VfGH B78/91

VfGHB78/9128.2.1991

Zurückweisung einer Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt wegen der aufgrund der Einrichtung der unabhängigen Verwaltungssenate gegebenen Unzuständigkeit des VfGH; Anhängigkeit eines solchen Verfahrens vor dem VfGH iSd Übergangsbestimmung der B-VG-Nov 1988 erst mit Einbringung der Beschwerde gegeben

Normen

B-VG-Nov 1988 BGBl 685 ArtIX Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG-Nov 1988 BGBl 685 ArtIX Abs2
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb

 

Spruch:

I. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Der Beschwerdeführer beantragt in seiner - der Sache nach auf Art144 Abs1 B-VG gestützten - Beschwerde die Feststellungen, daß seine Festnahme am 6. Dezember 1990 und die anschließende Anhaltung bis zum 11. Dezember 1990 rechtswidrig waren. Er gab seine Beschwerde am 17. Jänner 1991 zur Post.

2.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF vor dem Bundesverfassungsgesetz vom 29. November 1988 (Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1988), BGBl. 685, erkannte der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fielen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren (VfSlg. 7829/1976, 8145/1977, 8146/1977, 9614/1983, 9770/1983, 9922/1984; VfGH 25.9.1990 B945/90 uam.).

Nach dem Beschwerdevorbringen handelt es sich bei den angefochtenen Verwaltungsakten um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt.

2.2.1. Weder Art144 B-VG idF der Novelle BGBl. 685/1988 noch eine andere Rechtsvorschrift räumt dem Verfassungsgerichtshof die Befugnis ein, über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person zu erkennen. ArtI Z38 der B-VG-Nov. 1988, BGBl. 685, durch den Art144 Abs1 B-VG geändert wurde, trat gemäß ArtX Abs1 Z1 mit 1. Jänner 1991 in Kraft. Seit diesem Zeitpunkt fehlt es dem Verfassungsgerichtshof an der Zuständigkeit zur Entscheidung über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (s. §67 c Abs1 AVG).

2.2.2. Gemäß ArtIX Abs2 B-VG-Nov. 1988 sind allerdings "am 1. Jänner 1991 anhängige Verfahren, die in diesem Bundesverfassungsgesetz geregelte Angelegenheiten betreffen, . . . nach der bisherigen Rechtslage zu Ende zu führen; dies gilt auch für Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof und vor dem Verfassungsgerichtshof." Da die Beschwerde aber erst am 17. Jänner 1991 zur Post gegeben wurde, ist zu prüfen, ob am 1. Jänner 1991 ein "Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof" anhängig war.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 2. Oktober 1989, B720/89, (ebenso VfGH 12.6.1990 B162/90) dargelegt, was unter einem "anhängigen Verfahren" im Sinn des - damals entscheidungsrelevanten - ArtII Abs1 der VStG-Novelle 1987, BGBl. 516, zu verstehen ist. Er führte aus, daß damit lediglich das (eigentliche) Verwaltungsstrafverfahren gemeint sei, nicht jedoch das darauf folgende - davon rechtlich abgehobene -, der Vollstreckung der Strafe dienende behördliche Verfahren. Wesentliches Kriterium ist also, daß das spätere Verfahren vom vorhergehenden "rechtlich abgehoben" ist. Genau das ist aber im Beschwerdefall erfüllt: Das (verfassungsgerichtliche) Verfahren zur Überprüfung von Akten unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ist von jenem "Verfahren", das ausschließlich in der Ausübung dieser Gewalt besteht, rechtlich getrennt (so auch Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate (1991) 271). Das zeigt schon der Text des ArtIX Abs2 der B-VG-Nov. 1988, der von einem "Verfahren . . . vor dem Verfassungsgerichtshof" spricht und damit die Eigenständigkeit dieses Verfahrens deutlich macht. Anhängig im Sinn dieser Bestimmung kann daher - soweit es um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt geht - nur das Beschwerdeverfahren sein (vgl. zum Begriff der Anhängigkeit, der im Verfahrensrecht allgemein eine Rolle spielt, zB auch Fasching, Lehrbuch des österreichischen Zivilprozeßrechts2 (1990) Rz 1173, wonach die Klage mit der Klagseinbringung gerichtsanhängig wird).

Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, daß auch die Materialien zur AVG-Novelle BGBl. 357/1990, mit der ua. Bestimmungen für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten eingefügt wurden, von diesem Verständnis ausgehen: Danach soll es bei Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nicht auf den Zeitpunkt der Setzung des Aktes ankommen, sondern darauf, ob vor dem 1. Jänner 1991 ein Verfahren eingeleitet wurde (1089 BlgNR 17. GP 8).

2.3. Da somit die vom Beschwerdeführer beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Verfassungsgerichtshof als offenbar aussichtslos erscheint, mußte sein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe - als unbegründet - abgewiesen werden (§63 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG 1953).

2.4. Die Beschwerde war wegen Unzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen.

3. Diese Beschlüsse konnten gemäß §72 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VerfGG 1953 bzw. §19 Abs3 Z2 lita VerfGG 1953 ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

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