European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140OS00040.24Z.1008.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Amtsdelikte/Korruption
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * A* von der wider ihn erhobenen Anklage (ON 36) gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen,er habe am 7. Mai 2023 in W* als Polizeibeamter mit dem Vorsatz, dadurch * S* an seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er in exzessivem, gemäß § 9 iVm § 2 Waffengebrauchsgesetz (WaffenGG) nicht gerechtfertigtem Ausmaß zur Durchsetzung der Identitätsfeststellung des bereits zu Boden gebrachten und fixierten Genannten dessen Kopf zweimal heftig gegen den Boden schlug, wodurch dieser eine blutende Rissquetschwunde oberhalb des rechten Auges erlitt.
Rechtliche Beurteilung
[2] Die dagegen erhobene, auf § 281 Abs 1 Z 1 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verfehlt ihr Ziel.
[3] Die Besetzungsrüge (Z 1) behauptet die Ausgeschlossenheit des Vorsitzenden des Schöffengerichts infolge Befangenheit nach § 43 Abs 1 Z 3 StPO, welche sich „aus dem Gesamtbild seiner Verhandlungsführung“ ergebe. Der Vorsitzende habe nach Einbringung der Anklage der zuständigen Staatsanwältin zunächst telefonisch mitgeteilt, dass die in der Anklageschrift beantragten Zeugen aus seiner Sicht nicht erforderlich seien, davon abweichend aber einen Großteil dieser (in der Nichtigkeitsbeschwerde namentlich angeführten) Zeugen dennoch zur Hauptverhandlung am 22. Jänner 2024 geladen. Er habe aufgrund eines zur Vorbereitung der Hauptverhandlung gestellten, nicht den Kriterien des § 55 Abs 1 StPO entsprechenden Beweisantrags des Angeklagten * T* als Zeugen zur Hauptverhandlung geladen, nicht jedoch die von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift beantragten Zeugen * G*, Mag. * Ar* und * B*. Den von der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung am 22. Jänner 2024 gestellten Antrag auf Vernehmung des zuletzt genannten Zeugen habe der Schöffensenat zunächst mit der Begründung abgewiesen, es sei „einfach nicht zu sehen“, inwieweit der Zeuge über das von ihm bereits zur Verfügung gestellte Video hinaus Wahrnehmung äußern könnte (ON 47, 64 ff). Wenige Minuten später habe der Vorsitzende mitgeteilt, dass er den Zeugen doch laden werde, da die Hauptverhandlung zur neuerlichen Ladung einer anderen Zeugin ohnehin zu vertagen sei (ON 47 S 69). Zur von der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung am 22. Jänner 2024 beantragten (neuerlichen) Ladung der Zeugin * M*, welche zuvor vom Vorsitzenden zur Hauptverhandlung geladen worden war, jedoch krankheitsbedingt nicht erschienen sei, habe der Vorsitzende die Sitzungsvertreterin gefragt, was sie sich von der persönlichen Vernehmung der Zeugin erwarte, „dass sie sich erinnert, dass sie vielleicht doch was gesehen hat, wie das passiert ist?“ (ON 47 S 68). Erst nach weiterem Vorbringen der Sitzungsvertreterin und des Privatbeteiligten-vertreters habe der Vorsitzende dem Beweisantrag Folge gegeben. Schließlich habe die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft bei der Urteilsverkündung bemerkt, dass der Vorsitzende das Urteil „offenkundig“ – und durch die Art des Vortrags der druckreif formulierten und ausführliche rechtliche Erwägungen enthaltenden Urteilsbegründung bestätigt – von ausgedruckten Seiten ablese, wobei die Urteilsbegründung „keinen nennenswerten Bezug“ auf in der Verhandlung am 21. Februar 2024 vorgekommene Beweisergebnisse genommen habe. Auf entsprechende Nachfrage der Sitzungsvertreterin und deren Hinweis darauf, dass ein allenfalls „vorgefertigtes“ Urteil zum Akt zu nehmen sei, habe der Vorsitzende erklärt, es sei „nicht in Ihrer Zuständigkeit“, wie er seine Urteilsbegründung mache und sie wisse nicht, ob er nicht verschiedene Urteilsvarianten vorgeschrieben habe (ON 52.1, 30). Weiters habe der Vorsitzende auf die Vermutung