Normen
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
B-VG Art140 Abs7 dritter Satz
EMRK 7. ZP Art2
EMRK Art6 Abs3 litb
StPO §6 Abs1
StPO §285 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
B-VG Art140 Abs7 dritter Satz
EMRK 7. ZP Art2
EMRK Art6 Abs3 litb
StPO §6 Abs1
StPO §285 Abs1
Spruch:
1. Der zu G166/99 protokollierte Antrag wird zurückgewiesen.
2. Die beiden Wortfolgen "binnen vier Wochen" in §285 Abs1 erster Satz StPO 1975, BGBl. Nr. 631/1975 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 526/1993 werden aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. Juni 2001 in Kraft.
Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
3. Die aufgehobenen Bestimmungen sind im Verfahren 35 Vr 3036/95, Hv 22/95 des Landesgerichtes Salzburg nicht mehr anzuwenden.
4. Im übrigen werden die Anträge abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Antragsteller (gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG) wurden im Rahmen des sog. "WEB-Strafverfahrens" mit am 14. Juni 1999 mündlich verkündeten Urteilen des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht, 35 Vr 3036/95, Hv 22/95, wegen des Verbrechens nach §153 StGB zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt und haben dagegen u.a. Nichtigkeitsbeschwerde angemeldet. Die Zustellung der schriftlichen Urteilsausfertigung ist nach den Antragsangaben zum Zeitpunkt der Antragstellung vor dem Verfassungsgerichtshof noch nicht erfolgt und aufgrund eines überaus komplexen Sachverhaltes und des Umfangs des vorhandenen Aktenmaterials erst im Laufe des ersten Halbjahres 2000 zu erwarten.
2. Gemäß §285 Abs1 StPO hat der Beschwerdeführer im Fall der Zustellung der Urteilsabschrift nach Anmeldung des Nichtigkeitsbeschwerde das Recht, binnen vier Wochen nach der Zustellung beim Gericht die Ausführung seiner Beschwerdegründe zu überreichen. Diese Frist ist mangels ausdrücklicher gegenteiliger gesetzlicher Verfügung gemäß §6 Abs1 StPO nicht verlängerbar.
2.1. Im Antrag des Erstantragstellers (zu G151/99) wird ausgeführt, daß die zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde in §285 Abs1 StPO eingeräumte Frist im vorliegenden Fall bei weitem nicht für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde ausreiche: Der für den Verurteilten einschreitende Rechtsanwalt müsse nicht nur mit näher beschriebenen widrigen Umständen sondern auch mit einer schier unübersehbaren Fülle von Aktenmaterial kämpfen, das in 100.000 Aktenseiten des Vorverfahrens, darunter alleine 22 Ordner mit Sachverständigengutachten, rd. 2 Millionen Seiten in rd. 8000 Ordnern an beschlagnahmten Unterlagen, einer eigens für das Verfahren aufgebauten Datenbank und über 16.000 Seiten Hauptverhandlungsprotokoll seinen Niederschlag finde und für dessen Lagerung seitens des Gerichtes eigens Räumlichkeiten angemietet worden seien. Außerdem habe der mit der Nichtigkeitsbeschwerde betraute Anwalt aufgrund der anwaltlichen beruflichen Struktur - im Gegensatz zu den beteiligten Richtern, die ausschließlich mit dem Verfahren befaßt seien - notgedrungen auch andere zeitraubende Aufgaben wahrzunehmen. Darüber hinaus ergäben sich auch insofern erhebliche Schwierigkeiten für den Erstantragsteller, als er im Strafverfahren nicht von einem Verteidiger, sondern von immer wechselnden, teilweise nur für kurze Frist bestellten Amts- und Wahlverteidigern begleitet worden sei. Im Moment sei er von einer befangenen und seine Verteidigung nur unzureichend wahrnehmenden Amtsverteidigerin vertreten, deren Enthebung er bei der Salzburger Rechtsanwaltskammer beantragt habe; dieser Antrag sei mit letztinstanzlichem Bescheid (gegen den mittlerweile Beschwerde gemäß Art144 B-VG beim Verfassungsgerichtshof erhoben wurde, deren Behandlung der Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 30. November 1999, B1748/99, abgelehnt hat) abgewiesen worden. Es sei undenkbar, daß der Erstantragsteller im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von dieser Amtsverteidigerin vertreten werde. Einen Wahlverteidiger könne er aber nicht finden; der gefertigte Rechtsanwalt sei im Zusammenhang mit dem Strafverfahren bei einzelnen Maßnahmen mit einer "aufgabenmäßig beschränkten Verteidigervollmacht" eingeschritten und vertrete den Erstantragsteller u.a. im genannten Verfahren vor der Salzburger Rechtsanwaltskammer.
2.2. Auch der Zweitantragsteller (zu G166/99) legt im wesentlichen - wenn auch mit Begründungen geringeren Umfangs - auf gleichartige Weise die seiner Meinung nach gegebenen Besonderheiten des gegenständlichen Strafverfahrens und die Schwierigkeiten für den einschreitenden, als Verfahrenshelfer im Strafverfahren bestellten Anwalt, die Nichtigkeitsbeschwerde innerhalb der genannten vierwöchigen Frist auszuarbeiten, dar.
2.3. In der Kürze der Fristen bzw. in der fehlenden gesetzlichen Möglichkeit ihrer Verlängerung sei, so die beiden Anträge im wesentlichen übereinstimmend, ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, das Rechtsstaatsprinzip und gegen Art6 EMRK iVm. Art2 des 7. ZP zur EMRK gelegen, weshalb jeweils der Antrag gemäß Art140 B-VG gestellt wurde, die im §285 Abs1 1. Satz StPO zweimal vorkommende Wortfolge 'binnen vier Wochen', in eventu nur die Wortfolge "binnen vier Wochen nach der Zustellung", sowie im §6 Abs1 StPO den 1. Satz, in eventu nur die im §285 Abs1 1. Satz StPO zweimal vorkommende Wortfolge 'binnen vier Wochen', in eventu nur die Wortfolge "binnen vier Wochen nach der Zustellung", (zu G168/99: in eventu in §6 Abs1 StPO nur den 1. Satz) als verfassungswidrig aufzuheben.
3. In seinem zu G166/99 protokollierten Antrag begehrt der Erstantragsteller mit einer im wesentlichen gleichen Begründung auch die Aufhebung der im §285 Abs1 3. Satz StPO aufscheinenden Wortfolge "binnen zwei Wochen", sowie im §6 Abs1 StPO den 1. Satz, in eventu nur die im §285 Abs1 3. Satz StPO vorkommende Wortfolge "binnen zwei Wochen" als verfassungswidrig und bringt dazu vor, daß die Staatsanwaltschaft gegen das verurteilende Erkenntnis des Landesgerichtes Salzburg wegen Nichterledigung eines näher bezeichneten Anklagevorwurfs betreffend den Tatzeitraum 1985 Nichtigkeitsbeschwerde sowie Berufung wegen Strafe und wegen Abweisung des Antrages auf Abschöpfung der Bereicherung (§20 StGB) angemeldet habe.
4. Der Erstantragsteller führt zu seiner Legitimation aus, daß ihn die angefochtenen Bestimmungen unmittelbar und aktuell in seiner Rechtssphäre beeinträchtigten. Eine Rüge der Bestimmungen im Strafverfahren sei in erster Instanz nicht möglich, da das Landesgericht als Schöffengericht kein Rechtsmittelgericht im Sinn der Art89 Abs2, Art140 Abs1 B-VG sei. Die StPO kenne weder einen Antrag auf (gesetzlich auch nicht vorgesehene) Fristverlängerung noch ein Rechtsmittel gegen eine allfällige ab- oder zurückweisende Entscheidung des Vorsitzenden des Schöffengerichts über einen solchen Antrag. Auch könnten die verfassungsmäßigen Bedenken nicht zum Gegenstand einer Nichtigkeitsbeschwerde an den OGH gemacht werden, weil als Nichtigkeitsgründe nur Fehler der Hauptverhandlung und des Urteils geltend gemacht werden könnten. Überdies kämen diesbezügliche Ausführungen vor dem OGH im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde zur Abwehr des nachteiligen Eingriffs zu spät. Auch wäre erst mit der gegenständlichen Anfechtung der innerstaatliche Rechtszug iSd Art26 EMRK erschöpft.
Hinsichtlich der für die Erstattung von Gegenausführungen zu den (angemeldeten) Rechtsmitteln der Staatsanwaltschaft eingeräumten zweiwöchigen Frist führt der Erstantragsteller aus, daß es nach der Literatur strittig sei, ob auch eine verspätete Gegenausführung dem OGH vorzulegen sei. Es seien viele verfahrensrechtliche Bestimmungen der StPO "undeutlich oder unzweifelhaft und vielfach unvollständig". Eine Entscheidung des OGH, welche in die Gegenrichtung deute, sei vereinzelt geblieben.
Der Zweitantragsteller legt hinsichtlich seiner Antragslegitimation im wesentlichen dar, daß ein allfälliger Rechtsschutz durch eine Anregung an den OGH, die behauptete Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen an den Verfassungsgerichtshof von Amts wegen heranzutragen, infolge der zu kurzen Frist zur Ausarbeitung der Nichtigkeitsbeschwerde ins Leere ginge.
5. In der Sache berufen sich die Antragsteller (auf das Wesentliche zusammengefaßt) darauf, daß es angesichts der tatsächlichen Gegebenheiten des hier vorliegenden Strafverfahrens ausgeschlossen sei, innerhalb der zur Verfügung stehenden Fristen vollständige Nichtigkeitsbeschwerden bzw. Gegenausführungen zu einer Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft zu erstatten. Dies wird anhand von Darlegungen zum Zeitaufwand für die Ausführung einer Nichtigkeitsbeschwerde, insbesondere zum Erfordernis der Einbeziehung des Akteninhalts und zu den - nach Auffassung der Antragsteller notwendigen - Arbeitsgängen (auch unter Einbeziehung von Überlegungen über die Führung einer Rechtsanwaltskanzlei, worin letztlich der Sache nach die Frage angesprochen wird, ob bei Berücksichtigung von Zumutbarkeitsgesichtspunkten überhaupt davon ausgegangen werden darf, daß sich ein Rechtsanwalt während der hier in Rede stehenden Frist ausschließlich der Verfassung der Nichtigkeitsbeschwerde widmet) näher begründet. Die Antragsteller sehen in dieser Rechtslage Verstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz, gegen das Rechtsstaatsprinzip und gegen Art6 EMRK iVm Art2 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK.
5. Die Bundesregierung hat zu den Anträgen Äußerungen erstattet, in denen sie die Anträge für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet hält. Der Erstantragsteller hat repliziert.
Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
II. 1. §6 Abs1 StPO lautet (mit Unterstreichung des bekämpften Teils der Norm):
"Die in diesem Gesetz bestimmten Fristen können, wenn das Gegenteil nicht ausdrücklich verfügt ist, nicht verlängert werden. Wenn sie von einem bestimmten Tag an zu laufen haben, sind sie so zu berechnen, daß dieser Tag nicht mitgezählt wird."
§285 Abs1 StPO lautet(mit Unterstreichung des bekämpften Teils der Norm):
"Der Beschwerdeführer hat das Recht, binnen vier Wochen nach der Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde, wenn ihm eine Urteilsabschrift aber erst nach der Anmeldung des Rechtsmittels zugestellt wurde, binnen vier Wochen nach der Zustellung eine Ausführung seiner Beschwerdegründe beim Gericht in zweifacher Ausfertigung zu überreichen. Er muß entweder in dieser Schrift oder bei Anmeldung seiner Beschwerde die Nichtigkeitsgründe einzeln und bestimmt bezeichnen, widrigens auf seine Beschwerde vom Obersten Gerichtshofe keine Rücksicht zu nehmen ist. Hat er eine Beschwerdeschrift innerhalb der gesetzlichen Frist überreicht, so ist diese seinem Gegner mit dem Bedeuten mitzuteilen, daß er binnen vierzehn Tagen seine Gegenausführung überreichen könne."
2. Zur Zulässigkeit der Anträge:
2.1. Voraussetzung für die Antragslegitimation ist einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.
Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (VfSlg. 11.726/1988, VfGH 13765/1994).
Ein solcher zumutbarer Weg ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes u.a. dann gegeben, wenn bereits ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren läuft, das dem Betroffenen Gelegenheit bietet, eine amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen (vgl. zB VfSlg. 12.810/1991 und 13.344/1993). Dieser Grundsatz gilt auch für den Fall, daß ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren anhängig war, in welchem der Antragsteller über die Möglichkeit verfügte, eine amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen (vgl. wiederum VfSlg. 12.810/1991 und 13.344/1993). Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen bestünde nur bei Vorliegen besonderer, außergewöhnlicher Umstände (VfSlg. 8312/1978, 8552/1979, 10.251/1984, 11.823/1988, VfSlg. 13.659/1993, VfSlg. 14.672/1996).
