OLG Wien 10Rs118/06f

OLG Wien10Rs118/06f23.8.2006

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr.Dragostinoff als Vorsitzenden sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichtes Dr. Ciresa und Mag.Schredl in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr.***** als Sachwalter, dieser vertreten durch Dr.*****, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei M*****, wegen Pflegegeld, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 11.7.2006, 24 Cgs 150/06h-3, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos aufgehoben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Text

Begründung

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 15.2.2006 wurde Notar Dr.***** gem. § 273 ABGB für den am 16.7.1987 geborenen Kläger zum Sachwalter bestellt und mit der Vertretung des Klägers vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern, der Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten und der Vertretung bei Rechtsgeschäften, die über das tägliche Leben hinausgehen, betraut. Mit dem dem Sachwalter zugestellten Bescheid vom 25.4.2006 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 22.9.2005 auf Gewährung von Pflegegeld ab.

Mit der am 30.6.2006 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrt der Kläger, vertreten durch seinen Sachwalter, die Zuerkennung eines Pflegegeldes zumindest der Stufe 1 ab Antragstellung. Bereits mit der Klage legte der Kläger einen Beschluss des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 21.6.2006, 1 P 109/06g-36 vor, womit der Antrag des Sachwalters auf sachwalterschaftsgerichtliche Genehmigung der gegenständlichen Klage mit der Begründung abgewiesen wurde, dass für die gegenständliche Klagsführung, aus der dem Kläger weder ein Prozesskostenrisiko noch ein Honoraranspruch des vertretenden Sachwalters außerhalb dessen allgemeinen Entgeltanspruches drohe, eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung nicht erforderlich sei. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft (ON 2).

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht die Klage zurück. Unter Verweis auf die Entscheidung des OLG Wien vom 10.11.2005, 8Rs 137/05h führte das Erstgericht aus, dass eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Klagsführung durch den Sachwalter erforderlich sei, da der Sachwalter als gesetzlicher Vertreter des Betroffenen einen Rechtsanwalt mit der Prozessführung beauftragen könnte, wodurch diesem Honoraransprüche gegen den Betroffenen entstehen würden. Da das zuständige Pflegschaftsgericht den Antrag auf Genehmigung der Klagsführung abgewiesen habe, sei die Klage zurückzuweisen gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Klägers aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben und dem Erstgericht die Durchführung des Verfahrens aufzutragen.

Der beklagten Partei wurde die Klage noch nicht zugestellt. Mangels Streitanhängigkeit hat das Erstgericht daher den Rekurs ohne Zustellung einer Gleichschrift an die beklagte Partei vorgelegt (§521a Abs. 1 Z 3 ZPO).

Der Rekurs ist im Ergebnis berechtigt.

Der Rekurswerber bringt vor, dass der vom Erstgericht herangezogenen Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen sei und die Entscheidung deshalb keine Bindungswirkung entfalte. Das Erstgericht sei vielmehr an die rechtskräftige Entscheidung des Sachwalterschaftsgerichtes gebunden, wonach für die gegenständliche Klage überhaupt keine Genehmigungspflicht bestehe. Hypothetische Überlegungen zu einer allfälligen Kostenersatzpflicht des Klägers seien daher gar nicht mehr anzustellen.

Wie bereits in der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien, 10 Rs 55/06s ausgeführt, ist dazu Folgendes zu erwägen:

