VfGH B112/76,B121/77,B241/77,B36/78

VfGHB112/76,B121/77,B241/77,B36/78B112/76,B121/77,B241/77,B36/78B112/76,B121/77,B241/77,B36/78B112/76,B121/77,B241/77,B36/7813.3.1980

Wr. Abgabenordnung; Gleichheitsverletzung nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §149 Abs2 und 3 idF vor Inkrafttreten des Gesetzes LGBl. 28/1978

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
BAO §236 Abs1
BAO §294 Abs1
VfGG §86
WAO §90 Abs3
WAO §146 Abs1
WAO §149 Abs1
WAO §163
WAO §211 Abs1
WAO §228
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
BAO §236 Abs1
BAO §294 Abs1
VfGG §86
WAO §90 Abs3
WAO §146 Abs1
WAO §149 Abs1
WAO §163
WAO §211 Abs1
WAO §228

 

Spruch:

Die Bescheide werden aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Die beschwerdeführenden Unternehmen haben bei der Stadt Wien Erklärungen über die Selbstbemessung von Abgaben eingereicht, die sich in der Folge als zu hoch erwiesen. Sie begehren nunmehr die Berücksichtigung der erfolgten Überzahlung. Ihr Begehren wurde mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden der Abgabenberufungskommission der Stadt Wien abgelehnt.

1. a) Die Beschwerdeführerin E. F. (B112/76) vertreibt Lebensmittel und hat Getränkesteuer zu entrichten. Die für Jänner bis März 1973 überreichten Steuererklärungen wurden bei einer behördlichen Steuerprüfung im August 1974 als überhöht befunden. Hierauf beantragte die Beschwerdeführerin die Erstattung eines Betrages von 628,80 S zuzüglich 171,65 S für Eigenverbrauch und Schwund. Der Antrag wurde unter Hinweis auf §149 Abs2 WAO abgewiesen. Die Berufung blieb erfolglos.

b) Die beschwerdeführende Gesellschaft mbH (B121/77) führt in Wien eine Kette von Restaurants, aus deren Betrieb sie Vergnügungssteuer schuldet. Nach Darstellung der Beschwerde wird über Ersuchen des Magistrats die Abrechnung nicht in einer einzigen Erklärung, sondern nach Filialen getrennt abgegeben, weil es sich bei den meisten Betrieben um Pachtbetriebe handelt, für die verschiedene weitere Personen haften. 1976 fand eine Revision durch den Magistrat für das Jahr 1974 statt, bei der sich in einigen Filialbetrieben Nachforderungen von zusammen 70527 S ergaben, im Betrieb K-straße aber infolge Einbeziehung nicht steuerpflichtiger Umsätze eine Überzahlung von 38444 Schilling festgestellt wurde.

Die nach Auffassung des Magistrates versäumten Erklärungen wurden über Aufforderung nachgeholt, wobei die beschwerdeführende Gesellschaft die Rückerstattung der Überzahlung und eine bescheidmäßige Feststellung der Abgabenschuld durch den Magistrat begehrte. Die gegen die Abweisung dieses Antrags erhobene Berufung hatte keinen Erfolg.

c) Die beschwerdeführende Aktiengesellschaft (B241/77) ist Eigentümerin mehrerer Tankstellen- und Servicestationen in Wien, zu deren Betrieb ihr die Erlaubnis zum Gebrauche von Gemeindegrund erteilt wurde. Die hiefür zu entrichtende Gebrauchsabgabe wird nach dem Inhalt der Beschwerde vereinbarungsgemäß in monatlichen Abschlagszahlungen geleistet, denen jährliche Erklärungen folgen. Bemessungsgrundlage war für die Betriebsmittel der angeschlagene Verkaufspreis und für sonstige Artikel der Bruttoverkaufspreis. In den Jahren 1973 und 1974 wurde in Unkenntnis der Novellierung des Gebrauchsabgabegesetzes (mit welcher der Bestimmung des §13 Abs3 Finanzausgleichsgesetz Rechnung getragen wurde) die Abgabe weiter vom Bruttoverkaufspreis einschließlich der Umsatzsteuer errechnet; so wurden 886222 S zu viel abgeführt. Die letzte auf diesen Zeitraum bezogene Erklärung war am 15. April 1975 beim Magistrat eingelangt.

1976 beantragte die Gesellschaft die Rückzahlung dieses Betrages oder seine Verrechnung auf andere Abgabenschulden. Auch dieser Antrag wurde abgewiesen.

Einem in der Folge gestellten Antrag um Nachsicht der Abgabenschuldigkeit hat der Magistrat der Stadt Wien mit Berufungsvorentscheidung vom 24. April 1979 stattgegeben.

d) Die Beschwerdeführerin J. D. (B36/78) ist Inhaberin eines Süßwarengeschäftes mit einer Espresso-Bar. Die für die Zeit vom Feber 1975 bis Oktober 1976 abgegebenen Erklärungen zur Getränkesteuer erwiesen sich anläßlich einer Überprüfung durch den Revisionsbeamten am 23. November 1976 als um 256,40 S zu hoch. Am 17. Jänner 1977 ersuchte sie um einen "Abrechnungsbescheid"; das Begehren um Rückerstattung wurde jedoch abgewiesen.

