European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0110OS00106.25K.1007.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * C* jeweils eines Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (A/I/), der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB (A/II/1/a/) und nach §§ 15, 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB (A/II/1/b/), der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (A/II/2/), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (A/III/), des Diebstahls nach § 127 StGB (A/IV/), und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (B/) schuldig erkannt.
[2] Weiters ordnete das Erstgericht aus Anlass der zu A/I/, A/II/1/ und A/III/ angeführten Taten die Unterbringung des Genannten in einem forensisch‑therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB an.
[3] Danach hat * C* in W*
A/ am 27. Dezember 2024
I/ die Polizeibeamtinnen Mag. * T* und * S* mit Gewalt und durch gefährliche Drohung an einer Amtshandlung, nämlich seiner Identitätsfeststellung und letztlich seiner Festnahme zu hindern versucht (§ 15 StGB), indem er ihnen androhte: „Ich verschwinde jetzt, sonst gibt es ein Blutbad.“ „Lasst mich sofort gehen oder ihr seid fällig. Ich mache jetzt keinen Spaß mehr. Ihr seid Arschlöcher, ich tue überhaupt nichts was ihr mir sagt. Wenn ihr mich jetzt nicht gehen lasst, werdet ihr es bereuen. Euch mache ich fertig“, schnaufte und die Fäuste in Richtung der Beamtinnen ballte, gegen die Beamtinnen trat und auf sie einschlug sowie spuckte und Mag. T* mehrmals heftig in den Bereich des inneren linken Oberschenkels sowie des Genitalbereichs zwickte und neuerlich androhte: „So, ich zähle jetzt von 10 rückwärts, wenn ihr mich dann nicht los lasst, seid ihr dran. Ich schlage euch die Fressen ein. Ich nehme mich dann nicht mehr zurück und eskaliere völlig“;
II/ Nachgenannte vorsätzlich am Körper verletzt und zu verletzen versucht (§ 15 StGB), nämlich
1/ Beamtinnen während der Vollziehung ihrer Aufgaben durch die zu A/I/ geschilderte Gewalt und zwar
a/ Mag. * T*, welche eine Verstauchung der linken Hand und des linken Ellenbogens sowie am rechten Oberschenkel zwei Blutergüsse (Durchmesser ca 1 cm) erlitt;
b/ * S*, welche nicht verletzt wurde;
2/ * J*, indem er mit einem Stock auf dessen linken Ellenbogen schlug, ihm mehrfach mit der Faust ins Gesicht und auf den Oberkörper schlug, ihm mit dem Fuß gegen die linke Kniescheibe trat und in sein rechtes Ohr biss, wodurch der Genannte einige Kratzer am rechten Ohr und im Gesicht sowie Prellungen im Gesicht, auf der Brust und im linken Kniebereich erlitt;
III/ * J* gefährlich mit dem Tod bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er zu ihm sagte „Ich bringe dich heute um, Hurensohn, Arschloch, Teufelkind“ und ihm dabei eine Holzstange mit einem befestigten Messer (US 4: mit einer Klingenlänge von ca elf Zentimetern) als eine Art Speer entgegenhielt;
IV/ * J* eine fremde bewegliche Sache, nämlich ein näher beschriebenes Mobiltelefon mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen, indem er das Handy aus der Bauchtasche des Genannten nahm und einsteckte;
B/ am 15. November 2024 * M* und * C* mit zumindest einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht, um sie ihn Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er zu ihnen sinngemäß sagte, dass er ihnen Schläge versetzen werde.
Rechtliche Beurteilung
[4] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 1a, 4 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[5] Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nach Z 1a liegt vor, wenn der Angeklagte nicht während der ganzen Hauptverhandlung durch einen Verteidiger vertreten war, obwohl dies zwingend vorgeschrieben war. Nur darauf, nicht auf den Akt der Bevollmächtigung oder Bestellung kommt es an, sodass in dieser Hinsicht behauptete Mängel ohne Bedeutung sind (RIS-Justiz RS0126676, RS0099304). Auch das Bestehen eines Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und dem ihm beigegebenen Verfahrenshilfeverteidiger (§§ 61 Abs 2, 62 StPO) oder dessen Substituten (§ 14 RAO; RIS-Justiz RS0019399) gehört nicht zu den Erfordernissen einer verfahrensrechtlichen Vertretung iSd § 281 Abs 1 Z 1a StPO (RIS-Justiz RS0098070).
