VfGH G43/10 ua

VfGHG43/10 ua10.6.2010

Zurückweisung von Gerichtsanträgen auf Aufhebung einer Wortfolge in der Zivilprozessordnung idF des Budgetbegleitgesetzes 2009 betreffend die Beschränkung der Verfahrenshilfe auf natürliche Personen; zu eng gefasster Aufhebungsantrag

Normen

B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
VfGG §62 Abs1
ZPO §63 Abs1 idF BGBl I 52/2009
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
VfGG §62 Abs1
ZPO §63 Abs1 idF BGBl I 52/2009

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. 1. Das Oberlandesgericht Innsbruck stellte aus Anlass zweier

bei ihm anhängiger Rekursverfahren die zu G43/10 und G46/10 protokollierten Anträge, der Verfassungsgerichtshof möge

"die Wortfolge 'wenn sie eine natürliche Person ist' im ersten Satz des §63 Abs1 Zivilprozessordnung (ZPO) idF BGBl I 2009/52"

als verfassungswidrig aufheben.

2. Beiden Anträgen liegt ein Konkursverfahren über eine Gesellschaft mbH & Co KG zugrunde, in welchem der Masseverwalter jeweils mittels Anfechtungsklage nach den Bestimmungen der §§28 ff. KO an das zuständige Erstgericht zwei Forderungen für die Konkursmasse einbringlich zu machen suchte. Diese Klagen verband der Masseverwalter mit Anträgen auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 ZPO.

Das Erstgericht wies die Verfahrenshilfeanträge in weiterer Folge mit der Begründung ab, dass der Masseverwalter nach der in Österreich vorherrschenden Organtheorie als Organ bzw. gesetzlicher Vertreter der Konkursmasse, bei welcher es sich um eine juristische Person handle, angesehen werde. Der Masseverwalter zähle somit nicht zum Kreis jener Personen, die nach §63 Abs1 ZPO idF BGBl. I 52/2009 einen Anspruch auf Bewilligung der Verfahrenshilfe hätten. Der Konkursmasse als juristischer Person stehe keine Verfahrenshilfe zu.

Gegen diese Beschlüsse erhob der Masseverwalter jeweils einen Rekurs, in welchem er die Abänderung der angefochtenen Entscheidung im Sinne der beantragten Verfahrenshilfe begehrte. Neben einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag wurde angeregt, ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der Bestimmung des §63 Abs1 ZPO idF BGBl. I 52/2009 einzuleiten.

3. In den aus Anlass dieses Verfahrens erhobenen Anträgen geht das Oberlandesgericht Innsbruck den Entscheidungen der Erstinstanz folgend davon aus, dass die Partei im Anfechtungsverfahren nach der Konkursordnung nach herrschender Ansicht die Konkursmasse selbst - und nicht der als Organ bzw. gesetzlicher Vertreter handelnde Masseverwalter - sei. Die Konkursmasse vermöge als "parteifähiges Gebilde" keine Verfahrenshilfe mehr in Anspruch zu nehmen, da diese durch §63 Abs1 ZPO idF BGBl. I 52/2009 nur mehr natürlichen Personen bewilligt werden könne.

Gegen die genannte Bestimmung hegt das Oberlandesgericht Innsbruck dahingehend Bedenken, dass durch den Ausschluss juristischer Personen von der Möglichkeit, Verfahrenshilfe zu erlangen, "der Gleichheitsgrundsatz verletzt" werde. So seien "offensichtlich unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes" mit dem Verfahrenshilfegesetz, BGBl. 569/1973, juristische Personen, parteifähige Gebilde sowie Vermögensmassen hinsichtlich der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Verfahrenshilfe natürlichen Personen gleichgestellt worden. Eine sachliche Rechtfertigung für die nunmehr erfolgende Schlechterstellung scheine nicht gegeben zu sein; diesbezüglich werden in den gegenständlichen Anträgen weitere speziell auf die Problematik der Konkursverschleppung bezogene Argumente ins Treffen geführt.

Soweit der Gesetzgeber mit der Novellierung des §63 ZPO durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl. I 52/2009, eine Entlastung der Justiz habe herbeiführen wollen, vermöge dieses Argument keine sachliche Rechtfertigung für die Neuregelung darzustellen, weil "nicht wegen einer personellen oder budgetären Entlastung in verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrechte eingegriffen werden" dürfe. Zudem stelle die in Rede stehende Differenzierung von natürlichen und juristischen Personen einen Verstoß gegen das in Art6 Abs1 EMRK verankerte Recht auf freien und ungehinderten Zugang zu Gericht dar. Schließlich würden in diesem Zusammenhang auch Bedenken hinsichtlich der Unverletzlichkeit des Eigentums nach Art5 StGG gehegt.