Gemäß § 154 Abs. 3 ABGB bedürfen Vertretungshandlungen und Einwilligungen eines Elternteils in Vermögensangelegenheiten zu ihrer Rechtswirksamkeit der Zustimmung des anderen Elternteils und der Genehmigung des Gerichtes, sofern die Vermögensangelegenheit nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört. Unter dieser Voraussetzung gehören dazu insbesondere unter anderem die Erhebung einer Klage und alle verfahrensrechtlichen Verfügungen, die den Verfahrensgegenstand an sich betreffen (§ 154 Abs. 3 zweiter Satz ABGB). Diese Bestimmung gilt gleichermaßen für die Rechte und Pflichten des (einstweiligen) Sachwalters (§ 282 ABGB). Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach entschieden, dass bei minderjährigen Klägern in einer Sozialrechtssache nach § 65 Abs. 1 Z 1 ASGG eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Klagsführung nicht erforderlich sei (RIS-Justiz RS0107440). Als wesentliches Argument wird dabei gesehen, dass zufolge der besonderen Kostentragungsvorschriften nach § 77 Abs. 1 Z1 und § 80 ASGG ein minderjähriger Kläger auch im Falle des Prozessverlustes nicht mit Prozesskosten belastet sei. Wenn dies auch für die Anwaltskosten eines auf Klägerseite tätig werdenden Rechtsanwaltes gelte, etwa weil sich dieser von Anfang an ausdrücklich als Vertreter des Elternteils und nicht des Minderjährigen selbst deklariert, sodass auch bloß dem Elternteil gegenüber ein Honoraranspruch zu erwarten wäre, so bedürfe es auch keiner ansonsten erforderlichen Vorwegbeurteilung der Erfolgsaussichten des vom Minderjährigen angestrengten Rechtsstreites und demnach keiner Klagsgenehmigung, um diesen vor eventuellen Prozessnachteilen zu bewahren. Diese Rechtsauffassung fand in der Literatur mehrfach Zustimmung (Gitschthaler, Prozess- und Verfahrensfähigkeit minderjähriger und besachwalteter Personen, RZ 2003, 175 ff; Greifeneder/Liebhart, Pflegegeld [2004] Rz 503). In Bezug auf besachwalterte Personen gibt es mehrere oberstgerichtliche Entscheidungen, in welchen die Erforderlichkeit einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung einer Klage auch in einer Sozialrechtssache ausgesprochen wurde (10 ObS 214/02x, 10 ObS 106/04t = RIS-Justiz RS0048207). Unter Bezugnahme auf diese Entscheidungen sowie auf Grund möglicher Honoraransprüche eines Rechtsanwaltes gegen den Betroffenen hat das Oberlandesgericht Wien zu 8 Rs 137/05h die Genehmigungspflicht einer von einem Notar als Sachwalter eingebrachten Klage in einer Sozialrechtssache bejaht. Dennoch ist die Frage, ob die gegenständliche Klage einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf, hier nicht näher zu erörtern und ist die Schlussfolgerung des Erstgerichts, mangels pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung sei die Klage zurückzuweisen, unzutreffend.

Gemäß § 7 Abs. 1 ZPO hat das Prozessgericht bei einem nicht beseitigten Mangel der Prozessfähigkeit, der gesetzlichen Vertretung oder der Ermächtigung zur Prozessführung die Nichtigkeit des von dem Mangel betroffenen Verfahrens durch Beschluss auszusprechen. Gemäß Abs. 2 der zitierten Bestimmung kann dieser Ausspruch jedoch nicht erfolgen, "wenn demselben in Ansehung des Grundes der Nichtigkeit eine von demselben oder von einem anderen inländischen Gerichte gefällte, noch bindende Entscheidung entgegensteht". Eine solche bindende Vorentscheidung liegt im gegenständlichen Fall vor. Die Entscheidung des Pflegschaftsgerichts erfolgte über das Erfordernis einer pflegschaftsgerichtlichen Genehmigung, somit in Ansehung des vom Prozessgericht wahrgenommenen Nichtigkeitsgrundes. Die Entscheidung ist formell rechtskräftig und sind keine Anzeichen für eine missbräuchliche Herbeiführung der Vorentscheidung erkennbar (Schubert in Fasching/Konecny² II/1, Rz 10 bis 13 zu § 7 ZPO ; RIS-Justiz RS0035572). Insbesondere wurde auch schon oberstgerichtlich entschieden, dass die Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes, ein Elternteil bedürfe zur Führung bestimmter Rechtsstreitigkeiten keiner pflegschaftsbehördlichen Genehmigung, den Prozessrichter bindet (OGH 27. 3.1957, JBl 1957/619 = Dittrich/Tades, ABGB36 [2003] § 154 E 195).

Letztlich ist auch festzuhalten, dass die Zurückweisung der gegenständlichen Klage bei rechtskräftig erfolgter Abweisung des Antrages auf pflegschaftsgerichtliche Genehmigung, welche Entscheidung inhaltlich eine Zurückweisung des Antrages mangels erforderlicher pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung ohne Befassung in der Sache darstellt, im Ergebnis dem Kläger den Zugang zum Recht, nämlich zu einer Klage auf Zuerkennung eines Pflegegeldes, verwehren würde.

Der angefochtene Beschluss war daher ersatzlos aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

Eine Entscheidung über die Kosten des Rekurses entfällt, weil Kosten nicht verzeichnet wurden.

Auf Grund der dargestellten eindeutigen Rechtslage war der ordentliche Revisionsrekurs gemäß §§ 2 ASGG, 528 Abs. 1 ZPO nicht zuzulassen.

Oberlandesgericht Wien

1016 Wien, Schmerlingplatz 11

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte