Normen
StGG Art8 / Verletzung
VStG 1950 §31 Abs3
VStGNov 1987, BGBl 516 ArtII Abs2
StGG Art8 / Verletzung
VStG 1950 §31 Abs3
VStGNov 1987, BGBl 516 ArtII Abs2
Spruch:
Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß ihn Organe der Bundespolizeidirektion Graz am 20. Juni 1989 um 02,10 Uhr festnahmen und bis 16,10 Uhr desselben Tages in Haft hielten, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
Das Land Steiermark ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen des Beschwerdevertreters, die mit S 12.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Die Bundespolizeidirektion Graz erkannte mit Straferkenntnis vom 4. April 1986 den Beschwerdeführer schuldig, dadurch eine Verwaltungsübertretung nach §5 Abs1 StVO 1960 begangen zu haben, daß er am 19. Feber 1986 ein Kraftfahrzeug in alkoholisiertem Zustand gelenkt habe, und verhängte über ihn eine Geldstrafe von 30.000 S (im Fall der Uneinbringlichkeit 42 Tage Arrest) sowie eine (primäre) Arreststrafe von 42 Tagen.
Die Steiermärkische Landesregierung gab der dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung mit Bescheid vom 31. März 1987 teilweise Folge und bemaß die primäre Arreststrafe mit zwei Wochen. Dieser Berufungsbescheid wurde dem Beschwerdeführer am 21. April 1987 zugestellt. Eine Beschwerde an den Verfassungs- oder Verwaltungsgerichtshof wurde nicht erhoben.
b) Dem Beschwerdeführer wurde mehrfach Strafaufschub bewilligt. Mit Schreiben vom 23. Jänner 1989 forderte die Bundespolizeidirektion Graz den Beschwerdeführer auf, die mit 14 Tagen bemessene Freiheitsstrafe binnen einer Woche anzutreten. Er ließ diese Aufforderung unbeachtet.
Daraufhin wurde er über Auftrag der Behörde am 20. Juni 1989 um 02,10 Uhr in Graz von einem Sicherheitswachebeamten festgenommen und ins Polizeigefangenenhaus Graz eingeliefert. Aufgrund eines Enthaftungsantrages wurde er am selben Tag um 16,10 Uhr aus der Haft entlassen.
2. Gegen die Festnahme und die folgende Anhaltung wendet sich die vorliegende, auf Art144 (Abs1 zweiter Satz) B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit behauptet und begehrt wird, diese Rechtsverletzung kostenpflichtig festzustellen, hilfsweise die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.
Der Beschwerdeführer meint, zum Zeitpunkt seiner Festnahme sei bereits Vollstreckungsverjährung eingetreten gewesen.
3. Die Bundespolizeidirektion Graz als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Rechtmäßigkeit der bekämpften Maßnahmen verteidigt. Die Strafvollstreckung sei nicht wegen eingetretener Verjährung unzulässig gewesen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.a) §31 Abs3 VStG 1950 in der zum Zeitpunkt der Erlassung des erst- und des zweitinstanzlichen Bescheides geltenden Fassung, nämlich jener vor der VStG-Novelle 1987, BGBl. 516, sah für die Vollstreckungsverjährung eine Frist von drei Jahren vor; diese Frist war grundsätzlich von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Tätigkeit abgeschlossen worden war oder das strafbare Verhalten aufgehört hatte.
b) Mit der VStG-Nov. 1987 wurde §31 Abs3 dahingehend geändert, daß "eine Strafe nicht mehr vollstreckt werden darf, wenn seit ihrer rechtskräftigen Verhängung drei Jahre vergangen sind".
Dem ArtII Abs1 der VStG-Nov. 1987 zufolge trat dieses Gesetz mit 1. Juli 1988 in Kraft. ArtII Abs2 leg.cit. lautet:
"Im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes anhängige Verfahren sind nach diesem Bundesgesetz weiterzuführen."
2.a) Die hier maßgebende Frage ist, ob Vollstreckungsverjährung eingetreten ist.
Sollte sie nach der Fassung des VStG vor der Nov. 1987 zu beurteilen sein, so hätte die Frist mit 19. Feber 1986 begonnen und mit 19. Feber 1989 geendet; es wäre diesfalls rechtswidrig gewesen, zu einem späteren Zeitpunkt (am 20. Juni 1989) die Arreststrafe zu vollstrecken.
Sollte hingegen der Eintritt der Vollstreckungsverjährung nach §31 Abs3 VStG 1950 idF der Nov. 1987 zu beurteilen sein, so hätte die dreijährige Frist mit 21. April 1987 (Zustellung des Berufungsbescheides) zu laufen begonnen und würde erst mit 21. April 1990 enden; die Arreststrafe hätte also am 20. Juni 1989 noch vollstreckt werden dürfen.
b) Dem ArtII Abs2 der VStG-Novelle 1987 zufolge sind (nur) im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes (1. Juli 1988) anhängige Verfahren nach diesem Bundesgesetz weiterzuführen.
Zu klären ist also, was im gegebenen Zusammenhang unter einem "anhängigen Verfahren" zu verstehen ist. Wortlaut, Sinngehalt und Zusammenhalt mit anderen verfahrensrechtlichen Vorschriften (etwa mit der StPO) lassen erkennen, daß unter dieser Wendung lediglich das (eigentliche) Verwaltungsstrafverfahren (das zur Verhängung einer Strafe bzw. zur Einstellung des Verfahrens führende Verfahren) zu verstehen ist, nicht jedoch das daraufhin folgende - davon rechtlich abgehobene - der Vollstreckung der Strafe dienende behördliche Verfahren.
c) Das bedeutet für den vorliegenden Fall, daß das gegen den Beschwerdeführer durchgeführte Verwaltungsstrafverfahren mit Zustellung des Berufungsbescheides am 21. April 1987 (s.o. I.1.a) abgeschlossen wurde und deshalb am 1. Juli 1988 (Inkrafttreten der VStG-Novelle 1987) nicht mehr anhängig war. Daher waren für das Vollstreckungsverfahren die Bestimmungen vor dem Inkrafttreten der VStG-Novelle 1987 anzuwenden. Das wiederum bedeutet, daß am 19. Feber 1989 Vollstreckungsverjährung eingetreten ist (s.o. II.2.a). Es widersprach mithin dem Gesetz, die über den Beschwerdeführer verhängte Freiheitsstrafe später (am 20. Juni 1989) zu vollstrecken.
Der Beschwerdeführer ist also durch die bekämpften Maßnahmen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den (begehrten) zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von
S 2.000,-- enthalten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
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