2.2. Der Verfassungsgerichtshof sieht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung im vorliegenden Fall abzurücken.
2.2.1. Das Rechtsmittelverfahren nach der StPO sieht zwei Phasen der Erhebung von Nichtigkeitsbeschwerden vor, nämlich die Anmeldung des Rechtsmittels und seine Ausführung. Im Verfahrensstadium nach Anmeldung des Rechtsmittels ist zwar die hier in Rede stehende Frist zur Ausführung des Rechtsmittels noch nicht in Gang gesetzt, gleichwohl ist ihre Ingangsetzung aber nur mehr von der bevorstehenden Zustellung des Strafurteils abhängig.
2.2.2. Der Verfassungsgerichtshof tritt der Auffassung der Antragsteller bei, daß sie von der Bestimmung des §285 Abs1 erster Satz StPO über die Frist zur Ausführung einer angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde schon jetzt unmittelbar betroffen sind, zumal das Strafurteil mündlich verkündet, die Nichtigkeitsbeschwerden unbestrittenermaßen angemeldet und das Ingangsetzen der Frist daher nur mehr von der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Strafurteils abhängig ist, mit welcher im Hinblick auf die Verkündung des mündlichen Urteils am 14. Juni 1999 in nächster Zeit zu rechnen ist. Steht für die Antragsteller das Wirksamwerden der in Rede stehenden Frist kurzfristig bevor, so ist es ihnen nicht zumutbar, mit der Antragstellung zuzuwarten, bis die Frist tatsächlich zu laufen begonnen hat (vgl. VfSlg. 12.331/1990).
2.2.3. Hinzukommt, daß die Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde auch Vorwirkungen entfaltet: Sie erfordert seitens der Antragsteller und ihrer Verteidiger schon jetzt entsprechende Vorkehrungen zur Vorbereitung der Verfassung der Nichtigkeitsbeschwerde, damit die damit verbundene Arbeitslast - nach den hinsichtlich des Umfangs des gegenständlichen Strafaktes durch die Bundesregierung vorgenommenen Außerstreitstellungen handelt es sich um das größte jemals in Österreich durchgeführte Strafverfahren - innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist zu bewältigen ist, wollen sie nicht - vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund des Art6 EMRK - eine selbstverschuldete Schmälerung der Verteidigungsmöglichkeiten gewärtigen. Die in Rede stehende Frist entfaltet somit schon seit der mündlichen Urteilsverkündung und der darauffolgenden Anmeldung des Rechtsmittels Vorwirkungen, die es nicht zulassen, von einer bloß potentiellen Betroffenheit der Antragsteller auszugehen.
2.3. Anders als mit der vierwöchigen Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde verhält es sich hingegen mit der Frist zur Gegenäußerung zum Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Ob sie sich überhaupt je auf den Erstantragsteller unmittelbar auswirken wird, hängt davon ab, ob die Staatsanwaltschaft das angemeldete Rechtsmittel tatsächlich ausführen wird. Bedarf es aber noch eines Willensentschlusses einer von den Antragstellern verschiedenen Institution in der Frage, ob das angemeldete Rechtsmittel überhaupt ausgeführt und die bekämpfte zweiwöchige Frist in Gang gesetzt wird, so kann insoweit nicht davon gesprochen werden, daß der Erstantragsteller von der zweiwöchigen Frist zur Gegenäußerung zum gegenwärtigen, vor der Urteilszustellung im Strafprozeß liegenden Zeitpunkt bereits aktuell betroffen wäre. Der Antrag des Erstantragstellers zu G166/99 war daher zurückzuweisen.
2.4. Soweit die Anträge nach dem bisher Gesagten zulässig sind, steht den Antragstellern aber auch kein zumutbarer anderer Weg zu Gebote, ihre verfassungsrechtlichen Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen:
2.4.1. Angesichts der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgesetzgebers, die Initiative zur Prüfung genereller Normen - vom Standpunkt des Betroffenen aus - zu mediatisieren, wenn die Rechtsverfolgung vor Gerichten stattfindet, kommt es wesentlich darauf an, daß sich im Zug eines derartigen Verfahrens Gelegenheit bietet, verfassungsrechtliche Bedenken gegen präjudizielle Vorschriften im Wege der ordentlichen Gerichte an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen (vgl. VfSlg. 9170/1981, 9285/1981, 10592/1985, 11889/1988). Andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Charakter eines sog. Individualantrags als eines subsidiären Rechtsbehelfs nicht in Einklang stünde (vgl. zB VfSlg. 9939/1984, 11454/1987). Ob und inwieweit allerdings das Gericht auf die Kritik der Partei des Gerichtsverfahrens an der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzesbestimmungen eingeht, ist hiebei nicht ausschlaggebend (vgl. VfSlg. 11890/1988, 12046/1989).
2.4.1.1. Es bestünde vorliegendenfalls zwar theoretisch die Möglichkeit, entweder im Rahmen verspätet erhobener (allenfalls auch unvollständiger) Nichtigkeitsbeschwerden oder im Wege eines Fristerstreckungsantrages bzw. der Bekämpfung der zu gewärtigenden Abweisung eines solchen Antrages im Rechtsmittelweg die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen an den OGH (oder eine andere antragsberechtigte Rechtsmittelinstanz) heranzutragen und eine entsprechende amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen, wozu die Gerichte, soferne sie diese Bedenken teilen oder ihrerseits Bedenken hegen, verpflichtet wären (vgl. zB. VfSlg. 11.890/1988, 12.804/1991, 12.812/1991).
2.4.1.2. Es bedarf aber keiner weiteren Erörterungen, daß (in Ermangelung einer fristerstreckenden Wirkung) jede dieser Vorgangsweisen für die Antragsteller mit dem Risiko behaftet ist, sich ohne Prüfung der vorgetragenen Nichtigkeitsgründe rechtskräftig verurteilt zu finden. Dieses Risiko bestünde für die Beschwerdeführer nicht nur dann, wenn das Strafgericht die Bedenken nicht teilt, sondern auch im Falle einer Antragstellung durch das Rechtsmittelgericht beim Verfassungsgerichtshof, sofern ein solcher Gesetzesprüfungsantrag erfolglos bliebe. Die Möglichkeit, verfassungsrechtliche Bedenken an den Verfassungsgerichtshof - bei Erfolglosigkeit dieses Bemühens - nur um den Preis eines endgültigen Verlustes jeglichen Rechtsschutzes im strafgerichtlichen Verfahren herantragen zu können, entspricht nach dem Gewicht des drohenden Nachteils jenen Umständen, aus denen der Verfassungsgerichtshof schon bisher die Beschreitung des an sich zur Verfügung stehenden anderen Weges für unzumutbar erachtet hat (vgl. VfSlg. 11853/1988 und 12379/1990).
2.4.2. Der von der Bundesregierung in ihrer Äußerung zur Zulässigkeit hervorgehobene Umstand, daß das Risiko der Antragsteller auch im Falle eines Individualantrages bestünde, da (so die Bundesregierung der Sache nach) die Rechtzeitigkeit einer allenfalls stattgebenden Entscheidung für ihre Wirksamkeit im anhängigen Strafverfahren nicht - gemeint: von vornherein - gesichert sei, ist ein demgegenüber anderer Gesichtspunkt. Eine sich aus zeitlichen Gründen möglicherweise herausstellende Zwecklosigkeit des Individualantrages ist vom Verlust des Rechtsschutzes, der durch einen alternativ zu beschreitenden Weg kausal verursacht werden könnte, zu unterscheiden. Die sich aus Gründen des Zeitablaufes möglicherweise ergebende Zielverfehlung eines Individualantrages vermag an dessen Zulässigkeit vielmehr nichts zu ändern, weil es nach den in Art140 B-VG normierten Voraussetzungen in jeder Lage des Verfahrens nur auf die unmittelbare Betroffenheit, aber weder darauf ankommt, ob die Antragsteller durch einen solchen Antrag das von ihnen angestrebte Verfahrensziel überhaupt erreichen können, noch, auf welche Weise sich ein stattgebendes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes auf die Rechtssphäre der Antragsteller auswirken würde.
2.5. Die zu G151/99 und G168/99 protokollierten Anträge sind daher zulässig.
3. In der Sache
3.1. Der Erstantragsteller legt seine Bedenken gegen die angefochtenen Bestimmungen in seinem Antrag zu G151/99 wie folgt dar:
"I. Der Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz
1. Nach stRsp des VfGH muß der Gesetzgeber an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen knüpfen, während wesentlich ungleiche Tatbestände zu entsprechend unterschiedlichen Regelungen führen müssen. Dabei darf der Gesetzgeber einfache und leicht handbare Regelungen treffen, von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen; er darf dabei auch in Kauf nehmen, daß die Regelung zu Härtefällen führt, soferne es sich um atypische, nur ausnahmsweise auftretende Fälle handelt. Das Ausmaß der hinzunehmenden ungleichen Auswirkungen, also die Abgrenzung Regelfälle - Härtefälle, hängt insbesondere davon ab, ob eine differenzierende Lösung ohne erhebliche Schwierigkeiten vollziehbar ist und welches Gewicht die unterschiedlichen Rechtsfolgen haben (VfSlg 13.890 vom 3.10.1994).
2. Nach dem, was in den Abschnitten A. und C. ausgeführt worden ist, kann nicht zweifelhaft sein, daß das Strafverfahren, um das es hier geht, sich von der Vielzahl der sonstigen Strafverfahren tatsächlich wesentlich unterscheidet, und zwar mit einer gleichfalls wesentlichen Auswirkung für die Ausarbeitung der NB. Mag dieses Strafverfahren auch insofern außergewöhnlich sein, als es das bisher umfangreichste und komplizierteste in Österreich gewesen ist, handelte es sich doch nicht um ein geradezu atypisches Strafverfahren, wie es nur ausnahmsweise vorkommen kann. Vielmehr ist es jederzeit möglich, ja angesichts der Entwicklung vor allem des modernen Wirtschaftslebens und auch in Fällen, in denen es um eine mutmaßliche internationale und/oder organisierte Kriminalität geht, wahrscheinlich, daß sich Fälle dieser Größenordnung oder einer vergleichbaren Größenordnung immer wieder ergeben werden. Schon bisher hat es in Österreich Strafverfahren mit mehreren 10.000 Seiten Aktenumfang und vielen beschlagnahmten Unterlagen und mit Hauptverhandlungen in der Dauer von mehreren Wochen oder Monaten gegeben. Man braucht nur an das Strafverfahren zu denken, welches vor nun schon längerer Zeit vor dem Landesgericht Eisenstadt in einer Wohnbauaffäre abgeführt worden ist.
Bei der Beurteilung, ob die geltende Regelung betreffend die Zeit, die zur Ausführung der NB zur Verfügung steht, noch dem Gleichheitsgrundsatz entspricht oder nicht, kommt es aber in erster Linie gar nicht nur auf solche außergewöhnlich umfangreiche Fälle an. Die meisten Strafverfahren haben einen relativ geringen Umfang, mit einem bis fünf Aktenbänden und Hauptverhandlungen in der Dauer von einem halben Tag, einem oder zwei Tagen. Daneben gibt es eine schon relativ große Zahl von Strafverfahren mit einem wesentlich größeren Aktenumfang und Hauptverhandlungen in der Dauer von ein, zwei oder etwas mehr Wochen. Auch für solche Strafverfahren gilt, daß sie mit den 'Normalfällen' nicht verglichen werden können. Dem hat der Gesetzgeber in einem anderen Zusammenhang bereits Rechnung getragen:
Gem §16 (4) RAO hat der nach den §§45 oder 45 a RAO bestellte Rechtsanwalt in Verfahren, in denen er mehr als zehn Verhandlungstage oder insgesamt mehr als 50 Verhandlungsstunden tätig wird, unter den Voraussetzungen des §16 (3) RAO für alle darüber hinausgehenden Leistungen an die Rechtsanwaltskammer Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Mehr noch: Mit dem StrRÄG 1987 war - bei der damals allerdings generell unangemessen kurzen Frist von 14 Tagen für die Ausführung der NB - die Ausführungsfrist immerhin schon mit vier Wochen bestimmt worden, wenn die HV an mehr als fünf Tagen stattgefunden hatte (die generelle Ausdehnung der Frist zur Ausführung der NB auf vier Wochen erfolgte mit BGBl 1993/526). Die bloß 14-tägige Frist war wiederholt als unangemessen kurz kritisiert worden (zB Krückl, Die Verteidigung im Rechtsmittelverfahren, AnwBl 1985, 447; Obendorfer, Probleme bei Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen, AnwB1 1980, 327). Aber auch die nunmehrige vierwöchige Frist erweist sich in Fällen, die umfangreicher und komplizierter sind als die 'Normalfälle', als unangemessen kurz: Was im Abschnitt C. ausgeführt worden ist, gilt, wenn auch in vermindertem Umfang, grundsätzlich für alle Strafverfahren, die sich von den 'Normalfällen' unterscheiden. Jahoda, Zu §270 StPO, AnwB1 1990, 667, hat dies für die damals bereits teilweise geltende vierwöchige Frist zur Ausführung der NB gleichfalls vertreten und dazu bemerkt, daß die Frist mit jener Frist in Einklang gebracht werden sollte, die der Richter zur Ausfertigung des Urteils benötigt hat. Auch wenn man dies nicht als einen im Rahmen der Beurteilung der Gleichheitswidrigkeit geradezu entscheidenden Gesichtspunkt bewerten kann, verdient dieser Gedanke im Rahmen des Gleichheitsgrundsatzes doch in dem Sinn Berücksichtigung, daß die Frist, die das Gericht für die schriftliche Urteilsausfertigung benötigt, eben indiziert, daß, auch für die Ausführung der NB nach Art und Umfang des betreffenden Strafverfahrens eine annähernd gleich lange oder nicht viel kürzere Frist erforderlich und daher sachgerecht ist. Der Gesetzgeber hat diesen Gedanken, wie schon oben festgehalten, bei der seinerzeitigen und bei der jetzt geltenden Regelung der beiden Fristen gleichfalls berücksichtigt.
