VfGH B1077/99

VfGHB1077/9914.12.2000

Anlassfallwirkung der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §70a bzw der Aufhebung des §75 Abs9 der Wr BauO 1930 idF LGBl 40/1997 mit E v 12.12.00, G97/00.

Normen

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

 

Spruch:

I. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide, soweit sie die Berufungen gegen die Baubewilligungsbescheide vom 14. Oktober 1998 und 17. Dezember 1999 abweisen, wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Die Bescheide werden insoweit aufgehoben.

Die Stadt Wien ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihrer Rechtsvertreter die mit je S 40.300,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

II. Soweit sich die Beschwerden gegen die Abweisung der Berufungen gegen die Bescheide des Bauausschusses der Bezirksvertretung für den 13. Bezirk vom 6. Oktober 1998 und 7. Dezember 1999, mit denen Abweichungen gemäß §69 Abs1 lita und f iVm §5 Abs4 litp Bauordnung für Wien genehmigt wurden, wenden, wird die Behandlung abgelehnt.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. zu B1077/99:

Der Bauausschuss der Bezirksvertretung für den 13. Bezirk genehmigte mit Bescheid vom 6. Oktober 1998 gemäß §69 Abs1 lita und f iVm §5 Abs4 litp Bauordnung für Wien Abweichungen von den Bebauungsvorschriften in einem Baubewilligungsverfahren. Die Abweichungen betreffen den Aufzugsschacht für den Kfz-Aufzug und das davor liegende brückenartige Bauwerk für die erforderliche Staufläche als Verbindung zwischen der Verkehrsfläche und der Tiefgarage. Diese dürfen außerhalb der durch Baufluchtlinien bestimmten bebaubaren Flächen auf einer gärtnerisch zu gestaltenden Grundfläche errichtet werden. Der Magistrat der Stadt Wien erteilte mit Bescheid vom 14. Oktober 1998 die Bewilligung für die Errichtung eines Wohnhauses mit 33 Wohnungen und einer Tiefgarage mit 33 KFZ-Stellplätzen in 1130 Wien, Seuttergasse 44. Die Einwendungen der Anrainer wurden gemäß §70 Abs2 Bauordnung für Wien teils als unbegründet abgewiesen, teils als unzulässig zurückgewiesen.

Die Anrainer erhoben gegen beide Bescheide mit der Begründung Berufung, dass die Abweichungen gemäß §69 Bauordnung für Wien erheblich seien und eine Bewilligung gemäß dieser Bestimmung nur in einem Ausnahmefall möglich sein sollte. Sie bezweifelten das Vorliegen der Voraussetzungen der Anwendung des §75 Abs9 Bauordnung für Wien, weil durch ein Bauvorhaben mit dieser Gebäudehöhe das örtliche Stadtbild beeinträchtigt werde. Die belangte Behörde wies die Berufung gegen den Baubewilligungsbescheid vom 14. Oktober 1998 ua. mit der Begründung ab, dass unter Inanspruchnahme der Ausnahmebestimmung des §75 Abs9 Bauordnung für Wien im vorliegenden Fall eine Gebäudehöhe von 12 m zulässig sei, da das örtliche Stadtbild nicht beeinträchtigt werde.

zu B1151/00:

Der Bauausschuss der Bezirksvertretung für den 13. Bezirk genehmigte mit Bescheid vom 7. Dezemeber 1999 gemäß §69 Abs1 lita und f iVm §5 Abs4 litp Bauordnung für Wien die bereits zu B1077/99 näher beschriebenen Abweichungen von den Bebauungsvorschriften in einem Baubewilligungsverfahren. Der Magistrat der Stadt Wien erteilte mit Bescheid vom 17. Dezember 1999 gemäß §70 iVm §69 Abs8 Bauordnung für Wien und in Anwendung des Wiener Garagengesetzes die Bewilligung für die Errichtung eines Wohnhauses mit 33 Wohnungen und einer Tiefgarage mit 38 KFZ-Stellplätzen in 1130 Wien, Seuttergasse 44. Die Einwendungen der Anrainer wurden gemäß §70 Abs2 Bauordnung für Wien teils als unbegründet abgewiesen, teils als unzulässig zurückgewiesen.