[6] Demgemäß spricht die Beschwerde mit der Behauptung, der Angeklagte sei mit dem Einschreiten des Substituten (ON 1.8; ON 15) des von ihm gleichfalls abgelehnten Verfahrenshilfeverteidigers (ON 1.4; ON 12; ON 14) nicht einverstanden gewesen, keinen für die Beurteilung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes maßgebenden Umstand an.
[7] Ebensowenig vermögen die bloße Erstattung von unsubstantiierten Anzeigen des Angeklagten gegen den erwähnten Substituten „wegen der Verletzung seiner durch die europäischen Menschenrechtskonvention geschützten Rechte“, wegen „ua Eidbruch / Verstoß § 58 StPO / Behinderung der Justiz / vors. Verdunkelungsgefahr / Körperverletzung / Menschenrechtsverletzung etc“ und wegen „Durchwinkens“ eines „illegalerweise eingebrachten“ „menschenverachtenden Gutachtens“ (ON 31 S 2; ON 35 S 5; ON 36 S 1; ON 37.2 S 5; ON 50.1 S 3 ff) oder der Umstand, dass der Beschwerdeführer den ihm vom Gericht für das gesamte Verfahren beigegebenen Verteidiger (§ 61 Abs 2 StPO) nicht hatte frei auswählen können, Nichtigkeit nach Z 1a zu bewirken. Substantiiertes Vorbringen zu die Effektivität der Verteidigung in Frage stellenden Umständen oder falschem oder fehlerhaftem Verhalten des Verteidigers oder seines Substituten wird (und wurde) nicht erstattet (vgl auch RIS-Justiz RS0116665), die bloße Forderung nach einem „adäquaten“ und „vertrauenswürdigen Rechtsbehelf“ genügt hiefür jedenfalls nicht.
[8] Bleibt im Übrigen anzumerken, dass sich das vom Angeklagten während des Verfahrens wiederholt (ON 19 S 2; ON 29 S 3; ON 31 S 1; ON 35 S 3, 5; ON 36 S 1; ON 39; ON 50.1 S 3 ff) ins Treffen geführte Recht auf freie Verteidigerwahl (vgl § 49 Abs 1 Z 2 erster Fall und § 58 StPO) auf einen vom Beschuldigten (Angeklagten) selbst durch zivilrechtliche Vereinbarung bevollmächtigten (und nach dieser Vereinbarung zu honorierenden) Verteidiger bezieht und das durch Art 6 Abs 3 lit c MRK garantierte Recht, den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten, nicht absoluter Natur ist, sondern durch das Recht des Staats beschränkt ist, das Auftreten von Verteidigern vor den Gerichten gesetzlich zu regeln (RIS‑Justiz RS0117602). Aus dem Recht auf Beigebung eines Verteidigers erwächst jedenfalls kein subjektives Recht auf Bestellung (oder Abbestellung) eines bestimmten Anwalts (Soyer/Schumann, WK-StPO § 62 Rz 14). Eine durch zivilrechtliche Vereinbarung erfolgte Bevollmächtigung eines Verteidigers iSd § 49 Abs 1 Z 2 erster Fall und § 58 StPO ist nicht aktenkundig (vgl auch § 58 Abs 2 StPO; Soyer/Schumann, WK-StPO § 58 Rz 13 f, 19, 24 ff). Die vom Beschwerdeführer wiederholt als Wunsch- und Wahlverteidigerin genannte Rechtsanwältin Dr. W* hat vielmehr bekanntgegeben, für eine Verteidigung des Genannten nicht zur Verfügung zu stehen (ON 1.37; ON 38.2).