Im Rahmen der Überprüfung der angefochtenen Fristregelung verdient auch noch der folgende Gesichtspunkt Beachtung: Beim OGH ist die Generalprokuratur eingerichtet (§29 StPO). Sie wird zwar nach verbreiteter Auffassung nicht als Prozeßpartei und auch nicht als Anklagebehörde, aber immerhin als eine staatsanwaltschaftliche Behörde qualifiziert. Die Verhandlungen vor dem OGH gehören in den Geschäftskreis der Generalprokuratur (§33 Abs1 StPO). Die Generalprokuratur ist auch schon zu einer vorherigen schriftlichen Stellungnahme zur NB eines Angeklagten berechtigt (sog Croquis). Die rechtstheoretischen Aspekte der Stellung der Generalprokuratur sind in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung. Faktisch tritt sie jedenfalls in allen Fällen, in denen sie eine NB der Staatsanwaltschaft unterstützt und/oder sich gegen die NB eines Angeklagten ausspricht, als Gegner des Angeklagten auf; die Staatsanwaltschaft wirkt an der Ausarbeitung des Croquis nicht mit und nimmt am Gerichtstag vor dem OGH nicht teil. Der Generalprokuratur ist vom Gesetz für die Ausarbeitung des Croquis keine Frist gesetzt worden. Das ist sicher nicht grundlos geschehen, weil die Generalprokuratur den Akt, wenn er an sie gelangt, in der Regel zumeist noch nicht kennt und daher, bevor sie eine Stellungnahme ausarbeiten kann, den Akt so weit studieren muß, als es zur Beurteilung der erhobenen NB und der dazu erstatteten Gegenausführung notwendig ist. Trotzdem wäre eine Fristsetzung für das Croquis weder unmöglich noch unangemessen. Wenn sich aber der Gesetzgeber in Ausnützung seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes dafür entschieden hat, der Generalprokuratur für das Croquis keine Frist zu setzen, kann dies bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Frist für die Ausführung der NB sehr wohl als Grund dafür herangezogen werden, daß je nach den Umständen der betreffenden Strafsache den Prozeßparteien des erstinstanzlichen Verfahrens für ihre NB eine längere Frist als bisher, die verlängerbar sein muß, eingeräumt werden muß.
3. Die Bestimmung unterschiedlich langer Fristen für die Ausführung der NB, gemessen an objektiven Kriterien, und/oder die Vorsorge für die Möglichkeit einer Fristverlängerung könnte ohne erhebliche Schwierigkeiten und ohne Schwierigkeiten für die Vollziehung einer solchen differenzierenden Regelung getroffen werden. Das beweisen zunächst einmal schon die zuvor unter 2. erwähnten Beispiele einer Differenzierung durch das Gesetz. Ebenso unproblematisch wäre die Einräumung der Möglichkeit, die Frist für die Ausführung der NB im Einzelfall - zusätzlich oder für sich allein - zu verlängern. Nach der BAO (§245 Abs3) kann die Berufungsfrist von einem Monat (§245 Abs1 BAO) über Antrag aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erforderlichenfalls auch wiederholt, verlängert werden, und zwar sogar ohne zeitliche Obergrenze! Diese Regelung gilt schon seit Jahrzehnten und hat sich bewährt. Abgabensachen sind nicht grundsätzlich schwieriger als Strafsachen, im Gegenteil, sie werden seiten so umfangreich und komplex sein, wie es Strafsachen oft sein können und sind; in der Regel geht es in Abgabensachen meist nur um bestimmte, einzelne Punkte und relativ kurze zeitliche Vorgänge, nicht, wie oft in Strafverfahren, um die Feststellung und rechtliche Beurteilung zeitlich ausgedehnter Sachverhalte.
Daher besteht angesichts der Bedeutung der Fristregelung für Rechtsmittel für die davon Betroffenen auch das Bedenken, daß die hier angefochtene Regelung der StPO deshalb verfassungswidrig ist, weil kein sachlicher Grund ersichtlich ist, so unterschiedliche Regelungen zu treffen wie nach der StPO einerseits, der BAO andererseits, obwohl es in Strafverfahren oftmals um viel mehr geht als in Abgabenverfahren und die Sachverhalte in Strafverfahren oft wesentlich komplizierter und umfangreicher sind als in Abgabensachen. Denn der grundsätzlichen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers in verschiedenen Verfahrensbereichen sind nach der stRsp des VfGH eben Schranken gesetzt, wenn es um besonders schwerwiegende Abweichungen in den Regelungen geht (zB VfSlg 7758, 8017, 10291, 10716, 11685).
4. Die Auswirkungen einer trotz der Unterschiede im Tatsächlichen generell einheitlichen und starren Frist für die Ausführung der NB sind für die davon Betroffenen von großer Bedeutung. Dafür spielt insbesondere auch der Umstand eine maßgebende Rolle, daß, wie oben unter B. 1. aufgezeigt wurde, die Ausführung der NB nicht nachträglich geändert oder ergänzt werden kann. Die von der Fristregelung betroffenen Parteien überdurchschnittlich langer und komplizierter Strafverfahren sind damit in ihrer Möglichkeit, alle eventuellen Verfahrensfehler und materiell-rechtlichen Fehler eines strafgerichtlichen Urteiles aufzuzeigen und angemessen darzustellen, wesentlich beeinträchtigt. Dabei geht es in solchen Strafverfahren in der Regel um wichtige öffentliche Interessen (Frist für die Staatsanwaltschaft) bzw um wichtige Interessen des Verurteilten (vgl etwa die für schwere Delikte angedrohten Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren oder mehr und die Bindungswirkung für zivilrechtliche Ansprüche oft hohen Ausmasses, soweit es den Verurteilten betrifft; dies zeigt dieses Strafverfahren besonders deutlich).
5. Nach der Auffassung des ASt ist es im Sinne der tatsächlich vorzufindenden Typen von Strafverfahren sowohl notwendig, daß zur Vermeidung einer Gleichheitswidrigkeit bei der generellen Frist für die Ausführung der NB differenziert wird, etwa für 'Normalfälle' vier Wochen, für kompliziertere Fälle acht Wochen, überdies aber auch noch bei besonders umfangreichen und komplexen Strafverfahren wie in diesem Fall die Möglichkeit einer individuell abgestimmten weiteren Verlängerung der Frist eingeräumt wird. Je weiter man den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gelten läßt, wäre es aber auch denkbar, eine individuelle Verlängerungsmöglichkeit der generellen Ausführungsfrist genügen zu lassen, oder allenfalls auch eine starre Differenzierung, soferne die längere Frist ausreichend lang ist.
II. Der Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip
1. Nach stRsp des VfGH müssen Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen. Ebenso muß bei der Bestimmung der Dauer von Rechtsmittelfristen gewährleistet sein, daß derjenige, der durch eine behördliche Entscheidung negativ betroffen ist, sein Rechtsmittel in einer Weise ausführen kann, die sowohl der Art und dem Inhalt der anzufechtenden Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht als auch dem zu dieser Entscheidung führenden, allenfalls mit Mängeln belasteten Verfahren adäquat ist. Demnach muß - so der VfGH - der Gesetzgeber einen Ausgleich zwischen den Interessen des Rechtsschutzsuchenden, den Interessen Dritter, dem Zweck und Inhalt der gesetzlichen Regelung und dem öffentlichen Interesse schaffen, wobei aber nach der Rsp dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes der Vorrang zukommt und eine Einschränkung desselben nur sachlich gebotenen triftigen Gründen zulässig ist.
Der ASt kann diesen Grundsätzen insoweit nicht zustimmen, als dem Rechtsschutzwerber bloß ein Mindestmaß an faktischer Effizienz zugestanden wird und die faktische Effizienz eines Rechtsbehelfes aus sachlich gebotenen, triftigen Gründen eingeschränkt werden darf.
Einerseits ist diese Rsp in sich nicht ganz widerspruchsfrei:
Entweder wäre eine bestimmte Rechtsschutzeinrichtung faktisch - noch - effizient, oder sie ist es nicht mehr; tertium non datur. Gleichgültig, ob es für eine einschränkende Regelung triftige sachliche Gründe gibt oder nicht, würde dadurch die faktische Effizienz der Rechtsschutzeinrichtung auf jeden Fall beschnitten und der Grundsatz des Vorranges der faktischen Effizienz gegenüber sonstigen Regelungsgesichtspunkten wäre für die konkrete Regelung eben nicht mehr gültig. In Wahrheit genügt die vom VfGH gestellte Forderung nach einer Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Interessen und nach einem Ausgleich unter ihnen durch den Gesetzgeber; dabei kann der Gesetzgeber auch berücksichtigen, welches Maß an Anspannung dem Rechtsschutzwerber nach den tatsächlichen Umständen möglich und zumutbar ist. Andererseits: Will man das Rechtsstaatsprinzip tatsächlich verwirklicht sehen, ist kein Grund denkbar, der über diesen Rahmen hinaus eine Einschränkung der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes zulassen würde. Natürlich ist es richtig, daß der Inhalt des Rechtsstaatsprinzipes in der Bundesverfassung nicht genau umschrieben ist. Will man aber das Rechtsstaatsprinzip nicht bloß auf die unmittelbare Bedeutung des Art18 (1) B-VG einschränken - und dies tut der VfGH in seiner stRsp gerade nicht -, dann kann im Zusammenhang mit Rechtsschutzeinrichtungen dem Rechtsstaatsprinzip eben nur dann Rechnung getragen sein, wenn die Rechtsschutzeinrichtung - noch - effizient ist; sonst wäre das Rechtsstaatsprinzip in Wahrheit insoweit inhaltsleer.
Mit der hier vertretenen Begründungslinie würde sich insoweit, als es in der Rsp des VfGH um die Frage der aufschiebenden Wirkung von Rechtsmitteln gegangen ist, kein anderes Ergebnis einstellen als jenes, zu dem der VfGH in diesen Fällen gekommen ist. Auch dabei geht es um den Ausgleich zwischen öffentlichen Interessen und privaten Interessen. Muß etwa eine in 1. Instanz festgestellte Abgabenschuld im Einzelfall trotz Erhebung einer Berufung gegen den erstinstanzlichen Abgabenbescheid bezahlt werden, besteht ja im Falle des Erfolges der Berufung ein Verrechnungs- oder Rückforderungsanspruch des Abgabenpflichtigen. Seine Berufung bleibt daher, auf längere Sicht gesehen, insoweit durchaus effizient. Ob dagegen für die Erhebung des Rechtsmittels eine ausreichend lange Frist zu einer erfolgversprechenden Begründung zur Verfügung steht oder nicht, berührt nicht bloß die Frage der vorläufigen Vollstreckbarkeit, sondern die Rechtswahrung oder den Rechtsverlust überhaupt, die Rechtsmittelmöglichkeit ist entweder faktisch effizient oder eben nicht.
Aber auch unter Zugrundelegung aller Aussagen des VfGH, wie in diesem Punkt eingangs dargestellt, ist durch die hier angefochtene Fristregelung das Rechtsstaatsprinzip verletzt.