2. Die Abgabenberufungskommission hat die Abweisung der Berufungen im wesentlichen auf §149 der Wr. Abgabenordnung, LGBl. 21/1962 (WAO), gestützt. Diese Bestimmung lautete in der hier maßgeblichen Stammfassung vor dem Inkrafttreten der Nov. LGBl. 28/1978 (also vor Ablauf des 29. September 1978):

"(1) Wenn die Abgabenvorschriften die Selbstbemessung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen ohne abgabenbehördliche Festsetzung der Abgabe zulassen, gilt die Abgbe durch die Einreichung der Erklärung über die Selbstbemessung festgesetzt.

(2) Der Abgabepflichtige ist jedoch berechtigt, in den Fällen, in denen die Selbstbemessung zu hoch ist, die Erklärung innerhalb eines Monates ab deren Einreichung zu berichtigen. In der Erklärung unterlaufene Schreib- und Rechenfehler oder andere offenbar auf einem ähnlichen Versehen beruhende tatsächliche Unrichtigkeiten können jedoch vom Abgabepflichtigen innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Einreichung der Erklärung berichtigt werden.

(3) Die Abgabebehörde hat die Abgabe mit Bescheid festzusetzen, wenn der Abgabepflichtige die Einreichung der Erklärung unterläßt oder wenn sich die Erklärung als unvollständig oder die Selbstbemessung als zu niedrig erweist. Von der bescheidmäßigen Festsetzung ist abzusehen, wenn der Abgabepflichtige nachträglich die Mängel behebt."

Die beschwerdeführenden Parteien bekämpfen die Berufungsbescheide in erster Linie mit der Behauptung, §149 WAO sei verfassungswidrig. Es sei unsachlich und verstoße gegen den Gleichheitssatz, wenn die Behörde die Abgabe zwar bei zu niedriger, nicht aber bei zu hoher Selbstbemessung mit Bescheid festzusetzen habe.

II. Aus Anlaß dieser Beschwerdeverfahren hat der VfGH von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §149 Abs2 und 3 WAO eingeleitet. Mit Erk. vom 30. Jänner 1980, G107/78, 49/79, hat er festgestellt, daß die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz verfassungswidrig war, und ausgesprochen, daß sie nicht mehr anzuwenden ist.

Vom Ergebnis dieses Gesetzesprüfungsverfahrens ist nunmehr bei Beurteilung der Anlaßbeschwerdefälle auszugehen.

Die im Gesetzesprüfungsverfahren offengelassene Frage, ob der im Anlaßfall B241/77 ergangene Nachsichtsbescheid als Klaglosstellung gewertet werden kann, ist zu verneinen, weil dieser Bescheid aus den Gründen des §228 WAO abgeändert oder zurückgenommen werden kann und der angefochtene Bescheid damit wieder wirksam würde. Auch dieses Beschwerdeverfahren ist daher in der Sache zu erledigen.

III. Die Beschwerden sind begründet:

1. Der VfGH hat die angefochtenen Bescheide grundsätzlich nach der im Zeitpunkt ihrer Erlassung bestehenden Rechtslage zu beurteilen. Die erst nach diesem Zeitpunkt in Kraft getretene Fassung der Nov. LGBl. 28/1978 hat daher außer Betracht zu bleiben. Daraus folgt, daß §149 WAO der Entscheidung ohne die infolge des Erk. G107/78, 49/79 unanwendbar gewordenen Abs2 und 3 zugrunde zu legen ist und an deren Stelle nicht etwa die novellierte Fassung tritt.

§149 WAO spricht sonach nur aus, daß die Abgabe durch die Einreichung der Erklärung über die zugelassene Selbstbemessung festgesetzt gilt.

Darüber hinaus ist aber §146 Abs1 WAO zu beachten; er bestimmt:

"Soweit die Abgabenvorschriften nichts anderes zulassen, hat die Abgabenbehörde die Abgaben durch Abgabenbescheide festzusetzen."

In ihrem Zusammenhalt ergeben diese beiden Vorschriften die Pflicht der Abgabenbehörde, die zugelassene Selbstbemessung durch den Steuerpflichtigen zu überprüfen und - soweit sie es wegen deren Unrichtigkeit nicht bei der Selbstbemessung bewenden lassen kann - die Abgabe durch Bescheid richtig festzusetzen. Sie hat dabei iS des §90 Abs3 WAO die Angaben der Abgabepflichtigen und amtsbekannte Umstände auch zugunsten der Abgabepflichtigen zu prüfen und zu würdigen. Auf einen solchen Bescheid muß der Abgabepflichtige mangels gegenteiliger Anordnung jedenfalls dann Anspruch haben, wenn über die Richtigkeit der Selbstbemessung eine Meinungsverschiedenheit besteht (vgl. etwa §163 WAO).

2. In den vorliegenden Beschwerdefällen hat die Abgabenbehörde erster Instanz im Zuge von Steuerprüfungen festgestellt, daß die Selbstbemessungen zu hoch waren. Die bescheidmäßige Feststellung dieses Umstandes und Gutschrift oder Rückzahlung der Unterschiedsbeträge wurde nur deshalb verweigert, weil die als gleichheitswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung der Erlassung eines berichtigenden Bescheides entgegenstand.

Die Beschwerdeführer wurden daher durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsrecht verletzt.

Die Bescheide sind daher aufzuheben. Ob die Beschwerdeführerin zu B36/78 auf die Rückerstattung des Differenzbetrages verzichtet hat und wie dieser Verzicht zu beurteilen ist, wird die Behörde noch zu prüfen haben.

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