4. §63 ZPO hatte vor seiner durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl. I 52/2009, erfolgten Novellierung nachstehenden Wortlaut:

"Verfahrenshilfe

§63. (1) Verfahrenshilfe ist einer Partei so weit zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen als sie außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Als notwendiger Unterhalt ist derjenige Unterhalt anzusehen, den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt. Als mutwillig ist die Rechtsverfolgung besonders anzusehen, wenn eine nicht die Verfahrenshilfe beanspruchende Partei bei verständiger Würdigung aller Umstände des Falles, besonders auch der für die Eintreibung ihres Anspruchs bestehenden Aussichten, von der Führung des Verfahrens absehen oder nur einen Teil des Anspruchs geltend machen würde.

(2) Einer juristischen Person oder einem sonstigen parteifähigen Gebilde ist die Verfahrenshilfe zu bewilligen, wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von ihr (ihm) noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint; das gleiche gilt für ein behördlich bestelltes Organ oder einen gesetzlichen Vertreter, die für eine Vermögensmasse auftreten, wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder aus der Vermögensmasse noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können.

(3) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. Nr. 135/1983)

(4) Die Bestimmungen über die Verfahrenshilfe gelten auch für den Nebenintervenienten."

Durch die im BGBl. I 52/2009 enthaltene Novellierungsbestimmung wurde im ersten Satz des §63 Abs1 ZPO nach dem Wort "Partei" der Halbsatz ", wenn diese eine natürliche Person ist," eingefügt, sodass dieser nunmehr lautet:

"Verfahrenshilfe

§63. (1) Verfahrenshilfe ist einer Partei, wenn diese eine natürliche Person ist, so weit zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen als sie außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint."

Abs2 leg.cit. betreffend die Voraussetzungen der Gewährung von Verfahrenshilfe für juristische Personen wurde ersatzlos aufgehoben.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer

Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1. In von Amts wegen eingeleiteten Normenprüfungsverfahren hat der Verfassungsgerichtshof den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt; da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg. 7376/1974, 9374/1982, 11.506/1987, 15.599/1999, 16.195/2001).

Die Grenzen der Aufhebung müssen auch in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren so gezogen werden, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden (VfSlg. 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003).

Notwendige Voraussetzung für die Zulässigkeit ist u.a. die genaue Bezeichnung der angefochtenen Gesetzesstelle; das Fehlen dieser Voraussetzung stellt einen Zurückweisungsgrund dar (vgl. zB VfSlg. 11.888/1988, 14.040/1995, 14.634/1996).

Unzulässig ist ein Antrag aber auch dann, wenn der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl. zB VfSlg. 16.191/2001, 13.299/1992, 14.740/1997).

2. Das Oberlandesgericht Innsbruck begehrt in seinen Anträgen, die Wortfolge "wenn sie eine natürliche Person ist" im ersten Satz des §63 Abs1 ZPO idF BGBl. I 2009/52 als verfassungswidrig aufzuheben. Tatsächlich lautet jedoch, wie unter Pkt. I.4. dargestellt wurde, die durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl. I 52/2009, eingefügte Wortfolge ", wenn diese eine natürliche Person ist,".

3. Allerdings kann dahingestellt bleiben, ob insofern die Anträge die Gesetzesstelle, deren Aufhebung beantragt ist, im Sinne des §62 VfGG noch ausreichend genau bezeichnen, weil sie sich jedenfalls aus folgendem Grund als unzulässig erweisen:

Das Oberlandesgericht beantragt die Aufhebung des angeführten Nebensatzes in §63 Abs1 ZPO idF BGBl. I 52/2009, weil es in der unterschiedlichen Behandlung von natürlichen und juristischen Personen hinsichtlich der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Verfahrenshilfe - im Wesentlichen - einen Verstoß gegen den (aus Art7 Abs1 B-VG abgeleiteten) Gleichheitsgrundsatz sowie das Recht auf freien und ungehinderten Zugang zu Gericht gemäß Art6 Abs1 EMRK erblickt.

Im Falle der begehrten Aufhebung des Nebensatzes ", wenn diese eine natürliche Person ist," bekäme §63 Abs1 ZPO wieder jenen Wortlaut, den die Bestimmung vor ihrer Änderung durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl. I 52/2009, hatte. Diesem zufolge war einer Partei u.a. Verfahrenshilfe nur "so weit zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen als sie außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten", wobei als notwendiger Unterhalt derjenige Unterhalt anzusehen war, "den die Partei für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt".

Diese Legaldefinition des Begriffes "notwendiger Unterhalt" legt zunächst nahe, dass ein solcher nur bei einer natürlichen Person durch die Führung eines gerichtlichen Verfahrens beeinträchtigt zu werden vermag, weil schließlich nur sie eine Familie respektive eine einfache Lebensführung haben kann. Weder der Wortlaut noch die Materialien zum Verfahrenshilfegesetz, BGBl. 569/1973, (s. RV 846 BlgNR 13. GP, 12) oder die einschlägige Judikatur (vgl. OLG Wien EFSlg. 90.853/1999; LGZ Wien EFSlg. 85.245/1997, 72.882/1993, 64.007/1990, 57.732/1988) lassen eine andere Interpretation als die alleinige Bezugnahme des notwendigen Unterhaltes auf physische Personen zu.

Für eine allfällige verfassungskonforme Interpretation des Begriffs "notwendiger Unterhalt" dahingehend, dass ein solcher Unterhalt auch für juristische Personen existieren würde, bliebe demzufolge kein Raum, da diese Interpretationsmethode dort ihre Grenze findet, wo sie dem Wortlaut des Gesetzes oder der Absicht des Gesetzgebers eindeutig widerspricht (vgl. VfSlg 11.036/1986). Zudem wären unterschiedliche Auslegungen denkbar, die man dem Begriff "notwendiger Unterhalt" in Bezug auf juristische Personen beimessen könnte. Dabei wäre es dem Verfassungsgerichtshof insbesondere nicht möglich, diesem Begriff jenen Inhalt zu unterstellen, den vormals §63 Abs2 ZPO als wirtschaftliche Voraussetzung für die Möglichkeit der Bewilligung von Verfahrenshilfe für juristische Personen normierte.

Dieser Bestimmung zufolge war einer juristischen Person oder einem sonstigen parteifähigen Gebilde die Verfahrenshilfe nur dann zu bewilligen, wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von ihr (ihm) noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden konnten und die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erschien. Dies galt gleichfalls für ein behördlich bestelltes Organ oder einen gesetzlichen Vertreter, die für eine Vermögensmasse auftraten, wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder aus der Vermögensmasse noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden konnten. Unter den genannten Voraussetzungen war daher auch einer Konkursmasse - wie im Anlassfall - Verfahrenshilfe zu gewähren.

Wie unter Pkt. I.4. bereits dargelegt, wurde allerdings durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl. I 52/2009, §63 Abs2 ZPO - korrespondierend zur Einschränkung der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Verfahrenshilfe auf natürliche Personen in Abs1 leg.cit. - ersatzlos aufgehoben. Da die darin formulierten Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenshilfe an juristische Personen somit aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wurden, wäre eine Auslegung des Begriffes "notwendiger Unterhalt" im Sinne des vormaligen §63 Abs2 ZPO nicht möglich. Vor allem könnte mittels Interpretation kein Durchgriff mehr auf die "an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten" erreicht werden, was aber ein wesentliches Element der gesetzgeberischen Entscheidung war, auch juristischen Personen Verfahrenshilfe zu gewähren. Die Vornahme einer derartigen Auslegung durch den Verfassungsgerichtshof käme einem Akt positiver Gesetzgebung gleich und erwiese sich als unzulässig.

Demgegenüber hinterließe eine allfällige Aufhebung bloß der Wortfolge ", wenn diese eine natürliche Person ist," einen Gesetzeswortlaut, dessen darin formulierte Tatbestandsvoraussetzungen für die Gewährung von Verfahrenshilfe weiterhin nur natürliche Personen erfüllen würden. Auch ohne explizite Einschränkung des Begriffes Partei wären juristische Personen also weiterhin von der Verfahrenshilfe ausgeschlossen, da nach dem Gesagten nur physische Personen einer Beeinträchtigung ihres "notwendigen Unterhalts" unterliegen können.

Insoweit bliebe die durch das Oberlandesgericht angenommene Verfassungswidrigkeit durch die alleinige Aufhebung der Wortfolge ", wenn diese eine natürliche Person ist," bestehen, weshalb das Ziel der beiden Aufhebungsanträge nicht erreicht würde. Da die Anträge somit zu eng gestellt wurden, waren sie als unzulässig zurückzuweisen (vgl. VfSlg. 16.801/2003, 16.191/2001, 13.299/1992).

4. Die vorliegende Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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