2. Die Verletzung des Rechtsstaatsprinzips folgt aus dem, was zum Tatsächlichen dieses Strafverfahrens und zu den Anforderungen an die Ausarbeitung einer effektiven NB in den Abschnitten A. und C. eingehend dargestellt worden ist. Unter Zugrundelegung dieser Tatsachen erfordern die Interessen des ASt als eines Angeklagten, der zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden ist, im konkreten Fall eine längere Frist für die Ausführung der NB als bloß vier Wochen, soll die NB nicht in Wahrheit unzureichend und unvollständig bleiben müssen. Als Interessen Dritter kommen hier die der mutmaßlich Geschädigten in Betracht, die sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen haben; sie sind auf den Zivilrechtsweg verwiesen worden, und für die Geltendmachung und Durchsetzung ihrer Forderungen kann es keine entscheidende Einschränkung bedeuten, wenn die Frist für die Ausführung der NB länger als vier Wochen wäre. Aus dem Zweck und Inhalt der Fristregelung läßt sich nicht ableiten, daß die Frist zur Ausführung der NB nur vier Wochen betragen dürfte. Zweck der Fristregelung für die Einlegung oder Ausführung von Rechtsmitteln ist es, dem betreffenden Verfahren zeitliche Grenzen zu setzen; dieser Zweck wird auch dann noch erreicht, wenn die Rechtsmittelfrist länger ist, vorausgesetzt natürlich, daß sie nicht zeitlich unbeschränkt wäre, woran aber niemand ernstlich denken kann. Es sind auch keine öffentlichen Interessen ersichtlich, die eine generelle und starre Beschränkung der Ausführungsfrist auf vier Wochen erfordern würden; im Gegenteil: Es entspricht nicht nur den Interessen eines Verurteilten, seine NB effektiv ausführen zu können, sondern es liegt auch im öffentlichen Interesse, daß strafgerichtliche Verurteilungen eingehend auf Verfahrens- und sonstige Rechtsfehler überprüft und nicht allenfalls Unschuldige verurteilt werden. Eine längere Rechtsmittelfrist käme außerdem auch der Staatsanwaltschaft zugute, wenn diese, wie hier, ihrerseits NB gegen das strafgerichtliche Urteil angemeldet hat.
Natürlich ist es grundsätzlich nicht befriedigend, daß Strafverfahren so lange dauern wie dieses hier. Berücksichtigt man aber den außergewöhnlichen Umfang und die außergewöhnliche Komplexität der Strafsache, dann fällt es bei der Abwägung der Interessen im Sinne eines Ausgleiches dieser Interessen nicht ins Gewicht, ob die Frist zur Ausführung der NB in einem Strafverfahren mit mehr als zehn Jahren Dauer nun vier Wochen, acht Wochen oder noch länger, nämlich mehrere Monate, beträgt. Bei dieser Konstellation und angesichts der Umstände, wie oben im Abschnitt C. beschrieben, kann es keine sachlich gebotenen, triftigen Gründe geben, gerade bei der Frist für die Äusführung der NB anzusetzen, um eine im Gesamten gesehen relativ geringe Verkürzung der Verfahrensdauer zu erreichen.
3. Für die notwendigerweise allgemeine Regelung der Frist zur Ausführung der NB gilt auch bei der Überprüfung der Frist auf die Übereinstimmung mit dem Rechtsstaatsprinzip, daß das Strafverfahren, um welches es hier geht, zwar außergewöhnlich umfangreich und komplex ist, dies aber kein Einzelfall bleiben muß und es schon in der Vergangenheit und laufend immer wieder Strafverfahren gegeben hat und gibt, die sich gegenüber 'Normalverfahren' punkto Umfang und Komplexität wesentlich unterscheiden. Das persönliche Interesse des ASt betrifft natürlich die Frist für die Ausführung der NB in dem konkreten Strafverfahren, von dem er betroffen ist. Gleiche Interessen bestehen aber auch bei allen jenen Angeklagten, die in Strafverfahren, die keine 'Normalfälle' sind, verurteilt werden.
4. Dafür, wie nach der Auffassung des ASt dem Rechtsstaatsprinzip bei der Bestimmung der Frist für die Ausführung der NB Rechnung getragen werden kann, haben die Ausführungen oben unter 1.5. auch für die Beurteilung unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzips Gültigkeit. Mehr noch: Im Unterschied zum Gleichheitsgrundsatz erfordert der Grundgedanke des Rechtsstaatsprinzips, daß ihm in jedem einzelnen Fall zum Durchbruch verholfen wird. Daher verlangt das Rechtsstaatsprinzip jedenfalls eine individuelle Verlängerungsmöglichkeit schon deshalb, um den besonderen sachlichen und / oder persönlichen Gegebenheiten des betreffenden Verfahrens und des betreffenden Rechtsmittels Rechnung zu tragen. Bei den Umständen des Einzelfalles sind einerseits besondere Umstände hinsichtlich des ASt als andererseits auch ganz allgemein etwa die Möglichkeit zu berücksichtigen, daß der Verteidiger eines Angeklagten knapp vor Beginn der Frist für die Ausführung der NB oder während des Laufes der Frist stirbt oder durch einen Unfall oder eine Krankheit für längere Zeit ausfällt.
III. Der Verstoß gegen Art6 EMRK
iVm Art2 d 7. ZP
1. Nach Art6 (1) und (3) litb) iVm Art2 (1) d) 7. ZP hat jeder Angeklagte, nach Art2 (1) 7. ZP jeder gerichtlich Verurteilte, das Recht auf ein faires Verfahren, auf ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung und auf wirksame Verteidigung. Dies alles gilt sowohl für das Verfahren in erster Instanz als auch für das Rechtsmittelverfahren nach dem 7. ZP. Nach der stRsp des EGMR garantiert die EMRK Rechte, die nicht bloß auf dem Papier, rein theoretisch, festgeschrieben sind, sondern die effektiv sein müssen; der Rechtsschutz, den die EMRK gewährt, darf nicht illusorisch bleiben (EGMR Rechtssache Airey, GH 32, EuGRZ 1979, 628 Z24 uva). Damit kann man übrigens durchaus eine Parallele zwischen dieser Rsp und der des VfGH zum Rechtsstaatsprinzip (s oben II. 1.) ziehen.
Die nationalen Rechtsordnungen haben bei der Ausgestaltung des Rechtes eines gerichtlich Verurteilten auf Überprüfung des Urteils durch ein übergeordnetes Gericht einen weiten Spielraum. Dies läßt es auch zu, Rechtsmittelfristen zu bestimmen, sagt aber über deren angemessene Dauer nichts aus.
2. Ob die unter 1. angeführten Rechte des Angeklagten eingehalten worden sind oder nicht, richtet sich iSd der Straßburger Judikatur nach den Umständen des Einzelfalles, nach dem zu beurteilenden Sachverhalt, nach dem jeweiligen Verfahrensstadium usw. Dabei werden oft mehrere Umstände in ihrem Zusammenhang berücksichtigt, also nicht unbedingt einzelne Aspekte. Da die Rsp des EGMR (und die Praxis der früheren EKMR) immer auf die Umstände des Einzelfalles abstellt, ist es sicher nicht einfach, daraus jene allgemeinen Schlußfolgerungen abzuleiten, die für die Prüfung erforderlich sind, ob bestimmte gesetzliche Regelungen innerstaatlich wegen des Verfassungsranges der EMRK verfassungswidrig sind oder nicht. Die Aufgabe, vor die sich der VfGH gestellt sieht, unterschiedet sich also nicht unbeträchtlich von der des EGMR. Zu Recht berücksichtigt der VfGH in seiner Jud zur EMRK die Rsp des EGMR. Das bedeutet aber nicht, daß Aussagen des EGMR, die auf Grund der Umstände eines jeweiligen Einzelfalles für diesen getätigt werden, für sich schon eine allgemeine Richtlinie dafür abgeben könnten, ob eine allgemein geltende gesetzliche Regelung innerstaatlich wegen Verstosses gegen die EMRK als verfassungswidrig beurteilt werden muß oder nicht. Dem VfGH ist es nicht verwehrt, an allgemeine Regelungen bei der Überprüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der EMRK Gesichtspunkte zu bedenken, die für Sachen, die der betreffenden gesetzlichen Regelung unterliegen, typischerweise und nicht bloß im konkreten Einzelfall zutreffen; dagegen muß er auch auf die konkreten Umstände des Einzelfalles Bedacht nehmen.
3. Die bisherige Rsp des EGMR zur Dauer der Rechtsmittelfrist gegen ein strafgerichtliches Urteil kann nicht gebilligt werden, weil sie im Widerspruch zu dem die ganze EMRK tragenden Grundsatz steht, daß die EMRK eben nicht bloß theoretische, auf dem Papier stehende Rechte garantiert, sondern effektive, praktisch wirksame Rechte. Außerdem liegen gerade die einschlägigen Entscheidungen der EMRK zur Dauer der Rechtsmittelfrist im Strafverfahren schon lange zurück.
Das gilt zB für die Entscheidung der Kommission im Falle X. gegen die Bundesrepublik Deutschland vom 7.7.1959, E441/58, Yb 2, 391, wo die EKMR eine Frist von bloß 15 Tagen zur Begründung der Revision im Strafverfahren für ausreichend hielt (diese Frist ist übrigens mittlerweile auf einen Monat verlängert worden - §345 d StPO). Ebensowenig kann die Entscheidung der EKMR vom 4. und 5.10.1974, 5523/72, CT 46, 99, im Falle Huber gegen Österreich gebilligt werden, mit der die EKMR trotz der damals sogar nur 14-tägigen Frist für die Ausführung der NB wegen bestimmter Umstände dieses Falles eine Verletzung des Art6 EMRK verneinte; immerhin hat die EKMR anerkannt, daß die damalige 14-tägige Frist des §285 (1) StPO unter gewissen Umständen besonders deshalb eine Konventionsverletzung bedeuten könnte, weil die Frist nicht verlängerbar ist und die NB nach deren Einbringung nicht ergänzt werden kann. Ähnlich kritikwürdig ist die Entscheidung der EKMR vom 9.5.1977 im Falle X. gegen Belgien, 7628/76, DR 9, 169; der damalige Fall dürfte allerdings viel weniger komplex gewesen sein als der Fall Huber gegen Österreich, doch betrug die gesetzliche Frist zur Ausführung der NB in Belgien immerhin zwei Monate, wenngleich der Verteidiger des Angeklagten den Akt erst einen Monat vor Ablauf der Frist einsehen konnte. Alle diese Fälle sind nicht zum Gerichtshof gelangt, weil die Kommission die Beschwerden insoweit jeweils als offensichtlich unbegründet beurteilt hatte (Art27 Abs2 EMRK).
Diesen Entscheidungen ist gemeinsam, daß keine konkreten, eingehenden Arbeits-, Planungs- und Organisationsanalysen vorgenommen worden sind. Möglicherweise wurde dazu auch in den Beschwerden nichts ausgeführt. Im Falle Huber gegen Österreich hat die EKMR einerseits den Umstand als wesentlich angesehen, daß die Verteidigung im Rechtsmittelstadium schon hinreichend mit dem Inhalt der Akten vertraut war, andererseits den Umstand, daß der Verteidiger innerhalb der kurzen 14-tägigen Ausführungsfrist eine 80 Seiten starke, 'gut argumentierte' NB eingereicht hatte. Allerdings bedachte die EKMR nicht, daß die NB vom OGH zur Gänze verworfen worden war und dafür die kurze Frist und die Unmöglichkeit einer besseren Argumentation ursächlich gewesen sein konnten. Insbesondere erweckt der Sachverhalt im Kommissionsdokument den Eindruck, daß der OGH die Verfahrensrügen schon vorweg verworfen hatte.
Und: Spricht nicht die mehrere Elemente zusammenfassende Einheit des Art6 (1) EMRK, als dessen Ausfluß nach übereinstimmender Auffassung Art6 (3) litb) EMRK gilt, dafür, daß zwischen dem Gebot der Fairneß des Verfahrens und dem Recht auf wirksame Verteidigung einerseits sowie dem Recht auf eine angemessene Verfahrensdauer andererseits ein enger Zusammenhang besteht? Ist eine solche Auslegung nicht geradezu geboten? Nach Auffassung des ASt sind diese Fragen zu bejahen. Dann kann es aber nicht richtig sein, den Gerichten uU sehr lange Fristen für die schriftliche Urteilsausfertigung zuzugestehen, der Generalprokuratur für das Croquis überhaupt keine Frist zu setzen, dem Angeklagten dagegen für die Ausführung der NB nur eine um ein möglicherweise Vielfaches kürzere Frist ohne Rücksicht auf die Zeit, die das Gericht für die schriftliche Urteilsausfertigung und die Generalprokuratur für das Croquis benötigt hat bzw sehr häufig, wenn nicht sogar regelmäßig, benötigt, einzuräumen. Die Entscheidung der EKMR im Falle Huber gegen Österreich, wo das Erstgericht für die schriftliche Urteilsausfertigung mehr als acht Monate benötigt hatte, der Verteidiger des Angeklagten die NB jedoch innerhalb von 14 Tagen ausführen mußte, bewirkt so mehr als nur einen schalen Nachgeschmack, nämlich den Eindruck eines groben Mißverhältnisses und einer groben Unfairneß.