der Sitzungsvertreterin, „dass hier ein bereits fix und fertiges Urteil vorliege“, gemeint, eine Nichtigkeit könne schon aus dem Grund nicht vorliegen, da entgegen der Ansicht des Vorsitzenden ein Schuldspruch nicht erfolgen könne (ON 52.1, 31). In einer anschließenden – in der Beschwerde jedoch unvollständig wiedergegebenen – schriftlichen Stellungnahme habe der Vorsitzende ausgeführt, er habe (zu ergänzen [vgl ON 55 {siehe zu dieser Vorgangsweise Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 97}]: „im Rahmen einer gewissenhaften Vorbereitung auf den zweiten Prozesstag“) einen schriftlichen Begründungsentwurf erstellt, der zum einen faktische und rechtliche Ausführungen, (zu ergänzen:) „die bei einer sorgfältigen Urteilsbegründung unabhängig vom Ergebnis jedenfalls anzubringen waren“, zum anderen variable Textbausteine enthalten habe, die beliebig entfernt, ausgetauscht, modifiziert oder ergänzt werden konnten. Angesichts dieser Stellungnahme dränge sich die Frage auf, warum der Vorsitzende seinen „Urteilsausdruck“ trotz entsprechenden Vorbringens der Sitzungsvertreterin nicht zum Akt habe nehmen wollen, was wiederum – mit Blick auf seine Berufung auf § 41 Abs 1 letzter Satz StPO – den Schluss nahelege, „dass der Vorsitzende mit seiner bereits vor der Hauptverhandlung am 21. Februar 2024 gefassten und unabänderlichen Ansicht eines Freispruchs für den Angeklagten in die Schöffenberatung gegangen“ sei.
[4] Voranzustellen ist, dass nicht schon der Umstand, dass sich ein Richter vor der Entscheidung eine Meinung über den Fall gebildet hat, sondern erst die begründet erscheinende Annahme, er wäre auch angesichts allfälliger gegenteiliger Verfahrensergebnisse nicht gewillt, von dieser abzugehen, dessen Ausschließung nach sich zieht (RIS‑Justiz RS0096733). Dass ein Richter das Urteil anhand eines Entscheidungsentwurfs verkündet hat, begründet daher für sich allein nicht seine Ausgeschlossenheit im Sinn des § 43 Abs 1 Z 3 StPO (RIS‑Justiz RS0097011).
[5] Auch im vorliegenden Fall lässt der Umstand, dass der Vorsitzende das Urteil sowie die wesentlichen Gründe anhand schriftlicher Vorbereitung verkündet hat, per se nicht den Schluss zu, er wäre nicht bereit gewesen, einen im Vorfeld anhand der eigenen Meinung erstellten Entwurf den Ergebnissen der Hauptverhandlung und der Urteilsberatung entsprechend anzupassen oder abzuändern.
[6] Selbst unter Berücksichtigung der weiteren von der Beschwerdeführerin aufgezeigten Vorgänge, nämlich der Art der Vorbereitung der Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden und dessen Umgang mit Beweisanträgen vor und in der Hauptverhandlung (jeweils unter Miteinbeziehung der von der Rüge kritisierten Äußerungen des Vorsitzenden und der konkreten Begleitumstände) liegen keine Gründe vor, die geeignet gewesen wären, die volle Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Vorsitzenden in Zweifel zu ziehen (RIS‑Justiz RS0096914 [T3, T30]). Bleibt anzumerken, dass dieser den in der Rüge angeführten Anträgen der Beschwerdeführerin auf Ladung der Zeugen B* und M* letztlich ohnehin gefolgt ist und sich dabei teilweise sogar ausdrücklich von der Argumentation der Staatsanwaltschaft und des Privatbeteiligtenvertreters umstimmen ließ (ON 47, 69).
[7] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) strebt – abweichend von der auf § 302 Abs 1 StGB gerichteten Anklage – eine Verurteilung des Angeklagten wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB an, indem sie (unter Geltendmachung von Feststellungsmängeln) behauptet, das Schöffengericht hätte bei rechtsrichtiger Beurteilung des festgestellten Sachverhalts das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes verneinen müssen, weil die vom Angeklagten konkret angewendete Körperkraft aufgrund der „physischen Übermacht und Überzahl“ an Polizisten ex-ante betrachtet weder notwendig noch verhältnismäßig gewesen sei.
[8] Nach den Feststellungen (US 4 ff) brachte der Angeklagte den linken Arm des – im Zuge einer Amtshandlung, zu der der Angeklagte erst später stieß, bereits zu Boden gebrachten und nach wie vor heftige Gegenwehr leistenden – S* unter Kontrolle, „indem er diesen streckte und mit seinem rechten Knie auf den Boden drückte“, während weitere Polizisten versuchten, das rechte Bein des Festzunehmenden zu fixieren und dessen rechten Arm zu ergreifen. Im Zuge dessen wurde von einem weiteren Polizisten die Festnahme des Genannten „wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt“ ausgesprochen und eine Fixierung mittels „Halsklammer“ gelöst. „Während der Angeklagte für kurze Zeit Anweisungen gab und dabei eine relativ entspannte Haltung einnahm“, da er den linken Arm des S* „unter Kontrolle wähnte“, versuchten drei andere Polizisten, den rechten Arm des Festzunehmenden abzuwinkeln und an seinem Rücken anzulegen. Dieser hatte sich noch immer nicht beruhigt und wurde von den Polizisten sodann in Bauchlage gedreht. Im darauffolgenden Moment zog S* „seinen linken Arm aus der Fixierung des Angeklagten, wodurch dieser leicht vorne überkippte und in einer schnellen Reaktion einerseits mit seiner linken Hand die linke Hand des Festzunehmenden ergriff, andererseits mit seiner rechten Hand von dessen Schulter abließ, sie auf dem Kopf des * S* abstützte und diesen wuchtig zu Boden drückte. * S* hielt dagegen und streckte seinen Kopf erneut in die Höhe, woraufhin der Angeklagte diesen neuerlich mit Wucht nach unten drückte, sodass der Kopf auf dem Asphaltboden aufschlug. Es konnte nicht festgestellt werden, ob dieser heftige Aufprall aufgrund plötzlich nachlassenden Gegendrucks des * S* oder weil der Angeklagte in diesem Moment seine Kraft nicht entsprechend adjustieren konnte, zustande kam. Zu diesem Zeitpunkt war die Anwendung von Zwangsmitteln in Form von körperlicher Gewalt zwecks Durchsetzung der Festnahme bzw. Brechung desWiderstandes durch den Angeklagten jedenfalls notwendig. Ein gelinderes Mittel stand aus Sicht des Angeklagten nicht zur Verfügung.“ Zur subjektiven Tatseite stellte das Erstgericht weiters fest (US 5), dass es der Angeklagte ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, S* am Körper zu verletzen. „Er setzte die Handlung jedoch im Glauben, innerhalb seiner ihm als Polizeibeamter eingeräumten gesetzlichen Befugnisse zu agieren und verfolgte mit ihr den Zweck, den Widerstand des Genannten zu brechen und die Festnahme nach der Strafprozessordnung durchzusetzen.“ Er hielt es ernstlich für möglich, „dass der Genannte in den Mordfall verwickelt sein und eine Gefahr für die (erkennbar gemeint: körperliche Unversehrtheit der) einschreitenden Beamten sowie umstehenden Passanten darstellen könnte“. Das zweimalige Zu-Boden-Drücken des Kopfes des * S* erachtete er „als notwendig und verhältnismäßig, um ein drohendes Aufbäumen des Festzunehmenden zu verhindern und die Festnahme durchzusetzen“.
[9] Damit stehen aber die – von der Beschwerdeführerin nicht nach Maßgabe des § 281 Abs 1 Z 5 StPO relevierten (zum Erfordernis, alle die Tatbestandsverwirklichung der angestrebten Rechtsfolge ausschließenden Konstatierungen [deutlich und bestimmt] als mangelhaft begründet zu bekämpfen, vgl RIS‑Justiz RS0127315 [insb T4]) – Feststellungen zur subjektiven Tatseite einer erfolgreichen Urteilsanfechtung im Sinn der von der Staatsanwaltschaft angestrebten Beurteilung des Tatgeschehens als Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB jedenfalls entgegen. Denn bei irrtümlicher Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts nach § 8 StGB – auch bei einem Irrtum über die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit eines Zwangsmittels (vgl §§ 5, 93 Abs 1, §§ 170 f StPO; siehe auch §§ 4 ff und § 9 WaffenGG) – kommt nur eine – vorliegend von der Nichtigkeitsbeschwerde aber nicht relevierte – strafrechtliche Verantwortlichkeit für fahrlässiges Handeln in Betracht (vgl RIS‑Justiz RS0132391, RS0125734; siehe auch Lewisch in WK² StGB § 3 Rz 106; ders aaO Nach § 3 Rz 252).
[10] Ein Eingehen auf die weiteren Argumente der Rechtsrüge ist daher nicht erforderlich.
[11] Die Nichtigkeitsbeschwerde war demnach – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
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