 geäußerten Bedenken haben sich als zutreffend erwiesen:

2.2. §44 Abs4 NAG sieht ein Antragsrecht des Fremden vor, das gewährleistet, dass der Fremde seine Interessen als seine Rechte - unabhängig vom Tätigwerden der Behörde - in einem Verfahren geltend machen kann. Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt daher einerseits, dass die Niederlassungsbehörde einen „begründeten Antrag“ inhaltlich einer Prüfung unterziehen und das Vorliegen der in §44 Abs4 NAG normierten Voraussetzungen untersuchen muss, anderseits aber auch, dass damit ein Anspruch des Antragstellers auf Erledigung dieses Verfahrens in Form einer der Prüfung letztlich durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts unterliegenden Entscheidung der Niederlassungsbehörde einhergehen muss.

Gemäß §44 Abs5 letzter Satz NAG gelten hingegen Verfahren gemäß Abs4 als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes lässt der Wortlaut dieser Bestimmung („gelten als eingestellt“) keinen anderen Schluss zu, als jenen, dass das Verfahren bei Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet automatisch eingestellt ist, ohne dass dazwischen noch ein Willensakt der Behörde treten könnte. Die Gründe, die zum Verlassen des Bundesgebietes geführt haben, haben dabei außer Betracht zu bleiben. Der Wortlaut der Bestimmung räumt der Niederlassungsbehörde insbesondere nicht die Möglichkeit ein, zwischen einer zwangsweisen Abschiebung und einer freiwilligen Ausreise zu unterscheiden, denn die Niederlassungsbehörde hat - undifferenziert - von einem als eingestellt geltenden Verfahren auszugehen (VfSlg. 13.837/1994 mwH). Dass damit dem Antragsteller das Recht auf Durchführung eines Verfahrens zur Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels und der Anspruch auf Erledigung dieses Verfahrens in einer der Überprüfung durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts unterliegenden Entscheidung genommen wird, verstößt gegen das Rechtsstaatsprinzip.

2.3. Der von der Bundesregierung in der Stellungnahme angeführte Hinweis auf §2 Abs7 NAG hat auf die mit dem Verlassen des Bundesgebietes automatisch einhergehende Rechtsfolge der Einstellung des Verfahrens keinen Einfluss und vermag schon dem Wortlaut nach nicht zu bewirken, dass über den Antrag gemäß §44 Abs4 NAG inhaltlich abgesprochen wird.

2.4. Wenn die Bundesregierung zur Verteidigung der in Prüfung gezogenen Bestimmung weiter meint, nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts könnten Behörden nach allgemeinen Verfahrensgrundsätzen aus einem im privaten oder im öffentlichen Interesse begründeten Anlass auch ohne ausdrückliche Ermächtigung Rechte bescheidmäßig feststellen, sofern dadurch nicht den im einzelnen Fall maßgeblichen Rechtsvorschriften widersprochen würde, also die Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmten, so ist ihr entgegenzuhalten, dass gerade die vom Gesetzgeber verwendete Formulierung „Verfahren … gelten als eingestellt, wenn der Fremde das Bundesgebiet verlassen hat“ nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes die Erlassung eines Feststellungsbescheides ausschließt.

2.5. Die von den Parteien ins Treffen geführte Möglichkeit einer verfassungskonformen Interpretation kommt im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut der in Prüfung gezogenen Bestimmung nicht in Betracht.

2.6. §44 Abs5 letzter Satz NAG widerspricht daher dem Rechtsstaatsprinzip.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. §44 Abs5 letzter Satz NAG ist daher als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Der Verfassungsgerichtshof sah sich veranlasst, von der Ermächtigung nach Art140 Abs7 2. Satz B-VG Gebrauch zu machen und auszusprechen, dass die aufgehobene Bestimmung in allen am 28. Februar 2011 anhängigen Verfahren nicht mehr anzuwenden ist.

3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

4. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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