4. Kritik an der Straßburger Entscheidungspraxis hat schon Trechsel, Die Verteidigungsrechte in der Praxis zur Europäischen MRK, SZStrR 96 (1979), 337, geübt und den Standpunkt vertreten, daß diese Entscheidungspraxis den Schutzbereich des Art6 EMRK minimiert, und zwar auf krasse Willkür- und Mißbrauchsfälle. Ebenso ist es nach Trechsel nicht richtig, darauf abzustellen, ob ein Angeklagter nachweisen kann, daß er durch eine kurze Frist tatsächlich Nachteile erfahren hat, also sein Rechtsmittel nicht besser ausführen konnte und gerade deshalb mit dem Rechtsmittel keinen Erfolg hatte. Die Kritik von Trechsel ist besonders bemerkenswert, weil Trechsel langjähriges Mitglied der EKMR und zuvor - in der Schweiz - Staatsanwalt gewesen ist. Eine Betrachtung ex post muß auch aus folgenden Gründen als untauglich für die Beurteilung, ob eine Konventionsverletzung stattgefunden hat oder nicht, angesehen werden:
Es ist im Straßburger Verfahren wohl ausnahmslos unmöglich nachzuweisen, daß ein Rechtsmittel, wäre die Frist zur Ausführung länger gewesen, Erfolg gehabt hätte; man könnte zwar bis zu einer Beschwerde in Straßburg aufzeigen, was man wegen der zu kurzen Frist vorzubringen gehindert gewesen ist, aber ob man damit innerstaatlich Erfolg gehabt hätte, ist nicht beweisbar, in Straßburg um so weniger, als es der EGMR in der Regel - durchaus verständlich - ablehnt, nationale Entscheidungen inhaltlich und schon gar im Detail zu überprüfen. Auch dem allgemeinen Rechtsschutzinteresse ist mit der aufgezeigten Entscheidungspraxis und deren Begründung nicht gedient. Ein verurteilter Angeklagter soll von vornherein eine ausreichende, angemessene Frist für die Ausführung des angemeldeten Rechtsmittels haben und soll nicht auf eine allfällige spätere Beschwerdeführung in Straßburg verwiesen werden.
Dazu kommt die oben B./3.6 aufgezeigte, von der EKMR und dem EGMR - mit Billigung der Literatur - aufgestellte Forderung, daß zwecks Erschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Beschwerde in Straßburg eine rechtlich mögliche Individualanfechtung einer gesetzlichen Regelung vor dem nationalen Verfassungsgerichtshof geboten ist. Das kann, wie der Anlaßfall dieses Antrages zeigt, in effektiver Weise nur zu einem Zeitpunkt geschehen, zu dem die Frist für die Ausführung der NB noch nicht zu laufen begonnen hat (oder vielleicht wenigstens noch nicht abgelaufen ist). Eine Beurteilung im nachhinein ist dem VfGH verwehrt, und für die Überprüfung einer gesetzlichen Regelung auf ihre Verfassungsmäßigkeit kann es zwar auch auf konkrete Umstände des Einzelfalles, wie hier, ankommen, aber viel wichtiger ist im allgemeinen doch die Bewertung der Norm unter Zugrundelegung - möglicherweise unterschiedlicher - Regelfälle.
5. Immerhin kann man aus der dargestellten Praxis der EKMR den Schluß ziehen, daß, wie auch im konkreten Fall vertreten, die Umstände des einzelnen Falles auch Bedeutung dafür haben, ob eine gesetzliche Regelung gegen Art6 EMRK iVm Art2 (1) 7. ZP verstößt. Daher gilt für die Überprüfung der angefochtenen Bestimmungen an Hand der EMRK in besonderem Maße das, was oben unter I. 5. und besonders unter II. 4., dort insbesondere zur individuellen Verlängerungsmöglichkeit, ausgeführt worden ist."
1.2. Der Zweitantragsteller führt in seinem Antrag folgendes aus:
"1. Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz:
Nach ständiger Rspr des VfGH muss der Gesetzgeber an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen knüpfen, da wesentlich ungleiche Tatbestände zu entsprechend unterschiedlichen Regelungen führen müssen. Grundsätzlich darf der Gesetzgeber einfachere und leicht handhabbare Regelungen treffen, von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen, ja sogar in Kauf nehmen, dass die Regelung zu Härtefällen führt, so es sich um atypische, nur ausnahmsweise auftretende Fälle handelt. Das Ausmaß der hinzunehmenden ungleichen Auswirkungen, also die Abgrenzung Regelfälle - Härtefälle, hängt insbesondere davon ab, ob eine differenzierende Lösung ohne erhebliche Schwierigkeiten vollziehbar ist und welches Gewicht die unterschiedlichen Rechtsfolgen haben.
Nach dem oben Gesagten kann nicht zweifelhaft sein, dass das Strafverfahren, um welches es hier geht, sich von der Vielzahl der sonstigen Strafverfahren tatsächlich wesentlich unterscheidet, und zwar mit einer gleichfalls wesentlichen Auswirkung für die Ausarbeitung der Nichtigkeitsbeschwerde. Obwohl es sich um das größte Strafverfahren in der österreichischen Justizgeschichte handelt, kann man nicht von einem geradezu atypischen Strafverfahren sprechen, wie es nur ausnahmsweise vorkommt. Die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, dass in verstärktem Maße Strafverfahren großen Ausmaßes abgehandelt werden, bei welchen der Aktenumfang mehrere zehntausend Seiten umfasst und sich die Hauptverhandlung über mehrere Monate erstreckt.
Dementsprechend hat der Gesetzgeber mit dem StrRÄG 1987 die damals geltende generelle Frist von 14 Tagen für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde für jene Strafverfahren, in weichen die HV an mehr als fünf Tagen stattgefunden hatte, auf vier Wochen ausgedehnt. Später wurde die Rechtsmittelfrist mit BGBl 1993/526 generell auf vier Wochen ausgedehnt. Daraus kann geschlossen werden, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass die 14tägige Frist, welche wiederholt als zu kurz kritisiert wurde (z.B. Krückel, Die Verteidigung im Rechtsmittelverfahren, AnwBl 1985, 447; Obendorfer, Probleme bei Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen, Anwaltsblatt 1980, 327), auch in jenen Verfahren nicht ausreicht, in welchen die HV an weniger als fünf Verhandlungstagen stattfindet. Es bedarf in diesem Zusammenhang wohl keiner näheren Begründung, dass diese vierwöchige Frist, welche vom Gesetzgeber sogar für Strafverfahren, deren Hauptverhandlung an weniger als fünf Tagen stattfand, für geboten erachtet wurde, im Anlassfall, bei welchem sich die Hauptverhandlung auf 180 Tage erstreckte, keinesfalls angemessen ist. Die Frist ist aber generell in allen Fällen unangemessen kurz, die umfangreicher und komplizierter sind als die durchschnittlichen Strafverfahren.
Als Maßstab für eine sachgerechte Lösung muss man sich auch an der dem Gericht gesetzlich eingeräumten Frist zur Ausfertigung des Urteils orientieren. Diese ist zwar in §270 StPO derzeit mit vier Wochen bestimmt. Ihre Überschreitung ist jedoch - im Gegensatz zur Überschreitung der Frist für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde - nach der ständigen Rspr mit keinerlei Konsequenzen verbunden. Wie bereits ausgeführt, benötigen die Richter im gegenständlichen Strafverfahren, obwohl sie ausschließlich mit dieser Materie befasst sind und keinerlei andere Aufgaben zu erledigen haben, mindestens sechs Monate für die Ausfertigung des Urteils.
Es stellt gesetzestechnisch keinerlei Schwierigkeit dar, die Länge der Rechtsmittelfrist vom Umfang des Verfahrens abhängig zu machen bzw. die Möglichkeit zu schaffen, die Frist im Einzelfall zu verlängern.
Dies bestätigt die durch das StrRÄG 1987 getroffene Regelung, bei welcher eine Differenzierung nach der Anzahl der Hauptverhandlungstage vorgenommen wurde.
Darüberhinaus ist auch auf die Bestimmung des §245 (3) BAO zu verweisen, welche vorsieht, dass die Berufungsfrist von einem Monat über Antrag aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erforderlichenfalls auch wiederholt, verlängert werden kann, wobei keine zeitliche Obergrenze gesetzt wurde. Abgabenangelegenheiten sind keinesfalls schwieriger oder umfangreicher als Strafsachen, eher gilt das Gegenteil. Darüberhinaus sind mit Strafverfahren oft auch wesentlich gravierendere Folgen für die Beteiligten verbunden. Insbesondere besteht die Möglichkeit der Verhängung von Freiheitsstrafen längeren Ausmaßes, was in Abgabensachen nicht der Fall ist.
Es besteht somit kein sachlicher Grund, warum die Rechtsmittelfristen in der BAO so grundlegend anders als in der StPO geregelt wurden. Da es sich um schwerwiegende Abweichungen in den Regelungen handelt, wird dadurch der Gleichheitsgrundsatz verletzt.
Aufgrund des unterschiedlichen Umfanges von Strafverfahren ist es zur Vermeidung einer Gleichheitswidrigkeit geboten, bei der Frist für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde zu differenzieren, wobei - wie bereits einmal praktiziert - eine generelle Unterscheidung nach der Anzahl der Hauptverhandlungstage vorgenommen werden kann, darüberhinaus jedoch die Möglichkeit einer Verlängerung der Frist im Einzelfall eingeräumt werden müsste.
2. Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip:
Nach ständiger Rspr des VfGH müssen Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen. Ebenso muss bei der Bestimmung der Dauer von Rechtsmittelfristen gewährleistet sein, dass derjenige, der durch eine behördliche Entscheidung negativ betroffen ist, sein Rechtsmittel in einer Weise ausführen kann, die sowohl der Art und dem Inhalt der anzufechtenden Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht als auch dem zu dieser Entscheidung führenden, allenfalls mit Mängeln belasteten Verfahren adäquat ist. Demnach muss - nach der Rspr des VfGH der Gesetzgeber einen Ausgleich zwischen den Interessen des Rechtsschutzsuchenden, den Interessen Dritter, dem Zweck und Inhalt der gesetzlichen Regelung und dem öffentlichen Interesse schaffen, wobei aber nach der Rechtsprechung dem Grundsatz der faktischen Effizienz eines Rechtsbehelfes der Vorrang zukommt und eine Einschränkung desselben nur aus sachlich gebotenen triftigen Gründen zulässig ist.
Aus den obigen Ausführungen betreffend den erforderlichen Zeitumfang für die Ausführung einer Nichtigkeitsbeschwerde ergibt sich, dass im konkreten Anlassfall die zur Verfügung stehende Frist von vier Wochen nicht ausreichend ist, um die Nichtigkeitsbeschwerde in der für eine ordnungsgemäße Verteidigung gebotenen Form ausführen zu können. Zweck der Fristregelung für die Erhebung von Rechtsmitteln ist es, dem betreffenden Verfahren zeitliche Grenzen zu setzen. Dieser Zweck wird auch dann erreicht, wenn die Rechtsmittelfrist länger ist, vorausgesetzt, dass sie nicht zeitlich unbeschränkt wäre. Es sind keine öffentlichen Interessen ersichtlich, die eine generelle und starre Beschränkung der Ausführungsfrist auf vier Wochen erfordern würden. Im Gegenteil: Es entspricht nicht nur den Interessen eines Verurteilten, seine Nichtigkeitsbeschwerde effektiv ausführen zu können, sondern es liegt auch im öffentlichen Interesse, dass strafgerichtliche Verurteilungen eingehend auf Verfahrens- und sonstige Rechtsfehler überprüft und nicht allenfalls Unschuldige verurteilt werden. Eine längere Rechtsmittelfrist käme außerdem auch der Staatsanwaltschaft zugute, wenn diese, wie im Anlassverfahren, ihrerseits Nichtigkeitsbeschwerde gegen das strafgerichtliche Urteil angemeldet hat.
Im Unterschied zum Gleichheitsgrundsatz erfordert der Grundgedanke des Rechtsstaatsprinzips, dass ihm in jedem einzelnen Fall zum Durchbruch verholfen wird. Daher verlangt das Rechtsstaatsprinzip jedenfalls eine individuelle Verlängerungsmöglichkeit der Rechtsmittelfrist schon deshalb, um den besonderen sachlichen und/oder persönlichen Gegebenheiten des betreffenden Verfahrens und des betreffenden Rechtsmittels Rechnung zu tragen. Bei den Umständen des Einzelfalls ist insbesondere auch darauf Bedacht zu nehmen, dass beispielsweise der Verteidiger eines Angeklagten knapp vor Beginn der Frist für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde aufgrund eines Unfalles oder einer Krankheit für längere Zeit verhindert sein kann.
3. Der Verstoß gegen Artikel 6 EMRK in Verbindung mit Art2 des 7. ZP:
Nach Art6 (1) und (3) b) iVm Art2 (1) d) 7. ZP hat jeder Angeklagte, nach Art2 (1) 7. ZP jeder gerichtlich Verurteilte, das Recht auf ein faires Verfahren, auf ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung auf wirksame Verteidigung. Dies alles gilt sowohl für das Verfahren in erster Instanz als auch für das Rechtsmittelverfahren nach dem 7. ZP. Nach der ständigen Rspr des EGMR garantiert die EMRK Rechte, die nicht bloß auf dem Papier rein theoretisch festgeschrieben sind, sondern die effektiv sein müssen (EGMR Rechtsache Airey, GH 32, EuGRZ 1979, 628 Z24 u.v.a.). Die nationalen Rechtsordnungen haben bei der Ausgestaltung des Rechtes eines gerichtlich Verurteilten auf Überprüfung des Urteils durch ein übergeordnetes Gericht einen weiten Spielraum. Dies lässt es auch zu, Rechtsmittelfristen zu bestimmen, sagt aber über deren angemessene Dauer nichts aus.
Die bisherigen Entscheidungen des EGMR bzw. der EMRK zur Dauer der Rechtsmittelfristen im Strafverfahren liegen schon erhebliche Zeit zurück:
So wurde im Fall X. gegen die Bundesrepublik Deutschland vom 7.7.1959, E441/58, Yb 2, 391 von der EKMR eine Frist von bloß 15, Tagen zur Begründung der Revision im Strafverfahren für ausreichend erklärt (diese Frist wurde im übrigen im §345d StPO auf einen Monat verlängert). In der Entscheidung der EKMR vom 4. und 5.10.1974, 5523/72, CT 46, 99, Huber gegen Osterreich wurde aufgrund bestimmter Umstände des Falles in der lediglich 14tägigen Frist für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde keine Verletzung des Art6 EMRK erblickt, wobei jedoch sehr wohl anerkannt wurde, dass die Frist unter gewissen Umständen besonders deshalb eine Konventionsverletzung bedeuten könnte, weil die Frist nicht verlängerbar ist und die Nichtigkeitsbeschwerde nach deren Einbringung nicht ergänzt werden kann.
Die Entscheidungen können in dieser Form heute nicht aufrechterhalten werden. Dies schon deshalb nicht, da sich der Umfang der Strafverfahren in den letzten Jahren nachweislich stark erhöht hat. Dementsprechend haben auch die Gesetzgebungen in Österreich und - wie oben ausgeführt - Deutschland durch eine Ausweitung der Rechtsmittelfristen reagiert, welche jedoch den Anforderungen nicht gerecht wird.
In den angeführten Entscheidungen wurden auch keine konkreten, eingehenden Arbeits-, Planungs- und Organisationsanalysen vorgenommen. Jedenfalls stehen die Entscheidungen im Widerspruch zum o. a. Grundsatz, wonach die von der EMRK gewährten Rechte nicht bloß theoretischer Natur sind, sondern effektiv durchsetzbar sein müssen.
Es kann im Hinblick auf den zentralen Grundsatz des Fairnessgebotes nach Art6 EMRK nicht richtig sein, dass den Gerichten unter Umständen sehr lange Fristen für die schriftliche Urteilsausfertigung zustehen, der Generalprokuratur für das Croquis überhaupt keine Frist gesetzt wird, dem Angeklagten jedoch für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde nur eine um ein möglicherweise Vielfaches kürzere Frist zur Verfügung steht.
Es wurde bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die Richter im gegenständlichen Verfahren ausschließlich mit der Angelegenheit befasst sind und für die Ausfertigung des Urteils jedenfalls ein halbes Jahr benötigen. Die dem Antragsteller zur Verfügung stehende Frist zur Ausführung seiner Beschwerde dagegen steht in einem groben Missverhältnis dazu."
2. Die Bundesregierung ist den Anträgen mit folgender Begründung entgegengetreten:
"1. Vorbemerkung:
Die Bundesregierung erlaubt sich, vor dem Eingehen auf die vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken folgende Überlegungen voranzustellen:
Der Antragsteller geht unter Punkt A.1.5 und B.3.6 bereits detailliert auf die Geltendmachung bestimmter Nichtigkeitsgründe ein ('Fragen der Befangenheit von Richtern des Landesgerichtes Salzburg wie auch der Verletzung der Geschäftsverteilung und damit die nicht gehörige Besetzung des Gerichtshofes'; Nichtigkeitsgründe nach §281 Abs1 Z1 und 4 StPO; 'wiederholter Verstoß gegen Art6 EMRK'), sodass die Möglichkeit, Teile der Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde auch ohne Kenntnis der schriftlichen Urteilsausfertigung auf Grund der Kenntnis des Verfahrensablaufs, insbesondere der Hauptverhandlung, vorweg zu konzipieren, vorausgesetzt werden muss. Die Zeit zwischen der Verkündung und der Ausfertigung des Urteils kann daher auch durch den Angeklagten und seinen Verteidiger zielführend und arbeitsökonomisch zur konzeptiven Vorerledigung genutzt werden (und nicht erst, wie unter Punkt C.1.6. dargestellt, nach Detailanalyse der Urteilsausfertigung). Die dem Antrag zugrundeliegenden Annahmen, erst nach Vorliegen der Urteilsausfertigung mit der eigentlichen Arbeit zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde beginnen zu können, sind daher lebensfremd und berücksichtigen den Umstand nicht, dass die Verteidigung im Laufe des Verfahrens durch entsprechende Antragstellung die Geltendmachung bestimmter Nichtigkeitsgründe 'vorbereiten' kann, wobei diese Anträge und die sie abweisenden Beschlüsse den Protokollen der Hauptverhandlung entnommen werden können, mag auch die nähere Begründung für deren Abweisung der Urteilsausfertigung vorbehalten werden. Die Planung und inhaltliche Vorbereitung der Arbeit für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde kann und muss daher schon vor Vorliegen der schriftlichen Urteilsausfertigung vorgenommen werden, was der Antragsteller unter Punkt C.11.2. auch durchaus anerkennt. Dies bedeutet aber auch, insbesondere im Anwendungsbereich von §281 Abs1 Z4 StPO, dass anhand der Urteilsausfertigung bloß die der Konzeption und der ursprünglichen Antragstellung zugrundeliegenden Annahmen auf ihre Relevanz in Bezug auf die getroffenen Feststellungen zu überprüfen sind. Insoweit bedeutet es auch keinen Nachteil für den Angeklagten, wenn das Gericht die Frist für die Urteilsausfertigung überschreitet. Ganz allgemein entspricht diese Vorgangsweise auch dem Erfahrungsgrundsatz, dass eine 'Kritik' leichter und schneller abzufassen ist als jene Feststellung samt Beweiswürdigung, auf die sich die Anfechtung stützt.
2. Zum behaupteten Verstoß gegen den Gleichheitssatz:
... Nach Ansicht der Bundesregierung treffen die(se) gleichheitsrechtlichen Bedenken nicht zu: Wie der Antragsteller selbst ausführt, verpflichtet der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz den Gesetzgeber dazu, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen; wesentliche Unterschiede im Tatsachenbereich müssen zu entsprechenden unterschiedlichen Regelungen führen. Eine Differenzierung ist nur sachlich begründet, wenn sie nach objektiven Unterscheidungsmerkmalen, aus Unterschieden im Tatsächlichen, erfolgt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist es dem Gesetzgeber grundsätzlich möglich, einfache und leicht handhabbare Regelungen zu schaffen. Er kann dabei von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehen und auf den Regelfall abstellen. Dass dabei Härtefälle entstehen, macht das Gesetz nicht gleichheitswidrig (vgl. VfSlg. 11.615/1988).
Nach Auffassung der Bundesregierung entspricht die Regelung des §285 Abs1 StPO diesen Grundsätzen: Diese Norm geht von einer Durchschnittsbetrachtung aus und stellt auf den Regelfall eines schöffengerichtlichen Verfahrens ab, in dem - was für die weit überwiegende Zahl der Fälle zutrifft - das Verfahren in erster Instanz mit einer bis zu einwöchigen Verhandlungsdauer und einem dementsprechenden Aktenumfang abgeschlossen werden kann. An dieser Stelle sei betont, dass der vorliegende Fall - wie auch der Antragsteller selbst zugibt - das umfangreichste Verfahren der österreichischen Strafrechtsgeschichte ist und selbst mit anderen Großverfahren nicht verglichen werden kann. Die StPO orientiert sich bei der gegenständlichen Regelung an vergleichbaren Verfahrensgesetzen (§464 Abs1 ZPO) und berücksichtigt ganz allgemein den grundrechtlich, aber auch prozessökonomisch bedeutsamen Grundsatz der angemessenen Verfahrensdauer (Art6 Abs1 EMRK; siehe dazu näher auch unten). Insbesondere im Strafverfahren ist dem Gebot einer raschen und effizienten Durchführung des Verfahrens auch im Interesse des Angeklagten sowie der Wirkung einer allenfalls ausgesprochenen Strafe besonderes Augenmerk zu widmen.
Die dem Antragsteller vorschwebende Orientierung der Frist für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde an dem Zeitraum, den das Gericht für die schriftliche Urteilsausfertigung benötigt, würde im Einzelfall die Länge der Ausfertigungsfrist dem 'Zufall' und 'manipulativen Umständen', auch allfälligen individuellen Leistungsmängeln überlassen. Letztlich wird nämlich der Zeitraum, den das Gericht für die Ausfertigung des verkündeten Urteils benötigt, nicht ausschließlich durch objektive Umstände, sondern von zahlreichen individuellen, nicht vorherbestimmten Faktoren (Krankheit, Belastung des Richters; Urlaub, Verzögerungen beim Schreibdienst; individuelle Arbeitsleistung etc.) bestimmt.
Abgesehen von dem schon erwähnten Erfahrungsgrundsatz, dass Kritik oft rascher konkretisiert und konzipiert werden kann als autoritative Feststellungen zu Tatsachen, zur Beweiswürdigung und zur Rechtslage, würde die vom Antragsteller vorgeschlagene zeitliche Gleichsetzung auch den Umstand ausser Acht lassen, dass sich die Kritik in der Regel auf einzelne, als solche begrenzte Punkte und Vorgänge bezieht und einer Nichtigkeitsbeschwerde schon durch die im Gesetz taxativ aufgezählten Nichtigkeitsgründe Grenzen gesetzt sind, während die Begründung eines schöffengerichtlichen Urteils stets auf alle wesentlichen Entscheidungsgründe (vgl. §270 Abs2 Z5 StPO) 'vollständig' einzugehen hat.
Hiebei ist noch zu berücksichtigen, dass die nunmehr bestehende vierwöchige Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde bereits eine Verdoppelung der Frist darstellt. Bis zur StPO-Novelle 1993 bestand nämlich grundsätzlich eine vierzehntägige Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde.
Aber auch der vom Antragsteller angezogene Vergleich des Croquis der Generalprokuratur, das ohne Fristbindung zu verfassen ist, mit der vierwöchigen Frist des §285 Abs1 StPO, vermag die gleichheitsrechtlichen Bedenken nicht zu stützen: Die Generalprokuratur kann - mag sie auch auf das Verfahren beim Obersten Gerichtshof zum Nachteil des Angeklagten Einfluss nehmen können (VfSlg. 8687/1979) - nicht schlechthin als der prozessuale Gegner des Angeklagten angesehen werden (vgl. VfSlg. 8551/1979), zumal sie grundsätzlich verpflichtet ist, auch zu Gunsten des Angeklagten Stellung zu nehmen (§§3, 290 StPO) und insgesamt eher eine den Obersten Gerichtshof beratende Stellung einnimmt. Die im Verfahren erster Instanz als Prozessgegner des Angeklagten auftretende Staatsanwaltschaft ist hinsichtlich der Rechtsmittel an dieselben Fristen gebunden wie der Angeklagte. In diesem Zusammenhang wird auch auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Fall Kremzow gegen Österreich (Urteil vom 21. September 1993, 29/1992/374/448 Z. 75) verwiesen, in dem eine Verletzung der EMRK durch die unterschiedliche Frist für Rechtsmittelwerber und Generalprokuratur nicht gesehen wurde.