[9] Der Verfahrensrüge (Z 4 und Z 4 iVm Z 11 erster Fall) zuwider wurden durch die Abweisung (ON 50.1 S 28 f) des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Ausschluss (Enthebung) des zur Beurteilung der Kriterien der §§ 11 und 21 StGB bestellten psychiatrischen Sachverständigen Verteidigungsrechte nicht geschmälert. Der Antrag wurde damit begründet, dass der Angeklagte gegen den Sachverständigen (erkennbar im Hinblick auf die Erstattung eines aus Sicht des Angeklagten „illegalen“, „menschenverachtenden“ und „die Unschuldsvermutung verletzenden“ [ON 50.1 S 3 ff] Aktengutachtens in der gegenständlichen Strafsache [ON 28.2 S 23]) eine Strafanzeige (ON 35 S 4 f; ON 37.2 S 3: „wegen Amtsmissbrauch, Korruption, Bestechlichkeit, Eidbruch, Verstoß EU-Rechte, Behinderung d. Justiz, Hasskriminalität, Absprachen zu Straftaten, vors. Körperverletzung, Korruption, schwere Verleumdung etc“) eingebracht habe (ON 50.1 S 27 f), woraus sich (zumindest) der Anschein von Befangenheit des abgelehnten Experten ergebe (§ 126 Abs 4 StPO iVm § 47 Abs 1 Z 3 StPO).
[10] Der Aktenlage zufolge hatte der Angeklagte bei drei Versuchen des schon im Ermittlungsverfahren beigezogenen Sachverständigen, eine persönliche Untersuchung des Angeklagten vorzunehmen, eine solche mit der Begründung abgelehnt, er habe noch nicht seine gewünschte „Wahlverteidigerin“ Dr. W* zugewiesen bekommen, weshalb der Sachverständige gezwungen war, dem Auftrag zur Gutachtenserstattung (ON 16) zunächst durch ein als solches deklariertes (schriftliches) Aktengutachten nachzukommen, welches er in der Folge – nach Abweisung des in Rede stehenden Antrags durch das Schöffengericht – aufgrund des in der Hauptverhandlung vom Angeklagten gewonnenen persönlichen Eindrucks mündlich ergänzte (ON 1.21; ON 1.24; ON 28 S 14 und ON 50.1 S 28 ff).
[11] Allein aus dem Umstand der Erstellung eines Aktengutachtens oder einer – wie hier substratlosen – Anzeigenerstattung durch den Angeklagten ergeben sich bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, die volle Unvoreingenommenheit des auch in der Hauptverhandlung beigezogenen Sachverständigen, der vor den in Rede stehenden Vorgängen noch nie Kontakt mit dem Angeklagten gehabt hatte und sich im Übrigen auch selbst wegen der Anzeigenerstattung in keiner Weise befangen fühlte (ON 50.1 S 28), in Zweifel zu ziehen (vgl RIS‑Justiz RS0124799; RS0096989 [T2]). Die Abweisung des Enthebungsantrags erfolgte somit zu Recht.
[12] Soweit die Beschwerde die Begründung des abweisenden Beschlusses releviert, entfernt sie sich vom Prüfungsmaßstab des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0116749 [T9]).
[13] Mit beweiswürdigenden Überlegungen zum Verhalten des Angeklagten und der Zeugen im jeweiligen Tatzeitpunkt, zur Weigerung des Beschwerdeführers, sich im Verfahren zu den Vorwürfen zu äußern, sowie zum Fehlen von objektiven Beweisen (wie Videos) gelingt es der Beschwerde (Z 5a) nicht, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen zu erwecken. Ebensowenig wird mit der Berufung auf den Zweifelsgrundsatz („im Zweifel lag zumindest eine gerechtfertigte Putativnotwehr des Angeklagten vor“) Nichtigkeit im Sinn der Z 5a dargetan (RIS‑Justiz RS0102162).
[14] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).
[15] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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