Die Anrainer erhoben gegen beide Bescheide mit der Begründung Berufung, dass bereits "entschiedene Sache" vorliege. Abgesehen davon seien die Abweichungen gemäß §69 Bauordnung für Wien erheblich und eine Bewilligung gemäß dieser Bestimmung sollte nur in einem Ausnahmefall möglich sein. Sie bezweifelten das Vorliegen der Voraussetzungen der Anwendung des §75 Abs9 Bauordnung für Wien, weil durch ein Bauvorhaben mit dieser Gebäudehöhe das örtliche Stadtbild beeinträchtigt werde. Die belangte Behörde wies die Berufung gegen den Baubewilligungsbescheid vom 17. Dezember 1999 ua. mit der Begründung ab, dass unter Inanspruchnahme der Ausnahmebestimmung des §75 Abs9 Bauordnung für Wien im vorliegenden Fall eine Gebäudehöhe von 12 m zulässig sei, da das örtliche Stadtbild nicht beeinträchtigt werde. Die Vorschriften, die der Wahrung des örtlichen Stadtbildes dienen, würden nicht zu jenen Bestimmungen gehören, die auch dem Interesse der Nachbarschaft dienen, auch nicht in Verbindung mit der Ermittlung der zulässigen Gebäudehöhe gemäß §75 Abs9 Bauordnung für Wien, weshalb den Anrainern kein Mitspracherecht zustehe.

2. Gegen diese Bescheide richten sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerden der Anrainer, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Saatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm (Flächenwidmungs- und Bebauungsplan, Plandokument Nr. 6841) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird.

3. Die Bauoberbehörde für Wien als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete je eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

4. Die mitbeteiligte Partei erstattete je eine Äußerung, in der sie beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

5. Mit amtswegigem Beschluss vom 28. Juni 2000, B2284/98, leitete der Verfassungsgerichtshof das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§70a und 75 Abs9 Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930 idF LGBl. Nr. 40/1997, ein. Mit Erkenntnis vom 12. Dezember 2000, G97/00, hat der Verfassungsgerichtshof §75 Abs9 Bauordnung für Wien als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass §70a Bauordnung für Wien verfassungswidrig war.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:

A. Die Beschwerden sind, soweit sie sich gegen die Abweisung der Berufungen gegen die Baubewilligungsbescheide vom 14. Oktober 1998 und 17. Dezember 1999 richten, im Ergebnis begründet.

1. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).

Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren zu G97/00 begann am 2. Dezember 2000. Die vorliegenden Beschwerden sind beim Verfassungsgerichtshof am 22. Juni 1999 und 26. Juni 2000 eingelangt, waren also zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung im Verfahren zu G97/00 schon anhängig; die Fälle sind somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung der angefochtenen Bescheide die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung des §75 Abs9 Bauordnung für Wien an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war. Die Beschwerdeführer wurden somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.

Die Bescheide sind daher insoweit aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zuerkannten Kosten sind je Streitgenossenzuschlag in der Höhe von S 9.000,-, Umsatzsteuer in der Höhe von S 6.300,- und eine Eingabegebühr in der Höhe von S 2.500,- enthalten. Der mitbeteiligten Partei war der Ersatz der Kosten für die Erstattung ihrer Äußerungen nicht zuzusprechen, da sie zur Rechtsfindung keinen Beitrag leisten konnte (vgl. VfSlg. 10.228/1984).

3. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG 1953 abgesehen.

B. Die Behandlung der Beschwerden, soweit sie sich gegen die Abweisung der Berufungen gegen die Bescheide des Bauausschusses der Bezirksvertretung für den 13. Bezirk vom 6. Oktober 1998 und 7. Dezember 1999, mit denen Abweichungen gemäß §69 Abs1 lita und f iVm §5 Abs4 litp Bauordnung für Wien genehmigt wurden, wenden, wird aus folgenden Gründen abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde in einer nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossenen Angelegenheit ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegenden Beschwerden rügen die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm (Plandokument 6841).

Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber teils nur die Folge einer - allenfalls grob - unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerden aber verfassungsrechtliche Fragen tatsächlich berühren, lässt ihr Vorbringen, das übersieht, dass in einem größeren Teilbereich der Seuttergasse unter Berücksichtigung des an das Baugrundstück angrenzenden Bestandes Bauklasse II, beschränkt auf 10,5 m, festgelegt wurde (bzw. teilweise bereits durch das nicht mehr in Geltung stehende Plandokument 6205 festgelegt worden war), vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zum rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers, Erkenntnisse vom 27. September 2000, B557/98 und vom 28. September 2000, B100/98) die behaupteten Rechtsverletzungen oder die Verletzung eines nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Die Angelegenheit ist auch nicht von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes ausgeschlossen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerden abzusehen (§19 Abs3 Z1 VerfGG 1953).

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