Wenn der Antragsteller die starre vierwöchige Frist mit der verlängerbaren Berufungsfrist der BAO vergleicht, so ist darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt zum Ausdruck gebracht hat, dass aus einem Vergleich unterschiedlicher verfahrensrechtlicher Regelungen im Prinzip unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes nichts zu gewinnen ist, weil es dem Gesetzgeber offensteht, sich in unterschiedlichen Verfahrensbereichen für durchaus eigenständige Ordnungssysteme zu entscheiden, die deren jeweiligen Erfordernissen und Besonderheiten Rechnung tragen, sofern nur die betreffenden Verfahrensgesetze in sich gleichheitskonform gestaltet sind (vgl. VfSlg. 9965/1984, 10084/1984, 10770/1986, 13420/1993).
Besondere Gründe, warum dem Gesetzgeber im konkreten Fall Abweichungen exzeptionellen Gewichtes verwehrt sein sollten, wurden vom Beschwerdeführer nicht vorgebracht und sind der Bundesregierung auch nicht ersichtlich.
Darüber hinaus ist dem Antragsteller zu entgegnen, dass eine Durchsicht der österreichischen Verfahrensordnungen zeigt, dass die gesetzliche (=starre) Frist zur Ausführung eines Rechtsmittel die Regel, die Verlängerbarkeit einer solchen Frist die Ausnahme darstellt. So sieht das AVG beispielsweise grundsätzlich für sämtliche Verwaltungsverfahren eine zweiwöchige - nicht verlängerbare - Berufungsfrist vor (§63 Abs5 AVG). Auch das VSTG sieht eine gesetzliche Berufungsfrist von vierzehn Tagen vor (§63 Abs5 AVG iVm §24 VStG). Ebenso nicht verlängerbare Fristen weisen die sechswöchige Beschwerdefrist bei Beschwerden gemäß Art131 bzw. Art144 B-VG auf.
2. Zur behaupteten Verletzung des Rechtsstaatsprinzips:
Der Verfassungsgerichtshof judiziert in ständiger Rechtsprechung (vgl. beispielsweise VfSlg. 15.218/1998), dass Rechtsschutzeinrichtungen ihrer Zweckbestimmung nach ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen. In diesem Sinn sind die Voraussetzungen bei einer für den Rechtsschutz maßgeblichen Regelung wie jener über die Dauer einer Rechtsmittelfrist nur dann gegeben, wenn sie dem negativ beschiedenen potentiellen Rechtsschutzsuchenden gewährleistet, sein Rechtsmittel in einer Weise auszuführen, die sowohl dem Inhalt der anzufechtenden Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht adäquat ist als auch dem zu dieser Entscheidung führenden, allenfalls mit Mängel behafteten Verfahren.
Nach Auffassung der Bundesregierung kommt der Rechtsschutzeinrichtung im vorliegenden Fall die verfassungsrechtlich geforderte faktische Effizienz zu:
Indem - wie oben näher ausgeführt - bereits die Prämissen des Antrages, dass dem Angeklagten im Wesentlichen bloß die vierwöchige Ausführungsfrist zur Vorbereitung und Abfassung seiner Rechtsmittelfrist zur Verfügung steht, unzutreffend sind, vermag der Antragsteller auch keine hinreichenden Gründe vorzubringen, die im konkreten Fall eine längere Frist für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde iSd Effizienz seines Rechtsmittels begründen könnten.
Erfahrungswerte aus sogenannten Großverfahren ('WBO', 'Klimatechnik-Verfahren'; 'Talirz-Verfahren') beweisen eher das Gegenteil; in sämtlichen dieser Verfahren ist es zumindest zu Teilaufhebungen bzw. im erneuerten Verfahren sogar zu Freisprüchen gekommen, obwohl ebenfalls bloß eine vierwöchige, z.T. sogar eine bloß zweiwöchige Frist zur Ausführung der Rechtsmittel zur Verfügung stand.
Dem Grundsatz, dass Rechtsschutzeinrichtungen ein Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtschutzwerber aufweisen müssen, kommt die StPO demnach - auch bei rechtsvergleichender Betrachtung - nach. Durch die auf den Durchschnittsfall abstellende Frist des §285 Abs1 StPO wird auch dem potentiellen Rechtsschutzsuchenden gewährleistet, sein Rechtsmittel in einer Weise ausführen zu können, die sowohl dem Inhalt der anzufechtenden Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht adäquat ist als auch dem zu dieser Entscheidung führenden, allenfalls mit Mängeln belasteten Verfahren (vgl. VfSlg. 15.218/1998).
Im übrigen ist nochmals darauf hinzuweisen, dass die Normierung vergleichbarer gesetzlicher Fristen in der österreichischen Rechtsordnung die Regel darstellt. Und der Verfassungsgerichtshof hat - soweit ersichtlich - gegen die Nicht-Verlängerbarkeit derartiger Fristen bislang noch keine Bedenken gehegt.
3. Zur behaupteten Verletzung von Art6 Abs1 EMRK in Verbindung mit Art2 7. ZPEMRK:
Zu diesem Punkt ist im wesentlichen auf die unter 2. ausgeführten Überlegungen zu verweisen. Darüber hinaus ist jedoch noch anzuführen, dass die von den Straßburger Organen ergangene Judikatur, welche der Antragsteller anführt, bereits zeigt, dass §285 Abs1 erster Satz StPO mit der EMRK im Einklang steht. Besonders interessant ist dabei der Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte im vom Beschwerdeführer zitierten Fall Huber gegen Österreich (BNr. 5523/72). In diesem Bericht führte die Europäische Menschenrechtskommission wohl aus, dass die Verlängerbarkeit der Frist in §285 Abs1 erster Satz StPO in manchen Fällen Probleme im Hinblick auf Art6 Abs3 litb EMRK aufweisen könnte, im gegenständlichen Fall jedoch die Frist als ausreichend anzusehen gewesen sei. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass es sich bei den diesem Beschwerdeverfahren zugrunde liegenden innerstaatlichen Strafverfahren um ein - wie es die Europäische Menschenrechtskommission ausführte - sehr komplexes Verfahren handelte. Ausserdem darf nicht übersehen werden, dass in diesem Strafverfahren die Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde noch zwei Wochen betrug, während nunmehr vier Wochen zur Verfügung stehen. Wenn bereits in einem komplexen Strafverfahren die zweiwöchige Frist als ausreichend angesehen wurde, so muss dies umso mehr für die nunmehr geltende vierwöchige Frist gelten.
Überdies sind den Ausführungen des Antragstellers folgende Überlegungen entgegenzuhalten:
Eine konkrete Arbeits-, Planungs- und Organisationsanalyse würde für die Ausfertigung des Urteils in vergleichbaren Großverfahren wohl zu dem Ergebnis gelangen, dass die Einhaltung der im §270 Abs1 StPO normierten Frist illusorisch ist. Für das entsprechende Rechtsmittel muss dagegen ins Kalkül gezogen werden, dass die Formstrenge der Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen ohnedies in weiten Bereichen ein unbedingtes Festhalten an den in tatsächlicher Hinsicht getroffenen Urteilsfeststellungen verlangt (vgl. für die materiellen Nichtigkeitsgründe Mayerhofer, StPO 11/2. Halbband4, ENr. 5 zu §281 Abs1 Z9a StPO). Auch im Rahmen der Mängelrüge nach §281 Abs1 Z5 StPO können nur Tatsachenfeststellungen, nicht aber Erwägungen bekämpft werden, von denen das Gericht bei der Beseitigung der vorgebrachten Einwendungen geleitet wurde; die Beschwerde wäre daher nicht gesetzmäßig ausgeführt, wenn damit ausschließlich die Beweiskraft einzelner Beweismittel erörtert wird (Mayerhofer, aaO, ENr lff zu §281 Abs1 Z5 mwN). Lediglich im Rahmen der Geltendmachung der Nichtigkeitsgründe der Aktenwidrigkeit (§281 Abs1 Z5 StPO) bzw. der Tatsachen- und Beweisrüge (§§281 Abs1 Z5a StPO) muss ein Vergleich der Urteilsfeststellungen mit den Akten vorgenommen werden, um das Rechtsmittel prozessordnungsgemäß auszuführen. Aber auch in diesem Bereich bietet das Anlassverfahren durch die Datenbank 'Gerus' eine wirksame Hilfestellung für den Angeklagten und seinen Verteidiger, sodass die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht vorliegen. Im übrigen sind allfällige Verfahrensfehler dem Rechtsmittelwerber aus der vorangegangenen eigenen Wahrnehmung des Verfahrensablaufs, insbesondere der Vorgänge in der Hauptverhandlung, schon geraume Zeit vor Zustellung der Urteilsausfertigung bekannt. Im Grundsatz gilt das im Hinblick auf die mündliche Verkündung und Begründung des angefochtenen Urteils in der Hauptverhandlung auch für materiell-rechtliche Fehlbeurteilungen. In beiden Fällen geht es aus der Sicht eines die Nichtigkeitsbeschwerde erhebenden Angeklagten und seines Verteidigers beim Studium der schriftlichen Ausfertigung eines Strafurteils demnach - anders als in der Regel im Zivilverfahren oder im Verwaltungsverfahren - primär um den Nachvollzug bzw. die Prüfung im Wesentlichen bereits bekannter Angriffspunkte, mögen diese auch an Hand der Detailbegründung des Urteils und gegebenenfalls einzelner Aktenbestandteile konkretisiert werden müssen."
Zu der vom Verfassungsgerichtshof bei Einleitung des Vorverfahrens aufgeworfenen Frage der Rechtfertigung der Ausnahmslosigkeit der Fristregelung zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde antwortet die Bundesregierung wie folgt:
"Die prozessuale Frist zur Ausführung angemeldeter Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen hat bis zum Strafrechtsänderungsgesetz 1987, BGBl. Nr. 605, generell vierzehn Tage betragen, wurde damals für Fälle einer mehr als fünftägigen Hauptverhandlung auf vier Wochen erstreckt und sodann durch das Strafprozeßänderungsgesetz 1993, BGBl. Nr. 526, generell auf vier Wochen verlängert (§§285 Abs1 erster Satz, 467 Abs1 StPO). Die letzte gesetzliche Änderung erfolgte nicht nur, um unbillig kurzen Ausführungsfristen in Fällen schwieriger und komplexen Sachverhalte zu begegnen (vgl. JAB BlgNR 1157, 16 18. GP), sondern brachte auch eine begrüßenswerte Vereinheitlichung dieser Fristen mit sich.
Eine Fristverlängerung durch gerichtliche Entscheidung über Antrag eines Rechtsmittelwerbers im Einzelfall unter Berücksichtigung der Verfahrensdauer und des Entscheidungsumfanges müsste wohl mit der Einführung eines Rechtsschutzes des mit gesonderten Fristenlauf, beispielsweise in Form einer binnen vierzehn Tagen einzubringenden Beschwerde an das zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufene Gericht, einhergehen, um eine Möglichkeit zur Überprüfung dieser - letztlich doch dem pflichtgebundenen Ermessen anheim gestellten - richterlichen Entscheidung zu eröffnen. Eine derartige Maßnahme wäre aber im Lichte des Gebotes einer raschen und effizienten Durchführung des Strafverfahrens zumindest bedenklich, zumal sich das Rechtsmittelgericht im Falle einer solchen Beschwerde gerade in komplexen Strafsachen zunächst selbst einen Überblick über die Sache verschaffen müsste, nur um über die Länge der Rechtsmittelfrist entscheiden zu können. Dabei ist auf jene Verfahren besonderes Augenmerk zu richten, die gemäß §56 Abs1 zweiter und dritter Fall StPO gegen mehrere Personen gleichzeitig zu führen sind. Eine Verlängerung der Rechtsmittelfrist über Antrag eines von mehreren (Mit-)Angeklagten und ein gegen deren Verweigerung offenstehender wiederum an Fristen gebundener Rechtszug würde - vor allem im Fall der Untersuchungshaft einzelner Angeklagter - zu unterschiedlichen Rechtsmittelfristen und insgesamt zu einer kaum zu rechtfertigenden Verzögerung des Verfahrens führen.
Hierbei ist auch daran zu denken, dass die im Verfassungsrang stehende Bestimmung des Art6 Abs1 EMRK den Staat verpflichtet, über eine strafrechtliche Anklage in angemessener Frist zu entscheiden. Ein eigener Instanzenzug, der nur über die Länge der Rechtsmittelfrist besteht, wäre wohl im Hinblick auf Art6 Abs1 EMRK nur schwer zu rechtfertigen. Hinzuweisen ist darauf, dass die Strassburger Konventionsorgane eine Pflicht der Vertragsstaaten annehmen, das Verfahrenssystem so zu organisieren, dass die Gerichte in der Lage sind, nicht nur die Fairness, sondern auch die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens zu gewährleisten. Das Bemühen, die Rechtsgarantien des einzelnen durch eine Vielzahl von Rechtsmittelmöglichkeiten zu verstärken, darf nicht zu einer den Anspruch auf zügiges Verfahren gefährdenden Unübersichtlichkeit und Schwerfälligkeit des Verfahrens führen (vgl. Frowein-Peukert, Europäische MenschenRechtsKonvention, EMRK-Kommentar2, RZ 146f. zu Art6 EMRK).
Zum alternativen Lösungsansatz, unter Beibehaltung (bzw. nach Verdoppelung) der vierwöchigen Ausführungsfrist eine variable Verlängerung derselben um den Zeitraum vorzusehen, um den das Gericht die vierwöchige Frist zur Urteilsausfertigung überschreitet, ist auf die bereits dargestellten aus einer solchen Regelung resultierenden Zufälligkeiten zu verweisen.
Abschließend darf dem Antragsteller noch folgendes entgegnet werden: Wenn er Krückl (Die Verteidigung im Rechtsmittelverfahren, AnwBl. 1985, 447) zur Begründung dafür heranzieht, dass die starre vierwöchige Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde zu kurz sei, weil dieser die damals geltende vierzehntägige Frist als unangemessen kurz kritisiert hatte, so ist darauf hinzuweisen ist, dass Krückl in diesem Aufsatz als eine von mehreren Reformvorschlägen die Verlängerung der Rechtsmittelfrist des §285 Abs1 auf vier Wochen in Analogie zu den wesentlichsten zivilprozessualen Rechtsmittelfristen seit der Zivilverfahrensnovelle 1983 vorgeschlagen hat. Dies ist aber genau die Frist, die §285 Abs1 seit der Strafprozessnovelle 1993 vorsieht.
Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass einem einheitlichen prozessualen Fristenmodell gegenüber schwer überschaubaren, beliebig festzulegenden oder variablen Zeiträumen nach Auffassung der Bundesregierung jedenfalls der Vorzug zu geben ist."
Die Bundesregierung sieht sich aber auch rechtsvergleichend in ihrer Auffassung bestärkt:
"Die Bundesregierung erlaubt sich, im gegebenen Zusammenhang zum Zwecke eines Rechtsvergleiches auch auf die Rechtslage in anderen europäischen Staaten hinzuweisen: Obwohl etwa die deutsche StPO für die Ausfertigung des Urteils nach der Dauer der Hauptverhandlung gestaffelte Höchstfristen vorsieht (§275 Abs1 dStPO: '... spätestens fünf Wochen nach der Verkündung ...; diese Frist verlängert sich, wenn die Hauptverhandlung länger als drei Tage gedauert hat, um zwei Wochen, und wenn die Hauptverhandlung länger als zehn Tage gedauert hat, für jeden begonnenen Abschnitt von zehn Hauptverhandlungstagen um weitere zwei Wochen.'), sind die Revisionsanträge und ihre Begründung in jedem Fall spätestens binnen eines Monats ab Zustellung des Urteils anzubringen; ihre Verlängerung ist unzulässig (vgl. §354 Abs1 dStPO). Soweit überblickbar, wurde dieser Differenzierung kein verfassungsrechtlicher Einwand entgegengesetzt (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, dStPO44, 977 ff und 1107 ff). Ähnliches gilt für die französische und belgische Rechtslage (Art408 und 568 code de procedure penale - 10 bzw. 5 Tage; Art203 und 373 code d'instruction criminelle - 15 Tage). Auch nach italienischem Recht handelt es sich bei den Rechtsmittelfristen um Ausschlussfristen (vgl. Art585 Abs1 litb und c Codice di procedura penale)."
Der Erstantragsteller hat auf die Äußerung der Bundesregierung repliziert, indem er das seiner Meinung nach von der Bundesregierung zum Teil mißverstandene oder mißinterpretierte Antragsvorbringen bekräftigt und seinen ursprünglich gestellten Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückzieht.
3.2. Die Anträge sind - soweit sie zulässig sind - teilweise begründet:
3.2.1. Die Festlegung von Fristen für Rechtsmittel dient an sich nicht nur dem wichtigen öffentlichen Interesse der Rechtssicherheit und insoweit auch den Interessen anderer Verfahrensbeteiligter (zB im Strafverfahren der durch die Tat Geschädigten in ihrer Eigenschaft als Privatbeteiligte), sondern - wegen des Zusammenhanges mit den für andere Verfahrensparteien, hier insbesondere für die Staatsanwaltschaft geltenden Fristen - auch einem objektiv wichtigen Interesse des Beschuldigten, nämlich der Anforderung des Art6 EMRK, daß seine Sache in angemessener Zeit erledigt werden kann. Daran vermögen auch die Hinweise in der Replik des Erstantragstellers nichts zu ändern, daß dieser (naturgemäß) in seiner Strafsache angesichts der Umstände des Falles eher an einer längeren Rechtsmittelfrist interessiert sein wird, als an der Vermeidung einer längeren Verfahrensdauer: Der Gesetzgeber hat nämlich auch die Rahmenbedingungen dafür herzustellen, daß über strafrechtliche Anklagen in einem dem Art6 EMRK entsprechenden Zeitraum entschieden wird; daß die Festlegung von Fristen für Handlungen des Gerichtes und der Prozeßparteien, insbesondere also auch die Festlegung von Rechtsmittelfristen, ein dazu geeignetes Mittel ist, kann nicht bezweifelt werden. Auch die Verfahrensgarantien des Art6 Abs3 EMRK stehen der Festlegung von Rechtsmittelfristen in der Regel nicht entgegen (vgl. Vogler in:
Golsong u.a., Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, Art Rz 494 mwH).
3.2.2. Es ist andererseits offenkundig, daß eine vierwöchige Frist zur Ausführung einer Nichtigkeitsbeschwerde in Extremfällen zu einer Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten führen kann. Auch der Gesetzgeber hat in der Rechtsanwaltsordnung - worauf die Antragsteller zurecht hinweisen - in differenzierenden Regelungen auf die unterschiedliche Belastung, die durch die Dauer einer Hauptverhandlung verursacht wird, Bedacht genommen und aus den gleichen Gründen auch die Rechtsmittelausführungsfrist des §285 Abs1 StPO von ursprünglich zwei auf mittlerweile vier Wochen verlängert.
3.2.3. Im vorliegenden Fall ist von der Bundesregierung zugestanden, daß ein tausende Seiten umfassendes Hauptverhandlungsprotokoll vorliegt und eine Urteilsausfertigung im Umfang von nicht unter tausend Seiten erwartet wird. Auch unter Berücksichtigung der bis zur Urteilszustellung zu nützenden Vorbereitungszeit ist angesichts des Erfordernisses des zweckgerichteten Studiums eines besonders umfangreichen Urteils und seines Vergleichs mit einem tausende Seiten umfassenden Hauptverhandlungsprotokoll nicht damit zu rechnen, daß eine dem Gesetz entsprechende Ausführung der Nichtigkeitsgründe des §281 Abs1 Z5 und Z5a StPO innerhalb von vier Wochen möglich ist.
3.2.3.1. Der im vorliegenden Zusammenhang einschlägige Art6 Abs3 litb EMRK iVm Art2 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK garantiert jedem Angeklagten mindestens das Recht, über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu verfügen. Art2 des 7. Zusatzprotokolls (BGBl. Nr. 628/1988) normiert das Recht, das Urteil entsprechend dem Gesetz durch eine höhere Instanz nachprüfen zu lassen. Nach unbestrittener Lehre und Rechtsprechung der Straßburger Instanzen gelten die Garantien des Art6 Abs3 litb EMRK auch für den Instanzenzug (vgl. Ercman, Wegweiser der Rechtsprechung, 1981, 6247 ff.; EGMR Huber gegen Österreich 5523/72; vgl. auch Villiger, Handbuch der EMRK, 1999, Art6 Rz 472 mwN; und Peukert in Frohwein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention2, Art6 Rz 181 mwN).
3.2.3.2. Die in Art6 Abs3 EMRK formulierten Verfahrensgarantien sind in jedem einzelnen Fall zu gewährleisten. Dem Erfordernis einer ausreichenden Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung kann daher nicht damit begegnet werden, daß es sich beim hier in Rede stehenden Strafverfahren um einen besonderen Extremfall und damit Einzelfall handelt bzw. daß allenfalls die Zahl jener Strafverfahren gering ist, in denen aufgrund des Verhandlungsstoffes die vierwöchige Frist zur Ausführung einer Nichtigkeitsbeschwerde nicht ausreichen würde. Eine (an sich zulässigerweise) am Regelfall orientierte gesetzliche Bestimmung ist vielmehr unter diesen Aspekten auch dann wegen Verstoßes gegen Art6 EMRK verfassungswidrig, wenn sie für einen solchen besonderen Extremfall keine Ausnahmemöglichkeit zur Sicherstellung der in Rede stehenden Verfahrensgarantie bereithält.
Vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles erweist sich die vierwöchige Rechtsmittelausführungsfrist des §285 Abs1 StPO somit als verfassungswidrig.
3.2.4. Die Argumentation der Bundesregierung, soweit sie Gründe darlegt, die für die Ausnahmslosigkeit der Regelung ins Treffen geführt werden können, bedenkt die dargelegte Verfassungslage nach der EMRK nicht. Die sich daraus ergebende Notwendigkeit der Beurteilung von (an sich ausreichenden) Rechtsmittelfristen unter Bedachtnahme auf den Einzelfall, wenn es sich dabei - wie hier - um einen Extremfall handelt, muß, entgegen den Befürchtungen der Bundesregierung, auch keineswegs zur "Beliebigkeit" von Rechtsmittelfristen führen; es liegt vielmehr am Gesetzgeber, dieser Gefahr durch eine entsprechende Ausgestaltung der Regelung zu begegnen.
Auch die rechtsvergleichenden Argumente der Bundesregierung vermögen nicht zu überzeugen: Sie setzen nämlich einerseits voraus, daß starre Fristregelungen in anderen Staaten konventionsgemäß sind (sodaß die aus der Rechtsvergleichung gewonnenen Argumente auf einer petitio principii beruhen) und berücksichtigen andererseits nicht, daß ein bloßer Vergleich der Länge von Rechtsmittelfristen nicht aussagekräftig ist, wenn nicht zugleich das jeweilige System des Rechtsmittelrechts mitverglichen wird. Dies gilt insbesondere hinsichtlich seiner jeweiligen Formstrenge, da erst die Berücksichtigung etwa der Fragen, wie sehr die Überprüfungstätigkeit des Rechtsmittelgerichtes an genau ausgeführte Rechtsmittelgründe gebunden ist (wie dies nach der StPO in Österreich der Fall ist) bzw. ob nach Ablauf der Rechtsmittelausführungsfrist noch weitere Argumente nachgetragen oder in einer mündlichen Verhandlung vor dem oberen Gericht noch dargelegt werden dürfen, über die Konsequenzen der Dauer der Frist Aufschluß geben können. Der Hinweis auf die deutsche Regelung zeigt vielmehr, daß dort der Gesetzgeber mit einer einheitlichen Frist zur Ausführung von Rechtsmitteln im Strafverfahren gerade nicht das Auslangen gefunden hat.
3.3. Den Sitz der Verfassungswidrigkeit erachtet der Verfassungsgerichtshof nicht in §6 Abs1 erster Satz StPO gelegen, zumal diese Regelung nicht bloß für Rechtsmittelfristen gilt und eine Verlängerbarkeit gesetzlicher Fristen im Strafprozeß auch nach Art6 EMRK an sich nicht geboten ist. Es ist die uneingeschränkte Maßgeblichkeit der Frist des §285 Abs1 StPO auch in Extremfällen, wie dem den gegenständlichen Anträgen zugrundeliegenden Strafverfahren, die den Verfassungsverstoß bewirkt.
Die im Spruch genannte Wortfolge in §285 Abs1 StPO war daher - und zwar zur Vermeidung einer Mißdeutung des verbleibenden Restes der Norm aus sprachlichen Gründen an beiden Stellen - als verfassungswidrig aufzuheben. Im übrigen waren die Anträge - soweit sie sich als zulässig erwiesen haben - abzuweisen.
4. Es erübrigt sich daher, auf weitere, von den Antragstellern geltend gemachte Bedenken einzugehen.
5. Durch die Fristsetzung bis 30. Juni 2001 wird bis zur erforderlichen Neuregelung durch den Gesetzgeber die ordnungsgemäße Durchführung von Strafverfahren nicht in Frage gestellt. Es war aber sicherzustellen, daß die aufgehobene Bestimmung im Strafverfahren 35 Vr 3036/95, Hv 22/95 des Landesgerichtes Salzburg nicht mehr angewendet werden darf. Damit wird für dieses Verfahren die Möglichkeit zur richterlichen Festlegung einer den Anforderungen des Art6 Abs3 litb EMRK genügenden Frist zur Ausführung aller angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerden eröffnet.
Der diesbezügliche Ausspruch gründet sich auf Art140 Abs7
B-VG.
6. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung ergibt sich aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG.
7. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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